Aletsch Halbmarathon: Der schönste Berglauf Europas | BERGSTEIGER Magazin
Trailrunning am größten Gletscher der Alpen

Aletsch Halbmarathon: Der schönste Berglauf Europas

Trailrunning ist anstrengend, klar. Doch beim Aletsch Halbmarathon vergisst man das zeitweise. Zu erhaben ist der Blick auf den gewaltigen Eisstrom und die Parade der Viertausender. Bergsteiger-Chefredakteur Michael Ruhland hat einen Selbstversuch unternommen.
 
Der Aletsch Halbmarathon wurde zum schönsten Berglauf Europas gewählt. Zurecht! © Aletsch Arena/Winfried Stinn
Der Aletsch Halbmarathon wurde zum schönsten Berglauf Europas gewählt. Zurecht!
Wettbewerbe werden im Kopf entschieden. Das weiß die Welt spätestens seit Boris Beckers Wimbledon-Sieg 1985 – als jüngster Spieler aller Zeiten. Der damals 17-Jährige legte eine Nervenstärke an den Tag, an der seine teils zehn-, fünfzehn Jahre älteren Gegner verzweifelten.

Längst gehören Mentalübungen zum Trainingsplan von Profis, beim Tennis genauso wie im Bergsteigen, wo es für gewöhnlich keinen direkten Gegner gibt. Der "Feind" sitzt in einem selbst und kann sich in Selbstüberschätzung ebenso manifestieren wie darin, die eigenen Möglichkeiten nicht auszuschöpfen. Ersteres ist am Berg gefährlich, Letzteres kann ziemlich frustrierend sein. Das gilt erst recht für ambitionierte Freizeit-Bergsteiger.

Als mich die Destination Aletsch Arena fragte, ob ich beim Aletschlauf mitmachenwollte, plagte mein Kopf mich mit Fragen: Stehe ich einen Halbmarathon in der Höhe durch? Und will ich mir die Strapaze überhaupt antun? Blamiere ich mich am Ende?

Aletsch-Halbmrathon Zuschauer
Zuschauermagnet Aletsch Halbmarathon © Aletsch Arena/Alpha Foto

Mit Aufgeben tue ich mich bei Wettbewerben schwer, das wusste ich aus Erfahrung. Letztlich überwog die Neugier auf den "schönsten Berglauf Europas", so das Votum der teilnehmenden Läufer. In mir wuchs der feste Entschluss, mindestens drei Tage vor dem Start oben auf der Bettmeralp auf knapp 2000 Metern zu sein; zum Akklimatisieren und um ein Gefühl für die Strecke zubekommen. Denn die beinhaltet mehr als 1000 Höhenmeter und endet mit einem fulminanten Anstieg zum Bettmerhorn.

Der Kopf also. Sein Inhalt ist ja zu guten Teilen dadurch bestimmt, was man sich so aneignet von seiner Umwelt. Der Läufer, in diesem Fall ich, ist im Normalfall dankbar für Tipps, die einen davor bewahren, ein persönliches Waterloo zu erleiden. »Heb Dir ordentlich Schmalz fürs Ende auf. Du wirst es brauchen«, sagt zum Beispiel Simon Weiler am Tag vor dem Lauf zu mir. Weiler ist der Leiter Produkte & Verkauf bei der Aletsch Arena AG und früher Triathlet. Ich habe in diesem Moment keinen Zweifel daran, dasser weiß, wovon er spricht. Der Tipp sollte sich als goldrichtig erweisen.

Nicht gerade spindeldürr, na und?

Doch wie das Leben so spielt, sind nicht alle Kommentare geeignet, einem die Laufvorbereitung leichter zu machen. Schon gleich gar nicht, wenn man den Vorsatz der frühen Anreise gerade über Bord geworfen hat.

Donnerstag, 21.45 Uhr, Betten Talstation. Ich wollte eigentlich schon Mittwoch anreisen, aber der Bergsteiger musste fertig werden. Die Zugfahrt durch die Schweiz hat erwartungsgemäß minutengenau geklappt, ich steige in die»Luftseilbahn« zur Bettmeralp ein. In der Gondel spricht mich eine junge Dame an, die sich freundlich mit »Grüzi, ich bin die Manuela«, vorstellt. Sie trägt hochhackige Schuhe, einen schwarzen Minirock, darüber eine eng anliegende Bluse und schaut mich mit blauen, wachen Augen an. Wie eine Teilnehmerin sieht sie nicht aus.

»Sind Sie der Journalist?«, fragt sie. »Äh, ja. Sieht man mir das an?«, frage ich verblüfft zurück. »Wir erwarten heute nur noch einen, und es ist ja schon spät«, antwortet Manuela und gibt sich als Mitarbeiterin des Hotels Panorama zu erkennen, das für mich gebucht ist. Sie klärt mich darüber auf, dass es um diese Uhrzeit auf der Bettmeralp nichts mehr zu essen gäbe (»alles dicht und tot«).

Aletsch Halbmarathon Michael Ruhland
Noch ist Kraft für einen Zwischensprint © Nina Hölmer

Als ich erzähle, dass ich als Reporter beim Lauf mitmachen will, ist sie erstaunt. »Echt. Wow. Alle Achtung. Die ich bisher gesehen habe, waren alle spindeldürr«, sagt sie und wölbt die linke Hand so, als würde sie einen Stock umfassen. »Danke. Zum Glück ist an mir mehr dran, «erwidere ich und nehme mir vor, wenigstens noch ein, zwei Bier zu trinken. Die Luftseilbahn ist fast an der Bergstation angekommen, als Manuela mir noch einen Erfahrungsbericht mit auf den Weg gibt. Ihr Zahnarzt, 27 Jahre alt, sei letztes Jahr den Halbmarathon mitgelaufen. »Der ist eigentlich topfit, aber beim Aletsch-Halbmarathon ist er total eingebrochen. Die Höhe.«

Leicht läuft locker

Zwei volle Tage bleiben mir, eben jenen Fehler nicht zu machen. Dabei hilft mir Conny Berchtold. Die inzwischen 40-Jährige hat das Rennen 2014 gewonnen und startet dieses Mal wegen des nahenden Zermatt-Marathons nicht auf der Bettmeralp. Wäre zu viel Belastung. Für die zweifache Mutter ist jedoch klar, dass sie beim Aletschlauf als Ehrengast und »Botschafterin« der Aletsch Arena dabei ist. Als wir uns am Freitagvormittag zur ersten Trainingseinheit treffen, fühle ich mich augenblicklich an Manuelas Worte erinnert. Ärmchen wie ein Wanderstock. Kein Gramm Unterhautfett. 54 Kilo bei 1,72 Meter Körpergröße. Klar, am Berg hat ein Federgewicht einen Vorteil. Leicht läuft locker, das darf ich in den folgenden 60 Minuten Trainingslauf miterleben. Während ich Mühe habe, beim Fragen nicht ins Hecheln zu verfallen, erzählt Conny ruhig atmend, 80 Prozent der Topathleten seien magersüchtig. Sie aber nicht, denn als Mutter habe sie eine Vorbildfunktion.

»Innerer Schweinehund gilt nicht«

Wir kommen zu einem steileren Stück der Strecke. Conny wechselt vom Laufschritt in schnelles Gehen, die Arme auf die Oberschenkel gestützt. »Das letzte Stück zum Bettmerhorn gehst du wie ein Neandertaler. Gebückte Haltung. Nie nach oben schauen.« Ich werde ihren Rat befolgen. Und mich am Wettkampftag wundern.

Die Schweizer Marathonmeisterin (2:45 Std., Luzern-Marathon) erklärt, dass zügiges Gehen Kräfte schone und im steilen Gelände fast genauso schnell sei wie Laufen. Und dass es laut ihrem Trainer den »inneren Schweinehund« nicht gebe. »Wenn der Mann mit dem Hammer kommt, dann musst du dagegen halten, ihm sagen, dass du stärker bist.

«Reine Kopfsache also? Am Tag vor dem Lauf schaltet sich der Verstand auf eine Weise ein, wie ich das nicht mag. Zweifel kommen auf. Soll ich heute wirklich nochmals mit Conny trainieren? Die Aletsch Arena hat den Crack für mich von 8 bis 9 Uhr gebucht. Sollte ich nicht besser mit der Gondel zum Akklimatisieren aufs Bettmerhorn hochfahren? Conny zerstreut meine Bedenken. Sie macht mit mir Steigerungsläufe am Bettmersee. Langsam los, dann schneller und schließlich: Explosion! »Das putzt die Muskulatur durch«, sagt sie. Ich fühle mich hinterher eher gerädert. Eins gibt sie mir noch mit auf den Weg: »In der Höhe musst du trinken wie ein Kamel.« Auch das werde ich beherzigen.

Aletsch Marathon Petro Mamu
Petro Mamu läuft die 21,1 Kilometer und 1050 Höhenmeter in 1:26! © Aletsch Arena/Alpha Foto

Der Kopf wacht als erster auf. Viel zu früh. Nervosität macht sich breit, der Magen grummelt. Ich spüre die Achillessehnen, meine Schwachstelle. Zu viel trainiert? Relativ spät reihe ich mich in den Startblock III ein, denn eingepfercht zu sein liegt mir gar nicht. Es piepst von hunderten Pulsmessern, manchmal stinkt’s. Man fühlt sich wie in einer Rinderherde, die vor geschlossenen Weidegattern unruhig herumtrampelt. Dann die Durchsage: Weil noch viele Starter die autofreie Bettmeralp mit der Seilbahn nicht erreicht haben, wird der Start um 20 Minuten nach hinten verlegt. Mist. Das heißt länger warten. Reicht die Zeit noch zum Wasserlassen? Vor den Dixi-Klos lange Schlangen. Viele pinkeln einfach an den Hang. Ich entscheide mich dagegen. Das wird sich später rächen.

Meine angepeilte Zielzeit: 2:30. Der spätere Sieger Petro Mamu wird die Strecke in 1:26 laufen. Streckenrekord. Gut, der Mann aus Eritrea mit dem österreichischen Pass war 2012 Berglauf-Weltmeister. Er wird ein recht einsames Rennen führen. Das kann ich von meinem nicht behaupten. Das Schwierige beim Laufen im Pulk: Man muss seinen Rhythmus finden. Also nicht vorm Überholen langsamerer Läufer zurückschrecken, aber auch nicht im Zickzack durchsprinten. Ich finde mein Tempo dank der breiten Straße, auf der das Rennen beginnt, zum Glück recht schnell.

Der Kopf spielt mit, ich zügle mich. Dann der erste Anstieg. Um Kräfte zu sparen, wende ich schon hier Connys Neandertaler-Technik an. Und siehe da: Ich bin praktisch genauso schnell wie die Masse. Dumm nur, dass sich ausgerechnet jetzt die Blase meldet. Ich verschwinde im Busch und ärgere mich, dass in den zwei Minuten Pinkeln wieder Dutzende Läufer vorbeiziehen, die ich auf den ersten beiden Kilometern hinter mir gelassen hatte.

Das Fiese zum Schluss

Jetzt wird’s eng. Auf dem Pfad oberhalb des Bettmersees ist ans Überholen nicht zu denken. Ich konzentriere mich auf die Steine und Wurzeln, denn Stürzen wäre hier unangenehm. Die Beine fühlen sich gut an, da geht noch was. Vor allem bergab. Vorfußtechnik, Arme zur Stabilisierung ausbreiten, hier kann ich punkten und sprinte leichtfüßig an etlichen Läufern vorbei. Doch beim nächsten Anstieg ist’s mit der Leichtigkeit vorbei. Wieder gehen. Nur nicht an die Reserven! Per Kopfentscheidung zwinge ich mich, an jeder Versorgungsstelle mehr zu trinken, als ich eigentlich will. Es wird sich auszahlen.

Aletsch Halbmarathon Michael Ruhland
»Neandertaler-Technik« bei Bergsteiger-Chefredaktuer Michael Ruhland kurz vor dem Ziel © Nina Hölmer

Denn so richtig beginnt der Aletsch-Halbmarathon erst ab Kilometer 15. Dann steigt die Strecke an zur Seitenmoräne des Gletschers. Nach 200 mühsamen Höhenmetern sind Hohfluh und später Moosfluh erreicht. Der Blick auf den Gletscher lässt die Anstrengung für den Moment vergessen. Wie eine riesige Autobahn schlängelt sich das Eis durch die Berge, nur durch den Grat des Eggis- und Bettmerhorns vom Rhonetal getrennt.

Auf dem Panoramaweg läuft es sich wie von alleine. Doch der Kopf weiß, dass das fieseste Stück zum Schluss kommt. Von Kilometer 19 bis zum Ziel bei 21,1 am Bettmerhorn überwindet der Pfad nochmals 400 Höhenmeter. An Laufen ist nicht zu denken. Stur steige ich in gebückter Haltung hoch, keuche und schiebe mich an noch stärker keuchenden Läufern vorbei. Ich schaue erst nach oben, als Kuhschellengeläute und Anfeuerungsrufe das nahe Ziel andeuten. Ich habe tatsächlich noch Reserven und ziehe ein wenig an. Fast noch mehr als über den Zieleinlauf und meine Zeit (2:32) freue ich mich, dass ich mir das Rennen richtig eingeteilt habe. Der Wettbewerb war Kopfsache. Ihn mitzulaufen eine klare Bauchentscheidung.

Basiswissen Aletsch-Halbmarathon

  • Entspannt ankommen: Mit dem Zug bis Brig, dort umsteigen in die Matterhorn Gotthard Bahn; in Betten Talstation aussteigen und mit der Luftseilbahn nach Bettmeralp. Auf der Bettmeralp ist alles autofrei, Pensionen und Hotels bieten aber einen Abholservice fürs Gepäckan (Caddys mit Elektromotoren).
  • Der Lauf: Der Aletsch Halbmarathon beginnt am Sonntag, 26. Juni 2016, um 10 Uhr auf der Bettmeralp (1950 Meter über NN) bei der Bergstation. Es gibt sechs Startblöcke, der lezte startet um 10.25 Uhr. Das Ziel befindet sich auf dem Bettmerhorn (2650m), unweit der Bergstation der Bettmerhornbahn. Insgesamt müssen ca. 1050 Höhenmeter überwunden werden, denn die Strecke führt im Mittelteil kurzzeitig bergab zur Riederalp. Die Teilnehmerzahl ist auf 2500 begrenzt. Wer sich optimal vorbereiten und akklimatisieren will, kann eine Trainingswoche vom 19. bis 26. Juni buchen. Das Startgeld beträgt 50 CHF. Alle Infos zum Lauf gibt es unter www.aletsch-halbmarathon.ch
  • Die Aletsch Arena: Die Destination Aletsch Arena ist ein Zusammenschluss der Ferienorte Riederalp, Bettmeralp und Flesch-Eggishorn. Sie liegen am längsten Eisstrom der Alpen, sind autofrei und per Seilbahnen mit dem Tal verbunden. Mehr als 400 Quadratkilometer des Unesco Welterbes »Schweizer Alpen Jungfrau Aletsch« liegen in derAletsch Arena. Mehr erfahren unter www.aletscharena.ch
 
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