Einen halben Tag gekocht und nach zehn Minuten ist alles weg! Beim Tourengehen ist es ähnlich. Ein stundenlanger Anstieg – und der eigentliche Spaß ist nach ein paar Schwüngen schon wieder vorbei. Trotzdem. Dieses weiche Gleiten, die Harmonie der Bewegung, wenn man wie bei einem Tanz der Choreografie des Hangs folgt, das Hochstieben des Pulverschnees oder das Surren des Firns, der Rausch der Geschwindigkeit – und schließlich der letzte Schwung, der Blick zurück auf die eigene Spur. Die Abfahrt ist die wahre Motivation mit Ski aufzusteigen.
Skitour aufs Brechhorn
In den Tälern der Kitzbüheler Alpen liegt eine schwere weiße Decke auf den Hausdächern. Dass der Schnee ausreicht für die Skitour aufs Brechhorn, steht außer Frage. Aber wie wird die Qualität sein? Pulver oder Bruchharsch? Verspurt, lawinös, gefährlich? Während des Aufstiegs gehen Anna und Max diese Fragen durch den Kopf. Etliche Tourengeher müssen seit den letzten Schneefällen auf dem bekannten Kitzbüheler Gipfel gewesen sein, denn die Aufstiegsspur sieht aus wie mit dem Spurgerät gewalzt. Bald biegt Max in die Schneise ein, die auf den Duracher Kogel führt. Mit jedem Schritt wird der Blick auf den felsigen Rettenstein auf der anderen Talseite besser.
Auch auf die Südseite des Wilden Kaisers könnte man sehen, doch weder Anna noch Max verschwenden dafür einen Blick. Der Gipfel ist das Ziel. Endlich blicken sie die Abfahrt ein. »Das geht. Cool!«, urteilen Anna und Max beim Blick auf die Flanke im Südosten des Gipfels. Auch wenn die Vorfreude auf die Abfahrt die Schritte lenkt, darf man als Tourengeher doch nie kopflos in einen Hang hineinfahren. Risikomanagement, Check your risk oder einfach: »Hirn einschalten« – egal, wie man es nennen will, so perfekt kann ein Hang gar nicht sein, dass es sich lohnen würde, das eigene Leben, das der Freunde und der Retter aufs Spiel zu setzen. Vor jeder Abfahrt muss daher die Frage stehen: Kann ich und darf ich den Hang befahren? Für heute lautet die Antwort: ja.
Vorsicht bei den ersten Schwüngen
Voller Vorfreude steigen die beiden noch die letzten Meter zum Gipfelkreuz auf. Die schönen Schneebänke, die hier ausgeschaufelt sind, dienen Anna und Max dazu, kurz in der Januarsonne zu sitzen und einen Bissen zu essen. Zumindest eine kurze Pause sollte man sich gönnen, um dann ausgeruht den Höhepunkt der Tour genießen zu können. Klack. Klack. Anna schließt die Schnallen ihrer Tourenstiefel, lässt die Abfahrtsarretierung einrasten, steigt in die Bindung ein, zurrt die Rucksackträger fest, prüft den Sitz der Brille – letzte Handgriffe vor dem ersten Schwung. Ein kleines Stück fahren sie über den Ostgrat ab, bevor sie rechts einbiegen in den eigentlichen, Genuss versprechenden Hang.
Anna schüttelt nur den Kopf. Spinnt der jetzt, der Max? Drei, vier Meter hoch ist die Wechte, auf der Max steht und an der er prüfend hinunterschaut. Reizen würde ihn der Sprung schon, aber die Konsistenz des Schnees spricht nicht dafür, das Abenteuer zu wagen.
Vorsichtig setzt Max die ersten Schwünge. Die Einfahrt in den Hang ist eine der steilsten Passagen. Doch von Bogen zu Bogen erhöht er das Tempo, vergrößert die Radien. Auch wenn der Pulverschnee schon ein wenig feucht geworden ist, lässt er sich doch gut fahren. Anna folgt mit etwas Sicherheitsabstand, so handhaben sie es immer.
Genuss pur ist diese Abfahrt. Der Hang weist eine wunderbare Neigung auf, ist gut strukturiert und bietet doch den Eindruck von Weite. Reichlich unverspurte Bereiche haben nur auf zwei junge Tourengeher gewartet. Den nächsten Hang befahren sie gleichzeitig, setzen Schwung an Schwung. Ewig könnte das so gehen! Doch jeder Traum geht einmal zu Ende. Je tiefer sie kommen, desto schwerer wird der Schnee. Schließlich müssen sie wählen zwischen Bruchharsch auf der Schattseite einer Rippe und aufgefirntem Kruspelschnee auf der Sonnenseite. Schwer zu erraten, wofür sie sich entscheiden! »Perfekt!«, lautet ihr Urteil, als sie wieder zurück am Ausgangspunkt stehen. Am liebsten würden sie morgen gleich wieder auf Tour gehen. Bei diesem Schnee besteht Suchtgefahr.
Lawinengefahr einschätzen
Vor dem ersten Schwung sind verschiedene Vorbereitungen für eine sichere und genussvolle Abfahrt zu treffen. Eines ist bei aller Vorfreude nicht zu vergessen: die
Lawinengefahr
Fell abziehen: Nach der Ankunft am Gipfel zieht man die Felle von den Ski. So können sie während der Pause trocknen. Auf keinen Fall lässt man sie auf dem zur Sonne gewandten Ski kleben, da sich so der Fellkleber lösen kann und auf dem Skibelag haften bleibt. Man legt die Felle passgenau zusammen oder – besser – klebt sie auf die Schutzfolie oder das Schutzgitter auf.
Bindung und Stöcke einstellen: Wer schnell unter kalten Fingern leidet, stellt auch die
Skitourenbindung noch vor der Pause auf die Abfahrtsarretierung ein und bringt die Stöcke auf die richtige Länge. Für die Abfahrt sollten sie kürzer eingestellt sein als für den Aufstieg.
Wäschewechsel: Um während der Gipfelpause nicht auszukühlen, sollte man die unterste Kleidungsschicht, also das durchgeschwitzte Shirt wechseln. Gerade im Hochwinter spendet ein heißes Getränk Wärme und neue Kraft.
Anschnallen: Vor der eigentlichen Abfahrt sorgt man dafür, dass die Schuhe gut sitzen: Die Schnallen werden geschlossen und die Vorlagenarretierung eingerastet. Man schließt Hosen- und Anoraktaschen (vor einem Sturz ist niemand gefeit), zurrt die Rucksackträger und -gurte so fest, dass der Rucksack gut und körpernah sitzt, setzt Schneebrille oder Skibrille und ggf. Helm auf und zieht die Handschuhe an.
Auf die Ski: Für das Einsteigen in die Skibindung wählt man eine ebene Fläche. Notfalls tritt man mit den Schuhen eine solche Plattform aus. Man befreit die Schuhe von festem Schnee, speziell die Sohlen und jene Teile, an denen die Bindung anliegt. Bei rahmenlosen Bindungen ist das besonders wichtig.
Eingestiegen wird zuerst in den Talski, da man so einen sicheren Stand hat. Wer mit Fangriemen fährt, legt diese an. Sie verhindern eine möglicherweise langwierige Suche, falls sich ein Ski im Tiefschnee löst. Bei einem Lawinenabgang können die per Fangriemen am Körper angeleinten Ski allerdings eine verheerende Ankerwirkung entfalten.
Ob Fangriemen verwendet werden, ist deshalb stets eine persönliche Entscheidung.
Gefahren bei der Abfahrt
Die Gefahrenquellen bei der Abfahrt sind ähnlich denjenigen während des Aufstiegs (siehe
Bergsteiger 12/12). Die Lawinengefahr ist für einen abfahrenden Skifahrer deshalb größer, weil man oft auf der Suche nach unverspurten Hangbereichen noch steilere oder gefährlichere Korridore befährt als die Vorgänger. Zudem steigt die Belastung der Schneedecke bei der Abfahrt punktuell auf das Fünffache des Körpergewichts, beim Sturz sogar auf das Siebenfache – und damit die Auslösewahrscheinlichkeit von Lawinen. Auch lassen Vorfreude und der sprichwörtliche »weiße Rausch« manchen Tourengeher die beim Aufstieg eingehaltenen Vorsichtsmaßnahmen vergessen.
Taktik für die Abfahrt
Bereits zu Hause bei der Tourenplanung lässt sich festlegen, welche Hänge man aufgrund der Lawinenverhältnisse nicht befährt. Während des Aufstiegs wird diese Entscheidung durch weitere Informationen (Windzeichen, Befahrungshäufigkeit, Lawinenereignisse etc.) überprüft. Dabei kann man sich Spurkorridore merken, die sicher sind und gute Schneequalität versprechen.
Kritische Hänge, die sich nicht vermeiden lassen, werden einzeln befahren, während der Rest der Gruppe an sicherer Stelle wartet. Der Erfahrenste fährt als erster, ein sicherer Skifahrer macht den Schluss. Bei schlechtem Schnee oder schlechter Sicht ist es für unsichere Skifahrer hilfreich, wenn sie in der Spur des ersten abfahren. Es ist sinnvoll, dass Teilnehmer der Gruppe stets in Sicht- und Rufweite bleiben. Tourengehern, die das Spuren im Aufstieg übernommen haben, ist aus Höflichkeit auch in der Abfahrt der Vortritt zu lassen.
Vorsprung durch (Abfahrts-)Technik
Der Parallelschwung und das Carven sind die beiden wichtigsten Fahrtechniken. Aber auch Sonderfälle wie das Umspringen und die Spitzkehre abwärts sollten irgendwann beherrscht werden. Beim Parallelschwung ist die Skistellung parallel; der Schwung wird aus angehockter Beinstellung ausgelöst, indem in einer Hochbewegung die Füße und Knie gestreckt werden und die Ski aus der Schrägfahrt in die Falllinie gedreht werden.
Bei tiefem Schnee werden die Ski besonders eng geführt (»Blockstellung«), so wird der Auftrieb vergrößert. Je nach Schneebeschaffenheit befindet sich der Körperschwerpunkt mittig über dem Fuß oder in leichter Vorlage.
Beim Carven ist die Skistellung etwa hüftbreit, die Ski werden aufgekantet, der Druck auf den Außenski wird erhöht, und der Körper unterstützt die Richtungsänderung, indem man sich in die Kurve lehnt. Beim Carven ergeben sich so weitere Radien, während beim Parallelschwung engere Radien gefahren werden können.
Der Stemmbogen lässt sich bei mangelnder Erfahrung oder bei sehr schlechtem Schnee anwenden. Beim Stemmbogen wird aus einer annähernd parallelen Skiführung in der Querfahrt der bergseitige Ski ausgestemmt und dann belastet, so dass man ihn in die Falllinie bringen kann. Anschließend wird der Innenski nachgeholt.
Schwünge lassen sich so mit geringer Geschwindigkeit fahren, die Standfestigkeit auf dem Ski ist hoch. Besonders elegant sieht der Schwung allerdings nicht aus.
Das Umspringen kommt in sehr bis extrem steilem Gelände zum Einsatz und ist daher ein Sonderfall, für den sehr viel Übung nötig ist. In der Hochphase, die mit viel Kraft eingeleitet wird, werden die Beine angehockt und die Ski in der Luft um die Kurve gedreht. Der Stockeinsatz unterstützt das Umspringen.
Spitzkehre: Falls in heiklem Gelände ein sicheres Schwingen nicht mehr möglich ist und auch durch seitliches Abrutschen die Steilstelle nicht überwunden werden kann, macht man eine Spitzkehre talwärts. Mit taloffener Stellung wird im Stand zuerst der Talski um 180 Grad gedreht, waagrecht aufgesetzt, belastet und dann der Bergski nachgeholt.
Für jeden Schnee der richtige Schwung
Die Beschaffenheit des Untergrunds ist für die Fahrtechnik ganz entscheidend. Wie fährt es sich am besten?
Für Pulverschnee eignet sich besonders der Parallelschwung. Je tiefer der Schnee, desto wichtiger ist die Blockstellung, da so der nötige Auftrieb geschaffen wird. Die Ski müssen gleichmäßig belastet werden. Selbst geringe Belastungsunterschiede können dazu führen, dass ein Ski »absäuft« und in den Schneeuntergrund abaucht.
Ein Sturz oder Purzelbaum ist die Folge. Beim Carven ist im tiefen Pulversschnee eine relativ hohe Geschwindigkeit nötig.
Firn ist am einfachsten zu befahren und ähnelt einer gut präparierten Piste. Parallelschwung oder Carvingtechnik sind gleichermaßen möglich. Besonders angenehm ist Firn mit einem festen Untergrund und wenigen Zentimetern weicher Schneeoberfläche. Hier ist das richtige Timing für die Abfahrt im Frühjahr mit der starken tageszeitlichen Erwärmung und dem folglichen Anschmelzen der Schneeoberfläche besonders wichtig.
Bruchharsch wird von Tourenfahrern gefürchtet. Unter einer Wind gepressten, oft stark strukturierten Oberfläche oder unter einer angeschmolzenen und wieder gefrorenen Schneeoberfläche befindet sich weicher Schnee. Während die Ski bei den Querfahrten oben bleiben, wird durch die höhere Krafteinwirkung beim Schwung der Harschdeckel durchbrochen.
Ein Rezept für diese Schneeart gibt es nicht, da die Beschaffenheit oft kleinräumig gänzlich anders sein kann. Hangneigung, Luv- und Leeseiten, Skibreite, Gewicht des Fahrers und Fahrgeschwindigkeit können unterschiedliche Techniken nötig machen. Hält der Harschdeckel überwiegend, so fährt man am besten mit moderatem Tempo und vorsichtiger Schwungauslösung.
Wenn der Harschdeckel selten trägt, kann es sinnvoll sein, durch Rücklage, enge Skiführung und kraftvolles Fahren durch den Harschdeckel hindurchzufräsen.
Harter, eisiger Untergrund lässt sich durch kräftiges Aufkanten der Ski befahren. Erleichtert wird das durch gut gepflegte Skikanten.
Nassschnee verursacht ein tiefes Einsinken in die durchweichte Schneeoberfläche – im schlimmsten Fall bis über die Knie. Meist liegt das daran, dass man im Aufstieg zu viel Zeit benötigt hat oder zu spät gestartet ist. Mit leichter Rückenlage, enger Skiführung und großen Radien lässt sich das nötige Tempo erreichen.
Im schlimmsten Fall nutzt man stellenweise die Spuren anderer, um nicht zu weit einzusinken. Die Verletzungsgefahr ist bei diesem Schnee nicht zu unterschätzen. Daher rührt auch der Name: Haxenbrecherschnee.
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