Sparchet - klettern in Nassereith | BERGSTEIGER Magazin
Klettern der Zukunft: Sparchet in Nassereith

Sparchet - klettern in Nassereith

In Nassereith entsteht derzeit ein einmaliges Genussklettergebiet: bestens gesicherte Routen in gemäßigten Graden direkt nebeneinander, kurzer Zustieg, toller Fels. Und man kann zu allen Jahreszeiten dort klettern.
 
Sparchet liegt idyllisch über dem Nassereither Kessel und bietet eine entsprechende Aussicht. © Christian Pfanzelt
Sparchet liegt idyllisch über dem Nassereither Kessel und bietet eine entsprechende Aussicht.
Nassereith am Fernpass. Café Seebua. Vor uns auf dem Holztisch: Fünf Eiscafé, zwei Mineralwasser und ein kleines kühles Bier. Mit glühenden Schädeln sitzen wir ächzend bei 29 Grad im Schatten und feiern das Kletter-Cool-Down nach einem hitzigen Klettertag im Sportklettergarten Sparchet. Erstes Fazit: Herbst oder Winter wären eindeutig die klügere Jahreszeit für die südseitig ausgerichtete Wand. Naja. Einfach selber Schuld. Zweite Erkenntnis: Wir kommen ganz sicher wieder. Sei es im Oktober, Februar oder in den Frühjahrsmonaten. Denn Sparchet ist ganz einfach klasse. Ein vielseitiges Kletterparadies für alle, die sich nicht zur Hardcore-Elite zählen.

Sogar Holzstege beim klettern in Nassereith

Steckbrief Klettern NassereithNach kaum zehn Minuten Aufstieg über eine Schotterhalde stehen wir am späten Vormittag vor dem Felsriegel des Klettergebiets Sparchet. Trotz Sommerhitze sind wir keineswegs alleine. Im Sektor »Eis am Stiel« tummeln sich die Kletterer mit ihren bunten Helmen wie Schmetterlinge an der Wand. Unser 14-jähriges Gruppenküken Vroni springt in den Gurt und testet gleich mal die »Inspiration« (4c). Zweimal hintereinander eilt sie an grandios großen Griffen zur Umlenkung. Plötzlich surrt es von oben. Steinschlag. Ups, aber eigentlich logisch: Die Hänge über uns sind riesige Schrofenfelder, und die Gemsenrudel nehmen nun Mal keine Rücksicht auf die Kletternden eine Etage tiefer. Direkt am Wandfuß sind wir zwar ziemlich sicher, aber die Helme zücken wir jetzt trotzdem. Und dann schlendern wir an der Wand lang – mit zunehmender Begeisterung. Zum einen wegen des rauen und griffigen Gesteins. Und zum anderen wegen der Mühe, die man sich ganz offensichtlich gemacht hat beim Einrichten des Klettergartens: Metallschildchen markieren jede Route, nagelneue Bolts in sehr moderaten Abständen blitzen aus den Routen herab, und der Sektor »Goldenes Dachl« ist trotz Schrofengeländes über Holzstege easy erreichbar. 

Auf eigene Kasse

Seit Anfang 2007 wird der Felsriegel über Nassereith organisiert eingebohrt: Rund 70 Routen gibt es dort bereits, die meisten davon im gemäßigten Schwierigkeitsniveau. Und das Ende ist noch lange nicht in Sicht. Denn Sparchet ist ein Teil des groß angelegten Pilot-Projektes »Climbers Paradise«. Ziel der beiden Initiatoren Mike Gabl und Peter Thaler ist es, im Tiroler Oberland eine der schönsten Kletterdestinationen Mitteleuropas zu schaffen. Von Innsbruck bis zum Arlberg sollen Kletterer nicht nur geduldet, sondern willkommen sein. Vor rund zwei Jahren stellten Gabl und Thaler ihr ausgeklügeltes Konzept 14 Tourismusverbänden vor. Inzwischen sind elf Verbände an der Finanzierung und Vermarktung von »Climbers Paradise« beteiligt. Zusammen mit der Tirol Werbung und vielen Gemeinden. Denn ohne Geld ist keine gezielte und dem aktuellen Sicherheitsstandard entsprechende Klettergarten-Infrastruktur und noch weniger ein gediegenes Marketing machbar. Zufällig erfuhr ein Nassereither Gemeinderat von »Climbers Paradise« und gab das dem Bürgermeister Reinhold Falbesoner weiter. Der war gleich begeistert. Als sich der eigentlich für Nassereith zuständige Tourismusverband Mieminger Plateau damals nicht beteiligen wollte, zauderte das Gemeindeoberhaupt nicht lange und motivierte den Gemeinderat. Mit einem einstimmigen Gemeinderatsbeschluss stemmte Nassereith 200 000 Euro aus eigener Kasse für die Erschließung der umliegenden Felsriegel. Zusätzlich stellte der Bürgermeister kurzerhand seine Privatwiese als Parkplatz zur Verfügung. 

Die Entscheidung ist ein echter Knaller für die Kletterszene: Denn in Nassereith befindet man sich nun im vertikalen Genussparadies. Vor allem, weil »Climbers Paradise« ein einheitliches Sicherheitskonzept vorlegt. Und das bedeutet: Alle Routen sind perfekt abgesichert. Verwendet wird ausschließlich Material, das den derzeit höchsten Sicherheitsanforderungen entspricht, und einbohren darf nur, wer hierfür einen Lehrgang besucht hat. Wenn das nicht professionell ist. Einziger klitzekleiner Nachteil: Zehn Expressen sind meist zu wenig, wenn man alle Haken einer etwas längeren Route klippen will. 

Heat of the day

Schwer mit Eisenzeug behangen beginne ich meinen Klettertag in der »Natur pur« (6a). Eine schöne Wandkletterei, etwas technisch, aber großzügig mit Griffen ausgestattet. Rechts daneben lockt mit »Wann-Eck« (5b) eine Bilderbuch-Verschneidung, die ich gleich noch hinterherschiebe. An durchwegs positiven Griffen geht es 19 Meter bis zur Umlenkung. Jetzt kommen die Siebener des Gebietes dran. Viele davon befinden sich im Sektor »Hard Rock«. Im rechten Teil ist die Wand senkrecht und voller Aufleger und Leisten. Links befinden sich die steileren Routen, das »Dachl« zum Beispiel: Eine steile, kraftvolle 6c mit dem wahrscheinlich einzigen (wenn auch kleinen) Sinterzapfen der Nord- alpen. Der hat es mir angetan, und so lasse ich alle Kräfte meiner gut aufgewärmten Muskeln in drei (letztlich gottlob erfolgreichen) Hitzeversuchen. Bastian probiert sich in der »1000 Volt« (6c+) ein paar Meter weiter rechts. Woher der Name kommt, weiß er nach seinem knapp geglückten Durchstieg im zweiten Versuch: Der Aufrichter am Schluss ist nur mit Starkstrom zu schaffen. Vroni muss auch kämpfen, hat aber am Ende des Tages mit »Hells Bells« (6a) die vielleicht beste Route des Klettergebiets auf ihrem Routenkonto. Gegen vier Uhr nachmittags besiegt der Lockruf des »Seebuam« unsere – ohnehin durch die brüllende Hitze dahintriefende – Klettermotivation, und wir steigen ab zu Bier und Eis. 

Riesiges Potenzial

Mit uns am Tisch sitzen Mike Gabl und Joachim Malaun. Die beiden belächeln leise die klettergeilen Spinner, die sich in der Sommerbruthitze in die Wand hängen. Aber gleichzeitig sind sie auch ein bisschen stolz. Denn »Climbers Paradise« scheint außerordentlich gut anzukommen. Joachim Malaun, von Beruf Bergführer, ist für Nassereith als Regionalleiter zuständig. Fast jeden zweiten Tag ist er im Hochsommer mit seinem zehn Mitarbeiter zählenden Team an den Wänden und richtet Routen ein. Wöchentlich entstehen auf diese Weise durchschnittlich zwei neue Routen. Nur zwei? »Ungefähr ein Fünftel unserer Arbeit ist Einbohren«, meint Joachim, »die restliche Zeit schlagen wir Bruch aus der Wand, räumen Schutt von den Bändern und putzen den Fels. Eine Sauarbeit!« Nicht an jedem Wandmeter entstehen übrigens Routen: Wenn Steinschlagrinnen von oben einmünden, legt der Regionalleiter gewissenhaft sein Veto ein. Trotzdem gibt die breite Wandflucht bei Nassereith nach Meinung aller Beteiligten über 400 Routen her – das Potenzial scheint unendlich. Mindestens vier bislang brachliegende Spots wisse er noch, meint Joachim. Die Plätze seien dann aber nordöstlich ausgerichtet und für den Sommer geeignet. Nächstes Jahr klettern wir im August garantiert im Schatten.  

Geld für leichte Routen

Neben den Sicherheitsstandards setzt »Climbers Paradise« einen weiteren neuen Akzent in der Kletterszene: Eine digitale Plattform soll immer den aktuellsten Stand der gesamten Region wiedergeben – inklusive genauen Hinweisen zum Sicherheitszustand der einzelnen Routen. Per Knopfdruck ins Kletterparadies! Die Aufgabe ist nicht ganz leicht. Immerhin gibt es in West-Tirol ungefähr 4000 Kletterrouten. Über 1000 sind im Netz bereits erfasst. Sämtliche Routen in Sparchet zum Beispiel.  Dass die Erschließung so reibungslos über die Bühne geht, ist der professionellen Organisation zu verdanken. Mike Gabl, eigentlich Lehrer und Ausbildungsleiter im Lehrteam Sportklettern der österreichischen Berg- und Skiführer, ist über einen Werksvertrag beim Regionalmanagement Imst für die Gesamtkoordination von »Climbers Paradise« verantwortlich. Lange, bevor die erste Hilti in die Wand rattert, finden schriftliche Anfragen und Klärungen mit den Grundeigentümern statt. Aber auch Gespräche mit Jägern und den Naturschutzbehörden sind vorab notwendig, erklärt Gabl. Wenn allseits grünes Licht gegeben wird, beginnt die Planung der Infrastruktur: Das Wegenetz, die Parkplätze. Dann erst rückt der zuständige Regionalleiter mit seinem Team an. Erschließers Paradise: Wer eine Route bis einschließlich zum VII. Grad einrichtet, erhält 20 Euro pro Stunde. Wer härtere Routen einrichtet, bekommt immerhin das Material gratis.  

Fels zum Abwinken

Bereits vor 15 Jahren hatten Locals 100 Meter östlich von Sparchet am selben Felsriegel mit der Wanderschließung begonnen. Doch Fehden mit den Bauern vereitelten immer wieder den Kletterspaß. Erst seit 2007 wird auch im Klettergebiet Leithe ganz offiziell eingerichtet und saniert: »Die Kletterei ist absolut klassisch – senkrechte Leistenzieherei«, schwärmt Mike. Allerdings sollte man – im Gegensatz zu Sparchet – den siebten Grad beherrschen, wenn man Spaß haben will. Gut, dass wir heute nicht dort waren: Bei den Temperaturen wäre uns der Spaß vergangen. Aber ganz sicher merken wir uns das Gebiet für kühlere Tage.  Nachdem uns Mike und Joachim in die komplizierten Strukturen von »Climbers Paradise« eingeführt haben, wird die Nachmittagshitze am »Seebua« langsam erträglich. Auch deshalb, weil wir unsere Füße in das eisige Quellwasser des Dorfsees hängen.
Text: Manu Unger, Fotos: Christian Pfanzelt
 
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