Einsame Herbstwanderung in den Dolomiten
Latemar-Durchquerung

Einsame Herbstwanderung in den Dolomiten

Er steht buchstäblich im Schatten des berühmten Rosengartens jenseits des Karerpasses: Der Latemar zählt zu den wirklich einsamen Dolomitengruppen. Vor allem im Herbst hält die Durchquerung des Latemargebirges so einige Höhenpunkte bereit.
 
Latemar © Adobe Stock/OE993
Der Latemar zählt zu den wirklich einsamen Dolomitengruppen.
Hüttenwirt Antonio Gabrielli blinzelt in den Himmel. "Es wird Schnee geben", sagt er. Was kümmert’s uns? Wir lehnen an der sonnenwarmen Wand des kleinen Rifugio Torre di Pisa und haben einen der besten Logenplätze im Latemar ganz für uns alleine. Früh am Morgen sind wir am Karerpass gestartet. Die ersten Sonnenstrahlen beleuchten die filigranen Kunstwerke der Spinnennetze und verwandeln den Waldboden in dampfende Fumarolen.

Dann sind wir mitten drin im Halbrund des Felsgebirges. Still ist es hier oben, keine Menschenseele unterwegs. Nur ein paar Bergdohlen reißen frech und laut ihren gelben Schnabel auf und wollen sich Winterspeck anfressen. Die Kare und Gipfel des Latemar wirken an diesen ersten Oktobertagen wie blank poliert. Die flach stehende Sonne setzt die Felsarchitektur mit ihren Türmen, Zacken und Nadeln mit Schatten-Licht-Spielen wirkungsvoll in Szene.

Latemar Torre di Pisa
Der Weg zum Rifugio Torre di Pisa. Foto: Adobe Stock/Patrik Unterhauser

Wir turnen auf der Sonnenseite der Hufeisenform über das brüchige Gestein, fast auf Augenhöhe mit den höchsten Latemargipfeln, und erleben schweißgebadet noch einmal Sommergefühle. Die Kulisse passt: Unter uns breitet sich ein Stück Sahara aus – die graue geröllübersäte Felswüste des Valsorda-Kessels. In nur einem Tag haben wir das kleine Gebirge durchquert und sind nun das einzige Publikum für das Farbspektakel des Sonnenuntergangs.

Als wollte die Natur vor ihrem Winterschlaf noch einmal alle Register ziehen, fällt er besonders prächtig aus. Wieder über dem Brenner, ein paar sonnendurchflutete Herbst-Bergtage im Gepäck, hören wir vom Wintereinbruch in den Südalpen; der Hüttenwirt Antonio Gabrielli wird wohl bereits auf dem Weg ins Tal sein…

Torri di Pisa
Der Torri de Pisa steht genauso schief wie sein berühmter Namensvetter. Foto: Adobe Stock/fotofred8848


Die Latemar-Durchquerung im Überblick:

  • Schwierigkeiten: Ab der Kleinen Latemarscharte Geröll und Felsgelände, stellenweise etwas ausgesetzte Felsbänder. Ausdauer, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erforderlich. Nur bei sicherem Wetter. Campanili- Klettersteig für Geübte ohne große Schwierigkeiten (einige Stellen I und Gehgelände).
  • Charakter: Ausgedehnte, landschaftlich großartige Tour auf teils etwas ausgesetzten Steigen in Geröll- und Felsgelände, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erforderlich
  • Wegverlauf: Karerpass – Vallace-Alm – Kleine Latemarscharte – Östliche Latemarspitze (2791 m) – Große Latemarscharte – Campanili-Klettersteig – Rif. Torre di Pisa – Obereggen
  • Ausgangspunkt: Karerpass (1745 m), am besten in Birchabruck im Eggental parken, mit Bus zum Karerpass, Rückkehr vom Endpunkt Obereggen ebenfalls mit Bus.
  • Gehzeiten: 1. Tag: 6:30 Std. (mit Klettersteig :15 Std.), 2. Tag: 3:15 Std.
  • Hütte: Rifugio Torre di Pisa (2671 m), www.rifugiotorredipisa.it
  • Karte: Kompass-Wanderkarte 1:50 000, Blatt 54 "Bozen – Bolzano"

Routenverlauf der Latemar-Durchquerung:

Latemar-Durchquerung
Übersichtskarte Latemar-Durchquerung
1. Tag: Am Karerpass geht man gegenüber dem Hotel Savoy am Restaurant Antermont vorbei und folgt dem Wegweiser "Latemarscharte, Baita Vallace" (Mark. 517) nach links. Bei einer Verzweigung bleibt man geradeaus auf dem Forstweg, überquert in einem Linksbogen den Bach und steigt durch Wald zur kleinen Vallace-Alm (1983 m) hinauf.

Rechts (Schild "Kleine Scharte") windet sich ein Pfad steil bis unter die Felsen der Poppekanzel und leitet über die Hänge eines einsamen Hochtals bergauf.

Nach einer felsigen Rampe geht es rechts noch einmal steil zur Kleinen Latemarscharte (2526 m) hinauf. Nun mit Markierung 18 kurz nach Süden, anschließend nach rechts in die schrofige Südseite des Col Cornon. Über einige felsige Rinnen und kurze Felsabsätze erreicht man einen Sattel und steigt über den Geröllrücken der Östlichen Latemarspitze zum höchsten Punkt (2791 m) hinauf.

Der Abstieg in die Große Latemarscharte erfolgt über die schrofige Südwestflanke. In der Scharte, beim Biwak E. Rigatti, beginnt der Campanili-Klettersteig, der eine Etage über dem Wanderweg durch die Südseite der Latemartürme führt.

Bei der Rotlahnscharte treffen beide Routen wieder zusammen. Wer auf die Klettersteig-Einlage verzichtet, quert unterhalb des Biwaks eine felsige Rinne und folgt anschließend den Geröll und Felsbändern, die durch die Südost- und Südflanke der Latemartürme ziehen.

Über Schuttfelder gelangt man in den Oberen Valsordakessel. Dort wendet sich der Steig nach Süden und verläuft ohne größere Steigung über die Hochfläche (Mark. 516). An Abzweigungen hält man sich geradeaus und steigt unterhalb der Cima Valsorda zu einer kleinen Scharte und über einen felsigen Kamm zum Rifugio Torre di Pisa hinauf.

2. Tag: Von der Hütte geht es über den steilen Südhang zu einem Sattel mit einer Verzweigung hinab. Dort links weiter bergab zu einer grasigen Schulter, wo Weg Nr. 22 rechts abzweigt. Ihm folgt man nun leicht fallend über die gesamte Westseite des Latemars und passiert die Abzweigung zur Sessellift-Bergstation Oberholz (Talfahrt nach Obereggen möglich).

Der Steig führt weiter nach Norden, quert über Blockgelände das untere Erzlahnkar und leitet durch ein bewaldetes Hochtal zu einem breiten Waldweg hinunter. Auf ihm wandert man rechts Richtung »Karerpass«, orientiert sich dann an den Wegweisern Richtung Obereggen und folgt ihnen westlich zur Hotelsiedlung hinab; dort links zur Bushaltestelle.


 
von Franziska Baumann
 
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