Der Stubaier WildeWasserWeg | BERGSTEIGER Magazin
Hochalpine Gewässersysteme im Stubaital

Der Stubaier WildeWasserWeg

Das Stubaital ist überreich mit Wasser in all seinen Erscheinungsformen gesegnet: rauschende Bäche, staubende Wasserfälle, blendende Gletscher. Ein neuer Themenweg führt durch das Hochtal und zeigt die Schönheiten der hochalpinen Gewässersysteme auf.
Von Luis Töchterle (Text und Fotos)

 
Der mächtige Grawa-Wasserfall nahe der Schangelair-Alm gilt als der breiteste Wasserfall in den Ostalpen © Luis Töchterle
Der mächtige Grawa-Wasserfall nahe der Schangelair-Alm gilt als der breiteste Wasserfall in den Ostalpen
In alter Literatur über das Stubaital finden sich viele derartige Beschreibungen zur besonderen Schönheit seiner Wasserlandschaften. Ungeniert schwärmerisch durften die Autoren von damals ihre Landschaftseindrücke schildern. Ihre wogenden Gefühle ließen sie so ungehindert aus der romantischen Brust quellen wie die ungezähmten Bäche, die sie beschrieben. Die Ruetz, das Hauptgewässer, gebärdet sich manchmal recht temperamentvoll, da »brauset der unbändige Thalstrom durch ein mit ungeheuren Steinmassen gefülltes Bett, unter hangendem, den Einsturz drohenden Felsgestein.«

Das bekannteste Vorzeigestück ist der Grawa-Wasserfall: »Vollends zauberhaft gestaltete sich der Wechsel der Scenerie, als die Sonne, hinter die Höhen der Mutterberger Alpen sich neigend, ihre letzten goldenen Pfeile auf die lebensvolle Fluth sandte und ein paar Secunden darauf diese, jedes erborgten Schimmers bar, im kalten Milchweiss ihrer Schaumwogen mit der rasch in die erste Dämmerung sinkenden Landschaft in den vollsten Einklang getreten war.« An anderer Stelle beschreibt ein früher Alpenwanderer »den freien Sturz des schäumenden Mischbaches über eine schwindelnd hohe Felsenwand auf eine tief unten liegende Granitspitze, wo er in feine, staubähnliche Tröpfchen zersplittert in grauweisser Nebelgestalt das Thal im weiten Umkreise befeuchtet…

Doch nicht nur die Bäche des Tales brachten die Schreibfedern ins Schwingen. Wie kaum in einem anderen Tal sieht man im gerade gestreckten Stubai von fast jeder Stelle hinauf zu den Gletschergipfeln, die aus der Ferne aussehen »wie mit grünlich weisser Glasur übergossene Obelisken«. Eine epische Schilderung reicht für diesen freien Blick nicht. Er lässt sich nur mehr lyrisch bewältigen: »In schäumenden Wasserfällen, abgerissenen Felsblöcken und den jähen Absturz drohenden Bergtrümmern baute sie (Anm. die Natur) sich Erfurcht gebiethende Vorhallen, welche, immer majestätischer geformt, hinreichen bis zu den blendenden Gletscherhöhen, ihrem krystallenen Thronpallast, wo das letzte Leben in nie geschmolzenem Eis zu ihren Füßen starrt…« Halten wir zeitgemäß sachlich fest, im Stubaital gibt es besonders schöne Bäche und Gletscher. Die Zitate stammen von Kyselak (1829), Beyrer (1835), Staffler (1842) und Ruthner (1869).

Die Ruetz hat das Stubaital gemacht

Auch in unmittelbarer Nachbarschaft der oberen Ruetz präsentiert sich die moderne Zeit mit Gletscherbahn und Gletscherstraße in unübersehbaren Spuren. Auch so mancher Bach im Stubaital verschwindet, wie deren Mehrzahl im gesamten Alpenbogen, lautlos im Schlund der Energiewirtschaft.
Doch ab der letzten Dauersiedlung Ranalt hinauf zeigen sich die Stubaier Bäche und Gletscher heute noch nahezu unverändert! Wobei die Gletscher, in heimischer Mundart »Ferner« genannt, natürlich auch hier unter der alpenweiten Schwindsucht leiden. Die ursprünglich erhaltene Schönheit dieses hochalpinen Gewässersystems erscheint fast wie ein Wunder. Diesen besonderen Naturschatz will man nun auf behutsame Weise touristisch erschließen, auch um ihn damit vor zerstörenden Nutzungen und Ableitungen zu bewahren. Derartige Versuche, die sogar vor dem bekannten Grawa-Wasserfall nicht Halt machen wollten, hat es vielfach gegeben; sie sind aber bisher am Widerstand der Bevölkerung gescheitert. Das Projekt »Stubaier WildeWasserWeg« soll diese ursprüngliche Berglandschaft erhalten. Ein teilweise neu angelegter und durchgehend markierter Weg führt die Wanderer an die eindrucksvollsten Plätze. Ein großer Teil der Wege ist bereits vorhanden, zwei bisher schwer zugängliche Schluchten und Klammen sollen noch gangbar gemacht werden.

Alle Sinne sind dabei angesprochen – man kann nicht nur schauen und staunen, sondern auch das Beben der Klippen am Wasserfall, die kalt sprühende Gischt auf der Haut spüren, den Geruch zerriebenen Gesteins oder feuchter Moose riechen, die feinen Geschmacksunterschiede von Quellwasser schmecken und die vielfältigen Fließgeräusche vom leisen Gurgeln bis zum betäubenden Tosen hören.

Ja, es stimmt: Ob als Fluss mit seiner manchmal vernichtenden Erosionskraft, als eiszeitlicher Riesengletscher, als katastrophale Mure oder alles mitreißende Lawine – es war immer das Wasser in seinen verschiedenen Erscheinungsformen, das in eine tektonische Felsaufwölbung dieses Tal gekerbt hat: Die Ruetz hat das Stubaital gemacht! Und sie ist damit noch lange nicht fertig… Diese Aussage bildet das Leitmotiv für den Stubaier WildeWasserWeg. Wasser gegen Stein, der beharrliche Sieg des bewegten gegen das starre Element. Der Themenweg lädt seine Begeher ein, das vergletscherte Hochtal wie ein aufgeschlagenes Buch zu betrachten, aus dem die Landschaft formende Kraft des Wassers heraus zu lesen ist. Eine spannende Geschichte mit unendlich viel Zeit und voller dramatischer Ereignisse.

Weitere Themen knüpfen sich an: Was lebt an und in diesen Gewässern? Wie »funktionieren« Gletscher? Wie ging und geht der Mensch mit dieser Dynamik um? Dabei spannt sich der Bogen von der Wahl sicherer Bauplätze für Siedlungen über Kraftwasser und Trinkwasser bis zur Freizeitnutzung und künstlerischen Auseinandersetzung. Alles zusammen nennt sich WildeWasserWissen. Dieses soll in der nächsten Ausbaustufe des Projekts an verschiedenen Stellen des Tales kompakt vermittelt werden, um »ergangene« Fragen zu beantworten und Eindrücke zu vertiefen.
Gletscher, Schluchten, Wasserfälle - Luis Töchterle
 
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