»Via Alpina« - auf stillen Pfaden über die Voralpenberge | BERGSTEIGER Magazin
Weitwandern quer durch Europa

»Via Alpina« - auf stillen Pfaden über die Voralpenberge

Via Alpina - Trekking vor der Haustür. Wer die Münchner Hausberge in Ruhe und Stille erleben will, macht sich auf zu einer Durchquerung. »Via Alpina« heißt das Zauber­wort, das dem Wanderer den ganzen Charme der Voralpenberge erschließt; in der ersten Folge geht es durch die Chiemgauer Alpen und die Bayerischen Voralpen.

 
Weitwandern quer durch Europa © Evamaria Wecker
Weitwandern quer durch Europa auf der Via Alpina
Hunderte tiefblauer Enziane wetteifern mit sonnengelben Trollblumen um Platz eins auf der Blumenwiese. Dazwischen sorgen Silberwurz und Anemonen mit ihren weißen Blüten für Ruhe im Farbenrausch. In der Ferne hören wir die ersten Kuhglocken: Es ist Juni, der Almsommer beginnt. Seit ein paar Tagen sind wir auf der »Via Alpina« unterwegs: zuerst in den Chiemgauer Alpen, dann in den Bayerischen Voralpen. In den kleinen Bergen, deren Gipfel weit unter der 2000-Meter-Marke liegen, beginnt bereits der Bergsommer, während auf den hohen Gipfeln im Wetterstein und Karwendel noch der Winter regiert.

Tag für Tag erleben wir das gleiche Bild: farbenfrohe Wiesen, verträumte Hochalmen, die für die kommende Almsaison gelüftet werden, die ersten Kühe, die auf den Niederalmen ihre Freiheit nach dem langen Winter genießen. Es ist ein beschauliches Wandern in Stille und Einsamkeit, quer durch die Vorberge von Ost nach West und abseits der bekannten Wege. Meist übernachten wir als einzige Gäste auf gemütlichen Hütten oder in einem heimeligen Talquartier und erleben Bayern und seine kleinen Berge von ihrer schönsten Seite.

Terra Incognita in den Bayerischen Alpen

Hochfelln, Hochgern, Kampenwand, Geigelstein und Spitzstein – diese Gipfel sind uns bestens bekannt, aber nicht die Wege, über die uns die geschickt angelegte »Via Alpina« führt. Es sind verschlungene Pfade, auf denen wir – fernab der viel begangenen Routen – unterwegs sind. Wer kennt schon den schönen Bergmischwald am Weg zur Farnböden-Alm, in dem üppig das Weiße Waldvögelein blüht, eine unserer größten heimischen Orchideenarten? Oder die uralte, kleine Bischofsfelln-Alm mit ihrer wunderschönen Steingartenflora? Den kleinen Steig, der spannend über die steile Südflanke zum Gipfel des Hochgern führt? Stationen auf der ersten Etappe, die gleich mit zwei Gipfeln – Hochfelln und Hochgern – aufwartet und uns neben einem grandiosen Panorama von den Berchtesgadener Alpen über die Hohen Tauern zum Kaisergebirge mit einem beeindruckenden Tiefblick auf den Chiemsee begeistert.

Der nächste Tag hält eine weitere Überraschung bereit: Den aussichtsreichen Höhenweg von der Piesenhauser Hochalm und den kurzen, aber knackigen Klettersteig zum Ostgipfel der Kampenwand. Im Fels wenig erfahrene Wanderer können diese Passage umgehen und dabei eindrucksvolle Felsformationen am Weg erleben. Nächste Station, das Naturschutzgebiet Geigelstein, ist berühmt für seine artenreiche Flora. Hier gedeihen neben prächtigen Enzianwiesen seltene Schönheiten wie Türkenbundlilie, Gelber und Pannonischer Enzian, Arnika, Kohlröserl und viele andere. Im Gebiet der Roßalm leben alle vier heimischen Raufußhuhnarten: Auer-, Birk-, Schnee- und Haselhuhn. Zu ihrem Schutz besteht vom 1. April bis 31. Mai ein striktes Betretungsverbot.

Im hübschen, kleinen Dorf Sachrang versäumen wir nicht, der barocken Pfarrkirche und dem mit kunstvollen schmiedeeisernen Kreuzen geschmückten Friedhof einen Besuch abzustatten. Berühmt geworden ist Sachrang durch die Geschichte des Müllner Peter, der eine Art Universalgenie war und dessen Leben einen spannenden Stoff für einen Fernseh-Dreiteiler hergab. Auch das herrlich gelegene Spitzsteinhaus zählt zu unseren Etappenzielen und Nachtquartieren; auf seiner nach Westen freien Terrasse genießen wir den weiten Blick über das Inntal und die letzten warmen Sonnenstrahlen. Schöne alte Bauernhäuser erwarten uns im Abstieg nach Erl, am berühmten Passionsspielhaus vorbei führt uns der Weg auf der alten Zollbrücke über den Inn.

Via Alpina - Bergidylle pur

Prächtige, alte Gasthöfe warten in Oberaudorf auf hungrige Wanderer vor dem Aufstieg zum Brünnsteinhaus, wo unter schattigen Ahornbäumen im schönsten Bergbiergarten Bayerns das Weißbier noch mal so gut schmeckt. Aber vorher kraxeln wir noch am versicherten Steig zum Brünnsteingipfel: durch einen engen Felsspalt, über einen verwegenen Quergang und ein paar spannende Kletterstellen. Mit dem schönen Namen »Himmelmoosalm« wartet am nächsten Tag erneut eine idyllische Alm, bevor uns der steile Pfad zum Steilner Joch ein paar Schweißtropfen abverlangt. Die Wanderung am aussichtsreichen Gratrücken zum Großen Traithen entschädigt dann aber für alle Mühen. Das nächste Ziel heißt Rotwand, der Klassiker unter den Münchner Hausbergen. Wir bekommen den Gipfel als Abendspaziergang geschenkt, nach einem unvergleichlich schönen Panoramaweg durch die Südflanke der Maroldschneid und vor einer unvergesslichen Nacht am Rotwandhaus, das sich in der abendlichen Ruhe als echte und gemütliche Bergsteigerunterkunft erweist. Das Wanderparadies der Spitzingseeberge zeigt uns in der morgendlichen Stille des nächsten Tages seinen ganzen Charme, in dem der tiefblaue See den reizvollen Mittelpunkt bildet. Durch eine liebliche Almlandschaft mit knorrigen Bergahornbäumen führt uns der Weg zum Riedereck, wo uns eine wahre Postkartenidylle erwartet: ein altes Steinmarterl vor dem schlanken Felsprofil des Plankensteins.

Im Weiterweg haben wir ständig dieses faszinierende Kalkriff vor Augen und bei einer gemütlichen Rast im Plankensteinsattel können wir an den glatten Wänden der Plankensteinnadel den Kletterern zuschauen. Der Risserkogel erweist sich als prachtvoller Aussichtsberg, dann folgen wir einem elegant geschwungenen Grat, an dem gelbe Aurikel und blauer Enzian um unsere Bewunderung buhlen, bergab.

In Kreuth füllen wir unseren Proviant in der fein sortierten Käsealm auf, dann machen wir uns auf den Weg zum altbekannten Hirschberg und erleben einen Tag voller Faszination: Auf unbekannten, wilden Pfaden lotst uns die Via Alpina über die idyllisch gelegenen Rauheck-Almen zum Gipfel und über die Weidberg-Almen in die Schwarze Tenn. Wir fühlen uns wie Entdecker in unseren eigenen, heimischen Bergen!


Erst am Seekarkreuz betreten wir wieder bekanntes Terrain. In Lenggries haben wir Zuganschluss nach München, nur gut eine Stunde müssten wir in die Stadt fahren. Wir aber übernachten in dem kleinen Ort, den wir sonst nur vom Durchfahren kennen. Als wir abends durch die stillen Gassen streifen, fühlen wir uns wie in einer anderen Welt, und die Großstadt liegt eine Ewigkeit entfernt.

Durch's Estergebirge und über den Wank

Der nun folgende Abschnitt der »Via Alpina« nach Garmisch-Partenkirchen führt durch alpineres Gelände, vor allem im Estergebirge, wo die Voralpenberge am höchsten sind und an der 2000-Meter-Marke kratzen. Hier kann früh im Jahr noch recht viel Schnee liegen. Zunächst wartet aber noch die herrliche Kammwanderung vom Brauneck zur Benediktenwand auf uns. Im Abstieg zur Tutzinger Hütte begegnet uns dann ein kapitaler Steinbock, Vertreter einer mittlerweile recht großen Population rund um einen der schönsten Aussichtsgipfel in den Bayerischen Voralpen. Die Etappe Tutzinger Hütte – Herzogstandhäuser ist ein ganz besonderes Schmankerl mit einem traumhaften Höhenweg, einer lieblichen Almlandschaft und der herrlich gelegenen Staffelalm, wo wir die berühmten Wandzeichnung von Franz Marc bewundern dürfen.

Die Übernachtung auf den Herzogstandhäusern hat einen großen Vorteil: Man ist morgens am Herzogstand und anschließend auf der zauberhaften, tagsüber meist überlaufenen Gratwanderung zum Heimgarten ganz allein! Im Abstieg vom Heimgarten folgt die »Via Alpina« alten Pfaden durch romantische Wälder und wilde Schluchten – wunderschön, aber schlecht markiert, ein »Gruß« der Jägerschaft. An der Eschenlaine entlang mit ihren verschwiegenen Badegumpen führt der Weg ins Estergebirge, durch das einsame Polsterkarl und über die weite Hochfläche zur hoch gelegenen Weilheimer Hütte. Im felsdurchsetzten Rasengelände blüht reichhaltig die alpine Flora, und mit etwas Glück können wir ein Rudel Gämsen beobachten. Nach einer prachtvollen Morgenstimmungen machen wir uns auf den Weg nach Garmisch-Partenkirchen. Er führt über den Wank, diesen prachtvollen Logenplatz vor der Zugspitze, die der Winter noch fest im Griff hat.

Der grandiose Anblick weckt in uns die Lust auf die großen Berge und anspruchsvolle Touren im kommenden Sommer. Am Bahnhof in Garmisch-Partenkirchen nehmen wir Abschied von den kleinen Vorbergen, die uns mit einer Fülle von Eindrücken reich beschenkt haben.

Die »Via Alpina«

Die »Via Alpina« ist ein internationaler, die Alpen querender Fernwanderweg, der durch alle acht Alpenstaaten führt: Italien, Slowenien, Österreich, Deutschland, Liechtenstein, Schweiz, Frankreich, Monaco. 341 Tagesetappen verteilen sich auf fünf, nach Farben geordnete, internationale Wanderrouten. Der »Violette Weg« beginnt in Slowenien am Fuße des Triglav und verläuft über die Karawanken, die Koralpe, die Ennstaler Alpen, das Tote Gebirge, den Dachstein, die Berchtesgadener Alpen, durch die Chiemgauer Alpen und die Bayerischen Voralpen, die Ammergauer und die Allgäuer Alpen bis Oberstdorf; weitere Infos unter www.via-alpina.org.

Von Ruhpolding nach Garmisch-Partenkirchen

Charakter/Anforderungen: Die Route verläuft auf guten, überwiegend leichten Wegen, nur an der Kampenwand gibt es eine kurze versicherte Stelle. Die Länge einzelner Etappen stellt allerdings erhöhte Anforderungen an Ausdauer und Kondition.
Übernachtung: Übernachtet wird abwechselnd auf Berghütten (Infos unter www.davhuettensuche.de) und in Talquartieren, in jedem Ort findet man zahlreiche Beherbergungsbetriebe.
An-/Rückreise: Da man immer wieder Ortschaften mit Zuganschluss berührt, kann man nach wenigen Tagen wieder nach München zurückfahren. Die Via Alpina kann man somit am Stück gehen oder in Teilabschnitte für verlängerte Wochenenden aufteilen. Dabei lassen sich einzelne Etappen auch anders gliedern oder zusammenfassen.
Karten: Alpenvereinskarten 1:25 000 Bayerische Alpen BY 18 »Chiemgauer Alpen Mitte«, BY 17 »Chiemgauer Alpen West«, BY 15 »Mangfallgebirge Mitte«, BY 13 »Mangfallgebirge West«, BY 11 »Isarwinkel«, BY 9 »Estergebirge«
Tourenführer: Evamaria Wecker »Die stillen Pfade der Via Alpina«, Bruckmann 2011

Die Etappen der Via Alpina im Einzelnen

Die Durchquerung der Chiemgauer Alpen beginnt bereits in Unken und führt über das Peitingköpfl und durch das Heutal nach Ruhpolding. Da Unken mit öffentlichen Verkehrsmitteln schlecht erreichbar ist und sich somit als Ausgangspunkt nur bedingt eignet, haben wir aufgrund der guten, stündlichen Zugverbindung von Traunstein Ruhpolding als Ausgangspunkt gewählt.
  1. Von Ruhpolding über Hochfelln und Hochgern nach Marquartstein, 8¾ Std.; stündliche Zugverbindung von Traunstein nach Ruhpolding
  2. Von Marquartstein zur Kampenwand, Berggasthof Sonnenalm, 4¾ Std.
  3. Von der Kampenwand über Weitlahner und Geigelstein zur Priener Hütte, 4¼ Std.
  4. Von der Priener Hütte über Sachrang zum Spitzsteinhaus, 3¾ Std.
  5. Vom Spitzsteinhaus nach Oberaudorf, 3 Std.; Zugverbindung über Rosenheim nach München
  6. Von Oberaudorf zum Brünnsteinhaus, 3½ Std.
  7. Vom Brünnsteinhaus über den Großen Traithen zum Rotwandhaus, 8 Std.
  8. Vom Rotwandhaus zum Spitzingsee und über den Stümpfling zum Berggasthof Sutten, 5½ Std.
  9. Vom Berggasthof Sutten über den Risserkogel nach Kreuth, 5 Std.
  10. Von Kreuth über Hirschberg und Seekarkreuz nach Lenggries, 9 Std.; Zugverbindung nach München
  11. Von Lenggries über Brauneck und Latschenkopf zur Tutzinger Hütte, 5¼ Std.
  12. Von der Tutzinger Hütte zu den Herzogstandhäusern, 7½ Std.
  13. Von den Herzogstandhäusern zur Weilheimer Hütte, 10½ Std.
  14. Von der Weilheimer Hütte über den Wank nach Garmisch-Partenkirchen, 5¼ Std.
Karte Via Alpina

Auf der Via Alpina von Garmisch nach Oberstdorf
»Via Alpina« - Fotos: Evamaria Wecker
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 05/2012. Jetzt abonnieren!
 
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