Bergtouren rund im die Reiter Alpe
Ruhe auf der Reiter Alpe
© BERGSTEIGER
Der Steig aus der Mayrbergscharte zum Wagendrischelhorn ist mit Drahtseilen gut gesichert. Im Hintergrund das Stadelhorn.
Der Steig aus der Mayrbergscharte zum Wagendrischelhorn ist mit Drahtseilen gut gesichert. Im Hintergrund das Stadelhorn.
Ein sonniger Nachmittag auf der Terrasse der Neuen Traunsteiner Hütte. Die Frau am Nebentisch blättert in einer alten Chronik der Traunsteiner Alpenvereins-Sektion. Auf einem vergilbten Foto ist der damalige Vorsitzende Karl Merkenschlager zu sehen, wie er im September 1938, also vor ziemlich genau 75 Jahren, die neue Hütte einweiht. »Ein sauberer Nazi«, flüstere ich meiner Freundin zu. »Sieht man dem schon an der Nasenspitze an.« Die Frau nebenan hört es trotzdem und legt die Chronik beiseite. »Ein Nazi war mein Großvater eigentlich nicht«, sagt sie. Aus dem ungewollten Tritt in den Fettnapf entspinnt sich eine interessante Unterhaltung.
Ihr Opa sei der Deutschen Volkspartei (DVP) nahegestanden, erzählt die Dame. »Er wollte die Monarchie zurück und hatte deshalb mit der NS-Ideologie nichts am Hut.« Trotzdem hätten die Nazis bei dem Neubau – die alte Hütte war zu klein geworden – natürlich eine Rolle gespielt. Denn den Standort dieses fortan »Neue Traunsteiner Hütte« oder »Karl-Merkenschlager-Haus« genannten Stützpunktes habe der Baurat Gsänger festgelegt, worüber sich damals mancher Gebietskenner wunderte. Denn der gebürtige Franke Gsänger sei damals zum ersten Mal auf die Reiter Alpe gekommen.
»Mein Opa erzählte mir: Der schaute in alle Himmelsrichtungen und deutete mit ausgestrecktem Arm spontan auf eine Stelle, auf der das Haus zu erbauen sei«, erinnert sich die Enkelin des Namensgebers der Hütte. »Und einem Architekten des Führers wagte natürlich niemand zu widersprechen.« Dass der von der Sektion eigentlich bevorzugte Platz keine Sprengungen am Berg nötig gemacht hätte und die Aussicht auf den südlichen Teil des Gebirgsstockes schöner gewesen wäre, spielte damals keine Rolle.
Vor allem liegt das blumenreiche Hochplateau genau an der Grenze Bayerns zum österreichischen Salzburger Land, was zur Folge hat, dass sich kein Tourismusverband so richtig zuständig fühlt. Auch in Wanderführern ist die Reiter Alpe meist nur eine Randnotiz. Für die Wirtsleute der Hütte mag das ein Standortnachteil sein.
Für die Bergfreunde – 80 Prozent sind Stammgäste und kommen aus der Region – ist es ein Segen. Selbst in den Sommerferien, wenn in prominenteren Herbergen Löffel-Liegen im Zwölfer-Lager angesagt ist, geht es auf der »Traunsteiner« gemächlich zu. Nach dem Frühstück schnürt man seine Bergschuhe in aller Ruhe und macht sich dann auf, das etwa zehn Quadratkilometer große Tafelgebirge zu erkunden, dessen Hochplateau mit den nach allen Seiten steil abfallenden Wänden wie eine Insel wirkt, wie eine Schüssel, umgeben von Zweitausendern.
Auf dem Weg zu den Gipfeln wandert man auf der Hochfl äche über Almen und Weiden, auf denen Arnika, Akelei, Alpenrosen, Bergastern, Enzian, Speik und Steinraute wachsen – ein wahrer botanischer Garten.
Vielleicht war er einfach reif für die Insel und hat sich vom viel besuchten Watzmann abgesetzt… Apropos Watzmann: Nachdem wir am Morgen durch die Steinberggasse zum südöstlichen »Tellerrand« der Reiter Alpe aufgestiegen sind, blicken wir jetzt von den Plattelköpfen hinüber zum Watzmannhaus. Mit dem Fernglas ist die Karawane zu erkennen, die sich zum Hocheck bewegt. Wir hingegen sind völlig allein. Wir könnten jetzt auf dem Böslsteig in die Ramsau zum Hintersee absteigen. Wir wollen jedoch die Beletage nicht verlassen und wandern weiter nach Süden. Allmählich wird die Landschaft alpiner, schroffer. Ein Steinernes Meer en miniature liegt vor uns. Und dahinter ragt steil und abweisend das Stadelhorn empor.
Nach all der Wanderei durch liebliche Landschaften sorgt das spitze Horn für den ersten Adrenalinschub des Tages. Wo soll es da eine für Bergwanderer gangbare Route geben? In der Mayrbergscharte sieht das Ziel nicht mehr gar so furchterregend aus. Man erkennt, dass der Steig auf Bändern geschickt um die steilsten Aufschwünge herumführt. Keine Stunde später stehen wir am Gipfel – mutterseelenallein. Watzmann, Hochkalter, Großer Hundstod, Birnhorn und Loferer Steinberge präsentieren sich als Panorama, das uns in Demut verharren lässt. Nach dem Abstieg in die Scharte sind wir so euphorisiert, dass wir das Wagendrischelhorn gleich noch »mitnehmen«.
Auf einem mit Drahtseilen versicherten Steig geht es durch die Südabstürze dem Gipfel entgegen. Wieder stehen wir allein am höchsten Punkt.
Weil prominente Gipfel fehlten, versuchen sie, Gäste mit Pinzgauer Spezialitäten aus regionalen Zutaten anzulocken. Zum Sonnenuntergang geht’s nochmal auf die Terrasse. Dort sitzt wieder Merkenschlagers Enkelin. Sie habe noch einen Nachtrag zu meiner »Nazi-Obsession«, sagt sie. Dass es die Neue Traunsteiner Hütte überhaupt gebe – daran seien in der Tat die Nazis mit ihrer »1000-Mark-Sperre« schuld.
1901 hatte die Sektion ein Unterkunftshaus gebaut. Dummerweise stand die Hütte genau 150 Meter jenseits der Grenze auf österreichischem Gebiet, als die Nazis 1933 mit dem »Devisengesetz « den grenzüberschreitenden Tourismus abwürgten. Jeder deutsche Wanderer, der in der Traunsteiner Hütte einkehren wollte, hätte 1000 Reichsmark bezahlen müssen. Das tat natürlich niemand, und die Folge war der vorläufige Niedergang dieser beliebten Hütte. Das neue Schutzhaus entstand deshalb vorsichtshalber auf bayerischem Territorium – obwohl 1936 die »1000-Mark- Sperre« aufgehoben wurde und im Frühjahr 1938 der »Anschluss« Österreichs ans Deutsche Reich erfolgt war, so dass die alte Hütte schnell wieder gut besucht war.
Heute spielt die Staatsgrenze keine Rolle mehr – wie auch in früheren Zeiten. Schon im 15. Jahrhundert wurde Vieh auf die Reiter Alpe aufgetrieben, von Bauern aus dem Pinzgau und dem Berchtesgadener Land. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wenn auf der Neuen Traunsteiner das legendäre Almfest steigt, werden deshalb auch viele Bauern kommen. Hüttenwirtin Maresi wird ihnen einen Kräutertee anbieten. Sie werden dann ihren Mann Tom fragen, ob er ihnen einen Zirbenschnaps einschenkt.
Ihr Opa sei der Deutschen Volkspartei (DVP) nahegestanden, erzählt die Dame. »Er wollte die Monarchie zurück und hatte deshalb mit der NS-Ideologie nichts am Hut.« Trotzdem hätten die Nazis bei dem Neubau – die alte Hütte war zu klein geworden – natürlich eine Rolle gespielt. Denn den Standort dieses fortan »Neue Traunsteiner Hütte« oder »Karl-Merkenschlager-Haus« genannten Stützpunktes habe der Baurat Gsänger festgelegt, worüber sich damals mancher Gebietskenner wunderte. Denn der gebürtige Franke Gsänger sei damals zum ersten Mal auf die Reiter Alpe gekommen.
»Mein Opa erzählte mir: Der schaute in alle Himmelsrichtungen und deutete mit ausgestrecktem Arm spontan auf eine Stelle, auf der das Haus zu erbauen sei«, erinnert sich die Enkelin des Namensgebers der Hütte. »Und einem Architekten des Führers wagte natürlich niemand zu widersprechen.« Dass der von der Sektion eigentlich bevorzugte Platz keine Sprengungen am Berg nötig gemacht hätte und die Aussicht auf den südlichen Teil des Gebirgsstockes schöner gewesen wäre, spielte damals keine Rolle.
Neue Traunsteiner Hütte: Stützpunkt auf der Via Alpina
Das Haus ist trotzdem schön geworden. Es wurde im Lauf der Jahrzehnte mehrmals modernisiert und mit der neuesten Technik zur Erzeugung alternativer Energie und einer modernen Kläranlage ausgestattet. Die Wanderer erwartet eine gemütliche Unterkunft, in der die Hüttenwirte Maresi Herbst und Tom Krüger aus dem nahen Lofer im Salzburger Land seit elf Jahren das Sagen haben. Das Beste für Bergsteiger: Die Hütte ist selten voll belegt. Sie liegt an keinem der bekannten Weitwanderwege, nur die relativ neue »Via Alpina« führt hier vorbei. Die berühmten Nachbargipfel der Berchtesgadener Berge, allen voran der Watzmann, tun ein Übriges, damit die Reiter Alpe ein angenehmes Schattendasein führt.Vor allem liegt das blumenreiche Hochplateau genau an der Grenze Bayerns zum österreichischen Salzburger Land, was zur Folge hat, dass sich kein Tourismusverband so richtig zuständig fühlt. Auch in Wanderführern ist die Reiter Alpe meist nur eine Randnotiz. Für die Wirtsleute der Hütte mag das ein Standortnachteil sein.
Für die Bergfreunde – 80 Prozent sind Stammgäste und kommen aus der Region – ist es ein Segen. Selbst in den Sommerferien, wenn in prominenteren Herbergen Löffel-Liegen im Zwölfer-Lager angesagt ist, geht es auf der »Traunsteiner« gemächlich zu. Nach dem Frühstück schnürt man seine Bergschuhe in aller Ruhe und macht sich dann auf, das etwa zehn Quadratkilometer große Tafelgebirge zu erkunden, dessen Hochplateau mit den nach allen Seiten steil abfallenden Wänden wie eine Insel wirkt, wie eine Schüssel, umgeben von Zweitausendern.
Auf dem Weg zu den Gipfeln wandert man auf der Hochfl äche über Almen und Weiden, auf denen Arnika, Akelei, Alpenrosen, Bergastern, Enzian, Speik und Steinraute wachsen – ein wahrer botanischer Garten.
Isidor, das einsame Murmeltier
Auch uralte Zirben gibt es noch. Meist dominieren jedoch Latschenfelder, denn das Gros des Waldes fiel dem Holzbedarf der Reichenhaller Saline zum Opfer. 1829 wurde die Reiter Alpe vom Salinenvertrag ausgenommen, die letzten Zirben durften weiterleben. In den lichten Wäldern fühlen sich Hirsche, Gämsen und sogar einige Birkhühner wohl. Tja, und dann gibt es da noch Isidor, das einzige Murmeltier auf der Reiter Alpe. Zumindest sind die Wirtsleute felsenfest davon überzeugt, dass Isidor hier oben der einzige seiner Art ist. Er besucht regelmäßig die Hütte, um zu sehen, ob etwas Fressbares abfällt. Weil Isidor aber nicht spricht, weiß niemand, wie es ihn hierher verschlagen hat.Vielleicht war er einfach reif für die Insel und hat sich vom viel besuchten Watzmann abgesetzt… Apropos Watzmann: Nachdem wir am Morgen durch die Steinberggasse zum südöstlichen »Tellerrand« der Reiter Alpe aufgestiegen sind, blicken wir jetzt von den Plattelköpfen hinüber zum Watzmannhaus. Mit dem Fernglas ist die Karawane zu erkennen, die sich zum Hocheck bewegt. Wir hingegen sind völlig allein. Wir könnten jetzt auf dem Böslsteig in die Ramsau zum Hintersee absteigen. Wir wollen jedoch die Beletage nicht verlassen und wandern weiter nach Süden. Allmählich wird die Landschaft alpiner, schroffer. Ein Steinernes Meer en miniature liegt vor uns. Und dahinter ragt steil und abweisend das Stadelhorn empor.
Nach all der Wanderei durch liebliche Landschaften sorgt das spitze Horn für den ersten Adrenalinschub des Tages. Wo soll es da eine für Bergwanderer gangbare Route geben? In der Mayrbergscharte sieht das Ziel nicht mehr gar so furchterregend aus. Man erkennt, dass der Steig auf Bändern geschickt um die steilsten Aufschwünge herumführt. Keine Stunde später stehen wir am Gipfel – mutterseelenallein. Watzmann, Hochkalter, Großer Hundstod, Birnhorn und Loferer Steinberge präsentieren sich als Panorama, das uns in Demut verharren lässt. Nach dem Abstieg in die Scharte sind wir so euphorisiert, dass wir das Wagendrischelhorn gleich noch »mitnehmen«.
Auf einem mit Drahtseilen versicherten Steig geht es durch die Südabstürze dem Gipfel entgegen. Wieder stehen wir allein am höchsten Punkt.
Die 1000-Mark-Sperre der Nazis
Eigentlich wollten wir hier die Kurve kratzen. Das Große Häuslhorn für morgen aufsparen und uns stattdessen auf der Hütte dem zum Niederknien guten Aprikosenkuchen von Wirtin Maresi zuwenden. Doch es ist erst früher Nachmittag. Und sind nicht aller guten Dinge drei? Am Gipfel des Häuslhorns treffen wir dann tatsächlich zwei leibhaftige Menschen. Die beiden Salzburger steigen gerade aus der Südwand aus, als wir die Brotzeit auspacken. »Hasenalarm« heißt ihre Route. Sechster Grad, elf Seillängen. Ihre Augen leuchten. »Pfundig« sei’s gewesen, erzählen sie. Beim Abstieg durch die Roßgasse schmerzen dann doch die Gelenke. Maresi empfiehlt zum Kuchen deshalb ihren selbstgemachten Kräutertee. Ich entscheide mich für den Zirbenschnaps – auch der ist schließlich bio. Bei Kaspressknödelsuppe, Spaghetti mit Bärlauch-Pesto und Marillen-Palatschinken erzählen die Wirtsleute von ihren Nöten.Weil prominente Gipfel fehlten, versuchen sie, Gäste mit Pinzgauer Spezialitäten aus regionalen Zutaten anzulocken. Zum Sonnenuntergang geht’s nochmal auf die Terrasse. Dort sitzt wieder Merkenschlagers Enkelin. Sie habe noch einen Nachtrag zu meiner »Nazi-Obsession«, sagt sie. Dass es die Neue Traunsteiner Hütte überhaupt gebe – daran seien in der Tat die Nazis mit ihrer »1000-Mark-Sperre« schuld.
1901 hatte die Sektion ein Unterkunftshaus gebaut. Dummerweise stand die Hütte genau 150 Meter jenseits der Grenze auf österreichischem Gebiet, als die Nazis 1933 mit dem »Devisengesetz « den grenzüberschreitenden Tourismus abwürgten. Jeder deutsche Wanderer, der in der Traunsteiner Hütte einkehren wollte, hätte 1000 Reichsmark bezahlen müssen. Das tat natürlich niemand, und die Folge war der vorläufige Niedergang dieser beliebten Hütte. Das neue Schutzhaus entstand deshalb vorsichtshalber auf bayerischem Territorium – obwohl 1936 die »1000-Mark- Sperre« aufgehoben wurde und im Frühjahr 1938 der »Anschluss« Österreichs ans Deutsche Reich erfolgt war, so dass die alte Hütte schnell wieder gut besucht war.
Heute spielt die Staatsgrenze keine Rolle mehr – wie auch in früheren Zeiten. Schon im 15. Jahrhundert wurde Vieh auf die Reiter Alpe aufgetrieben, von Bauern aus dem Pinzgau und dem Berchtesgadener Land. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wenn auf der Neuen Traunsteiner das legendäre Almfest steigt, werden deshalb auch viele Bauern kommen. Hüttenwirtin Maresi wird ihnen einen Kräutertee anbieten. Sie werden dann ihren Mann Tom fragen, ob er ihnen einen Zirbenschnaps einschenkt.
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Reif für die Reiter Alpe. Text: Günter Kast
Bildergalerie
Fotos:
Günter Kast, DAV Sektion Traunstein, Tom Krüger (4), Sandra Urbaniak
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 11/2013. Jetzt abonnieren!
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