Das Große Draußen - Himlung Himal im Monsun 2016 (Teil 2) | BERGSTEIGER Magazin

Das Große Draußen - Himlung Himal im Monsun 2016 (Teil 2)

Hier geht es weiter mit Teil zwei von Matthias Janßens Tour und was den Bergsteigern auf dieser Route ein paar Wochen später passierte.
 
© Matthias Janßen

Der Monsun fordert seinen Tribut

Am Morgen denke ich: „Ich bewege mich jetzt nur noch zum Auto, klettere hinein und vor unserem Hotel in Besisahar wieder heraus – mehr nicht.“ Als der Bolero-Jeep eines örtlichen Transportunternehmens in Koto abfährt, ist es schon merkwürdig drückend heiß. Die umliegenden Gipfel verschwinden mehr und mehr in den Wolken.

Die vogelwilde Autofahrt bietet erst einmal genug. Zwischenfälle: zunächst ein Reifenwechsel. Wenig später will dann unser Fahrer einem entgegenkommenden Fahrzeug ein wenig ausweichen. Er gibt dabei aber etwas zu viel Gas und das linke Vorderrad kommt auf den letzten Zentimetern vor dem Abgrund, d.h. der Schlucht des Marshyangdi-Flusses, zum Stehen, auf rutschigem Gras. Im selben Augenblick sind wir aus dem Jeep raus. Bevor wir Gefahr und Ernst dieser Situation richtig realisieren, haben wir den Wagen schon wieder auf die Straße zurückgeschoben (beim zweiten Versuch bemerkt auch der Fahrer, dass das im Rückwärtsgang einfacher und sicherer geht) und setzen die Fahrt fort.

Durchschnittliche Besatzung des robusten Boleros während unserer Fahrt: vier Personen vorne, vier auf der Rückbank, vier auf der Ladefläche. Nach der Mittagspause ist nicht mehr zu übersehen, dass schwere Gewitter im Osten aufziehen, genau dort, wo unsere Fahrt hinführt. Am frühen Nachmittag sind wir dann mittendrin im Unwetter. Die Regenfälle sind auch für Monsunverhältnisse stark. Die Wasserläufe, die sich über die Straße ergießen, werden von mal zu mal tiefer.

Irgendwann kommen uns dann Fahrzeuge, die uns eben noch überholt haben, wieder entgegen. Wir halten an und erfahren, dass Erdrutsche die Straße blockieren und kein Wagen mehr durchkommt. Einen Toten soll es bereits gegeben haben. Wir müssen zu Fuß weitergehen. Es regnet in tropischen Dimensionen, aber es ist nicht mehr warm. Also eine Jacke anziehen. Wir nehmen unsere Rucksäcke und marschieren los, die Straße entlang. Als wir um die nächste Kurve biegen, sehen wir das ganze Ausmaß der Schäden. Auf der Straße liegen Schlamm, Felsbrocken, Geröll und entwurzelte Bäume. Immer wieder suchen sich Bäche ihren Weg vom Hang rechts über die Straße hinab in die Schlucht links von uns.

Regen, Regen, Regen. Chandra telefoniert, um einerseits Naris zu erreichen, andererseits unseren Verbindungsoffizier, um diesen darüber zu informieren, dass gerade ein unvorhergesehenes Ereignis eingetreten ist. Ich taste mich unwillkürlich nach Blutegeln ab. Feuerzeug und Salzgefäß sind natürlich irgendwo weit unten in einem Gepäckstück. In meiner Hosentasche sind diese Monsungeräte natürlich jetzt gerade nicht. Viele Menschen kommen uns entgegen oder überholen uns. Nach Wildnis, Abenteuer und dem großen Draußen sehen nur wir vier aus. Richtig stilvoll dagegen Kinder in Schuluniformen und Frauen in eleganten Saris, über Schweiß, Schmutz und Blutegel erhaben.

Nach etwa einer Stunde des Gehens bzw. gelegentlichen Laufens, um besonders gefährliche Abschnitte zügig zu passieren, frage ich Chandra, wo wir eigentlich übernachten würden. Ich versuche so die Frage „Wie lange noch?“ möglichst geschickt zu vermeiden. Er deutet auf einige Häuser auf einem Hügelkamm in nur geringer Entfernung. „Da liegt Besisahar. Naris wäre eigentlich mit dem Auto der Agentur schon hier, aber er ist irgendwo hier in der Nähe im Schlamm steckengeblieben.“  Wir folgen einem kleinen Pfad, der von der Straße abzweigt, nach Besisahar hinauf und sind nach einer halben Stunde bereits an einem Hotel angelangt, wo wir die Nacht verbringen. Ich kann keinen Blutegel an mir finden.

Zurück auf der Straße nach Kathmandu

Wir beziehen unsere Zimmer. Ich verteile meine Sachen zum Trocknen im Raum und gehe nach einer Dusche in den Gastraum zu meiner Crew. Dort sitzt auch Naris, dem es in der Zwischenzeit gelungen ist, den Wagen wieder freizubekommen. Wir trinken Everest-Bier. Chandra deutet auf das Etikett, das seinen Freund Nima Gombhu Sherpa zeigt, einen 19-fachen Everestbesteiger. Einige Tage später trinken wir zusammen mit diesem Tee in seinem Outdoor-Geschäft in Kathmandu. Dort haben wir unsere Daunenbekleidung ausgeliehen.

In Kathmandu, wo wir am 25.8. eintreffen, trennen sich unsere Wege. Kumar sucht eine Freundin auf, eine der 231. Chandra wird ein wenig Zeit mit seiner Familie verbringen, um einige Wochen später zusammen mit Kumar eine andere kleine Expedition aus Deutschland zum Himlung zu führen. Santosh, dessen organisatorische Fähigkeiten genauso gefragt sind wie seine Kochkünste, wird für seine Trekking-Agentur eine Gruppe indischer Pilger zum Kailash begleiten und bekochen, unterstützt von zwölf Küchenhelfern. Von etwa 200 Pilgern ist die Rede. Santosh wird sich diesmal nicht einsam fühlen!

Was nach meiner Tour geschah

Im September, nur wenige Wochen nach unserer Expedition, werden drei Sherpa am Himlung im Bereich von Camp 3 der Normalroute von einer Lawine getötet. Bis auf eines brechen alle Teams am Berg ihre Expeditionen ab. Ende September erreicht das Team eines Schweizer Expeditionsunternehmens einen etwa 6900 Meter hohen Nebengipfel des Himlung.

Es wird über schwierige Schneeverhältnisse berichtet. Der Monsun hatte lange angedauert, der Südwind, den uns die Schneefahne am Himlung angezeigt hatte, hatte weiter das Wetter am Berg bestimmt. Eine realistische Chance den Gipfel zu erreichen, bestand für uns wahrscheinlich überhaupt nicht. Unterhalb der gefährlichen Passagen haben wir umgekehrt. Der Schnee und die damit verbundene Lawinengefahr hätten uns wesentlich stärker gefährdet. Ich weiß nicht, ob ich eine Empfehlung für Expeditionen und für das Trekking im Monsun geben würde oder dafür überhaupt kompetent bin. Die Gipfel sehen an klaren Tagen besteigbar aus, aber höhere Temperaturen und Niederschläge erschweren die Aufstiege. Tag und Nacht hörten wir den lauten Donner der Lawinen, meistens Geröll. Entlang unserer Route unterhalb des Himling-Sattels erinnerten uns mehrere große Lawinenkegel an die allgegenwärtige Gefahr. Dies war die Nachbarschaft unserer Route, das begehbare Terrain war äußerst begrenzt.

Titel für die Himalayan Database

Das Trekking zum Basecamp könnte schon kurz hinter Kathmandu in einem Erdrutsch enden. Blockierte Straßen und Wege verhindern ein zügiges Vorankommen. Einmalige Erlebnisse aber bleiben: Als einzige Expedition im Basislager zu sein, eine ohnehin schon wenig besuchte Region Nepals in einer kleinen Gruppe zu bereisen und dabei die verschiedenen Volksgruppen Nepals im persönlichen Kontakt kennenlernen zu können, eine Besteigung als kleine Expedition zu versuchen, als deren Mitglied ich mich gefühlt habe, weniger als deren Kunde und Auftraggeber. Die für mich stärksten Eindrücke der Expedition sind: Die Rückkehr ins Grüne nach sieben Tagen in Eis und Schnee. Ich nahm plötzlich wahr wie intensiv die eigentlich karge Vegetation unterhalb der Schneegrenze riecht. Ich fand erst im Tourismus Ministerium heraus, dass ich meiner Expedition ja offiziell einen Namen hätte geben können. Für die Himalayan Database habe ich das aber noch hinbekommen: das große Draußen! So heißt der Versuch einer Besteigung des Himlung im Monsun 2016 jetzt dort.
 
Matthias Janßen