Stiegen steigen in der Sächsischen Schweiz | BERGSTEIGER Magazin
Ein Klettersteig im Elbsandsteingebirge

Stiegen steigen in der Sächsischen Schweiz

»Stiegen« – so heißen die Steiganlagen, die von alters her aus den düsteren Gründen des Elbsandsteingebirges auf die Plateauberge des schönsten deutschen Mittelgebirges hinaufführen. Manche sind heute als Klettersteige ausgebaut – Grund für einen Besuch im Frühling, wenn die alpinen Klettersteige noch eine Schneedecke tragen.
Von Helmut Schulze (Text und Bilder)
 
Der Falkenstein, gute 100 Meter hoch, ist der gewaltigste Gipfel in der Sächsischen Schweiz © Helmut Schulze
Der Falkenstein, gute 100 Meter hoch, ist der gewaltigste Gipfel in der Sächsischen Schweiz
Eng ist der Felsspalt. Den Rucksack musste ich schon vom Rücken nehmen und vor mir herschieben. Zudem kommt im Kamingrund nur noch ein spärlicher Rest vom Tageslicht an. Im Dämmerschein taste ich mich weiter ins Berginnere vor. Hier führen Eisengriffe nach oben. Allerdings ist die Kluft so schmal, dass man selbst mit leichtem Gepäck auf dem Rücken seine Beine nur mit Mühe auf die ersten Metalltritte bekommt. Später weitet sich der Spalt, über eine Leiter geht es himmelwärts, weiter auf dem Klettersteig in der Sächsischen Schweiz.

Auf der Häntzschelstiege

Der folgende Quergang führt über einen schwarzen, schier bodenlosen Schlund, bevor eine ausgesetzte Reihe von Eisentritten nach oben führt. Jetzt öffnet sich der Blick auf die Landschaft: Die Schrammsteine mit dem wuchtigen Falkenstein, der Lilienstein und die anderen Tafelberge liegen einem sprichwörtlich zu Füßen. Wir sind auf dem bekanntesten Klettersteig des Elbsandsteingebirges unterwegs – der Häntzschelstiege. Ausgangspunkt für eine Begehung dieses Klettersteigs ist der im Kirnitzschtal gelegene Beuthenfall. Von dort gelangt man nach einer etwa 20-minütigen Wanderung an den Fuß der Bloßstock- Nordwand. Hier müssen wir unseren Kopf schon gewaltig in den Nacken legen, um mit den Augen den Platten, Rissen und Kaminen bis zum höchsten Punkt folgen zu können. 1958 gelang Herbert Richter genau in Wandmitte die Erstbegehung der Nordwand, heute eine der schönsten Eisenplattenklettereien des Gebirges. Und der Bloßstock ist mit einer Höhe von etwa 90 Metern einer der markantesten Kletterfelsen der Sächsischen Schweiz.

Aus einem traditionellen Verständnis heraus wird im Elbsandsteingebirge nur an freistehenden Felsen geklettert, aber davon gibt es allein auf sächsischer Seite über tausend dieser Türme. Mit Bloßstock, Brosinnadel, Teufelsspitze, Flachsköpfen und Nonnengärtner stehen einige der bedeutendsten rund um das Große Bauerloch. Auf der anderen Seite des Kessels erhebt sich die Brosinnadel – erstbestiegen 1899 von Friedrich Brosin. Heute wird sein Aufstieg mit dem Grad IV der Sachsenskala bewertet. Und für IV wird hier einiges gefordert: In den Kaminen, welche zur Schulter führen, muss man für diesen Schwierigkeitsgrad gehörig Farbe bekennen, nicht nur im Bezug auf die spärlich vorhandenen Absicherungsmöglichkeiten. Vom letzten Absatz weg folgen zwei garstige Züge, die letzten Meter führen dann in nicht allzu schwerer, aber unheimlich ausgesetzter Reibungskletterei zur filigranen Spitze.

Doch so sehr auch der raue, gelbbraune Sandstein lockt, heute sind wir hier nicht zum Klettern, deshalb zurück zur Häntzschelstiege. Vom Bloßstock steigt der Pfad, teils über Holzstufen und -leitern aufwärts ins Große Bauerloch. Später zweigt rechts ein Weg ab. Dieser führt zur Zwillingsstiege, dem zweiten Aufstieg aus diesem Felskessel zur Oberen Affensteinpromenade. Im Gegensatz zur Häntzschelstiege befindet sich die Zwillingsstiege noch in einem recht urtümlichen Zustand.

Luft unter den Sohlen am Klettersteig

Nur Eisengriffe und -tritte leiten den Wanderer nach oben, kein Stahlseil bietet dem ängstlichen Klettersteiggeher Sicherheit! Gerade deshalb sollten Zaghafte sich hier besonders gut festhalten, denn bei der ansteigenden Traverse zur Jammerspitze hat man schon gehörig Luft unter den Fußsohlen. Zwischen den Kaminwänden verkeilte Holzsprossen führen aufwärts und gewähren einen schmalen Durchschlupf zwischen Jammerspitze und Massiv. Hier hat man den schwersten Teil dieser Stiege gemeistert. Jetzt führt der Pfad – nur noch ein paar kurze Kletterstellen sind zu bewältigen – durch eine meist feuchte Waldsenke auf die Obere Affensteinpromenade. Dies ist ein Bergpfad, der ohne groß Höhenunterschiede überwindend auf einer Felsterrasse von den Schrammsteinen kommend, in vielen Windungen am Frienstein und unter dem Kleinen Winterberg entlangführt.

Entstehung der Stiege in der Sächsischen Schweiz

Rudolf Häntzschel, der Erbauer der heute nach ihm benannten Steiganlage, wurde 1904 in Sebnitz geboren. Seit seinem 18. Lebensjahr war er Mitglied in den verschiedensten Sebnitzer Kletterklubs. Genauso häufig wechselte er seine Arbeitsstätten. Ehemalige Weggefährten nannten ihn einen »schrägen Vogel« oder Sonderling, der sich herzlich gern und oft mit Gott und Jedermann stritt. 1932 fuhr er vom Elbsandsteingebirge mit dem Fahrrad nach Zermatt, bestieg das Matterhorn und radelte zurück in die Heimat. Auf dem Sebnitzer Marktplatz soll ihm ein stürmischer Empfang zuteilgeworden sein. Durch die Folgen einer Kriegsverletzung wurde er im 55. Lebensjahr Invalidenrentner. So begann er Anfang der 1960er-Jahre mit dem Bau der Stiege. Ohne entsprechende Genehmigungen. Dies führte natürlich bald zu Konflikten mit Forst- und Naturschutzbehörden. Bauernschlau wie Häntzschel war, nannte er seine Weganlage »Herta-Lindner-Steig«. 1943 hatten die Nazis Herta Lindner wegen Hochverrats hingerichtet; entsprechend erfuhr sie im DDR-Staat eine hohe Verehrung als antifaschistische Widerstandskämpferin und »Rote Bergsteigerin«. Gegen eine Stiege mit ihrem Namen kann man doch wahrlich nichts sagen! Wie auch immer, in den folgenden Jahrzehnten erfreute sich dieser Steig größter Beliebtheit.

Bis 1998 die Nationalparkverwaltung diesen Aufstieg aufs Lange Horn am liebsten eliminiert hätte. Denn auf dem Langen Horn sollte die seltene Krähenbeere wachsen. Bergsportund Wanderverbände machten sich für den Erhalt der Häntzschelstiege stark. Bei einem Vor-Ort-Termin stellte sich heraus, dass die Krähenbeere wohl eher ein Bär war, welchen die Parkverwaltung den Wanderfreunden aufbinden wollte. Keinen einzigen Fundort des Eiszeitrelikts konnten die Nationalpark-Mitarbeiter am Wegesrand vorzeigen! Letztendlich lenkte der Nationalpark ein, und die Häntzschelstiege erhielt ihre längst fällige Sanierung. Allerdings schoss man dabei wohl ein wenig übers Ziel hinaus, denn es wurde ein Vielfaches des bis dato vorhandenen Metalls verbaut. So ist heute dieser Steig der einzige Aufstieg im Elbsandsteingebirge, der nach Klettersteignormen abgesichert ist. Drei Klettermeter sind bis zu den Eisen am Beginn des ersten Steilaufsschwungs der Häntzschelstiege zu überwinden.

Spätestens hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Wer in dieser Passage bereits Nervenflattern bekommt, tut gut daran – vor allem, wenn er kein Klettersteigset mitführt – lieber umzukehren. Aber auch wenn man die ersten Stahlbügel in der Hand hält, heißt es weiterhin, ordentlich zupacken, denn die Wandstufe ist leicht überhängend. Doch das erste Band ist bald erreicht. Von diesem folgen zwei oder drei kräftige Züge, dann bringt uns eine Querung in eine Schlucht. An deren oberen Ende befindet sich linker Hand eine Aussichtsterrasse. Eine kleine, knorrige und zudem schief gewachsene Riffkiefer steht am östlichen Rand dieses Plateaus. Schon im 1979 erschienenem Buch »Felsenheimat Elbsandsteingebirge« findet sich ein Foto von diesem Baum. In den vergangenen 32 Jahren hat er sich kaum verändert. Es wundert überhaupt, wie diese Kiefern an derartig nährstoffarmen Standorten überleben können.

Spektakuläre Perspektive

Dem ambitionierten Fotografen bietet der Platz eine der spektakulärsten Perspektiven des Elbsandsteingebirges. Schon der Blick auf die formvollendete Brosinnadel entschädigt für die Mühen des Aufstieges reichlich. Etwas ganz Besonderes ist es, hier zu stehen, wenn zu zeitiger Stunde der Gipfel von Nebelbänken umwallt wird und die ersten Sonnenstrahlen den Sandstein erglühen lassen. So wundert es nicht, dass ich in den vergangenen Jahren hier ungezählte Male meine Kamera- und teils zusätzlich noch die Filmausrüstung heraufschleppte –meist noch bei Dunkelheit im Stirnlampenschein und inklusive zweier schwerer Stative. Im letzten Herbst ist mir ein ganz besonderes Bild gelungen. Die Motividee geisterte mir schon länger durchs Hirn, nur fehlte ein williges Modell. Denn die Sache hatte einen Haken, ich wollte vor Sonnenaufgang am Ausstieg der Häntzschelstiege stehen. Das bedeutet verdammt zeitiges Aufstehen. Zum Gück konnte ich meinen Sohn Valentin überzeugen.

Früh um vier sind wir von Dresden Richtung Kirnitzschtal gestartet. Wir erwischten optimale Bedingungen. Über den Wäldern lag eine gleichmäßige Nebelschicht, nur Felsen und Tafelberge ragten darüber hinaus. Mehrmals musste Valentin die Stufenleitern fürs Foto hoch- und runterklettern. Zwischendrin saß er in meine Daunenjacke gemummelt auf dem Rucksack – und spielte Gameboy. Zu Hause bei der Auswertung der Fotos am Computerbildschirm bekam ich fast Schreikrämpfe. Nur in den wenigen Minuten vor Sonnenaufgang zeigten die Bilder ein optimales Ergebnis. Und ausgerechnet bei diesen Aufnahmen hatte ich das Objektiv nicht richtig scharf gestellt! …Wie es der Zufall wollte, klangen die Wetterprognosen fürs nächste Wochenende wieder verheißungsvoll. Also abermals um vier Uhr raus aus den Betten… danke, Valentin!

Informationen zu den Stiegen im Elbsandstein:

Literatur:
  • »Wander- & Naturführer Sächsische Schweiz, Band 1: Felsenlandschaft zwischen Bad Schandau und Hinterhermsdorf«, Berg- & Naturverlag Peter Rölke, Dresden, überarbeitete Neuauflage 2010
  • »Wander- & Naturführer Sächsische Schweiz, Band 2: Rathener Felsen, Polenztal, Tafelberge und Bielatal«, Berg- & Naturverlag Peter Rölke, Dresden, 2006, www.bergverlag-roelke.de
  • »Der Klettersteigführer Sachsen«, Heimatbuchverlag Michael Bellmann, Dresden 2008, www.heimatberge.de
Karten:
  • Große Karte der Sächsischen Schweiz 1:30 000, Rolf Böhm, Kartographischer Verlag Bad Schandau, ISBN 978-3-910181-09-0
  • Schrammsteine-Affensteine, 1:10 000, Rolf Böhm, Kartographischer Verlag Bad Schandau, ISBN 978-3-910181-01-4, www.boehmwanderkarten.de
Beste Reisezeit: Fast das ganze Jahr – außer bei Schnee und Eis – sind die Stiegen und Klettersteige begehbar; am schönsten ist es im Elbsandsteingebirge im Frühling, wenn die Wälder im frischen Grün leuchten, oder bei herbstlich bunter Laubfärbung.

Information/Unterkunft: Tourist-Service Bad Schandau, Haus des Gastes, Markt 12, 01814 Bad Schandau, Tel. 0 35 02/29 00 30, www.bad-schandau.de
Tourismusverband Sächsische Schweiz e.V., Bahnhofstraße 21, 01796 Pirna, Tel. 0 35 01/47 01 47, www.saechsische-schweiz.de

Geführte Wanderungen/Kletterkurse: Bergsport Arnold, Obere Straße 2, 01848 Hohnstein, Telefon 0 35 97/58 12 46, www.bergsport-arnold.de

Anfahrt: Autobahn A17 Dresden – Prag bis Ausfahrt Pirna, weiter auf der Bundesstraße 172 bis Bad Schandau
Helmut Schulze
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 04/2011. Jetzt abonnieren!
 
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