Peter Schlickenrieder durchquert den Kaukasus auf Skiern
Wildnis, Wodka, Wunderland
© Schlickenrieder
Peter Schlickenrieder im Kaukasus
Peter Schlickenrieder im Kaukasus
BERGSTEIGER: Sie haben die Transalp auf Ski gemacht und den Atlas in Marokko per Bike durchquert. Ist die Kaukasustour schon länger in Ihrem Kopf gewesen?
Peter Schlickenrieder: Ich wollte in ein Gebirge, das höher ist und eine größere sportliche Herausforderung darstellt. Und mein Lieblingssportgerät sind halt mal Tourenski. Auch schon während Ihrer aktiven Zeit als Langläufer? Mein »Entdecker« und langjähriger Jugendtrainer Gerd Müller brachte mich zum Tourengehen. Er und seine zwei Spezln galten als Erfinder des Skitourenrennens »Watzmanngams«. Folglich musste ich da mit.
Und waren sofort infiziert?
Überhaupt nicht. Anfangs hasste ich es. Schon allein diese schweren Stiefel, wegen derer ich nach einer Viertelstunde derartige Blasen bekam, dass ich nicht wusste, wie ich die nächste Stunde überleben sollte. Ich dachte mir: Warum tut man sich das an, wenn es doch so ein schönes, leichtes Langlaufmaterial gibt? Deshalb waren wir oft mit Langlaufski und Steckenreiten in den Bergen unterwegs. Schnell, leicht, lustig. Zu der Zeit war ich 15 Jahre alt und lernte den Böhm Bene an der Bodenschneid kennen, der auch steckenreitenderweise unterwegs war.
Wie funktioniert Steckenreiten?
Das Problem beim Langlaufen ist ja, dass man keine vernünftigen Kurven fahren kann, weil die Bindung so instabil und leicht ist. Zum schnellen Runterfahren nahmen wir deshalb stabile Stöcke mit Krallentellern, die im eisigen Schnee gut griffen. Man schob die Stecken zwischen den Beinen durch und setzte sich drauf. So konnte man schnell und schnurstracks die Hänge hinunterfahren.
Im Kaukasus haben Sie auf modernes, leichtes Skitourengerät zurückgegriffen. Die Filmidee hatte auch mit Ihrer ARD Moderatorenrolle zu tun?
Ja. Als damals verkündet wurde, dass die Winterspiele in Sotschi stattfi nden würden, wusste ich gar nicht richtig, wo das ist. Sotschi? Kaukasus? Schwarzes Meer? Ich wollte mehr zeigen als nur die Olympiastadien. Wie ist der Kaukasus? Welche Menschen leben dort, was für einen Bezug haben sie zu Olympia? Wie tickt das Land?
Wie schwierig war es, die nötigen Genehmigungen zu kriegen?
Sobald man mehrere Regionen durchquert, wird es unheimlich bürokratisch. Wir wussten nicht, ob wir an Grenztruppen scheitern würden. Auf dem Hauptkamm des Kaukasus verläuft die Grenze zwischen Russland, Georgien beziehungsweise der abtrünnigen Region Abchasien, und die ist wegen Terrorismus relativ streng bewacht.
Wie viele Relikte des Sozialismus haben Sie angetroffen?
Sehr viele. Das Demütige, Duldsame, Leidensfähige, kurz: die Obrigkeitshörigkeit erlebt man dort überall. Motto: Das werden die da oben schon entscheiden. Beginn der Tour war am Elbrus in Terskol, Talstation. Dort stehen seit der Perestroika die meisten Anlagen des früheren Olympiastützpunktes still, weil der Geldfluss versiegte. Es waren riesige Anlagen für ein Höhenleistungszentrum geplant, Mauern waren schon hochgezogen. Eigentlich würden die Olympischen Spiele dort viel besser hinpassen. Terskol liegt auf 2100 Meter, dort hat man die Höhe, die Schneesicherheit, eine gewisse Infrastruktur. Nur: Es ist eine kaukasische Region, die Russen bevorzugen ihr Sotschi.
Mussten Sie vor Ort mit Geld nachhelfen?
Wir mussten höllisch aufpassen. Man darf zum Beispiel die Polizei bestechen, das Militär aber nicht, sonst landet man im Militärgefängnis. Polizisten haben wenig Geld und leben auch von dem, was sonst noch über den Tisch geschoben wird.
Wie kamen Sie persönlich damit klar, wenn vor Ort etwas nicht klappte?
Es waren für mich zwei Wochen Dauerstress. Wir wollten ja eine bestimmte Menge Filmmaterial mit nach Hause bringen. Wenn einem dann die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt, weil man wieder stundenlang diskutiert, warum gerade ein Protagonist nicht da ist – dann zerrt das an den Nerven. Zeitdruck ist vermutlich nichts, was im Kaukasus interessiert. Wir sind gewohnt, wenn 14 Uhr ausgemacht ist, dass spätestens 14.10 Uhr alle da sind. Das gibt es dort nicht. Wir bekamen zu hören: »Diese Woche kommt der Hirte nicht mehr.« Ich sagte dann: »Aber wir haben das doch vor einem halben Jahr fest ausgemacht.« Die Antwort: »Ja, vor einem halben Jahr. Der Mann ist ja nicht weg, es dauert halt noch eine Woche.« Dass jeder Tag einen Haufen Geld kostete und die Uhr tickte, machte mich schon ziemlich nervös.
Sie lernten zu improvisieren?
Und wie! Letztlich hat alles funktioniert, wenn auch völlig anders als geplant. Der Mann, mit dem ich im Juni 2012 einen Dreh übers Bierbrauen vereinbart hatte, der war einfach nicht da. Drei Tagesritte weg. Das war wirklich so, ich wollte ihn holen lassen, aber es gab keine Straße. Doch plötzlich tauchte ein anderer Kaukase auf. Wir fragten ihn: »Braust du auch dein eigenes Bier?« Er: »Ja.« Wir: »Hast du vielleicht gerade vier Stunden Zeit?« Er: »Ja.« So kamen wir zu unserem Dreh, der wahrscheinlich noch viel authentischer war als der eigentlich geplante.
Wie (system-)kritisch ist der Film?
Manche Einheimischen schimpfen über die Umsiedlungen, das kommt auch in unserem Film vor. Doch wenn man vergleicht, wie die meisten Menschen wohnten, bevor die Spiele beschlossen waren, und wie jetzt, dann sind manche westlichen Vorstellungen ziemlich romantisch. Wer zuvor in einem Haus gelebt hat, das jährlich überschwemmt wurde, das keinen Trinkwasseranschluss hatte, in dem es keine Gas- und Stromversorgung gab, und jetzt in einem neu gebauten, hochwassersicheren Haus wohnt mit der ganzen Infrastruktur – dann kann ich der Argumentation folgen, die wir oft hörten: Wir hatten Glück, umgesiedelt zu werden. Ich glaube, unser Film bringt das Lebensgefühl ziemlich authentisch rüber. Es sind auch einige skurrile Situationen dabei.
Zum Beispiel?
Wir interviewten in Sotschi einen orthodoxen Pfarrer. Das war gar nicht geplant, sondern eine spontane Aktion. Er erzählte uns, dass er auch leidenschaftlich gerne Ski fährt und im olympischen Komitee von Sotschi sitzt. Wir konnten das erst gar nicht fassen. Er berichtete uns lächelnd, dass auf dem Olympiagelände alles platt gemacht worden sei. Bis auf einen Friedhof. Mittendrin. Um den wurde eine Mauer gezogen, so dass dort weiter Tote bestattet werden können.
Die 45-minütige Doku »Abenteuer Olympia. Der lange Weg über den Elbrus bis nach Sotschi« wird am 28. Dezember in der ARD (12 Uhr) ausgestrahlt und erscheint zeitgleich im Allianzmagazin 1899.
Peter Schlickenrieder: Ich wollte in ein Gebirge, das höher ist und eine größere sportliche Herausforderung darstellt. Und mein Lieblingssportgerät sind halt mal Tourenski. Auch schon während Ihrer aktiven Zeit als Langläufer? Mein »Entdecker« und langjähriger Jugendtrainer Gerd Müller brachte mich zum Tourengehen. Er und seine zwei Spezln galten als Erfinder des Skitourenrennens »Watzmanngams«. Folglich musste ich da mit.
Und waren sofort infiziert?
Überhaupt nicht. Anfangs hasste ich es. Schon allein diese schweren Stiefel, wegen derer ich nach einer Viertelstunde derartige Blasen bekam, dass ich nicht wusste, wie ich die nächste Stunde überleben sollte. Ich dachte mir: Warum tut man sich das an, wenn es doch so ein schönes, leichtes Langlaufmaterial gibt? Deshalb waren wir oft mit Langlaufski und Steckenreiten in den Bergen unterwegs. Schnell, leicht, lustig. Zu der Zeit war ich 15 Jahre alt und lernte den Böhm Bene an der Bodenschneid kennen, der auch steckenreitenderweise unterwegs war.
Wie funktioniert Steckenreiten?
Das Problem beim Langlaufen ist ja, dass man keine vernünftigen Kurven fahren kann, weil die Bindung so instabil und leicht ist. Zum schnellen Runterfahren nahmen wir deshalb stabile Stöcke mit Krallentellern, die im eisigen Schnee gut griffen. Man schob die Stecken zwischen den Beinen durch und setzte sich drauf. So konnte man schnell und schnurstracks die Hänge hinunterfahren.
Im Kaukasus haben Sie auf modernes, leichtes Skitourengerät zurückgegriffen. Die Filmidee hatte auch mit Ihrer ARD Moderatorenrolle zu tun?
Ja. Als damals verkündet wurde, dass die Winterspiele in Sotschi stattfi nden würden, wusste ich gar nicht richtig, wo das ist. Sotschi? Kaukasus? Schwarzes Meer? Ich wollte mehr zeigen als nur die Olympiastadien. Wie ist der Kaukasus? Welche Menschen leben dort, was für einen Bezug haben sie zu Olympia? Wie tickt das Land?
Wie schwierig war es, die nötigen Genehmigungen zu kriegen?
Sobald man mehrere Regionen durchquert, wird es unheimlich bürokratisch. Wir wussten nicht, ob wir an Grenztruppen scheitern würden. Auf dem Hauptkamm des Kaukasus verläuft die Grenze zwischen Russland, Georgien beziehungsweise der abtrünnigen Region Abchasien, und die ist wegen Terrorismus relativ streng bewacht.
Wie viele Relikte des Sozialismus haben Sie angetroffen?
Sehr viele. Das Demütige, Duldsame, Leidensfähige, kurz: die Obrigkeitshörigkeit erlebt man dort überall. Motto: Das werden die da oben schon entscheiden. Beginn der Tour war am Elbrus in Terskol, Talstation. Dort stehen seit der Perestroika die meisten Anlagen des früheren Olympiastützpunktes still, weil der Geldfluss versiegte. Es waren riesige Anlagen für ein Höhenleistungszentrum geplant, Mauern waren schon hochgezogen. Eigentlich würden die Olympischen Spiele dort viel besser hinpassen. Terskol liegt auf 2100 Meter, dort hat man die Höhe, die Schneesicherheit, eine gewisse Infrastruktur. Nur: Es ist eine kaukasische Region, die Russen bevorzugen ihr Sotschi.
Mussten Sie vor Ort mit Geld nachhelfen?
Wir mussten höllisch aufpassen. Man darf zum Beispiel die Polizei bestechen, das Militär aber nicht, sonst landet man im Militärgefängnis. Polizisten haben wenig Geld und leben auch von dem, was sonst noch über den Tisch geschoben wird.
Wie kamen Sie persönlich damit klar, wenn vor Ort etwas nicht klappte?
Es waren für mich zwei Wochen Dauerstress. Wir wollten ja eine bestimmte Menge Filmmaterial mit nach Hause bringen. Wenn einem dann die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt, weil man wieder stundenlang diskutiert, warum gerade ein Protagonist nicht da ist – dann zerrt das an den Nerven. Zeitdruck ist vermutlich nichts, was im Kaukasus interessiert. Wir sind gewohnt, wenn 14 Uhr ausgemacht ist, dass spätestens 14.10 Uhr alle da sind. Das gibt es dort nicht. Wir bekamen zu hören: »Diese Woche kommt der Hirte nicht mehr.« Ich sagte dann: »Aber wir haben das doch vor einem halben Jahr fest ausgemacht.« Die Antwort: »Ja, vor einem halben Jahr. Der Mann ist ja nicht weg, es dauert halt noch eine Woche.« Dass jeder Tag einen Haufen Geld kostete und die Uhr tickte, machte mich schon ziemlich nervös.
Sie lernten zu improvisieren?
Und wie! Letztlich hat alles funktioniert, wenn auch völlig anders als geplant. Der Mann, mit dem ich im Juni 2012 einen Dreh übers Bierbrauen vereinbart hatte, der war einfach nicht da. Drei Tagesritte weg. Das war wirklich so, ich wollte ihn holen lassen, aber es gab keine Straße. Doch plötzlich tauchte ein anderer Kaukase auf. Wir fragten ihn: »Braust du auch dein eigenes Bier?« Er: »Ja.« Wir: »Hast du vielleicht gerade vier Stunden Zeit?« Er: »Ja.« So kamen wir zu unserem Dreh, der wahrscheinlich noch viel authentischer war als der eigentlich geplante.
Wie (system-)kritisch ist der Film?
Manche Einheimischen schimpfen über die Umsiedlungen, das kommt auch in unserem Film vor. Doch wenn man vergleicht, wie die meisten Menschen wohnten, bevor die Spiele beschlossen waren, und wie jetzt, dann sind manche westlichen Vorstellungen ziemlich romantisch. Wer zuvor in einem Haus gelebt hat, das jährlich überschwemmt wurde, das keinen Trinkwasseranschluss hatte, in dem es keine Gas- und Stromversorgung gab, und jetzt in einem neu gebauten, hochwassersicheren Haus wohnt mit der ganzen Infrastruktur – dann kann ich der Argumentation folgen, die wir oft hörten: Wir hatten Glück, umgesiedelt zu werden. Ich glaube, unser Film bringt das Lebensgefühl ziemlich authentisch rüber. Es sind auch einige skurrile Situationen dabei.
Zum Beispiel?
Wir interviewten in Sotschi einen orthodoxen Pfarrer. Das war gar nicht geplant, sondern eine spontane Aktion. Er erzählte uns, dass er auch leidenschaftlich gerne Ski fährt und im olympischen Komitee von Sotschi sitzt. Wir konnten das erst gar nicht fassen. Er berichtete uns lächelnd, dass auf dem Olympiagelände alles platt gemacht worden sei. Bis auf einen Friedhof. Mittendrin. Um den wurde eine Mauer gezogen, so dass dort weiter Tote bestattet werden können.
Die 45-minütige Doku »Abenteuer Olympia. Der lange Weg über den Elbrus bis nach Sotschi« wird am 28. Dezember in der ARD (12 Uhr) ausgestrahlt und erscheint zeitgleich im Allianzmagazin 1899.
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Text: Michael Ruhland, Fotos: Peter Schlickenrieder (www.schlickenrieder.de)