Klettern rund um Füssen im Allgäu | BERGSTEIGER Magazin
Klettergebiete bei Füssen, an der deutsch-österreichischen Grenze

Klettern rund um Füssen im Allgäu

König Ludwig II. wird gewusst haben, warum er sein größtes Schloss dort bauen ließ – die Landschaft ist wunderschön. Und es gibt dort eine Menge Felsen. Christian Pfanzelt stellt das Klettergebiet an der Grenze zu Tirol vor.
 
Klettern rund um Füssen im Allgäu © www.cpfanzelt.de
Klettergebiete bei Füssen, an der deutsch-österreichischen Grenze
Man frage einen deutschen Durchschnittsbürger, was er sich unter dem Allgäu vorstellt. In mindestens zwei von drei Fällen lautet die Antwort: saftige Bergwiesen, urige Almen und gefleckte Kühe. Gar nicht so verkehrt, wenn man bedenkt, dass die allermeisten Deutschen noch gar nicht dort waren. Bei den Amerikanern ist es merkwürdig anders: Fast jeder Überseetourist war schon mal im Allgäu, aber kaum einem ist das bewusst. Woher auch – Neuschwanstein liegt schließlich in Germany, und nicht in einem Land, das man gar nicht aussprechen kann. Und wenn ihm bewusst wäre, dass er im Allgäu gewesen ist, wäre seine Vorstellung auch nicht wirklich angemessen. Für ihn wäre das Allgäu eine Kulisse für pittoreske Schlösser.

Woher die Neuschwansteintouristen auch immer kommen mögen – vermutlich ist ihnen allen völlig egal, dass man in dieser Kulisse vortrefflich klettern kann. Schuld daran sind eiszeitliche Verwerfungen, die der Gegend um das berühmte Schloss herum zahlreiche Kalksteinabbrüche beschert haben. Und weil es Verwerfungen sind, ist die Oberflächenstruktur der Kalkfelsen ausgesprochen unterschiedlich: Die Schwanseeplatten sind flach und glatt, die Kraftwerkwand ist überhängend und voller Leisten, und die Weiße Wand ist auch steil, aber löchrig. Entsprechend unterschiedlich ist die Kletterei an diesen Massiven, und entsprechend unterschiedlich sind die geforderten Schwierigkeitsgrade. Für einen Unterschied können die Verwerfungen übrigens nichts: Die Massive des Klettergebiets liegen teils auf Tiroler, teils auf Allgäuer Boden. Dem Klettergenuss tut diese Teilung freilich keinen Abbruch. Auf der einen wie auf der anderen Seite dominiert der Lech mit seinem breiten Kiesbett die Landschaft, eingerahmt von mehr oder weniger steilen Waldhängen, an deren Füßen sich die Kletterfelsen befinden. 

Klettern in Füssen - am oberen Ende

Im Herbst 2004 zogen die nicht ganz unbekannten Bindhammer-Brüder Christian und Andreas von Ingolstadt nach Kempten, in die »Hauptstadt des Allgäus«. Wegen der sehr guten Klettergebiete im Oberallgäu. Wegen der perfekten Plastik-Trainingsmöglichkeiten vor Ort. Und sicherlich auch wegen der Felsen bei Füssen und Reutte. Logisch, dass die Anwesenheit der beiden recht bald Konsequenzen hatte: Christian sorgte mit »Big Hammer« (9a) dafür, dass auch dieses Klettergebiet einen glatten Elfer vorzuweisen hat. Und zwei weitere Elfer (»Pandaemonium« (8c+) und »Kraftakt« (8c/8c+)) räumen jeden Zweifel aus, die Felsen im Schatten von Schloss Neuschwanstein gäben nur wenig her am oberen Ende der Skala. 

Vor knapp 30 Jahren dachte keiner an den elften Grad. Damals waren es der Siebener und der Achter, die auf die gerade erst entstehende Sportkletterszene eine magische Anziehungskraft hatten. Auf Marcus Lutz zum Beispiel. Der gebürtige Allgäuer war in den 80er-Jahren eine der treibenden Kräfte bei der klettersportlichen Erschließung seiner Heimat. Auf sein Konto gehen nicht weniger als 250 Erstbegehungen an den Felsen rund um Füssen und an die 50 Erstbegehungen an den hohen Wänden der Region. Wer in Füssen oder Reutte zum Klettern geht, wird es kaum verhindern können, die eine oder andere Marcus-Lutz-Route zu klettern. Das zu vermeiden besteht aber auch kein Grund: Mit viel Spürsinn entlockte der damals noch sehr junge Allgäuer (Jahrgang 1968) den Felsmassiven so wunderbare Linien wie den »Rathausbecher« (VII+) an der Schwärzer Wand oder »Don’t loose your Cool« (VIII+) an der Füssener Wand. Was man allerdings bei allen Routen der Gegend mitbringen muss, egal ob es sich um eine Route Lutz’scher oder anderer Herkunft handelt: Lust am Tütfeln – neudeutsch: Oldskoollclimbing ist Trumpf. Wer die Ausstiege erreichen will, braucht eine gute Fußtechnik, und je nach Kletterniveau auch einiges an Fingerschmalz. 

Erste Schritte

Bei unserem ersten Ausflug in die Füssener Kletterwelt haben wir den denkbar besten Führer dabei. Wir treffen uns mit Marcus Lutz am Parkplatz Lechfall. Sein Vorschlag für den Tag: die Schwärzer Wand. Der Klapfen sei zwar recht klein, biete aber eine schöne Auswahl an sehr guten Routen im mittleren Schwierigkeitsbereich. Außerdem sei die Kletterei dort ideal, um sich an den Allgäuer Way of Climbing zu gewöhnen. Okay, denke ich, heute also Oldskool-Klettern. Mit Marcus’ Outfit fällt mir die Einstimmung leichter: Er trägt eine feuerrote und knallenge Lycra-Kletterhose. Auch für Non-Climber ist die Schwärzer Wand ein lohnendes Ziel, denn wer an deren Fuß sitzt, hat einen wunderbaren Blick auf den noch weitgehend naturbelassenen Lech. Sein weites Kiesbett und dahinter die steilen Tannheimer Berge – da werden Kanada-Assoziationen wach. Aber wir sind zum Klettern da. Unter anderem, um den Klassiker am Massiv zu klettern, den »Rathausbecher«. Im Kletterführer steht dazu, die Schwierigkeit sei von der Körpergröße abhängig. Normalerweise heißt das: je größer, desto leichter. So merkwürdig die Kletterei im Allgäu sein mag, der »Rathausbecher« fällt in dieser Hinsicht nicht aus dem Rahmen. Flo hat es mit seiner Größe also tatsächlich leichter, während Rita ihr ganzes Kletterkönnen in einen Untergriffzug legen muss, um den Zielgriff an der Crux zu erreichen. Ich mit meiner mittleren Körpergröße muss zwar keinen Untergriffzug machen, erreiche aber dafür nicht den eigentlich an der Stelle vorgesehenen Henkel, sondern nur ein Fünfmillimeter-Fingerloch. »Hey Chris, warum hängst du die Exe nicht ein, hast doch einen Mords-Henkel zum Klippen …« Eben nicht. 

Jedem sein Fett

Ein ausgefüllter Klettertag will würdig beeendet werden. Zum Beispiel mit »Nonnafürzle« oder mit »Versoffenen Jungfern«. Interessante Speisekarte. Ersteres, verrät die Bedienung auf Anfrage, seien kleine, in heißem Fett goldgelb gebackene Teigknödel. Und das zweite seien Teigstücke, die in schwimmendem Fett gebacken und dann mit heißem Most übergossen werden. Für einen kurzen Moment muss ich daran denken, dass ich morgen mit den Bindhammers zum Klettern verabredet bin, und dass die Proteine eines saftigen Steaks eine gute Vorbereitung darauf wären. Ach, was soll's: »Eine Versoffene Jungfrau bitte!«
Text und Fotos: www.cpfanzelt.de
 
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