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30.10.2017

"Der Mann aus dem Eis" - Ein Kinofilm, der polarisiert

Am 30. November kommt "Der Mann aus dem Eis" mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle in die Kinos. Es ist der erste Spielfilm, der vom Schicksal der weltberühmten Eismumie berichtet. Von Ötzi, der vor 5300 Jahren das Tisenjoch im Südtiroler Schnalstal überquerte und dort ermordet wurde. Sein Körper wurde auf natürliche Weise im Eis konserviert. 1991 fanden zwei Wanderer den „Mann aus dem Eis“. Der 96-minütige Film von Autor und Regisseur Felix Randau scheint zu polarisieren. Hier zwei Preview-Filmkritiken.
 
 
Jürgen Vogel in "Der Mann aus dem Eis", Foto: Port Au Prince Pictures/Martin Rattini

Filmkritik von Hans Dieter Sauer:

Im Herbst 1991 entdeckte ein Nürnberger Ehepaar auf dem 3200 Meter hohen Tisenjoch westlich des Similauen zufällig einen Leichnam, der noch halb im schmelzenden Eis steckte. Die „Gletscherleiche“ erwies sich als die 5300 Jahre alte Eismumie eines prähistorischen Mannes mit voller Ausrüstung. Der einzigartige Zeuge aus der Vorzeit, für den sich dummerweise der Name Ötzi eingebürgert hat, obwohl er gar nicht im Ötztal, sondern südlich des Alpenhauptkammes im Schnalstal zu Hause war, hat der Wissenschaft eine Fülle neuer Einsichten in die alpine Frühgeschichte eröffnet. Seit Röntgenaufnahmen ergaben, dass er an einem Pfeilschuss starb, wird auch viel über sein persönliches Schicksal gerätselt. Jetzt gibt es dazu einen Spielfilm. Unter dem Titel „Der Mann aus dem Eis“ hat der Regisseur Felix Randau eine blutrünstige Geschichte inszeniert, in der am Ende nicht nur Ötzi tot ist, sondern noch ein Dutzend Menschen ihr Leben lassen müssen. Dabei werden einige bestialische Grausamkeiten in aller Deutlichkeit gezeigt. Gleichwohl hat die Freiwillige Selbstkontrolle FSK den Film schon für 12-jährige Kinder freigegeben.

Drei Killer brechen unversehens mordend und brandschatzend in das friedliche Leben einer Sippe ein, als deren Oberhaupt auf der Jagd ist. Auf der Suche nach den Mördern erschlägt Ötzi, der im Film Kelab heißt, zunächst zwei Unschuldige, ehe er die Richtigen erledigen kann. Als Kontrast zu den Gewaltszenen gibt es auch Kitsch. Kelab schleppt tagelang ein Neugeborenes mit sich, das auf wundersame Weise das Massaker überlebt hat und nährt es mit der Milch von einer Ziege. Schließlich kann er den Säugling in der Obhut einer Schönen zurücklassen, die nach einem forschen aber vergeblichen Verführungsversuch ihrerseits von ihm ablässt und sich stattdessen des Kindes annimmt. Vollends ins Lächerliche gleitet die Handlung ab, als Kelab, den Mördern schon dicht auf den Fersen, in eine Gletscherspalte stürzt. Im Schein einer Fackel versucht er sich mit seiner Streitaxt nach oben zu hangeln, doch er rutscht ab und sein Schicksal scheint besiegelt. Da aber taucht ein Retter auf und wirft ihm ein Seil zu, an dem er sich unter viel Ächzen ins Freie zieht. Bergtaugliche Seile schon vor 5300 Jahren, das wäre eine alpinhistorische Sensation. Abgesehen davon vermittelt die Szene ein völlig falsches Bild vom damaligen Zustand der Alpen. Die Gletscher waren stärker zurückgewichen als heute und in Reichweite des Schnalstales gab es keine Gletscher. Deswegen war der „Mann aus dem Eis“ nie und nimmer auf einem Gletscher unterwegs. Erst nach seinem Tode wurde er eingeschneit und im Laufe einer Klimaverschlechterung allmählich von Eis umschlossen.

Der Deutsche Filmförderfonds und neun weitere Institutionen haben insgesamt 1,5 Millionen Euro in das Projekt gesteckt. Ein erheblicher Teil des Geldes ist buchstäblich verbrannt worden, weil nämlich für den Film ein komplett nachgebautes Urzeit-Dorf in Flammen aufgehen musste.  Das Südtiroler Archäologiemuseum hat das Filmteam beraten, damit „keine Geschichte erzählt wird, die gar nicht wahrscheinlich ist“, so dessen Direktorin Angelika Fleckinger. Aber genau das ist passiert. Auch wenn im Vorspann des Films dreist behauptet wird, dies sei die Geschichte des „Mannes aus dem Eis“. So hat sie sich garantiert nicht zugetragen.

Filmkritik von Franziska Haack, Bergsteiger-Redaktion:

Aufmerksamkeitswirksam beginnt der Film mit einer Sexszene. Ötzi, im Film Kelab genannt, und seine Frau Kisis vergnügen sich im Bett, eines ihrer Kinder spielt dazu auf einer Flöte. Das Liebesspiel wird unterbrochen durch einen Hilferuf. Kisis muss bei einer Geburt helfen. Es folgen einige Szenen, die den Alltag und verschiedene Zeremonien der kleinen Dorfgemeinde beschreiben, wobei Kelab die Rolle des Clanoberhaupts inne hat. Besonders wichtig für die Lebenszyklusrituale ist eine kleine Holzschatulle mit eisernen Beschlägen, die einen spiegelnden Stein enthält: das Heiligtum der Sippe, das auch überregionale Bedeutung hat, wie sich im Folgenden zeigt.

Als Kelab in einem etwas entfernteren Tal auf der Jagd ist, überfallen drei Fremde das Dorf. Mit dem Wüten, Morden und Brandschatzen der Männer ist der ruhige, beschauliche Teil des Filmes vorbei. In brutalen Nahaufnahmen werden Vergewaltigung und Tötung gezeigt, das Blut spritzt nur so über die Leinwand. Was zunächst wirkt wie blinde Zerstörungswut, stellt sich als zielorientiert heraus. Als die Männer die Schatulle gefunden haben, ziehen sie triumphierend davon. Kelab vom Feuergeruch alarmiert, sieht die Männer nur noch aus der Ferne. Der über das Grauen entsetze und vor Schmerz über den Verlust brüllende »Wilde« ist wohl eine der stärksten Szenen des Filmes. Denn nachdem Kelab seine Familie beerdigt hat, geht die Barbarität weiter. Kelab nimmt die Verfolgung auf, etwas behindert durch das mitzuschleppende Neugeborene, den einzigen Überlebenden des Massakers, und tötet in seiner Rachsucht zunächst die Falschen. Er bemerkt seinen Irrtum, befreit noch schnell einen Gefangenen der ermordeten Händler und zieht weiter. Das Gelände wird immer unwirtlicher, die Landschaftsaufnahmen toller, wobei man sich insgesamt mehr Panoramen und weniger Blut gewünscht hätte. In einer Schlucht erwischt Kelab den ersten seiner Feinde, auf einem Gletscher setzt er an, die anderen beiden zu töten, stürzt beim Angriff jedoch in eine Gletscherspalte. Die Verfolgten wähnen sich in Sicherheit, Kelab ist allerdings gar nicht tot. Dank der Hilfe des zuvor von ihm befreiten Sklaven kann er sich aus dem Eis retten, findet schließlich das Dorf der Feinde und bringt sie um, wobei er deren Familien verschont. Er nimmt die Schatulle wieder an sich und tritt den Heimweg an. Doch nun, da sein Rachedurst gestillt ist, scheint er von Leere und Antriebslosigkeit geplagt. Um sich von der Erinnerung zu befreien oder den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen, wirft er wieder am Gletscher angekommen die Schatulle fort. Vielleicht hat er damit auch das Lebenselexier seines Klans fortgeworfen. Denn just wird er hinterrücks von einem Pfeil getroffen. Ötzi stirbt – irritierenderweise sich am Boden windend und nicht gegen einen Felsbrocken gekauert wie die Bilder aus dem Vorspann vermuten ließen.

Wer Verfolgungsjagden, Nahkampfszenen und viel Blut mag, kommt mit »Der Mann aus dem Eis« wahrscheinlich auf seine Kosten. Andere lässt der in seiner Grausamkeit doch irgendwie fesselnde Film zumindest mit einem gesteigerten Interesse für die Bronzezeit zurück. Gab es vor 5.300 Jahren tatsächlich schon Betten, Webstühle und zur Spaltenbergung geeignete Seile? Und wann entwickelten sich eigentlich Attribute wie Verantwortungsbewusstsein, Familiensinn, Liebe und Rachlust?