Schneeschuh-Wandern hoch über dem Vierwaldstätter See

Schneeschuhtour an der Rigi

Unbekannt und unerschlossen ist die Rigi in der Schweiz besonders bei Wanderern ganz sicher nicht. Kein Wunder bei dem Rundumblick, den der Berg bietet. Wer das Massiv im Winter mit Schneeschuhen überschreitet, erlebt die Rigi von einer ganz neuen, wilden und einsamen Seite. Von Iris Kürschner (Text und Fotos)
 
Schneeschuhtouren an der Rigi © Iris Kürschner
Kaum ist Rigi-Kulm erreicht, ist mit dem Dossen schon der nächste Gipfel im Visier
Dicker Nebel schluckt jedes Geräusch – und die Aussicht, um die es doch geht bei der Rigi. Ganz allein steht sie über dem Seenland der Zentralschweiz. Ihr zu Füßen liegen neben dem Vierwaldstätter See auch der Zuger und Lauerzer See. Goethe, Alexandre Dumas, Victor Hugo, Richard Wagner, Queen Victoria, Johannes Brahms, Mark Twain, Karl May – die Liste berühmter Besucher, die den Ausblick in der Schweiz mit eigenen Augen erleben wollten, füllt Bücher. Und förderte die »Fremdenindustrie«, wie das Gewerbe dazumal hieß. Alpbauern fanden ein Zubrot als Träger oder »Rossmannen«. Betuchte Städter, der ungewohnten Steilheit und Höhe nicht mächtig, ließen sich in Sänften hinauf schleppen oder zu Pferd führen. Hotelburgen schossen in die Höhe. Von rund 180 Hotelbetten in den 1830er-Jahren kletterte die Zahl gegen 1890 auf weit mehr als 2000 Hotelbetten. Begleitet wurde der großen Boom durch den Bau der Zahnradbahnen: 1871 von Vitznau herauf als erste Bergbahn Europas, 1875 von Arth-Goldau herauf.

Wellness-Tempel in Rigi-Kaltbad

Mit der typischen Portion Selbstironie schildert Mark Twain in »Bummel durch Europa« eine Rigibesteigung, die er mit seinem Agenten im Sommer 1878 unternahm. Die zwei Schneeschuhgeher folgen ihrem Weg, der zum 100. Todestag des amerikanischen Bestsellerautors im Mai 2011 als Mark-Twain-Themenweg eingeweiht wurde. Aus dem Nebel pellt sich das Felsentor, ein mystischer Schlund, durch den sich die Route zwängt. Passend zum Namen feucht-kühle Wolkensuppe auch in Rigi-Kaltbad. Die Quelle am sogenannten Schwesternborn, die das Kurwesen begründete, sprudelt »so kalt, dass einer sein Hand gar kümmerlich eines Ave Maria lang darein halten kann«, notierte der Stadtschreiber von Luzern bei seinem Besuch am 1. August 1601. Im 2012 eröffneten Mineralbad von Mario Botta hingegen wird das Heilwasser des Drei-Schwestern-Brunnens mit Holz von der Rigi auf 35 Grad erhitzt und fließt in einen Wellness-Tempel aus Naturstein, den der Tessiner Stararchitekt stilvoll ins Gelände einfügte. Das Dach der Anlage bildet den Dorfplatz, von dem man zum Außenbecken herabschaut.

Sinkender Tourismus in Rigi: von 2000 auf 500 Betten

Vieles hat sich verändert auf der Rigi. Die Palasthotels sind abgebaut, verkleinert oder abgebrannt, statt 2000 gibt es 500 Hotelbetten. Vor allem im Winter steht man nicht selten in den Morgen- und Abendstunden allein im Gipfelbereich von Rigi-Kulm. Wer’s spektakulär mag, zieht seine Spuren vom Kulm direkt an der Abbruchkante entlang hinunter zur Chäserenholzhütte, dem Reich von Franz Toni Kennel, der hier im Sommer Almwirtschaft betreibt. »Als der Milchpreis abstürzte, musste ich mir etwas einfallen lassen und kam auf die Idee einer Erlebnisalp«, erzählt der agile Schwyzer. Käsen, Buttern und dem Älpler dabei über die Schultern schauen, das kam an. Seit kurzem können Gäste auch im Winter bei ihm übernachten. Köstlich das »z’Morge« mit diversen Käsespezialitäten, Moschtbröckli (Trockenfleisch), Ei, Alpbutter, Zopf, Müsli und vielem mehr. Es ist die beste Stärkung für den Marsch über Rigi-Klösterli, First, Schild, Würzenstock und Dossen. Beim kräftigen Auf und Ab dieser Wanderung wird einem erst klar, dass die Rigi nicht nur einen, sondern ein Dutzend Wander-Gipfel aufweist. Diverse Kuppen lassen sich auf einem planen, zugleich als Loipe genutzten Höhenweg umgehen. An einigen Punkten ist noch erkennbar, dass es sich um die Trasse der 1874/75 erbauten Bahn von Rigi-Kaltbad nach Rigi-Scheidegg handelt. Weil sie sich nicht lohnte, wurde der Betrieb 1931 eingestellt.

Dossen - schönster Gipfel in der Rigi

Auch der Skilift am Dossen verschwand. Seinen Gipfel küren die zwei Schneeschuhgeher zum schönsten der Rigianer. Das Nebelmeer verpufft, die Südflanken stürzen in den Vierwaldstättersee. Vis-à-vis grüßen Stanserhorn, Pilatus, Eiger, Mönch und Jungfrau. Christiane und Jens Pittius können sich diesen Kurzausflug nur selten gönnen. Seit zwei Jahren bewirtschaften die beiden den »Burggeist«. Um das Berggasthaus an der Scheidegg zu übernehmen, kündigte Christiane ihren gut bezahlten Posten bei einer Versicherung in Thüringen, ihr Mann arbeitete bis dahin im Außendienst. Die jüngste Tochter, die anfangs maulte, so abgeschieden leben zu müssen, findet es mittlerweile cool, mit der Gondel zur Schule zu fahren. In der Gaststube hängt der Spruch: »Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum«. Sie scheinen ihn tatsächlich zu leben, jedenfalls vermittelt ihre Herzlichkeit dieses Gefühl. Lokale Produkte kommen auf den Tisch, geschlafen wird in einem rotweiß-karierten Federbett. Vorausgesetzt, man kann sich beim Blick aus dem Fenster von diesem verrückt schönen Sternenhimmel losreißen. Was Mark Twain doch alles verpasst hat, als er mit der Bahn zu Tale fuhr.

 Schneeschuh-Testberichte und weitere Ausrüstungstipps zum Schneeschuhwandern
 
Von Iris Kürschner
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 03/2015. Jetzt abonnieren!
 
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