E5 Oberstdorf–Meran mal ganz anders | BERGSTEIGER Magazin
Weitwandern für Senioren

E5 Oberstdorf–Meran mal ganz anders

BERGSTEIGER-Leser Dieter Laube hat sich mit 64 Jahren den Traum "Oberstdorf–Meran für Senioren" oder "E5 mal anders" erfüllt. Hier berichtet er über seine Tour: Zwei Wochen bestes Wetter, 60 Stunden Einsamkeit inmitten alpiner Hotspots, sechs Gipfel, keine überfüllten Hütten und hohes Suchtpotential
 
Watze Ostgrat © Dieter Laube
Am Watze Ostgrat
E5 in der Hochsaison? Auf keinen Fall! Nichts gegen das bestens organisierte Trekking-Business, von dem mittlerweile Alpinschulen, Berg- und Wanderführer und so manche, am Weg liegende Hütte ganz gut leben; aber als ein in Lodenhosen in den Siebzigern bergtauglich gewordener Mittsechziger, wollte ich mit meinem Ritt ein paar der nie gemachten Gipfel mitnehmen und jedem Massentrubel aus dem Wege gehen.

Natürlich habe ich Verständnis für Leute, die mit wenig verfügbarer Zeit für Vorbereitung und Durchführung, den E5 in sieben Tagen geführt machen und dabei Aufstiegshilfen, Busse und Gepäcktransporte in Anspruch nehmen. Ich verfüge aber über das Kostbarste: Zeit! Veranschlagt sind drei Wochen und jede Menge Gipfel die an der Ideallinie nach Meran liegen.

Beim Rücksackpacken reißt mich die Realität aus den kühnen Träumen. Wenn ich Kletter- und Hochtouren nach alter Schule machen will, muss ich Helm, Gurt, spärliches Sicherungsmaterial und Steigeisen einpacken. Ok, 15 kg sind nach finaler, kritischer Durchsicht der besten Ehefrau von allen, das Ergebnis. Also heißt es, in den Wochen der Vorbereitung abnehmen. Das Ziel: fünf kg runter auf 85. Mehr als 100 kg sollten nicht auf Gletscherspaltenränder drücken. Leider macht mir die Spargelsaison mit dem damit zwingend verbundenen Grauburgunder- und Gutedelverbrauch schwer zu schaffen. Ich starte mit 88 kg.

1. Tag  Aufstieg Kemptner Hütte (1845m) - 3h

Die ersten Tage bis ins Inntal begleiten mich gute Freunde. Erstes Gipfelziel ist der Große Krottenkopf. Er zwingt uns, doch den E5 zur Kemptner Hütte zu nehmen. Das energische Transportverbot für Rucksäcke an der Materialseilbahn hinter Spielmannsau findet mein wohlwollendes Kopfnicken; alle sollen im Sperrbachtobel bei guten 30° schwitzen. Der Vorteil früher Juli-Tage ist das aus allen “Poren” der Berge schießende Wasser. Wir duschen gelegentlich regelrecht.

Die Blumenpracht in Hüttennähe macht dann den ersten Schinder schnell vergessen. Die Hütte ist blendend für den Massentourismus am Berg organisiert, die Mädels im Service schnell und sehr nett. Entäuscht sind wir dann, als die Rucksackmassen der organisierten E5er mit der Materialseilbahn eintreffen. So ist das also. Wer 7,50 € für ein karges Frühstück und 1,50 € für die 2.Tasse Kaffee nimmt, sollte sich nicht scheuen 5,00 € für den Gepäcktransport der Normalsterblichen zu nehmen.

2. Tag Großer Krottenkopf (2657m) – Bach – Madau (1310m) - 8h

Wir steigen früh über das Ober Mädelejoch und sind damit schlagartig allein und dem E5-Trubel entronnen. Steil geht es zur Krottenkopfscharte. Vorsicht verlangen vor allem die vielen schwarzen Alpensalamander, die sich auf den Bergpfaden tummeln und intensiv mit ihrer Fortpflanzung beschäftigt sind. Die letzten 250 Höhenmeter in der Südflanke verlangen leichte Kletterei. Die Gipfelschau bei bestem Wetter sucht auch in den nördlichen Kalkalpen ihresgleichen. Uns interessieren die nächsten Ziele und die Orientierung am Hauptkamm der Allgäuer. Die meisten Gipfel hat man irgendwann erstiegen, nur der Große Krottenkopf stand immer etwas abseits.   

Nach dem Abstieg aus der Scharte nimmt uns der Höhenweg 437 auf. Einfach Extra-klasse. In leichtem Auf und Ab geht es in drei Stunden durch herrliche, blumenübersäte Almwiesen nach Bach ins Lechtal. Der Blick sucht die langen Täler der Lechtaler nach Bekanntem und Neuem ab. Das Madautal bis zum Gasthaus Hermine zu wandern übersteigt nach acht Stunden unseren Ehrgeiz. Wir nehmen den Bus und haben bei den freundlichen Wirtsleuten Zeit für Weißbier und kleine Hemdenwäsche.

3. Tag Leiterjöchl (2516m) – Württemberger Haus (2220m) - 5h

Ein strahlender Sonnentag findet uns früh auf dem Weg durchs zunächst flache Röttal. Zum Leiterjöchl gewinnt man erst spät an Höhe. Wieder nutzen wir die vielen Bäche und Quellen zur Abkühlung. Die letzten 100 Höhenmeter Aufstieg sind gut versichert und da wir allein sind, besteht keine Steinschlaggefahr durch vorausgehende Partien. Der kurze Weg zum kleinen, gemütlichen Haus erfordert dann Orientierung, noch liegt viel Schnee. Warum heißt ausgerechnet dieses “Hüttchen” Haus – versteh´einer die Schwaben. Für den nächsten Tag haben sich 40 holländische Teenies mit ihren Lehrern angesagt. Na, das kann was werden. Wir werden erst einmal sehr gut versorgt und genießen die vermeintliche Intimität einer 4er “Bettenzelle”, vom Matrazenlager durch ein Sperrholzwändle getrennt.

4. Tag Abstieg nach Zams – Auffahrt Venet  4h

Der neue Tag bringt Regen und der Zeitplan der Freunde erlaubt kein Warten auf Besserung. So fällt die Leiterspitze aus und der von vielen gefürchtete Abstieg nach Zams nimmt uns auf. Wieder sind wir allein. Hinab zur Unterlochalm, wo, herrlich im Zirbenwald gelegen, der E5 von der Memminger Hütte einbiegt. Also doch wieder. Kein Problem, die Kollegen vom E5 schuften noch an der Seescharte. Der Weg durchs Zammerloch ist landschaftlich großartig; tolle Ausblicke in die Lochbachschlucht und bald wird der Blick auf Landeck und später Zams frei. Kurz vor Zams, am Beginn des Aufstiegs kommen sie uns entgegen. Die noch bestens gelaunten Tennies aus unserem Nachbarland. Sie werden wunderbar schlafen, heute Nacht.

Die Freunde verabschieden sich Richtung Bodensee. Ich nehme die Seilbahn zum Venet. Die Bezeichnungen meiner Kompasskarte sind nicht kompatibel mit der Beschilderung an der Seilbahnstation. Die Glanderspitze scheint es nicht zu geben. Statt dessen: Alles Venet! Ich vermute irgendein Marketingfuzzi hat im Zuge der winterlichen Vermarktung des kleinen Skigebietes und der neuen Gipfelhütte das gesamte Massiv zum Venet erklärt. Die Gipfelhütte ist eher ein Hotel, aber ohne Personal. Nur ein Koch im Seilbahnrestaurant gibt sein Bestes. Gnade uns Gott, wenn das die Zukunft sommeralpinen Hüttenlebens ist. Selbst Schuld, warum bist Du auch zu faul zur schönen Goglesalm oder zur Galflunhütte abzusteigen. 

5. Tag Glanderspitze (2512m) – Platz (1249m) - 9h

Natürlich finde ich noch vor dem Frühstück die Glanderspitze (2516m). Jedes Jahr nach dem Skiurlaub in Sulden nervte sie mich, vom Reschenpass kommend, mit ihrer riesigen Südflanke und meinem Wunsch, ihr mal aufs Haupt zu steigen. Nun bin ich oben und der Blick in die Lechtaler, auf Passeierspitze & Co, auf Hohen Riffler und auf den Kaunergrat und die nächsten Ziele ist großartig.

Im Abstieg zur Pillerhöhe passiere ich eine Kuhherde im Aufstieg, getrieben von einem energischen Hüteburschen. Jedes der Tiere reagiert auf mein “Entgegenkommen” anders. Die Viecher sind nicht blöd und zeigen Charakter. Also zeige ich Respekt, denn der Pfad ist sehr schmal. So flüchte ich, mehr als mir lieb ist, auf den oberen Wiesenrand.

Nach zwei Stunden Abstieg sorgt die Baustelle Naturparkhaus/Kaunergrat für Orientierungsprobleme. Ich will zur Aifneralm, finde schließlich den Weg und bedaure nach zwei weiteren Stunden Aufstieg, dass man dort nicht übernachten kann. Also Wiesenhof im hinteren Kaunertal oder doch gleich zur Verpeilhütte? Der Wiesenhof ist belegt und so entscheide ich mich für die schlechteste Alternative: Auf halben Weg zur Falkaunsalm nehme ich den Abstiegsweg nach Brauneben (eine Stunde). Von wegen. Der Weg verliert sich unmarkiert im steilen Bergwald. Schließlich lande ich auf einem Forstweg und steige in nicht enden wollenden Kehren, nach Kauns ab. Ein Taxi bringt mich zum Bikerhotel Weißseespitze.

6. Tag  Aufstieg Verpeilhütte (2025m) - 3h

Der Aufstieg zur traumhaft gelegenen Verpeilhütte ist steil, schattig und bringt rasch die geforderten Höhenmeter. Hinter der unbewirtschafteten Verpeilalm öffnet sich das Hochtal und ein mäßig steiler Weg durch Zirbenwald führt in einer guten halben Stunde zur Hütte.

Ich störe Agnes, die Hüttenwirtin bei ihrer täglichen Asia-Gymnastik im Eingang der kleinen Hüttenkapelle. Idylle pur, ein Mädelhaus in traumhaft romantischer Hochgebirgsumgebung. It should be part of “Thousand places to see before you die”. Und über der Hütte thront der Schwabenkopf (3350m). Schöner Gipfel, leicht, gerade für mich als geübten Badener.

Zwei Musikstudenten aus Innsbruck spielen Jazzgitarre, ich bin begeistert: Sie wissen alles über die Beatles. Später trudelt Peter mit seiner Harmonika aus den Dreißigerjahren ein. Meine Wildspitzpläne interessieren ihn. Schau´mer mal. Die letzten Hüttengäste kommen gegen 21:00 Uhr. Sie sind von Piller in 12 Stunden durchmarschiert. Also, auf der sogenannten E5 Variante fehlt eine Hütte, sonst wird das nichts.  

7. Tag  Madatschjoch (3030m) – Kaunergrathütte - 4h

Ein zweiter Bummeltag soll es werden. Die knapp vier Stunden zur Hütte vergehen wie im Fluge. Eigentlich hätte man einen der Hüttenberge Mooskopf oder Madatschkopf mitnehmen sollen, aber die Pläne für die nächsten Tage raten zu “aktiver Erholung”. Das Madatschtal mit seinen Türmen und dem steilen, neu versicherten Jochaufstieg bietet einen letzten Blick auf die Berge und Täler der vergangener Tage. Für den Weg zur Hütte sollte zumindest der Steinschlaghelm empfohlen werden. Über dem kurzen Klettersteig liegt jede Menge Gebrösel, bei viel Betrieb ein echtes Risiko.

Auf den letzten Metern zur Hütte nimmt sie einen dann komplett gefangen: Die Watze. 750 Höhenmeter Fels, harmonische Linien, ein Prachtberg. Warum habe ich so lange gewartet? Den kauzig strengen Hüttenwirt vergangener Dekaden macht schon lange die liebenswerte Familie Dobler vergessen. Die Chefin Julia, jüngste Hüttenwirtin Österreichs, erwartet Nachwuchs und wurde von ihrem Bruder glänzend vertreten. Die Watze macht man nicht allein. Alfi, der mir vermittelte Bergführer, kommt spät, aber es reicht zum Kennenlernen. Der Senior verspricht für 05:00 Uhr ein frühes Frühstück.

8. Tag  Watze (3527m) – Plangeross (1612m) - 10h

Wie immer vor großen Bergtouren: schlafloses Wachliegen, Selbstzweifel, ein bisschen Angst – Dopamin fehlt. Am Morgen – alles gut. Alfi taut nach der ersten Tasse Kaffee auf. Drei 2er Seilschaften verlassen um 5:45h Uhr die Hütte. Ich wundere mich über das viele Eisen mit dem sich die Anderen behängt haben. Die Route ist durchgehend mit Bohrhaken versehen und hat neben ein paar 3er Stellen eine 4- im unteren Wandteil. Wir wählen mit Steigeisen den alten Einstieg und kommen gut voran.

Aha – leichter Rucksack fünf statt 15 kg. Etwas Zug von Alfi und ich habe die Schlüsselstelle durch Nutzung der angebrachten Seilenden schnell überwunden. In knapp drei Stunden stehen wir am Gipfelkreuz. Ein Tag wie gemalt. Bernina, Ortler, Adamello, die kompletten Ötztaler, Dolomiten… wo soll ich nur hinschauen. Wir steigen am Grat wieder ab, denn am alten Eisweg donnert in Abständen der Steinschlag. Abseilmanöver erleichtern mir den Abstieg. Am Grat selbst, bombenfester Gneis. Das Balancieren muß wieder gelernt werden. Nach insgesamt siebeneinhalb Stunden sitzen wir vor der Hütte. Ich beim Weißbier, Alfi bei Colaweizen.

Wir verabreden uns für die Wildspitze, aber aus dem Pitztal nach Vent. Für ihn vielleicht eine neue App und für ambitionierte E5er eine zukünftige Option. Du mußt halt die Kiepe auf mindestens 3500 Meter schleppen und deshalb auch das ganze Gerödel dabeihaben. Den zweieinhalbstündigen Abstieg nach Plangeross genieße ich besonders. Das sind sie: Die Bergtage nach denen die im Winter darbende Bergsteigerseele lechzt.

Im gegenüberliegenden Geigenkamm kommt die Neue Chemnitzer Hütte ins Blickfeld. Am Geigenkamm, Hohe Geige, Puit- und Wassetalkogel mit dem nicht sichtbaren Mainzer Höhenweg. Erinnerungen - den wollte ich eigentlich morgen nach vielen Jahren nochmals machen, jetzt bin ich froh das Alfi die One-Way-Tour über die Wildspitze mitmacht und verordne mir deshalb einen Ruhetag.

9. Tag Aktivruhe am Taschachhaus - 4h

Ich verbringe meinen Rucksack in die Gletscherstube (1915m), gelegen 20 Minuten hinter Mittelberg, gehe zurück und biege an der Talstation des Pitzaler Stollenexpresses in den Weg zum Taschachhaus ein. Es war vor 35 Jahren, als ich dort einen Alpingrundkurs gemacht habe. Der Taschachferner, Ötztaler Urkund und das Hüttengelände waren die Ausbildungsorte. Eine Überschreitung der Wildspitze der Höhepunkt.

Jetzt, an einem Dienstag im Hochsommer 2015 bin ich nahezu allein. Bildtafeln erklären den Gletscherschwund. Aus dem damals zehnminütigen Abstieg vom Haus zum Gletscher sind 45 Minuten geworden. Die stolze Taschacheiswand gleicht einer Schuttreise mit Schneeeinlagerungen. Enorme Wassermassen verlassen das Gletschertor. Wie lange noch?

Im Abstieg bietet sich auf der Taschachalm ein aufregendes Schauspiel: Pferde unterschiedlicher Rassen, darunter natürlich Haflinger, Kühe und eine Eselfamilie streiten um die besten Plätze an Salzwürfeln. Alpine Serengeti – denke ich – fehlen nur die Raubtiere.
Für müde E5er, die abends keine Lust mehr auf den Aufstieg zur Braunschweiger Hütte haben, ist die kleine Gletscherstube mit ihren 20 Betten eine hübsche Alternative; warme Dusche inklusive. Für den Hüttenabend sollte man sich allerdings nach dem “Final Call” gegen 19:30 Uhr noch den Schlummertrunk bestellen, das Personal fährt danach ab ins Tal.  

10. Tag Wildspitze (3770m) – Rofenhöfe (2071m) - 8h

Alfi erscheint pünktlich, gefühlte 20 Sekunden vor Abfahrt im Pitztal-Gletscherexpress. Wir landen nach wenigen Minuten kurz vor 09:00 Uhr auf 2740 Metern. Natürlich wird an dieser Bergstation im Sommer gebaut. Gott lob machen die Berge hier bei 3400Metern Schluss! Aber ich habe schon Schlimmeres gesehen. Dem einst so stolzen Mittelbergferner wurden seine Seitenarme amputiert und so stolpern wir erst eine halbe Stunde auf Schutt dem Mittelbergjoch entgegen. Im schon weichen Schnee kommen wir danach gut voran, 120 Höhenmeter Abstieg vom Mittelbergjoch auf den Taschachferner sind schnell erledigt und auch der milde Aufstieg über Brochkogeljoch und aufs Plateau unter dem Gipfel sind gut zu machen.

Den Brochkogel sollte man in Bruchkogel umtaufen, er schickt beständig Steinsalven über seine Südostwand. Ja, damals vor 35 Jahren standen wir noch am Fuß seiner makellosen Eiswand. Wir bewunderten mehrere Seilschaften und hegten die stille Hoffnung,  das auch bald zu können. Immerhin begegnen uns heute einige Seilschaften auf dem Wildspitze Normalweg. Ich dachte schon, meine Spezie, der klassische Bergsteiger oder “Hochtourist”, sei ausgestorben. Der Schlussanstieg zum Gipfel verläuft, von 20 Metern abgesehen, nur noch im Fels. Die zu Recht gerühmte Gipfelschau bietet wieder das Optimum und die Narben der Skigebiete sind kaum sichtbar.

Runter geht es steil über das Mitterkarjoch und den zum Schneefeld abgeschmolzenen Mitterkarferner. Am Seil des Bergführers ein leichtes Unterfangen. Bei Vereisung allerdings heikel, daran ändern die vor einigen Jahren angebrachter Drahtseilsicherungen nichts. Alfi macht Dampf. 40 Minuten hinter der Breslauer Hütte wartet um 17:00 Uhr der letzte Lift nach Vent. Von dort muß er noch zurück ins Pitztal. Also Zwieselstein – Sölden – Rettenbach, Pitztaler Jöchl und heim zu Frau und Kind in der Gletscherstube. Ich bummle weißbierselig zu den Rofenhöfen und übernachte “de lux” bei der Geierwalli.

11. Tag  Ramoljoch (3189m) – Hochwildehaus (2866m) - 8 h

Mensch hast Du Schwein, das Wetter ist unverändert schön und so wird mir Alfi morgen den Übergang nach Südtirol ermöglichen. Nein, nicht übers E5 Timmelsjoch, sondern über beide Hochwildegipfel ins Pfossental. Also los. Wieder mal in völliger Einsamkeit, erst steil von Vent zur Ramolalm und übers gleichnamige Joch zum Ramolhaus (3006m).

Meine Zugehörigkeit zur Sektion Hamburg juckt hier oben Niemanden und da sich auch keine Heimatgefühle einstellen wollen, erfreut das Auge der Blick zum nahen Tagesziel Hochwildehaus. Oh du König des Selbstbetruges. Denn jetzt geht es erst 450 Höhenmeter runter ins abgeschmolzene Gletscherbecken des Gurgler Ferner, dann über die Gurgler Ache und in der Seitenmoräne 350 Höhennmeter hoch zum Hochwildehaus. Wieder acht Stunden Gehzeit. Die Hütte ist urig und wird vom Georg gut geführt und bekocht. Alfi schafft es bis 20:00 Uhr wieder aus dem Pitztal und nach vollem Arbeitstag als Bergführer. Respekt. Wir verabreden 5:00 Uhr Frühstück.

12. Tag Hochwilde (3480m) – Eishof Pfossental (2076m) - 7 h

Du entfernst dich vom Hochwildehaus und stehst in einer fast arktischen Landschaft. Dabei ist der Süden so nah. Wir haben auf dem flachen Gletscher, den Annakogel umgehend, rasch die Felsen zum Nordgipfel erreicht. Wieder allein. Ich könnte singen.
Am Nordgipfel der Hochwilde sind plötzlich die Dolomiten ganz nah und die mir bis dato gänzlich unbekannte Texelgruppe. Routinemäßig würge ich an einem Powerriegel, dem letzten der Tour.

Ohne Steigeisen geht es luftig in weniger als einer Stunde zum Hauptgipfel. Dort begrüßt uns doch tatsächlich eine sehr aparte Rothaarige in einer Art Hotpants. Sie kam auf dem neuen Normalweg von der Stettiner Hütte; den nehmen wir als Abstiegsweg. Es ist erst 11:00 Uhr als wir an der Hütte ankommen und so gönnen wir uns noch eine Stunde bei einem Bier. Alfi erzählt vom Kaukasus und ich weiß wovon er redet. Er muß nun nach Pfelders zum Bus. Es waren drei tolle Bergtage mit ihm, lustig, anstrengend aber stressfrei.

Hätte ich gewußt, dass es auf der Stettiner Hütte nach der Zerstörung 2014 durch eine Lawine doch Lager gibt, hätte ich im Eishof nicht reserviert und wäre am nächsten Tag übers Johannisjöchl zur Lodnerhütte. So steige ich übers nahe Eisjöchl ins malerische Pfossental. Wieder so ein Hochtal zum Verlieben. Es ist Samstag und die Eishof Alm ist voller Leben. Kindergetobe, Babygeschrei, mehrere Generationen Schaffler und Gufler bewirtschaften die Alm und versorgen natürlich auch ihre Gäste. Nun kippt völlig überraschend meine Moral. Keine Lust 900 Meter hoch zum noch schneebedeckten Johannisjöchl aufzusteigen. Ich werde morgen stattdessen ins Schnalstal absteigen und den Rest bis Meran mit dem Bus fahren. Ende der Durchsage.

13. Eishof – Pirchhof (1446m) - 6 h

Der neue Tag vertreibt mal wieder alle Gespenster. “Das kannst du nicht bringen. Jetzt mit dem Bus nach Meran.“ Und so erwische ich wohl eine der schönsten Etappen des Meraner Höhenweges. Mein Handy meldet 38° C in Meran. So fällt es gar nicht schwer oben zu bleiben. Der Weg über Katharinaberg ist ein Traum. Ich scheine ihn nur in der falschen Richtung zu begehen. Der Gegenverkehr nimmt gegen Mittag zu.

Messners Juval und das Ende des Schnalstals rücken ins Blickfeld. Der Vinschgau, mein Vinschgau denke ich ganz emotional, ist erreicht. Schwitzend nimmt mich ein weiteres gastronomisches Schmanckerl, der Pirchhof von Familie Müller, ganz herzlich auf. Duschen, Füße mit dem phytopharmazeutischem Wundermittel meiner Apothekerfreunde einreiben und dann ein Abend vom Feinsten auf der Terasse. Naturns liegt fast 1000 Meter unter uns. Hasenöhrl und Chevedale über der Talfurche, nur die Apfelmonokulturen stören etwas.

14. Tag Pirchhof – Lodnerhütte (2259m) - 5 h

Reumütig kehre ich mit dem neuen Tag zu meinem alten Ziel Lodner Hütte zurück. Aber zunächst überrascht der Pirchhof mit dem besten Frühstück der gesamten Tour. Der Tag verspricht wieder sehr heiß zu werden und so nehme ich die von den Gästen der letzten Nacht in düsteren Farben geschilderten 1000 Meter Treppen in Angriff. Am Ende sind es zweimal 100 Höhenmeter, also nichts.

Auf dem Weg ab Nassereith bin ich wieder allein. Die Zielalm wirbt mit Dusche und Zimmer für kleines Geld. Nein, es bleibt bei einem Colaweizen. Der Nachmittag auf der Lodnerhütte verläuft dann ganz kurzweilig, dank Olaf und Britta. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen verteilt der Hüttenwirt die wenigen Gäste so auf seine Zimmer und Lager, daß jede Partie für sich ist. Großartig, sage ich ihm beim guten Abendessen.

15. Tag Tschigat (2998m) – Spronser Seen – Hochmuth – Meran - 8 h

Das nahezu durchgehend schöne Wetter verhindert Ruhetage. Man kann sich doch bei dem Wetter nicht faul auf der Hütte rumdrücken und aus lauter Verzweiflung ein Weißbier nach dem anderen zum Klo bringen. Ruhetage sind erfahrungsgemäß die teuersten.
Also findet mich mein letzter Tag erneut völlig allein auf dem Weg zum Halsljoch. Die Anderen nehmen den Franz-Huber-Steig zum Hochganghaus. Bei Aufstieg zum Tschigat drückt der Rucksack und ich brauche länger als gedacht eine Studne für 180 Höhenmeter. Vergiss das Leistungsdenken und genieße. Die Gipfelschau hält, was die Lage des Berges nach Karte verspricht. Jetzt sind es 2500 Meter runter nach Algund. Der Abstieg Richtung Milchsee über das Klettersteigle ist rasch erledigt und das Wandern entlang der Spronser Seen Genuss pur. Nudelsuppe und Hauswurst beim Oberkaser und weiter geht es über den heute stark frequentierten Panoramaweg Richtung Hochmuth. Man spürt die Seilbahnnähe. Ich bin schon 1700 Meter abgestiegen heute. Also Abfahrt mit der Bergbahn und rein in den Bus nach Dorf Tirol und Meran. Der Purist rümpft die Nase.
 
Ich bin dankbar: Zwei Wochen dieses Wetter, 60 Stunden Einsamkeit inmitten alpiner Hotspots, sechs Gipfel (die ich schon immer machen wollte), 14000 Meter im Aufstieg, 15500 im Abstieg. Keine überfüllten Hütten, keine Blasen, vier Kilo weniger. Hohes Suchtpotential!
 
Von Dieter Laube
Fotos: 
Dieter Laube
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