Tamara Lunger: Zwischen Hölle und Hochgefühl | BERGSTEIGER Magazin
Porträt

Tamara Lunger: Zwischen Hölle und Hochgefühl

Nach der dramatischen Expedition am K2 im Winter 2020/21 geht die Südtiroler Alpinistin Tamara Lunger neue Wege. Dieses Porträt erschien im Bergsteiger 04/24.
 
Tamara Lunger im Porträt © Bergsteiger
Tamara Lunger blickt wieder positiv in die Zukunft und trainiert für neue sportliche Herausforderungen.
Es ist sehr still im Saal, eine emotionale Stille. Und auch Tamara Lunger (37) kämpft bei ihrem Vortrag in Walchsee in Tirol einen ganz kleinen Moment mit ihren Gefühlen. »Ja, es fällt mir nach wie vor schwer, die gemeinsamen Bilder vom K2 anzuschauen«, sagt sie. Sie meint vor allem die Bilder mit dem chilenischen Alpinisten Juan Pablo Mohr und auch die mit Sergi Mingote, einem spanischen Bergführer. Mit Mingote war sie befreundet, Mohr wurde ihr in den vielen Wochen am K2 zum engsten Vertrauten. »Mein Seelenverwandter«, sagt sie und man merkt schnell, dass die beiden noch viel mehr verbunden hat. Die zwei Alpinisten sind bei dieser Winterexpedition am K2 im Januar und Anfang Februar 2021 ums Leben gekommen. Sergi Mingote stürzte direkt vor Tamaras Augen ab. Juan Pablo Mohr wurde gemeinsam mit Ali Sadpara und John Snorri oberhalb der Schulter von Lager 4 tot aufgefunden. Wahrscheinlich befand er sich im Abstieg vom Gipfel. Tamara Lunger selbst hat, genauso wie im Winter 2016 nur 70 Meter unterhalb des Gipfels des Nanga Parbat, auf ihren Körper und ihr Bauchgefühl gehört und ihren Versuch auf rund 7250 Metern abgebrochen. Eine Entscheidung, die ihr vermutlich das Leben gerettet hat.

Der K2 sollte nach dem Gipfelerfolg am Lhotse 2010 und dem K2 im Juli 2014, ein weiterer Anlauf auf einen Achttausender sein. Als erste Frau im Winter, ohne Flaschensauerstoff. Nach einigen anderen Expeditionen auf Sieben- und Achttausender, auf denen sie viel Positives, aber auch viele Tragödien erlebt hat. Auf denen sie gelernt hat, dass Scheitern dazugehört und der Gipfel ein großes Geschenk ist. Nach schwierigen Jahren mit Pandemie und persönlichen Krisen. Und nach dem großen Schock, ihren alpinen Mentor und Seilpartner, den italienischen Bergsteiger Simone Moro, bei der Winterexpedition am Gasherbrum im Januar 2020 in einer Gletscherspalte verschwinden zu sehen. Mit Verletzungen konnten sich beide ins Basislager retten.

Besondere Beziehung zum K2

Besondere Beziehung zum K2 Der K2, den sie, wie Gerlinde Kaltenbrunner – Tamara Lungers langjähriges sportliches Vorbild – eigentlich so liebt und als »meine ganz persönliche Göttin« bezeichnet, wurde zum Ort, an dem sie ihre bisher größte menschliche Tragödie erlebt. Und von dem sie zutiefst erschüttert zurückkommt. Das groß gewachsene, immer lustige, wilde und sportliche Mädchen, das mit zwei jüngeren Schwestern im kleinen Dorf Gummer im Südtiroler Eggental mitten in den Dolomiten aufgewachsen ist. Noch heute lebt sie dort zusammen mit ihren Eltern und einer Schwester im Haus des kürzlich verstorbenen Großvaters. Das Mädchen, das den Buben in der Leichtathletik und später beim Skibergsteigern zeigen wollte, dass Mädels mindestens genauso fit sind. Das mit dem geliebten Vater jede freie Minute in den Bergen war und schon sehr bald von den Achttausendern träumte, erkennt sich nach diesen traumatischen Erlebnissen am K2 selbst nicht mehr. Lange Zeit fühlt sie sich einfach nur noch leer.
 
Fragen nach weiteren Achttausender-Versuchen gehen ihr seither auf die Nerven. »Klar wäre es ein Traum gewesen, als erste Frau im Winter ohne Sauerstoff auf dem Gipfel zu stehen«, so Lunger. »Aber die realistische Chance, bei einer Winterexpedition einen Achttausender-Gipfel zu erreichen, liegen bei fünf bis zehn Prozent. Deshalb war für mich immer der Weg das Ziel«, sagt sie. »Am Nanga Parbat im Winter auf Lager drei zu stehen und zu wissen, im Umkreis von vielen Kilometern ist kein Mensch. Diese unglaubliche Aussicht, der ganze Hindukusch ohne Wolken. Solche Momente dort oben ganz allein zu erleben und zu wissen, du bist einer von ganz wenigen Menschen, die das im Winter erleben, dafür bin ich unendlich dankbar. Das war der Reiz für mich, mir diese Strapazen anzutun.«

Neue Wege gehen

Ob sie die Kraft dafür nochmal aufbringen kann, weiß sie derzeit nicht. Auf ihrem Weg aus der persönlichen Leere hat sie seither mit viel Kreativität und Engagement neue Projekte initiiert. In Erinnerung an Juan Pablo Mohr hat sie ein Hilfsprojekt für Frauen in Pakistan ins Leben gerufen, bei dem sie vor Ort tatkräftig für mehr Emanzipation kämpft. Sie ging mit ihrem Vater auf eine Island-Tour und will künftig selbst Reisen anbieten. Sie macht eine Ausbildung zur Regenerationstrainerin und beschäftigt sich mit Themen wie Intuition, Weiblichkeit und Archetypen. Sie durchläuft ein nicht immer ganz einfaches Coaching mit sich selbst. »Aber in jedem Moment wird mir mehr bewusst, wer ich bin und was ich dem Leben alles verdanke«, sagt sie und genießt diese neue persönliche Freiheit. Aber sie wäre nicht Tamara Lunger, wenn sie nicht doch wieder größere sportliche Herausforderungen in den Bergen suchen würde. In diesem Jahr will sie abheben – und bei diversen Hike&Fly-Wettkämpfen an den Start gehen.

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Petra Rapp
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