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29.11.2017

Highline-Begehung auf 5720 Meter Höhe

Der Freisinger Slackline-Profi Lukas Irmler hat zusammen mit seine Begleitern Mariano Breccia und Julver Eguiluz am 22. Oktober 2017 in Peru die höchste Highline der Welt gespannt. Mit einer ungefähren Höhe von 5720 Meter ist diese Highline geringfügig höher als der bisherige Rekord von Stephan Siegrist, der im Juli 2016 eine Highline am Kilimandscharo auf 5700 Metern begangen hat. Aber während Siegrists Line nur gut 21 Meter lang und etwa 150 Meter über dem Abgrund gespannt war, versuchte sich Irmler an einer 430 Meter langen Highline quer durch den Krater des noch aktiven Vulkans Misti. Irmler gelang es, darauf 200 Meter zurückzulegen, bevor er aufgrund des Zustandes der Line und der fortgeschrittenen Zeit umkehren musste, um eine sichere Rückkehr zu ermöglichen.

 
 
 
Lukas Irmler auf der Highline am 5720 Meter hohen Vulkankrater in Peru
"Die 430 Meter lange Highline am Krater des Misti war nicht als Rekordversuch geplant, sondern wurde von uns aufgrund ihrer Schönheit und der Schwierigkeit, eine so lange Highline in extremer Höhe zu realisieren, ins Auge gefasst", sagt Irmler. "Ein solches Projekt bedarf vieler helfender Hände, denn alleine das Slackline-Equipment, welches ich aus Deutschland mitgebracht hatte, wog 100 Kilo. Dazu kamen noch die Anker-Materialien, welche wir erst in Peru kauften, sowie das reguläre Expeditions-Gepäck. Nach einiger Vorbereitung in Arequipa ging es direkt in das Basecamp des Misti auf ca. 3700 Meter. Nach dem ersten Tag und der ersten Nacht fühlte ich mich sehr gut und höchst motiviert. Wir brachten das erste Material hinauf ins Höhenlager auf ca. 4800 Meter und kehrten ins Basislager zurück, um dort zu übernachten. Bei der Rückkehr ins Camp merkte ich jedoch, dass ich mich etwas übernommen hatte. Ich war zu schnell gegangen, hatte die Höhe unterschätzt. Den nächsten Tag verbrachte ich deshalb im Basislager und versuchte, meinen Magen wieder in den Griff zu bekommen", erzählt Irmler. Er war bereits 2013 in Peru und stellte dort einen Highline-Weltrekord auf, kämpfte aber auch da mit Magenproblemen, Übelkeit und Erbrechen.

Kampf mit der Höhe
"Nach meinem Ruhetag im Basislager ging es mir besser, aber ich hatte auch begriffen, dass der Misti bei weitem nicht so freundlich ist, wie es aus der Ferne den Anschein hat. Es ist ein Wüstenklima, bei dem es tagsüber selbst auf fast viertausend Meter noch über 22°C haben kann und die Temperaturen nachts bis auf -20°C abfallen. Tagsüber hält man es im Zelt fast nicht aus. Es gibt aber außerhalb keinen Schutz vor der Sonne und ab mittags fegen teils heftige Winde über die Bergflanke, die sich zu Sandstürmen und kleinen Tornados auswachsen können."

Am nächsten Tag dann der finale Aufstieg ins Höhenlager, um dort ein paar Stunden zu rasten, bevor das Team mitten in der mondlosen Nacht bei eisiger Kälte zum Gipfel aufbrach. "Da der Misti hauptsächlich aus vulkanischer Asche, Sand und Kies besteht, ist zwar die technische Schwierigkeit einer Besteigung äußerst gering, aber dafür muss man in weiten Bögen und Zickzack-Linien über die gesamte Flanke aufsteigen. Für einen direkten Anstieg ist das Gelände viel zu steil und der Untergrund zu nachgiebig." Um acht Uhr morgens erreichte das Team den Gipfel und starteten den Abstieg zum Krater. "Obwohl der Krater zum greifen Nahe schien, dauerte der Abstieg über eine extrem steile Rinne und der weitere Anstieg zum Kraterrand nochmals fast zwei Stunden. Alles, was einem normalerweise wie eine Selbstverständlichkeit vorkommt, wird auf 5700 Meter Höhe zu einer Herausforderung", erzählt Irmler, der den ganzen Aufstieg erneut mit Magenproblemen zu kämpfen hatte. Der Aufbau der 430 Meter langen Slackline wurde in der Höhe zur Tortur. "Selbst das finale Spannen der Line, welches heutzutage einfach und schnell funktioniert, war dort oben so anstrengend, dass wir mehrere Pausen brauchten. Kurz vor Mittag waren wir mit den Aufbau fertig. Ich hatte seit über zwölf Stunden keine längere Pause eingelegt und auch jetzt war leider keine Zeit für eine Erholung, da wir bereits in wenigen Stunden wieder abbauen mussten, um es auch wieder heil hinunter ins Höhenlager zu schaffen.

Adrenalinrausch und völlige Erschöpfung
"Die Sonne war in der Zwischenzeit wieder zu Höchstleistungen aufgelaufen und vom Boden des Kraters stiegen übel riechende Schwefelwolken empor. Ich war ausgelaugt und musste mich nach der Beendigung des Aufbaus erst einmal übergeben. Ehrlicherweise wollte ich in diesem Moment vieles, nur nicht auf eine über 400 Meter lange Slackline steigen. Der Wind war zum Glück zumindest im Krater nicht sehr stark und so war es an der Zeit, mich einzubinden und zu sehen, was diese Line für mich bereit hielt. Ein sehr ähnliches Gefühl wie das beim Erreichen des Gipfels stellte sich ein, als ich zum ersten Mal auf der Highline aufstand. Alle Schmerzen und Übelkeit sowie Erschöpfung waren wie weggeblasen. Ich fühlte mich klar und fokussiert. Doch bereits nach weniger als 50 Metern begann ich die dünne Luft auch auf der Highline zu spüren. Meine Arme, besonders die Schultern, schmerzten bereits nach wenigen Schritten. Meine Knie waren weich und mein Atem ging unnatürlich schnell und heftig. Gelegentlich blies der Wind den Schwefeldampf heran. Ich musste husten und das Gas begann in meinen Augen zu brennen. All das nahm ich dennoch nur am Rande meines Bewusstseins wahr. Die einzige Frage, die ich mir bei jedem Schritt stellte war, wie weit ich wohl gehen dürfte, um immer noch genügend Kraft zu haben, zum Rand des Kraters zurückzukehren. Mir war klar, dass das Adrenalin und meine Erregung alle Anstrengung und Erschöpfung verdrängten. Sobald dieser durch meine körpereigenen Drogen gepuschte Zustand abflaute, würde ich zusammenbrechen. Wie viel konnte ich also meinem Körper noch abverlangen, so dass genügend Reserven blieben für eine Rückkehr? Die Entscheidung wurde mir abgenommen, als ich etwa bei der Hälfte der Line plötzlich stürzte. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass die Line und das Sicherungsband viele Male umeinander verdreht waren. Das ging die komplette zweite Hälfte der Line so weiter und machte ein kontrolliertes Laufen unmöglich. Ich musste umdrehen und ich wusste auch, dass das die richtige Entscheidung war. Mit letzter Kraft schaffte ich es zurück an den Kraterrand und von der Line hinunter."

Lukas Irmler und seine Begleiter schafften es gesund hinunter, mussten aber das zweite geplante Ziel der Expedition, eine 6000 Meter hohe Highline am Chachani, aufgrund der Erschöpfung des Teams und der begrenzten Zeit der Expedition aufgegeben.
 
Petra Rapp