Ernährung am Berg - so sind Sie fit auf Tour | BERGSTEIGER Magazin
Auf's Dach der Alpen - Traumziel Mont Blanc

Ernährung am Berg - so sind Sie fit auf Tour

Nudelberge oder halbe Rinder? Kontinuierliches Mümmeln oder wenige, große Mahlzeiten? Die Leistung am Berg wird auch von der richtigen Ernährung beeinflusst – und für die braucht man keinen komplizierten Diätplan.
Von Moritz Baumstieger
 
Schluck zum Glück: Kurze Pause auf dem Weg zum Mont Blanc © Picture Alliance
Schluck zum Glück: Kurze Pause auf dem Weg zum Mont Blanc
Nein, hier will niemand ein schlechtes Gewissen machen. Vollkommen klar, dass Weihnachten vor der Tür steht – und deshalb deftiges Essen auf dem Tisch und davon viel. Dazu noch Plätzchen, Schoko-Nikoläuse, Christstollen, Glühwein. Die ganzen Leckereien eben, die der Advent so mit sich bringt. Langen Sie zu, sonst macht es ja keinen Spaß – aber an einem ruhigen Winterabend über das Thema Ernährung und Bergsport nachzudenken, lohnt sich garantiert. Denn während viele Alpinisten akribisch trainieren, um Ausdauer und Technik zu verbessern, dabei das Wort »Ausrüstung« mit »Aufrüstung« verwechseln und stets das neuste Wunder-Equipment haben müssen, wird oft vergessen, wie viel Einfluss die Ernährung auf den Erfolg am Berg hat. Die richtige Brotzeit für die Bergtour ist dabei von essentieller Bedeutung.

Fasten hilft nicht


 
Mirjam Limmer kennt sich mit beiden Themen gut aus, mit dem Bergsteigen und dem Essen. Sie war Mitglied des ersten Frauen-Expeditionskaders des Deutschen Alpenvereins und hat im Himalaya einige Erstbesteigungen vorzuweisen, an der Uni Bochum erforschte sie das Thema Ernährung unter hypoxischen Bedingungen, so nennt die Wissenschaft den Sauerstoffmangel in großer Höhe. Heute lehrt und forscht Limmer am Institut für Natursport und Ökologie der Deutschen Sporthochschule Köln und ihre Tipps beginnen mit einer – gerade in der Adventszeit – guten Nachricht:

Optimal auf eine längere Tour vorbereitet ist nicht der, der bis kurz vor der Abfahrt trainiert und fastet. Sondern der, der seinem Körper die richtige Nahrung bereitstellt, um einen Energievorrat anzulegen – und davon ausreichend. »Am einfachsten kann der Körper Energie aus Kohlehydraten generieren«, sagt Limmer. »Die wandelt er in den Stoff Glykogen um, der in Muskeln und Leber gespeichert wird.« Zu den Kohlehydraten zählt einerseits Stärke, wie sie in Nudeln, Kartoffeln und Brot steckt. Wer zwei bis drei Tage vor der großen Tour beginnt, viel davon zu essen – »der Anteil sollte so bei 60 bis 70 Prozent der gesamten Nahrung liegen« – dessen Glykogenspeicher sind garantiert gefüllt, wenn die Bergschuhe geschnürt werden.

Zucker und Traubenzucker zählen auch zu den Kohlehydraten, die hamstert man aber besser im Rucksack und nicht im Bauch. Diese sogenannten Monosaccharide erhöhen den Blutzuckerspiegel und können so noch schneller als Energie genutzt werden. Dass ein ausgiebiges Frühstück für einen erfolgreichen Tag grundlegend ist, hat schon Mutti den meisten eingebläut. »Das scheitert auf vielen Hütten – zum Beispiel auf den italienischen – schon am Angebot«, weiß auch Mirjam Limmer. »Essen sollte man aber auf jeden Fall etwas, um vor dem Start den Blutzuckerspiegel zu heben.«

Ideal seien zum Beispiel Marmeladenbrote – die liefern mit der Marmelade Zucker, der sofort als Energie zur Verfügung steht und durch das Brot Kohlehydrate, die später abgerufen werden können. Müsli, gerne auch mit Joghurt, ist natürlich auch ideal. Sich bis zur Oberkante Unterlippe vollzustopfen, bringt aber nichts: Völle lähmt den Körper, weil er erst einmal mit Verdauen zu tun hat.

Trinken wie die Kamele

Unterwegs hat Limmer immer eine Packung Gummibärchen in der Jackentasche, ungefähr alle zehn Minuten wandert eines in den Mund. »Es gibt verschiedene Ess-Typen: Die, die oft und regelmäßig kleine Happen brauchen – und die, die einen halben Tag Leistung bringen und dann richtig viel essen.« Zu welchem Typ man gehört, muss jeder selbst herausfinden, meist ähnelt das Essverhalten bei Belastung am Berg aber dem im Tal. Wer schon bei der Arbeit öfters einen Snack braucht, wird ihn auch auf Tour brauchen. Limmer empfiehlt, alle ein bis zwei Stunden einen Energieriegel mit möglichst hohem Kalorienanteil zu essen.
 

 
Wichtig ist, den Riegel mit ein paar Schlucken Getränk hinunter zu spülen, denn die Verdauung arbeitet unterwegs langsamer. Auch Trockenobst und Nüsse liefern viel Energie und nebenbei auch viele Spurenelemente. Und genau wie Riegel oder Süßes wirken sie schnell, wenn die Glykogenspeicher aufgebraucht sind und der Blutzuckerspiegel abfällt, kalter Schweiß ausbricht, die Knie zittrig werden und die Konzentration leidet – wenn einem also der sogenannte »Hungerast« aus dem Bauch wächst.

Eine große Brotzeit sollte man trotzdem keinesfalls ausfallen lassen. Studien haben gezeigt, dass hier Nahrung mit viel Fett am geeignetsten ist, auch wenn der Körper relativ lange braucht, um die Fette in Energie umzuwandeln. Gleichzeitig ist aber in keinen anderen Nahrungsmitteln so viel Energie so kompakt gespeichert – die Altvorderen haben mit ihren Speck-, Salami- und Käsebroten also instinktiv das richtige gewählt, ohne die wissenschaftlichen Zusammenhänge zu kennen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Essen abends auf der Hütte, das Althergebrachte ist oft das beste. »Käsespätzle – das sind Fett und Kohlehydrate pur!«, meint Limmer. Ernährungsberater in der Großstadt würden angesichts des Hüttenessens erblassen, nach einem kräftezehrenden Tag am Berg sind sie aber genau das richtige. Dass viele Wirte nicht mit dem Salz sparen, hat auch seinen Sinn – mit dem Schweiß scheidet der Körper wichtige Mineralstoffe aus, die es wieder aufzunehmen gilt. Diesen Mangel empfiehlt Limmer mit Elektrolyt-Getränken zu beheben, wenn man wirklich lange, etwa eine Woche oder mehr auf Tour ist.

Bei kürzeren Ausflügen hat sie einen ganz einfachen Tipp: »Im Prinzip ist ein Bier gar nicht so dumm«, sagt sie – in kaum einem anderen Getränk sind so viele Mineralstoffe enthalten. Weil Alkoholkonsum aber die Regeneration verlangsamt, sagt Limmer aber auch: »Besser ist natürlich ein Alkoholfreies!«

Trinken ist in den Bergen wichtig – weil man schwitzt, aber auch, weil man bei jedem Atemzug Flüssigkeit in die Umgebung abgibt. Drei bis fünf Liter sollte man deshalb am Tag trinken, sagt Limmer. Dass man diese Mengen nicht im Rucksack mitschleppen kann, ist klar – hier stehen medizinische Lehrmeinung und die Praktikabilität im Widerspruch. Der lässt sich auflösen, wenn man sich ein wenig an den Kamelen orientiert: Die trinken viel vor und nach ihren Wüstentrips und halten so den Flüssigkeitshaushalt im Lot. Je höher man steigt, desto trockener wird die Luft und desto größer wird der Flüssigkeitsbedarf. Und auch sonst reagiert der Körper auf die veränderten Umstände, schon ab einer Höhe von 2000 bis 3000 Metern.

Der Appetit wird schwächer, was man aber keinesfalls so deuten sollte, dass der Körper keine Nährstoffe benötigt – er zeigt es eben nur nicht so. Und auch der Teil des Körpers, der mit der Verarbeitung der Nahrung befasst ist, braucht ein wenig, bis er sich auf den geringeren Luftdruck einstellt: »Verdauungsprobleme sind auf Touren in größeren Höhen in den ersten Tagen ganz normal«, sagt Mirjam Limmer, »deshalb sollte man da keinesfalls mit Medikamenten gegensteuern «. Das gilt übrigens auch für Blähungen. Die gute Nachricht ist aber: Falls die Nachbarn im Matratzenlager einen zu sehr mit solchen quälen, könnte man sich ausnahmsweise ein zweites Bier zum Einschlafen genehmigen – denn für die Regeneration ist ja auch ausreichender Schlaf sehr wichtig.
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 12/2014. Jetzt abonnieren!
 
Mehr zum Thema