Jost Kobusch: "Ich glaube nicht an Glück" | BERGSTEIGER Magazin
Jost Kobusch im Interview:

Jost Kobusch: "Ich glaube nicht an Glück"

Nach dem Erdbeben in Nepal 2015 ging Jost Kobuschs Video von der Lawine am Everest um die ganze Welt. Damals kannte kaum jemand diesen norddeutschen Burschen, der ein Jahr später erstmals solo auf einen 8000er stieg. Der Beginn einer großen Karriere?
 
Jost Kobusch: Mit 25 schon auf Ama Dablam und Annapurna gewesen © Black Yak
Jost Kobusch: Mit 25 schon auf Ama Dablam und Annapurna gewesen
BERGSTEIGER: Du siehst sonnenverbrannt aus, kommst Du vom Berg?
Jost Kobusch: Nein, nicht direkt. Ich komme aus Zermatt. Wir wollten die Matterhorn Nordwand machen, aber wir hatten eine Autopanne und dementsprechend einen Tag weniger. Wir sind noch bis zur Hörnlihütte aufgestiegen, dort haben wir festgestellt, die Bedingungen passen nicht. Dann sind wir umgekehrt.
 
Wir? Du warst nicht allein?

Ich war mit einem Seilpartner unterwegs. Ich war noch nie in der Matterhorn Nordwand, der Fels ist relativ brüchig. Nicht gerade optimal, um gleich das erste Mal solo reinzugehen.
 
Durch das Video von der gigantischen Lawine am Everest Basecamp, die durch das große Erdbeben 2015 ausgelöst wurde, bist du einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Wie hat sich dein Leben damit verändert?
Mein Leben hat sich vor allem durch die Lawine verändert, weniger durch das Video. Die Lawine war eine unglaublich intensive Nahtod-Erfahrung. Natürlich hatte ich schon vorher Situationen, wo es brenzlig geworden ist. Am Pik Lenin zum Beispiel, als der Sturm mein Zelt nachts unaufhörlich auf den Abgrund zugeblasen hat. Aber da hab ich mir immer noch gedacht: Irgendwie schaffe ich es hier raus. Oder an der Ama Dablam: Abstieg im Dunkeln, Seil reißt, ich fliege. Da denkst du nichts.

Was war bei der Lawine am Everest anders? 
Ich hatte gerade soviel Zeit zu denken: Ich werde jetzt sterben. Es war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich davon wirklich überzeugt war. Das, was danach passiert ist, empfinde ich seither als eine Art Bonus. Als eine zweite Chance. Das Erlebnis hat dafür gesorgt, dass ich ab da nur die Dinge gemacht habe, die ich wirklich machen wollte. All diese gesellschaftlich anerzogenen Glaubenssätze wie »Du musst unbedingt studieren, damit du nachher auch ein ordentliches Leben hast« – all das ist verpufft und ich hab gesehen: Ich will eigentlich bergsteigen.  

Wie kam es, dass Du während dieser Nahtod-Erfahrung noch ans Filmen gedacht hast? 
Das Basecamp ist für Höhenbergsteiger schon mal zwei Monate lang so etwas wie ein Zuhause. Ich hänge in meinem Zelt dann häufig Bilder auf, damit ich mich wohl fühle. Wo du zuhause bist, fühlst du dich sicher. Als da dann alles zu wackeln begann, war das erst mal aufregend. Ich dachte: Wow, ein Erdbeben! Ich hab noch nie ein Erdbeben erlebt. Und so ein starkes! Der ganze Boden hat geschaukelt. Wir waren alle super aufgeregt und haben gelacht. Ich hab gefilmt für einen Blogeintrag.  

Ihr wart euch der drohenden Gefahr gar nicht bewusst? 
Ich hab in der Ferne Richtung Everest nach Lawinen Ausschau gehalten. Plötzlich hab ich Menschen vor mir weglaufen gesehen und mich umgedreht. Da kam diese gigantische Lawine auf mich zugerast. In dem Moment hab ich nur überlegt: Macht das jetzt einen Unterschied, ob ich weglaufe oder nicht? Weil sie einfach so groß war; wie ein Tsunami aus Eis, von dem Du die Ränder nicht mehr sehen kannst. Und das Handy filmte einfach weiter. Ich hab mich instinktiv an ihm festgehalten wie an einem Rettungsring. Mein Unterbewusstsein hat gesagt: Schmeiß dich hinter irgend etwas, lauf! Und hat das immer wiederholt. Ich bin einfach irgendwohin gelaufen, hab mich hinter ein Zelt geworfen und dann kam die Lawine. 



Wie geht deine Familie mit deinen Solos an 8000ern um? 
Die Lawinengeschichte hat meine Familie erst dazu gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen, was ich mache. Davor haben sie wohl gar nicht so viel darüber gewusst, was ich da treibe; meine Eltern gehen nicht in die Berge. Aber weil viele Interview-Crews sie belagert haben, mussten sie sich auf einmal informieren, bevor sie irgendwas erzählen.  

Du schreibst Blogeinträge und lässt die Welt mittels Sensor daran teilhaben, wo du gerade unterwegs bist. Welche Rolle spielen die Medien für dich? 
Natürlich erhoffen sich die Sponsoren durch die Medienpräsenz ihrer Athleten eine gewisse Reichweite ihrer Markenbotschaft. Für mich ist es auch persönlich wichtig, dass ich die Dinge, die ich tue, teile – und zwar mit meiner Botschaft verbunden.  

Die da wäre? 
Wenn der Junge das geschafft hat, dann kannst du das auch schaffen. Vielleicht sind das andere Projekte in einem ganz anderen Rahmen: eigentlich absolut machbar, aber man hat einfach Angst, den ersten schritt zu tun. Ich will die Leute ja nicht dazu bringen, dass sie irgendwelche krassen Berge besteigen. Mir geht es vielmehr um die Lebensphilosophie dahinter: Wenn du irgendwas möchtest, dann sollst du es auch versuchen und nicht immer nur vor dir herschieben. Just go for it!  

Mit dieser Strategie hattest du bisher immer Erfolg? 
Ich berichte ja auch viel vom Scheitern. Viele Leute denken, scheitern ist was Falsches. Man darf nicht scheitern. Aber man muss scheitern auf dem Weg zum Erfolg, das ist etwas ganz Normales. Ohne scheitern wirst du keinen Erfolg haben.  

Umkehren war für dich anfangs ziemlich schwierig... 
Natürlich! Das Ganze war ein Prozess. Am Anfang war ich eher ein Draufgänger nach dem Motto »Lern oder stirb«, doch das hat sich gewandelt vor dem Hintergrund, dass ich immer wieder versucht habe, mir in den Bergen essenzielle Fragen zu beantworten wie beispielsweise »Wer bin ich?«.  

Wie hast du dieses Learning by doing überlebt? Mit Glück? 
Ich persönlich glaube nicht an Glück. Ich glaube, dass Glück etwas ist, dessen Ursache wir nicht verstehen. Meine positive Einstellung hat sicher viel geholfen. Wenn du davon überzeugt bist, dass es klappt, und diese Energie mitbringst, dann klappt’s auch meistens. Wenn du daran denkst, was alles schiefgehen kann, hemmt das eher und sorgt meiner Meinung nach sogar dafür, dass die Risiken steigen.  



Und bei der Lawine am Everest? 
Bei der Lawine hatte ich theoretisch einfach Glück. Auch wenn diesem Glück eine ganze Ursachenkette zugrunde liegt. 

Heißt das, dass es für dich so etwas wie Zufall nicht gibt? 
Ich glaube, dass Zufall ähnlich wie Glück eine Verkettung von Umständen ist, deren Zusammenhänge oder Anfänge wir nicht mehr nachvollziehen können. Weil es einfach zu komplex ist. Wenn du etwas tust, resultieren daraus viele neue Möglichkeiten. Wenn du davon die richtigen schöpfst, immer wieder, dann kommt irgendwann was Gutes dabei raus. Und am Ende sagt einer: Da hast du aber Glück gehabt! Aber ich habe auch eine Struktur geschaffen, dass dieses Glück funktionieren kann.  

Deine ersten Schritte am Berg hast du erst mit 17 gemacht, als du auf die Zugspitze gestiegen bist. 
...damals bin ich sogar noch mit der Bahn hochgefahren...  

Vier Jahre später bist du solo auf die Ama Dablam gestiegen, sechs Jahre später auf die Annapurna. Wie hast du in so kurzer Zeit die dafür nötige Struktur geschaffen? 
Ich komme eigentlich vom Sportklettern. Somit hatte ich technisch schon einen Grundstein fürs Bergsteigen gelegt. Früher habe ich sehr viel bei Läufen mitgemacht, beispielsweise bei der »Nacht von Burgholzhausen«, das war ein großer internationaler Lauf-Wettbewerb in meinem Heimatort. Und ich bin eigentlich nur Fahrrad gefahren, weil mein Taschengeld gerade mal für zwei bis drei Bustickets im Monat gereicht hätte. 

Warum wurde es ausgerechnet das Bergsteigen? 
Ich hatte früher Höhenangst. Ich konnte nicht vom Drei-Meter-Brett springen. Da hab ich mit dem Klettern angefangen. Es hat mir das Gefühl gegeben, dass ich über mich selbst hinauswachsen und meine eigenen Grenzen verschieben kann. Auch jetzt ist es noch so: Das, wobei ich am meisten Angst habe, macht mir am meisten spaß.  



Hattest Du Vorbilder, Mentoren? 
Eigentlich nicht. Bestimmte Personen stehen aber für Eigenschaften, die ich spannend finde. Zum Beispiel Simone Moro: Stell ihn dir in einem Hochlager vor, schlechte Bedingungen, seine Kollegen liegen frierend und erschöpft im Zelt, können nicht mehr. Simone Moro ist trotzdem gut drauf. Er strahlt für mich immer so viel positive Energie aus. Aus solchen Eigenschaften forme ich ein imaginäres, perfektes Vorbild.  

Ist das Streben nach Perfektion ein Grund, warum Du solo unterwegs bist? 
An sich schon. Für mich ist das solo die schwierigste und reinste Form des Bergsteigens und Kletterns.  

War das eine bewusste Entscheidung? 
Es hat sich so ergeben, dass ich viel allein unterwegs war. Ich komme aus der Nähe von Bielefeld, da ist es ziemlich flach. Vielleicht war es deshalb für mich immer schwierig, Seilpartner zu finden. Am Mount Kenia, meiner ersten größeren Tour mit 19, habe ich die Vorzüge davon kennengelernt: Ich bin total flexibel, muss mich für keine Entscheidung rechtfertigen oder diskutieren, kann mein eigenes Tempo gehen. Ich komme da sehr gut in einen Flow. Solo-Projekte ohne große Infrastruktur und Logistik kosten natürlich auch dementsprechend weniger.  

Geld braucht man trotzdem dafür. Wie finanzierst du deine Projekte? 
Mit 14 hab ich regelmäßig Zeitungen ausgetragen, später hab ich alle erdenklichen Aushilfsjobs gemacht, in einer Metallfabrik CNC Maschinen bedient, in einer anderen Fabrik für Plastikbecher gearbeitet. Direkt nach der Schule war ich bei den Gebirgsjägern, weil ich dachte, dass das so eine Mischung aus Abenteuerspielplatz, kostenlosem Training und ein bisschen Geld ist. Bbergsteigen auf Befehl, das hat mir nicht gefallen; nach sechs Monaten hab ich gekündigt. Danach hab ich in einer Fleischereifabrik als Security gearbeitet, dann mehrere Sommer in der Arktis als Guide, das hat mir schon viel besser gefallen. Mit dem Ersparten bin ich dann nach Zentralasien gegangen, wo das Geld viel mehr wert war. Heutzutage finanzieren mich hauptsächlich Brands wie mein Hauptsponsor Black Yak.

Sprich, du hast dir die Ziele damals nach dem Kostenfaktor ausgesucht. Wie suchst du sie heute aus? 
Ich schau natürlich nach wie vor auf die Kosten, aber nicht primär. Das hab ich auch damals nicht. Mein Ziel war immer ein Achttausender, und der ist einfach sehr teuer. Ich hab nur geschaut: Wie kann ich den Achttausender finanzieren? Ich suche die Ziele danach aus, ob sie noch echtes Abenteuer bereithalten. Ob sie eine Art Pioniergeist verlangen. Zu Jahreszeiten unterwegs zu sein, wenn sonst niemand am Berg ist, fasziniert mich beispielsweise. Jetzt im Dezember möchte ich solo an den Denali in Alaska. Der ist im Sommer schon recht kalt, im Winter kommt noch die Dunkelheit dazu. Bisher wurde er erst zweimal solo im Winter bestiegen. Die erste Winter-Solo-Besteigung von Naomi Uemura 1984 zählt nicht, weil er beim Abstieg starb. Die zweite 2015 unternahm jemand, der es erst beim vierten Versuch geschafft hat. Vielleicht schaffe ich es ja beim ersten Versuch. Ehrlich gesagt glaube ich es nicht. Aber ich werde dann auf jeden Fall wieder kommen und es nochmal versuchen.
 
Interview: Dagmar Steigenberger
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 10/2017. Jetzt abonnieren!
 
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