Südtiroler Idylle - Der Pfunderer Höhenweg | BERGSTEIGER Magazin
Weitwandern mit Weitblicken

Südtiroler Idylle - Der Pfunderer Höhenweg

Falls überhaupt bekannt, werden die Pfunderer Berge in Südtirol nicht selten als eine Art »Anhängsel« der Zillertaler Alpen angesehen – eine Charakterisierung, die nicht nur die Ausdehnung des Gebiets ziemlich unterbewertet.

 
Weitwandern mit Weitblicken © Mark Zahel
Immer ein Blickfang am Pfunderer Höhenweg: die »Skyline« des Zillertaler Hauptkamms
Mit dem Pfunderer Höhenweg wartet eine der reizvollsten Touren von Hütte zu Hütte weit und breit – fünf lange Tage durch ein bezaubernd stilles Revier abseits der ausgetretenen Moderouten. Zusammen mit den Ötztaler und Stubaier Alpen bilden die Zillertaler den großen Zentralalpenverbund Tirols. Fast überall lässt sich eine stärkere touristische Ausrichtung nach Norden beobachten, obwohl auch Südtirol beträchtlichen Anteil an diesen Gebieten hält. Im »touristischen Lee« des Gebirges sind weite Teile bis heute einsames Bergland geblieben, liegen quasi im Dornröschenschlaf. Kein Wunder bei der großen Konkurrenz: Im Norden der mächtige Wall des Alpenhauptkamms, im Süden die schroffen, fotogenen Trutzburgen der Dolomiten! Doch ist damit ein weiterer Trumpf nicht schon verraten? Aussichtsmäßig hat man hier ein großes Los gezogen…

Die grünen Pfunderer

Die dominierende Farbe im Landschaftsbild ist eindeutig Grün. Doch wer damit beschauliche Wald- und Wiesenwanderungen assoziiert, wird sein »grünes« Wunder erleben. Ein Blick auf die Karte deutet schon an, dass zwischen den diversen Hütten reichlich Auslauf gegeben ist, dass es ständig wechselnd kräftig bergauf und bergab geht und dass man dafür womöglich eine ganz solide Kondition braucht.

Oft ist man hier auf traditionellen Alm- oder Hirtensteigen unterwegs, die entsprechend wenig ausgelatscht sind. Manch supersteile, von üppiger Vegetation bedeckte Flanke gerät bei Nässe zur gefährlichen Rutschbahn. Aus der Ferne betrachtet kommt es wegen des stark verwitterten Schiefergesteins nicht unbedingt zu den markantesten Formausprägungen – ein Eindruck, der im Detail jedoch häufig seine Gültigkeit verliert. Zugegeben, auch für mich war dieses Bergrevier zwischen Pfitsch-, Eisack-, Puster- und Tauferertal lange Jahre ein Niemandsland. Nicht nur einmal ist man auf dem Weg in die »lockrufenden« Dolomiten unmittelbar daran vorbeigefahren, hat sich wohl gefragt, wie es dort aussehen mag und sich doch immer wieder von der stärkeren Ausstrahlung der Nachbarschaft verführen lassen. Ich glaube, so geht es wohl den meisten. Auf diese Weise ist der Pfunderer Höhenweg eine ganze Zeit auf meiner persönlichen Wunschliste stehengeblieben. Doch als der Entschluss endlich gefasst war, knallte mir ein Wettersturz mitten im September eine geballte Ladung Schnee vor die Füße. Bis ins Mittelgebirge herunter war erst mal alles tiefwinterlich – Umstände, unter denen einfach nichts zu machen war. Aber wie zum Ausgleich präsentierte sich im Jahr darauf schon in der zweiten Junihälfte die gesamte Bergwelt in »wanderbarem« Topzustand.

Schönster Weg von Sterzing nach Bruneck

Offiziell beginnt der mit rot-weißem Kreis gekennzeichnete Höhenweg in der Ortschaft Wiesen unweit von Sterzing. Zunächst lautet die Devise, an den bewaldeten Vorbauten der Pfunderer Berge Höhe zu gewinnen, ehe man in den Flanken des Höllenkragens endlich in freies Gelände kommt. Obwohl lieblich grün, präsentiert sich dieses in gewisser Weise doch extrem: Die Steilheit der Grasflanken beeindruckt fürs Erste. Ich bin froh, dass die manchmal kaum fußbreiten, mitunter sogar überwachsenen Pfade halbwegs trocken sind. Ziel der Auftaktetappe ist die idyllische Simile Mahdalm, wo bereits ein frühes Zwischenfazit klar wird: Diese Berge erscheinen unverfälscht und sind mir auf Anhieb sympathisch.

Begeistert von der artenreichen Flora lacht das Fotografenherz. Allenthalben blüht und gedeiht es, vor allem die mehr als üppig zu nennenden Alpenrosenbestände bringen so richtig Farbe in die Landschaft. Jenseits des Sengesjöchls tut sich ein Hochkar auf, in dem ein besonderes Juwel der Pfunderer Berge verborgen liegt. Es ist der sagenumrankte Wilde See, der größte natürliche See in den gesamten Zillertaler Alpen. Welch Glanz in diesen zunehmend kargen Höhen, in die man jetzt eintritt. Dunkler Schieferschutt, zu feinem, erdigem Grus verwittert, knirscht unter den Sohlen. Auch die Wilde Kreuzspitze ist aus diesem Material aufgebaut, doch will ich mir den höchsten Pfunderer Gipfel keinesfalls entgehen lassen. Dabei wird der Ehrgeiz vornehmlich durch die zu erwartende Aussicht angestachelt, die als eine der besten in ganz Südtirol gerühmt wird.

Nach angemessener Würdigung des Panoramas zeigt sich im Abstieg der Vorteil des mürben Schiefers: Da kann es der Trittsichere richtig schön laufen lassen, selbst die einzigen verbliebenen größeren Firnfelder auf der Nordseite des Rauhtaljochs geben sich nachmittags gutmütig aufgeweicht.

Die »Marathon-Etappe«

Von der Brixner zur Edelrauthütte – die dritte Etappe hat es wirklich in sich! Nicht weniger als vier Scharten sind unterwegs zu überschreiten, was neben allerhand Mühsal im steten Auf und Ab freilich auch einen höchst abwechslungsreichen Verlauf mit immer neuen Perspektiven garantiert. So kommt auf diesem Übergang die Verschachtelung der Pfunderer Berge besonders gut zur Geltung. Da fällt mir spontan der so genannte »Jochbummler« ein, früher von »richtigen« Bergsteigern ein gern etwas abschätzig gebrauchter Begriff, der die nicht ganz für voll genommenen Begeher von Höhenwegen und Hüttenübergängen betitelte.

Nun, wer Tagesmärsche wie diesen tadellos bewältigt, braucht beileibe keine alpinistischen Minderwertigkeitskomplexe zu haben. Und manch Übermütiger, der mit dem Finger auf der Landkarte die Strecke noch locker abläuft, bleibt unterwegs vielleicht irgendwo zwischen den hunderttausend Steinen liegen… Falls man die Sache nicht ganz packt, gibt’s als Notlösung noch das Brenninger-Biwak. Allerdings sollte man auch bei Nebel wissen, wo es steht: nach der Dannelscharte und vor dem Gegenanstieg ins Weißsteinkar, jedoch ein gutes Stück unterhalb des normalen Wegverlaufs. Immer ruppiger wird anschließend der Aufstieg zur Gaisscharte, dem anspruchsvollsten aller Übergänge. Nachdem die enge Bresche von Westen über stolpersteiniges Gelände erklommen ist, fährt der arglose Wanderer beim Anblick der steilen Ostseite zusammen: Ein paar fast senkrechte Meter – doch mit solider Kettenhilfe geht auch diese Stelle.

Einen kleinen Schauder flößt obendrein ein damoklesschwertartig drohender Felsblock ein, wenngleich mir Hüttenwirt Anton später versichert, dass der schon seit Menschengedenken so fragil daliegt.

Über die Tiefrastenhütte

Der vierte Tag darf mit einem frühmorgendlichen Ausflug zur Napfspitze, dem Hausberg der Edelrauthütte, beginnen. Solch einen »Appetithappen« nehme ich immer gern mit, doch besteht die Tagesbeschäftigung auch heute wieder hauptsächlich darin, »Strecke zu machen«. Dabei geht’s zunächst ein ordentliches Stück hinab ins Eisbruggtal, dann schräg aufwärts zu einer Kammschulter. Kaum, dass die grüne Wiese noch zu erkennen ist, vor lauter gelben Blumen. Der folgende, keineswegs besonders breit angelegte Almsteig quer durch die steil abfallenden Mähder über dem Pfunderer Tal erweist sich als ein Paradeabschnitt schlechthin. Almhütten liegen locker verstreut in den Hängen. Die Idylle scheint perfekt; man kann sich aber auch ausmalen, dass die Bewirtschaftung hier kein Honigschlecken ist… Jenseits der Hochsägescharte läuft die vierte Etappe beim Kleinod des Tiefenrastensees aus. Schon 1912 stand an dieser Stelle die Fritz-Walde-Hütte. Nachdem sie längst nur noch Ruine war, entschloss sich der Südtiroler Alpenverein, ein neues, schmuckes Refugium zu bauen. Hütte und See, solch ein Zusammenspiel lockt immer! Und vor allem die Hüttenwirte Regina und Oswald, die offenbar ein Faible fürs Verwöhnen haben! So kommen tagsüber gern Wanderer von Terenten herauf, um hier oben ein paar beschauliche Stunden zu verbringen, ein paar zieht es sogar weiter zu Eidechs-, Kemp- oder Hochgrubbachspitze. Letztgenannte habe auch ich mir nicht entgehen lassen, obschon von der Hochsägescharte zu übermütig gleich den Ostgrat angepeilt, in heikles Gelände gekommen, reumütig zurückgezogen und das Ganze nochmals über den Normalweg (wie es sich gehört) versucht. Und oben abermals die große Schau zwischen Zillertaler Hauptkamm und Dolomiten erlebt…

Was gibt’s über die letzte Etappe noch zu berichten? Zum Beispiel, dass sie gleich über eine ganze Reihe von Gipfeln leitet, die zwar nicht zu den »Krachern« zählen, aber immerhin. Und dass sie eine ganz vorzügliche Aussicht speziell über das Pustertal Richtung Dolomiten bietet. Theoretisch – denn die bleibt mir nun eher verwehrt. Wie es im Sommer halt so geht: Nach ein paar Schönwettertagen kommen irgendwann Dunst, Quellwolken, Schwüle und Gewitter – Letztere zum Glück erst, als ich im Zug zurück in Richtung Sterzing sitze. Doch da ist der Pfunderer Höhenweg längst zu einem wundervollen Bergerlebnis geworden…

Nachtrag

…das irgendwann nach Wiederholung ruft. Grad zurück von einer altweibersommerlichen Begehung dieses Treks fühle ich mich neuerlich wie berauscht. Tagelang Sonnenschein pur, bestechende Fernsicht, eine weitläufige Einsamkeit und seltene, aber dafür umso nettere Begegnungen mit gleichgesinnten Menschen. Wie jene mit Hermann auf der Hochgrubbachspitze oder mit Judith und Philip, die sich just auf der Wilden Kreuzspitze verlobt haben und ihre Freude auch in der Brixner Hütte ausstrahlen ließen. Überhaupt die Hütten: stilecht, herzlich geführt und ohne Brimborium – da kann man sich vollkommen in die Bergbeschaulichkeit hineinfallen und die Seele baumeln lassen. Ich kenne den »Pfunderer« nun im frühen Sommer und im späten, klassisch von West nach Ost und umgekehrt – empfehlen würde ich ihn zu jeder Zeit und in jeder Richtung!    

Details und Etappen des Pfunderer Höhenwegs

Ausgangspunkt: Wiesen (948 m) bei Sterzing
Endpunkt: St. Georgen (823 m) bei Bruneck
Gesamtdauer: 5 oder eventuell 6 Tage
Beste Jahreszeit: Ende Juni bis Anfang Oktober, falls schneefrei
Anforderungen: Alpine Trekkingtour, die aufgrund der oft nur schmalen Pfade in teils abschüssigem Gelände sowie der langen Tagesetappen Trittsicherheit und Ausdauer erfordert. Für Bergunerfahrene daher kaum geeignet. Stabile Wetterbedingungen wichtig, Vorsicht bei nassen Bodenverhältnissen.
Hütten: Simile Mahdalm (2011 m), privat, Tel. 04 72/64 71 62; Brixner Hütte (2344 m), AVS, Tel. 04 72/54 71 31; Edelrauthütte (2545 m), CAI, Tel. 04 74/65 32 30; Tiefrastenhütte (2312 m), AVS, Tel. 04 74/55 49 99
Karten: Tabacco, 1:25 000, Blätter 037 »Hochfeiler – Pfunderer Berge« und 033 »Bruneck und Umgebung«
Führer: Mark Zahel »Hüttentreks«, Bruckmann Verlag, Neuauflage 2010

Die Etappen

1. Tag: Wiesen – Gschließegg – Plitschalm – Jagerjöchl – Trenser Joch – Abkürzung – Simile Mahd - alm, ca. 6 Std.
2. Tag: Simile Mahdalm – Ochsenalm – Sengesjöchl – Wilder See – Rauhtaljoch – Pfanne – Brixner Hütte, ca. 4 Std. (Abstecher Wilde Kreuzspitze + 11⁄4 Std.)
3. Tag: Brixner Hütte – Steinkarscharte – Weitenbergkessel – Kellerscharte – Engbergkessel (Obere Engbergalm unterhalb) – Dannelscharte – Weißsteinkar (Brenninger-Biwak unterhalb) – Gaisscharte – Obervalskar – Edelrauthütte, 8 bis 9 Std.
4. Tag: Edelrauthütte – Eisbruggalm – Kuhscharte – Gruipa-Alm – Gitsch-Schupfen – Gampisalm – Passenjoch – Hochsägescharte – Tiefrastenhütte, 61⁄2 Std. (Abstecher Hochgrubbachspitze + 1 Std.)
5. Tag: Tiefrastenhütte – Kleines Tor – Zwölferspitze – Putzenhöhe – Bärentalerspitze – Sambock – Platte – Kofler am Kofl – Kehrerhöfe – St. Georgen, 7 bis 8 Std.
Karte Pfunderer Hoehenweg
Von Mark Zahel
Fotos: 
Mark Zahel
 
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