»Via Alpina« - auf königlichen Wanderwegen durch Bayerns Berge | BERGSTEIGER Magazin
Der Violette Weg der Via Alpina

»Via Alpina« - auf königlichen Wanderwegen durch Bayerns Berge

Unterwegs auf stillen Pfaden: Die letzte Etappe der »Via Alpina« führt uns auf den Spuren des Märchenkönigs durch Bayerns Berge, zu den Schlössern Linderhof und Neuschwanstein sowie zu einem hochalpinen Abschluss am Prinz-Luitpold-Haus.
Von Evamaria Wecker (Text und Fotos)
 
Entschleunigung – ein Wort, das derzeit in aller Munde ist und besonders gut zur »Via Alpina« passt. Was es im Kleinen bedeuten kann, wird uns heute so richtig bewusst: Seit einem Jahr sind wir nun – mit Unterbrechungen – auf dem Violetten Weg der »Via Alpina« unterwegs und erleben in zunehmendem Maße Ruhe und Gelassenheit. In Garmisch-Partenkirchen beginnt heute unsere letzte Tourenwoche.

Von früheren Tagesausflügen kennen wir die Gegend recht gut. Doch wegen der Nähe zu unserem früheren Wohnort wären wir nie auf den Gedanken gekommen, hier Urlaub zu machen. Und nun finden wir uns in einem gemütlichen Pensionszimmer wieder, bummeln abends durch bezaubernde alte Gassen und genießen das rote Farbenspiel der untergehenden Sonne an der Alpspitze.

Von Garmisch aus auf die Via Alpina

Am nächsten Morgen machen wir uns früh auf den Weg zum Kramerplateauweg. In der morgendlichen Stille begegnet uns noch niemand auf dem Weg zum Pflegersee. Über der Wasseroberfläche wabert noch eine leichte Dunstschicht, bald hat die Sonne die letzte Feuchtigkeit abgetrocknet: Uns steht ein warmer Tag bevor. So sind wir gar nicht traurig, dass unser Weg zunächst durch schattigen Wald und über kleine Moore führt, auf schmalem Pfad hoch über dem Lahnenwiesgraben, einer tief eingeschnittenen Schlucht. Es geht nördlich um den Kramer herum, zur Hochfläche der Enningalm und dann hinunter ins Rotmoos, für uns völliges Neuland.

Wir genießen die unbekannten Wege und bummeln am Elmaubach entlang talauswärts, bis dieser im Elmaugries versickert. Entlang dieses mächtigen Schuttstroms, in dem Bäume und Sträucher um ihr Überleben kämpfen, erreichen wir am späten Nachmittag Linderhof. Zu unserer Überraschung ist es rund um den riesigen Parkplatz und das Schlosshotel bereits ziemlich ruhig. Im Hotel begrüßt uns das Konterfei des Märchenkönigs, dann beziehen wir ein edles Jugendstilzimmer. Den Abend verbringen wir in den weitläufigen und zu dieser Tageszeit menschenleeren Parkanlagen von Schloss Linderhof.

Wir können uns von so viel stiller, majestätischer Schönheit gar nicht trennen und bleiben beim Schloss, bis die Nacht hereinbricht. Diese verbringen wir in unseren bequemen Betten und träumen von den nächsten Bergtagen.

Im Revier der Gämsen

Bei strömendem Regen, in dem sich die schwarzen Alpensalamander so richtig wohl fühlen, wandern wir über die aufgelassene Bäckenalm. Seitdem hier kein Vieh mehr weidet, verbuschen und verkrauten die Wiesen zunehmend: Ein interessantes Beispiel, wie sich die Kulturlandschaft in unseren Bergen ohne Almwirtschaft verändert.

Auf unserem Weg zum Bäckensattel bewundern wir einige besonders alte, knorrige Ahornbäume. Über 500 Jahre alt und bis zu 40 Meter hoch kann der Bergahorn werden und mit seinen tiefen Wurzeln ist er auch bei starkem Sturm fest im Boden verankert. Der Regen lässt uns schnell weiterwandern zur gemütlichen Kenzenhütte – und verschafft uns einen unfreiwilligen Ruhetag. Erst am Nachmittag können wir zum Kenzenwasserfall spazieren.

Im Naturschutzgebiet Ammergebirge, speziell im Kenzengebiet, gibt es viele Gämsen. Früher stand hier eine königliche Jagdhütte, die hohen Herrschaften gingen gerne auf Gämsenjagd. König Ludwig II. kam allerdings nicht zum Jagen hierher, sondern um »bengalische Nächte« zu feiern, deren Illumination der Kenzenwasserfall mit einem eigens errichteten Stauwerk besorgte. Wir begegnen den Gämsen, als wir einen Tag später unseren Weg fortsetzen können. Vor dem Regen hatten sich die Tiere in die geschützte Waldregion zurückgezogen. Im ersten Moment ist der Schreck auf beiden Seiten groß – und ehe wir uns versehen, sind die Tiere auch schon verschwunden.

Wanderung zu Schloss Neuschwanstein

Schloss Neuschwanstein Wanderung
Zwischenstop am Märchenschloss
Zwischen den Felswänden der Hochplatte links und denen des Geiselsteins rechts schlängelt sich der einsame Pfad über den Gabelschrofensattel zur Pöllat und in die Bleckenau. Hier begegnen wir erstmals an diesem Tag wieder Menschen. Nach und nach versuchen wir uns für die »Begegnung« mit Schloss Neuschwanstein und dem zu erwartenden Touristenstrom zu wappnen. Doch wir haben Glück – als wir ankommen, ebbt er bereits wieder ab. Der kurze Abstecher zur Marienbrücke, von der man den schönsten Blick zum Schloss hat, ist ein absolutes Muss. Obwohl das Schloss diesen Sommer für Renovierungsarbeiten eingerüstet ist, ist der Anblick überwältigend!

Beim Bau ließ sich König Ludwig II. von der Wartburg inspirieren. Heute ist Schloss Neuschwanstein mit seinen Zinnen und Türmen der Inbegriff des Märchenschlosses. Letztlich führten aber die hohen Kosten dieses Baus dazu, dass der König entmündigt wurde. Bei unserem Abstieg nach Füssen kommen wir nicht weit entfernt von Schloss Hohenschwangau vorbei. Dort hat Ludwig seine Kindheit verbracht. Dass er dort seine Liebe zu den Bergen entdeckte, wundert uns nicht.

Stippvisite bei den Nachbarn

Die historische Altstadt von Füssen mit dem Hohen Schloss und dem Kloster St. Mang beschert uns eine interessante abendliche Bummelei, bevor uns die »Via Alpina« über den hübschen Zirmgrat nach Pfronten führt. Vorbei am idyllischen Alatsee, der durch »Kommissar Kluftinger« neue Berühmtheit erlangt hat, streben wir der aussichtsreichen Gratwanderung und der auf exponiertem Fels stehenden Ruine Falkenstein entgegen: Hier wollte Bayerns Märchenkönig eine Raubritterburg errichten.
 
Bad Kissinger Hütte
    Kunst an der Bad Kissinger Hütte
Pfronten ist unsere Eingangspforte in die Allgäuer Alpen. Unser erster Gipfel ist der Aggenstein in den Tannheimer Bergen, einer Untergruppe der Allgäuer Alpen, die für ihren festen Kalk berühmt ist und unter Kletterern einen exzellenten Ruf genießt. Am Aggenstein dürfen wir selbst Hand an den Berg legen, stabile Ketten helfen uns über die Felsen hinunter zur Bad Kissinger Hütte, wo wir eine moderne Kunstinstallation bestaunen.

Das Tannheimer Tal gehört zu Tirol, etwa 24 Stunden dauert der Besuch bei den Nachbarn, bevor wir beim Gaishorn wieder die bayerische Grenze erreichen.

Grenzschlängeln am Jubiläumsweg

Vom Gaishorn bis zum Prinz-Luitpold-Haus folgen wir auf dem Jubiläumsweg dem Verlauf der Grenze zwischen Bayern und Tirol, mal auf der einen, dann auf der anderen Seite. Das Gaishorn, ein mächtiger Koloss, fordert uns gleich zu Beginn der Etappe mit seinem steilen Kar. Obwohl wir schnell unterwegs sind, benötigen wir von Tannheim zum Gipfel deutlich länger, als die »Via Alpina«-Internetseite angibt – sie billigt uns nur dreieinhalb Stunden und weitere vier Stunden zum Prinz-Luitpold-Haus zu. Es ist bereits nach Mittag, als wir den Gipfel des Gaishorns erreichen. Vor uns verläuft der Grenzkamm nach Süden. Weit entfernt erkennen wir darin den Hochvogel. An seinem Fuß liegt unser Tagesziel: das Prinz- Luitpold-Haus.

Ein Wegweiser bestätigt unsere Befürchtungen: Sechs bis acht Stunden Gehzeit liegen noch vor uns! Wir fangen an zu laufen, nein, rennen bergab, bergauf, querend. Unter uns liegt, geheimnisvoll im Dunst, der Schrecksee. Darüber umspielen Nebel die Gipfel – jetzt nur keine Panik! Wir müssen weiter, gehen, laufen, verschnaufen, laufen, ein Stück Schokolade, ein Schluck Wasser, nur weiter, weiter! Wir hetzen uns, nehmen die Schönheiten des Weges nur noch am Rande wahr, bis uns die Uhr zeigt: Wir werden es schaffen. Endlich haben wir wieder einen Blick für die urtümlich wilde und einsame Landschaft, die uns umgibt.  

Das Gelände wird schwieriger, Drahtseile helfen in schmierigem Schrofengelände und im steilen Kar hinauf in die Bockkarscharte. Dort sehen wir, schon ziemlich nahe, unter uns das Prinz-Luitpold-Haus: Was für ein beruhigender Anblick! Wenig später sitzen wir mit einem wohlverdienten Bier beim Abendessen und freuen uns über die gelungene Etappe.

Ein berühmter Höhenweg

Die Wanderung vom Nebelhorn zum Laufbacher Eck zählt zu den schönsten Höhenwegen der Allgäuer Alpen. Wir reihen uns in umgekehrter Richtung ein, um unsere »Via Alpina« in Oberstdorf zu beenden. Oberstdorf ist »Via Alpina«-Knotenpunkt, hier enden der »Violette Weg« und der »Gelbe Weg« während der »Rote Weg« nur Station macht auf seiner Route zum Mittelmeer.

Der heutige Tourentag ist nochmals ein Höhepunkt auf unserem langen Weg von Slowenien über Österreich nach Bayern, und eine Belohnung für den gestrigen Kraftakt. Über sanfte Almwiesen geht es Richtung Lauf bacher Eck. Darüber ragt der steile Kegel des Schneck in den Himmel – ganz so, als ob er unseren Aufstieg in die enge Scharte bewachen würde. Zuletzt bummeln wir auf dem gut angelegten Weg durch steile Wiesenhänge, in denen im Sommer eine üppige Flora blüht, zum Edmund-Probst-Haus. Dort gönnen wir uns zum Abschluss noch eine Portion Allgäuer Kässpatz’n, bevor wir mit der Seilbahn gemütlich hinunter nach Oberstdorf gondeln.

Auf der Via Alpina von Garmisch-Partenkirchen nach Oberstdorf

Charakter: Die einwöchige Durchquerung der Ammergauer und Allgäuer Alpen verläuft auf gut angelegten und markierten, zeitweise leichten Bergwegen. Überwiegend führt die Route jedoch durch anspruchsvolles, steiles, teils ausgesetztes Gelände. Einzelne Abschnitte sind drahtseilversichert, am Jubiläumsweg finden sich auch kurze, ungesicherte Felspassagen. Die Länge einzelner Etappen stellt erhöhte Anforderungen an Ausdauer und Kondition, vor allem der Jubiläumsweg erfordert mit zehn Stunden Gehzeit (ohne Pausen!) Kondition.
Übernachtung: Übernachtet wird abwechselnd auf Berghütten (Infos unter www.huettentouren.net) und in Talquartieren; in jedem Ort findet man zahlreiche Beherbergungsbetriebe, außer in Linderhof. Dort steht nur das Schlosshotel zur Verfügung, in dem Wanderer jedoch herzlich willkommen sind (www.schlosshotel-linderhof.de).
Anreise: Ausgangspunkt ist Garmisch-Partenkirchen, von München aus im Stundentakt mit der Deutschen Bahn erreichbar (www.bahn.de). Da die erste Etappe mit nahezu acht Stunden Gehzeit sehr lang ist, empfiehlt es sich, bereits in Garmisch- Partenkirchen zu übernachten: Tourismusverband Garmisch-Partenkirchen, www.gapa.de, www.fremdenverkehrsvereingarmisch-partenkirchen.de.
Rückreise: Endpunkt ist Oberstdorf, von dort regelmäßige Zugverbindungen nach München und nach Augsburg. Alternativ Übernachtung in Oberstdorf: Infos unter www.oberstdorf.de
Karten: Alpenvereinskarten 1:25 000 Bayerische Alpen BY 7 »Ammergebirge Ost«, BY 6 »Ammergebirge West«; Bayerisches Landesvermessungsamt 1:50 000 »Füssen und Umgebung« und »Allgäuer Alpen« Tourenführer: Evamaria Wecker »Die stillen Pfade der Via Alpina« Bruckmann 2011

Die Etappen im Einzelnen

  1. Von Garmisch-Partenkirchen über Pflegersee, Enningalm, Rotmoos, Elmauer Gries nach Linderhof, 7¾ Std.
  2. Von Linderhof durch das Sägertal und über den Bäckenalmsattel zur Kenzenhütte, 3¼ Std.
  3. Von der Kenzenhütte über Kenzensattel, Gabelschrofensattel, Niederen Straußbergsattel in die Bleckenau und nach Schloss Neuschwanstein. Über Hohenschwangau und Schwangau nach Füssen, 7½ Std.
  4. Von Füssen über Alatsee, Saloberalm, Zirmgrat, Ruine Falkenstein nach Pfronten- Steinach, 4¾ Std.
  5. Von Pfronten-Steinach über Hochalphütte, Aggenstein, Bad Kissinger Hütte nach Tannheim, 6¾ Std.
  6. Von Tannheim über Älpele, Gaishorn, Schrecksee, Bockkarscharte zum Prinz-Luitpold- Haus, 10 Std.
  7. Vom Prinz-Luitpold-Haus über das Laufbacher Eck zum Edmund-Probst-Haus. Mit der Nebelhornbahn nach Oberstdorf, 4½ Std., für den Abstieg vom Edmund- Probst-Haus nach Oberstdorf muss man weitere 2 Std. einplanen.
Via Alpina von Garmisch nach Oberstdorf

Auf der Via Alpina von Ruhpolding nach Garmisch-Partenkirchen
Fotos: 
Evamaria Wecker
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 06/2012. Jetzt abonnieren!
 
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