Mit sicherem Tritt - Hochtourenstiefel im Test | BERGSTEIGER Magazin
Test: Die besten Stiefel für hochalpine Touren

Mit sicherem Tritt - Hochtourenstiefel im Test

Geröll, Schnee, Fels: Hochtourenstiefel müssen selbst auf widrigstem Terrain guten Halt bieten. Entsprechend vielseitig und hochwertig muss der Schuh sein. Wir stellen Ihnen zwölf aktuelle Modelle für Hochalpinisten vor.
(Aus BERGSTEIGER 07/2012)
 
Mit sicheren Tritt - Hochtourenstiefel im Test © Bernd Ritschel, Andreas Strauß
Testbericht Hochtourenstiefel

Bei Hochtourenstiefeln lassen sich grundsätzlich zwei Modelle unterscheiden: steigeisenfeste, eher eis-taugliche Stiefel mit Isolierung und Kerben vorn und hinten sowie eher felstaugliche, bedingt steigeisenfeste Allrounder, die auch für Touren unterhalb der Schneegrenze geeignet sind.

Obermaterial, Verstärkung und Gewicht von hochtourenstiefeln

Hochtourenstiefel bestehen heute meist aus grobem Textilmaterial wie Cordura, das leichter und pflegeleichter, aber weniger abriebfest als Leder ist. Das Problem: Intensiver Kontakt mit Fels kann das Material schädigen. Zähe Lederbesätze (Mammut Hartgummi) oder ganze Vorderfüße (The North Face) aus Leder verhindern, dass die Schnürung einreißt und strukturieren die Beweglichkeit des Schafts. Vor den gröbsten Schäden schützt eine Rundum-Gummierung des Schuhs oberhalb der Sohle (bei La Sportiva, Boreal höher), die über die Zehen auf einen Teil des Vorderfußes hochgezogen sein sollte. Hochgezogen ist auch die Fersenverstärkung. Solche steigeisenfeste Hochtourenstiefel wiegen heute um 2,1 Kilogramm (Eisschuh Mammut 2,05 kg, aber Expeditionsschuh Boreal 2,55 kg), bedingt steigeisenfeste, felsorientierte Modelle nur etwa 1,7 Kilo (Garmont 1,6 kg) in Größe 46.

Schaft und Gamaschen

Hochtourenstiefel besitzen einen hohen Schaft, der bei eisorientierten Schuhen höher (20 cm ab Innensohle) und stabiler sein sollte als bei felsorientierten Schuhen (inkl. Mixed-/Kombiklettern); deren Schaft sollte möglichst in alle Richtungen beweglich sein (daher hinten meist niedriger). Letztere haben normalerweise ein Profil, das sich besser an den Untergrund anpasst. Für beide Grundtypen benötigt man zumindest bei Sulzabstiegen Gamaschen; Minigamaschen, die am Schaftabschluss aufgesetzt sind, reichen dann nicht aus (Mammut, The North Face, Salewa).

Als isolierte Expeditionsschuhe konstruiert, aber auch auf Eistouren (Salewa) oder für Winteraktivitäten aller Art (La Sportiva) gut zu gebrauchen sind niedrigere steig-eisenfeste Innenschuhe (Boreal 17,5 cm) mit hohen wasserdicht-atmungsaktiven, per Gummizug oder Gummiband anpassbaren Übergamaschen (La Sportiva 28 cm). Während La Sportiva der perfekte Expeditions-Allrounder ist, eignen sich Boreal und Salewa mit ihrem sicheren Auftritt und der höheren Atmungsaktivität eher für extremere Eis- oder Kombi-Touren.

Fußraum und Futter

Während der Schaft bei allen vorgestellten Modellen weich abschließt, umfassen die eisorientierten Stiefel den Fuß fest und verhindern so, dass der Knöchel hochrutscht (v. a. Millet, Mammut). Millet, The North Face und Boreal sind für Bergsteiger mit breiteren Füßen ideal, Lowa und Mammut für schmalere Füße. Komfortable Schuhe (z. B. The North Face) haben einen etwas weniger guten Halt. Bei vielen Modellen gibt es Varianten für Frauen, die teils anders heißen. Wasserdicht-atmungsaktive Membranen, die als Dreilagenlaminat mit dem Obermaterial und dem Futterstoff verklebt sind, sind heute vorwiegend Standard bei Hochtourenstiefeln. Dabei wird fast ausschließlich Goretex verwendet (Boreal Driline), das bei Duratherm zusätzlich eine moderate Isolation besitzt.

Hochtourenschuhe - Schnürung

Fußraum (Passform) und Schnürung sind entscheidend für den Halt des Fußes im Stiefel. Reibungsarme Schlaufen-Schnellschnürungen am Vorderfuß (Meindl optimale Ösen) und Haken am Schaft sind inzwischen Standard. Einfache Fixierungshaken oder klassische Ösenschließe (Meindl super Schlaufenschnellöffnung) am Rist verhindern, dass die Senkel beim Schnüren »zurücklaufen«, zudem kann man sie im Schaftbereich lockern. Bei Salewa ist es zwar etwas pfriemelig, die Fixierung voreinzustellen, dann aber funktioniert die Schnürung gut und lässt sich mit einem Zug lockern. Die Tiefzugschlaufe presst den Fuß an die Ferse und sollte gelockert werden, falls die Schnürung am Rist einschneidet. Um den Vorderfuß optimal zu umschließen, sollte sich auch die vorderste Schnürung zusammenziehen lassen. Bei Lowa wird die Zunge mit der Schnürung unverrückbar fixiert.

Darauf sollten Sie achten beim Kauf von Hochtourenschuhen:

  1. Fersenkerbe: Die Fersenkerbe kennzeichnet alle Hochtourenstiefel, eine zusätzliche Spitzenkerbe primär eisorientierte Modelle.
  2. Profil: Das Profil sollte zumindest 6 Millimeter tief (felsorientierte Schuhe 5 mm) und griffig sein, Stollenbildung reduzieren und einen aggressiven Profilabsatz besitzen. Reibungsflächen verbessern die Kletter- und verschlechtern die Schnee-Eigenschaften.
  3. Schnürung: Die Schnürung aus Textilschlaufen unten und Haken oben sollte am Rist eine Fixierung und einen Tiefzug besitzen (traditionell kombiniert, heute meist getrennt).
  4. Schaft: Der Schaft sollte mit weichem Material abschließen sowie bei eisorientierten Schuhen relativ hoch und stabil (ca. 20 cm); bei felsorientierten Schuhen inkl. Mixed-/Kombiklettern niedriger und beweglicher sein.
  5. Obermaterial: Das Obermaterial kann aus robustem Leder (selten), robuster Textilfaser mit Lederverstärkungen (vor allem Schnürungsansätze) oder Textilinnenschuh plus Außengamasche bestehen.

So bewertet der BERGSTEIGER

KONSTRUKTION
Für die Funktions- und Praxis- Prüfung wurden zum besseren Vergleich zwei verschiedene Schuhe angezogen.
  • Schnürung: Beim Anziehen wurde auf Effizienz und Leichtigkeit der Schnürung geachtet. Die meisten Schuhe ließen sich problemlos schnüren und zeigten bis ganz vorne einen Schnüreffekt (Meindl optimale Schnürung, Boreal ohne Fixierung). Einige Schnürungen lösten sich und mussten mit Schleifknoten gebunden werden. Fersenhalt: Eine spezielle Prüfung für Hochtourenstiefel mit ihrer starken Hebelwirkung beim (Eis-)Klettern mit Steigeisen ist es, mit den Zehenspitzen auf einer Kante zu stehen, um v. a. den Halt der Ferse bei Belastung mit Steigeisen-Verwendung zu prüfen. Millet, Mammut, Salewa, La Sportiva stachen hier heraus.
  • Profilgriff: Bei der Praxis-Prüfung wurde die Griffigkeit des Profils beim Gehen auf steiler Erde, Wiese sowie Schnee geprüft. Dabei zeigte sich, dass das Hochtourenprofil dem Alpinprofil bei gröberem Schutt und im Schnee überlegen, bei der Felsreibung unterlegen ist. Die Profile von Salewa, La Sportiva stollten bei Schnee am wenigsten, waren aber auch weniger felstauglich.
  • Reibungsstand: Auf den Testgängen wurde auch die Reibung auf abschüssigem Fels geprüft, die eine klare Unterscheidung der beiden Profile (Alpin und Mulaz) kombiniert mit der Sohlenhärte und -sprengung ergab. Am besten schnitt Lowa ab, am schwächsten La Sportiva.
  • Abrollen: Für den Gehkomfort relevant sind Aufbiegung und Biegsamkeit der Sohle; bergab und auf ebenen Strecken auch der Absatz. Eine stärkere vordere Sprengung (Aufbiegung) kann den Aufstieg verbessern und ist beim Klettern kein Nachteil – beim Eisklettern hingegen schon. Die beiden Kombi-Schuhe Hanwag Friction, Aku besitzen eine starre Sohle mit Aufbiegung.
EINSATZBEREICHE
  • Gletscher: Obwohl prinzipiell alle Modelle gletschertauglich sind, sind Schuhe mit flacherem Alpin-Profil auf Gletschertour nur mit Steigeisen zu empfehlen. Das weitständig-grobe Profil steigeisenfester Stiefel ist griffiger und stollt weniger.
  • Eis: Steile Eiswände sowie gefrorene Wasserfälle erfordern möglichst gerade, starre und wenig gedämpfte Sohlen mit Steigeisenkerben hinten und vorne. Nur extreme Eis- oder Mixedrouten erfordern einen beweglichen Schaft.
  • Fels: Schuhe für hochalpine Felstouren oder Klettersteige sollten relativ leicht, im Schaft voll beweglich, die Sohle unter Belastung flexibel sein. Das Profil besitzt eine große vordere Reibungszone, die Ferse eine Steigeisenkerbe.
  • Expedition/Winter: Für Wintertouren inklusive Wasserfallklettern sollte der Stiefel in Sohle und Futter gut isoliert sein und über ein weitständiges grobes Profil verfügen. Fürs Höhenbergsteigen sollte er robust und doch leicht, die Schnürung vor Vereisung geschützt sein.

​Die Modelle im Überblick

  1. Aku Batura 2.0 GTX
    Info: www.aku.it Preis: 300 € Gewicht: 2160 g
  2. Boreal Stetind
    Info: www.e-boreal.com Preis: 399,95 € Gewicht: 2550 g
  3. Garmont Tower GTX
    Info: www.garmont.com Preis: 259,99 € Gewicht: 1630 g
  4. Hanwag Friction GTX M
    Info: www.hanwag.de Preis: 289,95 € Gewicht: 2230 g
  5. La Sportiva Batura 2.0 GTX
    Info: www.lasportiva.com Preis: 519 € Gewicht: 2090 g
  6. Lowa Vajolet GTX
    Info: www.lowa.de Preis: 259,95 € Gewicht: 1710 g
  7. Mammut Mamook GTX M
    Info: www.mammut.ch Preis: 370 € Gewicht: 2050 g
  8. Meindl Piz Palü GTX
    Info: www.meindl.de Preis: 289,90 € Gewicht: 2290 g
  9. Millet Brenva GTX
    Info: www.millet.fr Preis: 399,90 € Gewicht: 2100 g
  10. The North Face M Verto S4K GTX
    Info: www.thenorthface.com Preis: 270 € Gewicht: 1830 g
  11. Salewa MS Pro Gaiter
    Info: www.salewa.com Preis: 499,95 € Gewicht: 2460 g
  12. Hanwag Sirius M
    Info: www.hanwag.de Preis: 309,95 € Gewicht: 2370 g

Hier den kompletten Testbericht herunterladen
Text: Christian Schneeweiß; Fotos: B. Ritschel (3), A. Strauß
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 07/2012. Jetzt abonnieren!
 
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