Interview: "Bergsteigen ist wie guter Sex" | BERGSTEIGER Magazin
Glücksforscher Stefan Klein im Interview

Interview: "Bergsteigen ist wie guter Sex"

Vermutet haben wir es schon lange: Bergsteigen macht glücklich – man läuft förmlich auf Wolke sieben. Warum dem so ist und wie man sein Glück am Berg potenzieren kann, verrät Stefan Klein, Autor des internationalen Bestsellers »Die Glücksformel«.
 
Stefan Klein am Großen Tragl im Steinernen Meer © privat
Stefan Klein am Großen Tragl im Toten Gebirge
Bergsteiger: Sind Bergsteiger die glücklicheren Menschen?
Stefan Klein: Als Naturwissenschaftler glaube ich erst mal das, worüber ich Daten habe. Zu dieser Frage aber gibt es keine. Wir wissen aber Folgendes: Draußen sein in der Natur macht Menschen glücklich, körperliche Bewegung, ein Ziel zu verfolgen, die Gemeinschaft mit anderen – wenn ich das alles zusammen nehme, haben wir guten Grund zu der Annahme, dass Bergsteigen glücklich macht.

Eignet sich das Bergsteigen als Glückstherapie für jedermann?
Sicher nicht. Es eignet sich für all jene, die einen starken Bezug zur Natur und zu den Bergen empfinden. Ich würde nicht sagen, dass es besser ist als andere Formen der körperlichen Bewegung. Rudern oder ein Marathon können beispielsweise genauso große Glücksgefühle hervorrufen. Das hängt auch von Ihrer persönlichen Kultur und Lebensgeschichte ab. Ich bin beispielsweise in München und Innsbruck aufgewachsen, und so haben mich die Berge geprägt. Wer an der Nordsee aufgewachsen ist, ist aber vermutlich genauso glücklich, wenn er das Meer sieht.

Welche Gefühle sind es denn, die das Bergsteigen in uns auslöst?
Alle! Von Vorfreude über die Freude an der Wahrnehmung und zwar sowohl der Außenwelt als auch des eigenen Körpers. Sie können so etwas wie ein demutsvolles Staunen, ja eine Art Hingabe an die Natur spüren. Dann die Gemeinschaftserlebnisse. Natürlich können auch negative Gefühle dazukommen, Angst oder Verzweiflung etwa. Ich habe einige der intensivsten Momente meines Lebens in den Bergen verbracht, und ich glaube, jedem, der Bergsport betreibt, geht das so.

Als Glücksforscher wissen Sie, wie Gefühle entstehen. Wie ist das beim Bergsteigen?
Zunächst mal ist es völlig egal, wo die guten Gefühle zustande kommen, ob beim Bergsteigen, beim Angeln oder weil Sie guten Sex haben. Wir alle sind mit den Anlagen zu guten Gefühlen geboren; positive Emotionen sind das, was uns am Laufen hält. Was konkret passiert, ist das Folgende: Wenn sich eine Situation einstellt, die in irgendeiner Weise vorteilhaft für den Organismus sein könnte, dann werden in Ihrem Gehirn bestimmte Neurohormone ausgeschüttet, die chemisch identisch sind mit Opiaten, dem Wirkstoff von Heroin und Opium. Der einzige Unterschied ist, dass diese Opioide auf vollkommen natürliche Weise entstehen – im Drogenlabor in Ihrem Kopf. Sie werden ausgeschüttet und verändern dann die Art und Weise, wie weite Bereiche des Gehirns arbeiten. Das erleben Sie als Glück. Es gibt dann noch andere körperliche Veränderungen: Muskelspannung, Mienenspiel, Pulsschlag oder Hautwiderstand.

Aber warum geht der Körper davon aus, dass das Bergsteigen für ihn vorteilhaft ist? Immerhin verbraucht er dabei viel Energie.
Das Bergsteigen direkt überhaupt nicht. Aber das, was damit einhergeht: Natur, Bewegung, Gemeinschaft. Die Mechanismen, die Glücksgefühle auslösen, sind beispielsweise so gemacht, dass wir stark reagieren, wenn wir uns Ziele setzen und diese auch erreichen. Und was gibt es für ein stärkeres Ziel als einen Gipfel? Zudem werden bei intensiver körperlicher Bewegung Endorphine ausgeschüttet. Die wirken berauschend und schmerzstillend. Man hat dann irgendwann das Gefühl, man läuft auf Wolke sieben, obwohl man eigentlich nicht mehr kann. Das ist biologisch sehr sinnvoll – stellen Sie sich vor, wenn unsere sehr fernen Vorfahren gejagt wurden oder selbst auf der Jagd waren, dann taten sie gut daran weiterzurennen, ohne etwas darauf zu geben, dass sie erschöpft waren. So verführt uns die Natur mit guten Gefühlen wie Glück zu dem Verhalten, das sie von uns will.

Klingt nach einer plausiblen Begründung dafür, warum 24-Stunden-Wanderungen so gefragt sind.
Ich habe das selbst nie gemacht, kann mir allerdings sehr gut vorstellen, dass genau dieses Erlebnis, gemeinsam mit anderen die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit auszutesten, für viele Menschen großartig ist. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie überaus euphorisierend Langstreckenläufe mit Tausenden anderer Teilnehmer sein können. Dieser Wert der Gemeinschaft für das Glück ist wirklich ziemlich neue Forschung. Bis 2002 dachte man, Glück sei ein weitgehend individuelles Phänomen. Heute wissen wir, dass das nicht stimmt und Glücksgefühle in hohem Maße ansteckend sind. Ich glaube, das kann auch für die private und professionelle Tourenplanung sehr interessant sein.

Wie sollte ich eine Tour denn planen, wenn ich möglichst viel Glück daraus ziehen möchte?
Zunächst mal sollte ich nicht in die Berge gehen, um dort Glück zu empfinden, sondern um die Berge zu sehen. Wir Menschen reagieren auf Helligkeit und Licht, daher ist es natürlich schöner bei Sonnenschein. Zweitens hat es etwas mit Gemeinschaft zu tun, und drittens sollten wir im richtigen Maße gefordert sein, uns also weder unter- noch überfordern. Dieser ganz besondere Kick, an die eigenen Grenzen gegangen zu sein, kann sehr befriedigend sein.

Glauben Sie, dass sich das Glück potenziert, je länger man am Berg ist?
Nein, das glaube ich nicht. Die völlig andere Umgebung der Berge schafft Distanz zu den Alltagssorgen. Sie sind in einer ganz anderen Umgebung, das kann Ihnen das Fitnessstudio um die Ecke nicht unbedingt geben. Wie viel Zeit der Einzelne dafür braucht, den Alltag hinter sich zu lassen, ist sehr individuell. Dem einen genügen zwei Stunden, der andere braucht vier Tage. Das hängt sicherlich von der Lebenssituation ab.

Sind Sie persönlich seit der Arbeit an Ihrem Bestseller »Glücksformel« ein glücklicherer Mensch?
Ja – ich wäre ja blöd, wenn ich das, was ich rausgefunden habe, nicht auch für mich selbst nutzen würde. Ich bin natürlich nicht immer glücklich, und das ist auch gar nicht möglich. Es sind viele Gewohnheiten, die man sich aneignen kann: regelmäßige Bewegung, sich weniger mit anderen zu vergleichen, und – ganz wichtig – die guten Momente wirklich wahrzunehmen. Wir neigen alle dazu, das Gute und Schöne einfach wegzuwischen. Beispiel Skitour: Sie steigen auf, aber anstatt sich an der großartigen Landschaft zu erfreuen, ärgern Sie sich, dass Sie bei der Abfahrt keinen Pulverschnee bekommen werden. Wenn wir stattdessen die guten Momente wahrnehmen, fühlen wir uns zum einen besser, zum anderen führen neuronale Verstärkungsmechanismen dazu, dass die positiven Gefühle stärker werden.

Sie gehen seither also anders in die Berge?
Auf jeden Fall. Im Vergleich zu früher zählen Ziele wie etwa das Erreichen des Gipfels weniger, die Wahrnehmung des Moments viel mehr. Ich habe gelernt, viel mehr auf die Natur zu achten: Jeder Augenblick ist einzigartig und daher schön, selbst eine Tourenabfahrt bei Nebel im Bruchharsch!

Zur Person:

Stefan Klein
Dr. Stefan Klein, geb. 1965 in München, aufgewachsen in München und Innsbruck, ist Physiker, Philosoph und der erfolgreichste Wissenschaftsautor in deutscher Sprache. Zuletzt erschien sein Buch »Träume« (2014). Sein Titel »Die Glücksformel« (2002) stand über ein Jahr auf allen deutschen Bestsellerlisten und wurde in 27 Sprachen übersetzt. Klein zog von München zunächst nach Hamburg, wo er die Sehnsucht nach dem Bergsteigen mit Rudern kompensierte. Heute lebt er mit seiner Frau und drei Kindern in Berlin.
 
Bettina Willmes
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 11/2016. Jetzt abonnieren!
 
Mehr zum Thema