Klettern in Tirol | BERGSTEIGER Magazin
Klettergebiete Ehrwald am Fuße der Zugspitze

Klettern in Tirol

Ehrwald ist als Kletterdestination wenig bekannt. Zu Unrecht: Rund um den Tiroler Ort gibt es schöne Klettergebiete. Der Fotograf Christian Pfanzelt stellt zwei davon vor.
 
Akkurate Felsfrisur beim klettern in Tirol: Peter Frei in »Lenticularis « (VI–), Hochfeldernalm © www.cpfanzelt.de
Akkurate Felsfrisur beim klettern in Tirol: Peter Frei in »Lenticularis « (VI–), Hochfeldernalm
Steile Berge ohne Ende außen herum, aber kein gescheites Sportklettergebiet vor Ort – als Garmischer Kletterer hat man es wirklich nicht leicht. Na gut, Mitleid ist jetzt vielleicht auch übertrieben, allzu weit sind die nächsten guten Felsen nämlich nicht: Im Norden locken Kochel, im Westen Füssen und im Osten das Zillertal. Bleibt noch der Süden. Und selbst der quillt in den letzten Jahren über vor lauter neuen Klettergebieten.    

Zum Beispiel Ehrwald. Rund um den Tiroler Zugspitz-Ort sind in den letzten Jahren einige schöne Felsen erschlossen worden. Dazu zählen auch der sogenannte Hanger und die Hochfeldernalm – zwei Klettergebiete, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Zustieg zum Hanger dauert gerade einmal fünf Minuten, und dann hat man eine schöne Palette an Routen zur Auswahl, die sich von denen in den übrigen Klettergebieten der Umgebung deutlich unterscheiden. Soll heißen: Steil und mit großen Griffen, fast schon wie in der Kletterhalle. Dass man sich an echtem Fels befindet, merkt man dank vieler scharfer Kanten aber sehr schnell. Von Nachteil ist das nicht unbedingt: Obwohl es den Klettergarten seit 1996 gibt und obwohl der Spot von Beginn an sehr beliebt war, ist der Fels nicht abgeschmiert. Die Hochfeldernalm ist der direkte Felstanz; nicht im Vorbeigehen konsumierbar, sondern eine komplette Tagesaktion. 

Klettern Tirol - Wenn die Gondeln Räder tragen

Im vergangenen Jahr machten wir uns Ende April zur Hochfeldernalm auf. Eigentlich ein bisschen früh, aber die Seilbahn zur Ehrwalder Alm hatte bereits geöffnet, und ein vorsorglicher Webcam-Check zeigte schneefreie Einstiege. Zunächst verlief auch alles wie geplant: Von der Bergstation wanderten wir durch beschauliches Almgelände in Richtung Hochfeldernalm. Recht bald mussten wir allerdings feststellen, dass die Wege ziemlich matschig waren. Komisch, wo kommt denn das ganze Wasser her – es hat doch seit einer Woche nicht mehr geregnet? 15 Gehminuten später stießen wir auf die Antwort: Altschneefelder. Aber kein Problem, die Einstiege sind ja schneefrei, laut Webcam.  

Schneefrei waren die Einstiege dann allerdings nur unter der Voraussetzung, dass man die acht Meter wegrechnet, die tatsächlich dort lagen. Acht Meter! Nun, das könnte man zur Not ja ertragen – dann lässt man halt die ersten zwei Haken weg, die sich unterhalb der Schneedecke befinden, und startet bei Haken Nummer drei in die Routen. Aber zwischen Felswand und Schneefeld tat sich eine zwei Meter breite Randkluft mit bekannter Tiefe auf.  Wie peinlich: Eine gute Ausrede musste her, hatte ich doch drei Kletterkollegen dort hochgescheucht. Möglichkeit eins: Im Web war ein anderer Wandfuß abgebildet. Möglichkeit zwei: Das Bild war nicht aktuell. Im ersten Fall fiele der Fauxpas auf mich zurück, im zweiten auf die Anbieter der Website. Ich entschied mich für die Variante, bei der ich nur ein bisschen gutgläubig dastand (»die haben nicht dazugeschrieben, dass das Bild  aus dem letzten Jahr ist!«) und entschuldigte mich. Immerhin verhalfen uns die dicken Schneefelder dann zu einem flotten Abstieg – mit Plastiktüten unterm Hintern. 

Gottlob sind meine Kletterpartner überhaupt nicht nachtragend und gehen mit mir nach wie vor zum Klettern. Für den zweiten Anlauf zur Hochfeldernalm fragte ich trotzdem vorsorglich ein paar andere Leute. Und ging auch in einer anderen Hinsicht kein Risiko ein: Es war mittlerweile Herbst geworden, und der viele Schnee des Frühjahrs war also garantiert weg. Das mit den anderen Leuten stimmte nicht ganz: Peter war bereits beim ersten Feldernalm-Versuch dabei gewesen. Und die anderen,  Michi, Anderl und Flo, waren neugierig. Auf tollen Hochgebirgskalk. Auf ein Wahnsinnsambiente. Und auf alles andere, wovon ich ihnen vorgeschwärmt hatte.

Klettergeil

Besonders angetan waren die Kletterkollegen natürlich vom Aufstieg: Im Preis für die Bergfahrt zur Ehrwalder Alm ist nämlich die Mitnahme eines Mountainbikes inbegriffen. Damit verkürzt sich der Anstieg zum Klettergebiet auf 30 Fahr- und 30 Gehminuten. Gut gelaunt lösten wir unsere Tickets. Einfache Bergfahrten, logisch. Nur Andi tat das nicht. Der schlurfte noch etwas verschlafen die letzten Stufen zur Kasse empor und verlangte sowohl Berg- als auch Talfahrt. Nicht wirklich zu Ende gedacht. Aber vielleicht auch zu viel verlangt, wenn man den Kater mit einrechnet, der ihm vom Vorabend noch das Hirn vernebelte. Bevor er zahlte, fragten wir ihn allerdings noch, ob er mit seinem Mountainbike wirklich rauf und runter fahren wollte. Das hätte der Kassenkraft auch auffallen können. Eine gute Stunde später saßen wir unter den Felsen. Andis Kater war inzwischen ebenso verflogen wie der Schnee aus dem Frühjahr. Kurze Stärkung. Sonne, Wärme, die schroffe Mieminger Kette gegenüber, das grüne Gaistal unter, die Routen der Hochfeldernalm über uns. 

Flo war vor lauter Klettergeilheit nicht zu halten. Während wir noch an der Brotzeit kauten, stieg er schon mal in Richtung des ersten Hakens der Route »Prechtig«. Und als sich dann jemand bequemte, ihn zu sichern, ging es mit Volldampf los. Dass die Löcher, an denen er emporraste, scharfe Kanten haben, muss seiner Aufmerksamkeit entgangen sein. Sonst hätte er sein Tempo vielleicht reduziert, als sich ihm ein Einfingerlochzug entgegenstellte. Tat er aber nicht. Und deshalb holte er sich einen tiefen Cut am linken Mittelfinger, den er in seiner Begeisterung allerdings erst fünf Züge später bemerkte, weil die Griffe der linken Hand so schmierten. Das Blut quoll in erstaunlichen Mengen aus der Wunde hervor. Und Flo bezahlte seine Begeisterungsfähigkeit erst einmal mit Rumsitzen und Finger-brav-in-Richtung-Himmel-Strecken. Eine geschlagene Stunde lang. 

Belohnung muss sein

Es gibt nicht nur scharfe Löcher an der Hochfeldernalm. Löcher übrigens, die durchaus schön zum Klettern sind, wenn man mit Bedacht und Fingerspitzengefühl unterwegs ist. Im ganz rechten Teil des Musiksektors zum Beispiel warten so tolle Routen wie »Out of water« (VII) oder »Strom im Kopf« (VIII) auf Aspiranten, die ihre Qualitäten an Leisten und Auflegern testen wollen. Tiefe und raue Wasserrillen hingegen, wie man sie nur im Hochgebirge antreffen kann, geben dem Fels in »Lenticularis« (VI–) eine akkurate Frisur. Und wer es in dem hochalpinen Ambiente für angemessen hält, mehr als 30 Meter am Stück zu klettern, sollte auf jeden Fall die traumhafte Route »Schweigen der Hämmer« (VIII) mit ihren sechs Seillängen unter die Finger nehmen. 

Wenn man die Leistungen unseres Quintetts zusammenzählt, haben wir an jenem Herbsttag immerhin knapp die Hälfte der Routen im Sektor geklettert. Auch die »Prechtig«. Denn nachdem seine Blutung gestillt und die Wunde fachmännisch versorgt war, stieg Flo ein zweites Mal in die Route. Und zog sie durch –ohne das Einfingerloch. Ehrgeiz muss sein. Belohnung auch. Deswegen mussten unsere Räder, die an der Hochfeldernalm standen, noch ein wenig warten, nachdem wir die steile Geröllrinne herabgesaust waren. Après-Climb vor der Alm in der letzten Abendsonne – welch ein Genuss! Und als Finale eines wunderbaren Klettertages eine flotte Mountainbike-Abfahrt. Auch für Andi. Die letzte Gondel ins Tal wäre ohnehin schon weg gewesen.
Text: Christian Pfanzelt, Fotos: www.cpfanzelt.de
 
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