Alten Sagen auf der Spur
Trekking im Val di Fiemme
© BERGSTEIGER
Kontrastreiches Wandern durch Blumenwiesen und Felslandschaft : Die Dolomiten wurden 2009 zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt.
Kontrastreiches Wandern durch Blumenwiesen und Felslandschaft : Die Dolomiten wurden 2009 zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt.
Pio Bora, auch »il tronco« genannt, gehört zum Urgestein des Val di Fiemme. Wo der Name »der Stamm« herkommt, weiß hier niemand so genau, nicht mal Pio selbst. Vielleicht wird er wegen seiner breiten Schultern so genannt, seiner Bodenständigkeit oder weil er im Tal so stark verwurzelt ist. Er ist ein »bell’uomo« – ein schöner Mann – und schon fast eine Legende im Val di Fiemme, obwohl er das nicht gerne hört. Legenden erzählt er viel lieber selbst während seiner Kutschfahrten zwischen Daiano bis auf das Lavazèjoch. Hier oben ist einer der Ausgangspunkte des »Trekking delle Leggende«, das in 20 Etappen und mehr als 200 Kilometern das Val di Fiemme mit dem Val di Fassa und der Palagruppe verbindet. Die alten Sagen begleiten den Wanderer.
Und nicht zu vergessen, der spektakuläre Sonnenaufgang! Bei der Besteigung der 2790 Meter hohen Latemarspitze, der höchsten des Gebirgsstocks, kann man zwischen dem Normalweg und der anspruchsvollen Via ferrata Campanili-Latemar wählen: eine anspruchsvolle Felspassage ohne Stahlseilsicherung, ein kurzer, aber steiler Leiternabstieg, gefolgt von einer luftigen Querung am Drahtseil und einem exponiertem Gegenanstieg fordern die volle Konzentration, bevor es über das ruhige Valsorda wieder ins Val di Fiemme zurück geht. Die Südseite des Tals interessiert Pio Bora hingegen weniger: Der Lagorai ist das Reich der unzähligen Seen und der in blaue Blumen verwandelten Seelen. Für Menschen jedoch präsentiert er sich schroff und unnahbar. »Il tronco« bleibt deshalb lieber im Tal. Er ist eben verwurzelt.
Der Abstieg vom Latemar durch das wilde Valsorda war nur ein Vorgeschmack auf das, was auf der gegenüberliegenden Talseite wartet: Im Winter sind die weiten fels- und baumlosen Hänge meterhoch mit Schnee überzogen und somit ein Geheimtipp für Skitouren. Im Sommer ist die Natur dort oben jedoch weit weniger sanft: Die steilen Gipfel aus tiefgrauem und blaugrün glitzerndem Porphyr – Ergebnis eines gewaltigen Vulkanausbruches vor mehr als 300 Millionen Jahren – lassen sich in fünf langen Tagen erschließen. Natürlich alles mit dem Zelt auf dem Rücken! Dafür wandert man durch einsame Natur, ein Blütenmeer aus Leberblümchen, Primeln und Enzianen und umrundet eiskalte Bergseen. Und es geht vorbei an Laufgräben und Schießscharten aus dem Ersten Weltkrieg.
Bei der Besteigung sieht man heute noch die Unterschiede in der italienischen und österreichischen Kriegsführung: Die »Via italiana« wurde innerhalb weniger Tage als ein provisorischer, schmaler Steig hinauf auf den Gipfel angelegt; die »Via austriaca« eignet sich hingegen besser für den Abstieg, denn sie ist ein jahrelang geplanter und mühevoll mit großen Steinen angelegter Karrenweg, der in einer weiten Kehre zurück zum Ausgangspunkt im Sàdole-Tal führt.
Relikte aus diesem Alpenkrieg findet man immer wieder entlang des Weges. Giuseppe, der Wirt des Rifugio Cauriol trägt diese schon seit Jahren liebevoll zusammen und stellt sie in seiner Hütte aus. Sie ist übrigens die einzige bewirtschaftete Übernachtungsmöglichkeit auf der Strecke zwischen dem Manghen- und dem Rollepass.
Ansonsten übernachtet man auf diesem Trekking im Zelt oder noch besser, unter dem freien Sternenhimmel. Leider ist das Schloss des Edelfräuleins Dina, das sich vor langer Zeit an den Ufern des Lagorai-Sees erhob, unauffindbar. Ihr Bräutigam war in den Krieg gezogen, und da sie schon längere Zeit nichts mehr von ihm gehört hatte, nahm sie an, dass er eines ehrenhaften Heldentodes gestorben war.
In ihrer Trauer goss Dina jeden Tag die unzähligen blauen Blumen, die in den Wiesen ringsum blühten, mit dem glasklaren Wasser des Sees. Die blauen Blumen waren die Seelen der gefallenen Krieger, die von Raben aus den fernen Schlachtfeldern in die Wiesen des Lagorai gebracht wurden.
Wer einer dieser Blumen an sieben aufeinander folgenden Tagen Wasser brachte, konnte den Gefallenen sehen und mit ihm sprechen. Leider suchte Dina ihren Liebsten vergebens unter den blauen Blumen, sondern fand ihn eines Tages unter den Ehebrechern. Aus lauter Kummer starb Dina einen qualvollen Tod.
Man erzählt sich, dass sie noch immer als wunderschöne Frau für die einen und als Hexe für die anderen über die Wiesen des Lagorai wandelt. Ob Dina nun eine der sechs Hexen ist, die jeden Januar durch Cavalese gezogen werden, weiß niemand so genau. In einer aufwendigen Inszenierung werden jährlich die Fleimstaler Hexenprozesse, ein Höhepunkt der norditalienischen Hexenjagd, nachgespielt.
22 Frauen aus dem Val di Fiemme wurden im Frühjahr 1505 der Hexerei und Ketzerei bezichtigt und 18 von ihnen binnen weniger Tage am »Banco de la reson« (Bank der Vernunft) lebend verbrannt. Von den Hexenprozessen spricht Pio Bora nicht gerne, auch nicht von den Gefängnissen, die man im alten Bischofspalast in Cavalese besichtigen kann.
Er ist auch der Sitz der »Magnifi ca Communità di Fiemme« (vgl. Kasten). Die Talgemeinschaft entscheidet, wie man das Val di Fiemme zum Wohle der Talbewohner verwalten sollte. »Darauf sind wir stolz. Unser Tal ist das einzige des Trentino, das niemals von einem König beherrscht wurde, sondern sich seit dem Jahr 1111 selbst verwaltet«, erzählt Pio Bora, und nimmt einen großen Schluck von seinem Larixbier.
Pio ist das aber alles ziemlich egal! Ihm schmecken sie alle, auch das Nosa mit wildem Hopfen oder das klassische Helle, das »Birra di Fiemme«. Er genießt den Feierabend im Tal, lässt seinen Blick über die Zinnen des Lagorai schweifen, und vielleicht auch seine Gedanken. Was gibt es Schöneres nach getaner Arbeit: brennende Fußsohlen, ein letzter Blick auf die nahen Gipfel, Wiesen und Wälder und ein kühles Helles.
Zaubertrank vom Karersee
Auf der Fahrt zum Lavazèjoch scheuen Pios Pferde so manches Mal und er treibt sie sanft an. »Hier, in den Wäldern rund um den Karersee, auf der Nordseite des Val di Fiemme, herrschen die Wilden vom Latemar«, murmelt Pio ehrfürchtig. Solange diese Riesen vom Wasser des Karersees trinken, sind sie unbesiegbar. Nicht so die bleichen Berge des Latemars, der sich nahe am Karersee erhebt. Den circa 20 Kilometer langen, hufeisenförmigen Dolomitenstock kann man in zwei Tagen problemlos durchschreiten; wobei die Latemarhütte (Rifugio Torre di Pisa) wie in den Fels gemeißelt erscheint und einen einzigartigen Ausblick auf die zackigen Felsentürme ringsum erlaubt.Und nicht zu vergessen, der spektakuläre Sonnenaufgang! Bei der Besteigung der 2790 Meter hohen Latemarspitze, der höchsten des Gebirgsstocks, kann man zwischen dem Normalweg und der anspruchsvollen Via ferrata Campanili-Latemar wählen: eine anspruchsvolle Felspassage ohne Stahlseilsicherung, ein kurzer, aber steiler Leiternabstieg, gefolgt von einer luftigen Querung am Drahtseil und einem exponiertem Gegenanstieg fordern die volle Konzentration, bevor es über das ruhige Valsorda wieder ins Val di Fiemme zurück geht. Die Südseite des Tals interessiert Pio Bora hingegen weniger: Der Lagorai ist das Reich der unzähligen Seen und der in blaue Blumen verwandelten Seelen. Für Menschen jedoch präsentiert er sich schroff und unnahbar. »Il tronco« bleibt deshalb lieber im Tal. Er ist eben verwurzelt.
Der Abstieg vom Latemar durch das wilde Valsorda war nur ein Vorgeschmack auf das, was auf der gegenüberliegenden Talseite wartet: Im Winter sind die weiten fels- und baumlosen Hänge meterhoch mit Schnee überzogen und somit ein Geheimtipp für Skitouren. Im Sommer ist die Natur dort oben jedoch weit weniger sanft: Die steilen Gipfel aus tiefgrauem und blaugrün glitzerndem Porphyr – Ergebnis eines gewaltigen Vulkanausbruches vor mehr als 300 Millionen Jahren – lassen sich in fünf langen Tagen erschließen. Natürlich alles mit dem Zelt auf dem Rücken! Dafür wandert man durch einsame Natur, ein Blütenmeer aus Leberblümchen, Primeln und Enzianen und umrundet eiskalte Bergseen. Und es geht vorbei an Laufgräben und Schießscharten aus dem Ersten Weltkrieg.
Italienisch hoch, österreichisch runter
Ganz anders als Pio erlebten die österreichischen und italienischen Soldaten den Lagorai, der einen Teil der gefürchteten Dolomitenfront bildete: Sie konnten nicht im Tal bleiben und kämpften stattdessen hoch oben in den Bergen Mann gegen Mann, doch öfter noch Mann gegen Naturgewalten. Am Monte Cauriol, mit 2929 Metern einer der schönsten Aussichtsberge des Lagorai, fand vom 23. bis 27. August 1916 eine der entscheidenden Schlachten statt.Bei der Besteigung sieht man heute noch die Unterschiede in der italienischen und österreichischen Kriegsführung: Die »Via italiana« wurde innerhalb weniger Tage als ein provisorischer, schmaler Steig hinauf auf den Gipfel angelegt; die »Via austriaca« eignet sich hingegen besser für den Abstieg, denn sie ist ein jahrelang geplanter und mühevoll mit großen Steinen angelegter Karrenweg, der in einer weiten Kehre zurück zum Ausgangspunkt im Sàdole-Tal führt.
Relikte aus diesem Alpenkrieg findet man immer wieder entlang des Weges. Giuseppe, der Wirt des Rifugio Cauriol trägt diese schon seit Jahren liebevoll zusammen und stellt sie in seiner Hütte aus. Sie ist übrigens die einzige bewirtschaftete Übernachtungsmöglichkeit auf der Strecke zwischen dem Manghen- und dem Rollepass.
Ansonsten übernachtet man auf diesem Trekking im Zelt oder noch besser, unter dem freien Sternenhimmel. Leider ist das Schloss des Edelfräuleins Dina, das sich vor langer Zeit an den Ufern des Lagorai-Sees erhob, unauffindbar. Ihr Bräutigam war in den Krieg gezogen, und da sie schon längere Zeit nichts mehr von ihm gehört hatte, nahm sie an, dass er eines ehrenhaften Heldentodes gestorben war.
In ihrer Trauer goss Dina jeden Tag die unzähligen blauen Blumen, die in den Wiesen ringsum blühten, mit dem glasklaren Wasser des Sees. Die blauen Blumen waren die Seelen der gefallenen Krieger, die von Raben aus den fernen Schlachtfeldern in die Wiesen des Lagorai gebracht wurden.
Wer einer dieser Blumen an sieben aufeinander folgenden Tagen Wasser brachte, konnte den Gefallenen sehen und mit ihm sprechen. Leider suchte Dina ihren Liebsten vergebens unter den blauen Blumen, sondern fand ihn eines Tages unter den Ehebrechern. Aus lauter Kummer starb Dina einen qualvollen Tod.
Man erzählt sich, dass sie noch immer als wunderschöne Frau für die einen und als Hexe für die anderen über die Wiesen des Lagorai wandelt. Ob Dina nun eine der sechs Hexen ist, die jeden Januar durch Cavalese gezogen werden, weiß niemand so genau. In einer aufwendigen Inszenierung werden jährlich die Fleimstaler Hexenprozesse, ein Höhepunkt der norditalienischen Hexenjagd, nachgespielt.
22 Frauen aus dem Val di Fiemme wurden im Frühjahr 1505 der Hexerei und Ketzerei bezichtigt und 18 von ihnen binnen weniger Tage am »Banco de la reson« (Bank der Vernunft) lebend verbrannt. Von den Hexenprozessen spricht Pio Bora nicht gerne, auch nicht von den Gefängnissen, die man im alten Bischofspalast in Cavalese besichtigen kann.
Er ist auch der Sitz der »Magnifi ca Communità di Fiemme« (vgl. Kasten). Die Talgemeinschaft entscheidet, wie man das Val di Fiemme zum Wohle der Talbewohner verwalten sollte. »Darauf sind wir stolz. Unser Tal ist das einzige des Trentino, das niemals von einem König beherrscht wurde, sondern sich seit dem Jahr 1111 selbst verwaltet«, erzählt Pio Bora, und nimmt einen großen Schluck von seinem Larixbier.
Ein edler Trentiner Tropfen
Auch macht ihn stolz, dass Stefano Gilmozzi seit 1999 in Cavalese, dem wirtschaftlichen Zentrum des italienischen Tales, wieder Bier braut: Ganz naturbewusst ohne Zusatz- und Konservierungsstoffe entsteht aus den mehrheitlich aus dem Tal stammenden Zutaten ein besonderer Tropfen für ein besonderes Tal. Das Larixbier, das leicht nach Kaffee und getrockneten Pflaumen schmeckt, verdankt seinen Namen den vielen Lärchen im Tal. Eine weitere Sorte, das Lupinus, wird mit wild wachsenden Lupinen verfeinert und erinnert an die Tradition des im Nachbardorfes Altrei produzierten Lupinenkaffees.Pio ist das aber alles ziemlich egal! Ihm schmecken sie alle, auch das Nosa mit wildem Hopfen oder das klassische Helle, das »Birra di Fiemme«. Er genießt den Feierabend im Tal, lässt seinen Blick über die Zinnen des Lagorai schweifen, und vielleicht auch seine Gedanken. Was gibt es Schöneres nach getaner Arbeit: brennende Fußsohlen, ein letzter Blick auf die nahen Gipfel, Wiesen und Wälder und ein kühles Helles.
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Text: Verena Wisthaler. Fotos: Fototeca Trentino Sviluppo S.p.A., A. Campanile
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Fototeca Trentino Sviluppo S.p.A., A. Campanile
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