Der Kristallsucher Franz von Arx | BERGSTEIGER Magazin

Der Kristallsucher Franz von Arx

Franz von Arx ist einer der berühmtesten Strahler in den Alpen. Seit seinen Sensationsfunden von bis zu 400 Kilogramm schweren Riesenkristallen im Schweizer Kanton Uri kann er es sich auch mal leisten, ein paar Sommer lang nichts zu finden.
Von Dagmar Steigenberger

 
Glasklar: der dreistufige Riesenkristall aus dem Fund von 2008 © BERGSTEIGER
Glasklar: der dreistufige Riesenkristall aus dem Fund von 2008
Die Strahlen schlummern tief im Innern der Erde. Begraben unter Tonnen von hartem, grauem, stumpfem Gestein. Millionen von Jahren liegen sie dort, unbeachtet und ungesehen. Wie mag es jemandem ergehen, der diesen Schatz als erster Mensch zu Gesicht bekommt?
Franz von Arx aus Gurtnellen im Kanton Uri ist einer der wenigen, die eine solche Geschichte tatsächlich erlebt haben. Der Schweizer ist Strahler von Beruf: Er findet Halbedelsteine – in der Schweiz nennt man die Kristalle »Strahlen« – und lebt von deren Verkauf an Sammler und Museen. Rund ein halbes Dutzend Berufskollegen hat von Arx in der Schweiz, denen solch spektakuläre Funde jedoch bisher verwehrt geblieben sind. Im Herbst 2005 entdeckt Franz von Arx gemeinsam mit seinem Kompagnon Paul von Känel nebst vielen großen und kleinen Einzelkristallen eine einzigartige Kristallgruppe mit einem Gewicht von etwa 400 Kilogramm in einer Kluft am Planggenstock im Kanton Uri. Die längste Spitze dieser unglaublichen Stufe misst gut einen Meter.

18 Millionen Jahre alter Schatz

Franz von Arx beschreibt das Gefühl, das ihn damals beim Fund überwältigte: »Nach jahrelanger Arbeit in dieser Region fällst du plötzlich mit dem Bohrer durch in einen Hohlraum. Du leuchtest hinein und tausendfach werfen die Strahlen das Licht zurück, glitzern und funkeln. Und du bist der erste Mensch, der seit der Entstehung dieser Kristalle vor 18 Millionen Jahren dort reinschaut. Das ist unglaublich schön.« Sein erstes – wenn auch viel kleineres – Erlebnis in dieser Form hatte von Arx als Jugendlicher auf einem Schulausflug, als er eine kleine Bergkristall-Spitze fand. Ab da ließen ihn die Mineralien nicht mehr los. Er kaufte sich Bücher zum Thema und ging, sobald es ihm seine Arbeit am Bau erlaubte, zum Strahlen ins Gebirge. Vor 19 Jahren, nach dem ersten großen Fund, machte Franz von Arx seine Leidenschaft schließlich zum Beruf. Seitdem verbringt er jeden Sommer – je nach Wetterlage von Mitte Juni bis Ende September – auf Strahlensuche am Planggenstock. Dass es dort Mineralien geben könnte, hatten Kristallsucher schon vor hundert Jahren vermutet.

Der obere Teil der 250 Meter hohen Felswand südlich des Göscheneralpsees sieht aus, als wären zig Schuhkartons übereinander gestapelt. Unzählige horizontale Risse durchziehen die Wand. »Das alles deutet darauf hin, dass es hier Klüfte geben kann, in denen Kristalle gewachsen sind«, erklärt von Arx. Auf einer Terrasse mit dem Schutt von abgebrochenen Felsblöcken finden Paul von Känel und er Anfang der 1980er-Jahre einige erdbeerrote Oktaeder – Fluorite, die nur sehr selten in den Alpen vorkommen. Spätestens da ist den Strahlern klar: »Hier ist die Chance groß, dass es noch mehr hat.«

Die ersten Riesenkristalle

Nach 23 Tagen harter Arbeit und 150 Kubikmetern abgetragener, loser Felsblöckestoßen die beiden auf die erste Kristallkluft – zehn Meter breit, 60 Zentimeter hoch und 15 Meter tief. Den zweiten Fund mit den ersten Riesenkristallen machen sie elf Jahre später in einer Tiefe von 50 Metern. »Nach dem Fund von 2005 haben wir gedacht, das war es jetzt«, erzählt der Schweizer. »Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass wir weiter an dieser Stelle arbeiten sollten.« Sein Gefühl hat von Arx nicht getäuscht. Drei Jahre später findet er gemeinsam mit seinem jungen Kollegen und Patensohn Elio Müller – von Känel hat sich zwischenzeitlich entschlossen, die Strahlerei nicht mehr so intensiv zu betreiben – im selben Gebirgsstock einen weiteren Fund mit noch größeren Riesenkristallen: Er besteht aus drei Stufen (Stufen nennt man die miteinander verwachsenen Kristalle, Anm. d. Red.), von denen die längste Kristallspitze 120 Zentimeter misst. Für diesen Fund hat sich von Arx mit seinen beiden Partnern mittlerweile 60 Meter tief in die Klüfte des Berges hinein gearbeitet.

Knochenarbeit ohne Erfolgsgarantie

In den Jahren dazwischen bleibt die Arbeit der Strahler oft ohne Erfolg. Sie bohren und graben monatelang in geduckter Haltung in den dunklen, feuchtklammen Felskammern des Berges, ohne auch nur die kleinste Spitze zu finden. »Wir wissen ja nicht, wo an welcher Stelle wir einen Hohlraum mit Kri-stallen finden«, gibt von Arx zu bedenken. Ein altes Sprichtwort besagt: »Du kannst nur das finden, was für dich bereit liegt.« Strahler brauchen neben geologischen Kenntnissen und einer guten Spürnase vor allem Glück. Und Geduld. Das Leben in der Einsamkeit der Berge ist für ihn zu zweit am schönsten, findet Franz von Arx. Natürlich gebe es auch Strahler, die allein oder in größeren Gruppen unterwegs seien. Für ihn jedoch habe sich die Arbeit im Duo bewährt. Abends erholen sich die beiden Strahler in einem eigens dafür gebauten Bretterverschlag mitten in der Felswand vom knochenharten Alltag. Sie kochen sich ein einfaches Mahl und entspannen anschließend bei Kerzenschein, einem Glas Wein und ab und zu einer Partie Jassen, dem Schweizer National-Kartenspiel. Nur am Wochenende verlassen von Arx und Elio Müller ihren Arbeitsplatz auf 2600 Metern Höhe, um ihre Familien zu besuchen. Ein karges Leben da droben, bei dem man feststelle, dass man in Wirklichkeit gar nicht viel zu selbigem brauche, wie von Arx lächelnd sagt. Er ist glücklich darüber, dass er dem Ruf der Kristalle gefolgt ist.

Kunstwerke der Natur

Der Beruf des Strahlers ist beinahe so alt wie die Menschheit selbst. Schon in der Antike waren die Forscher von den funkelnden Naturwundern fasziniert und zerbrachen sich die Köpfe darüber, wie die Bergkristalle entstanden sein könnten. Sie vermuteten, dass es sich um steinhart gefrorenes Eis handele. Tatsächlich aber entstanden diese Mineralien mit der Auffaltung der Alpen vor 14 bis 18 Millionen Jahren, als das Gestein einem immensen Druck und hohen Temperaturen bis zu 450° Grad Celsius ausgesetzt war. Besonders die alpinen Kristalle sind wegen ihres Aufbaus und ihrer Reinheit begehrt. Vor gut 200 Jahren wurden aus den Urner Quarzen Kronleuchter, Kristallschalen, -krüge und andere kostbare Objekte für die Königshöfe in ganz Europa hergestellt. So stammt das Kristall der Kronleuchter in den Schlössern von Berlin und Potsdam von König Friedrich II. beispielsweise aus den Urner Alpen. Sogar mystische Kräfte werden den funkelnden Kristallen nachgesagt: Sie sollen Krankheiten heilen und Klarheit in die Gedanken bringen. Doch es hat weder luxuriöse noch esoterische Gründe, warum der Strahler Franz von Arx so fasziniert von den Kristallen ist.

Die Botschaft der Kristalle

An einen Privatsammler würde er die einzigartig großen Stufen niemals verkaufen, wenn es auch an derartigen Anfragen nicht mangelt. »Wir sind interessiert daran, dass die Kristalle an einen Ort kommen, wo jeder ihr Licht und ihre Schönheit bewundern kann.« Von Arx, von Känel und Müller haben dafür gesorgt, dass die Riesenkristalle einen ihnen gebührenden Platz bekommen. Der erste Fund ist inzwischen im Naturhistorischen Museum in Bern ausgestellt. Der zweite, noch größere lagert momentan in der Werkstatt des Strahlers, soll aber schon bald ebenfalls in ein Museum wandern. Im vergangenen Jahr durften die Strahler ihn bei den Mineralientagen in München präsentieren. Franz von Arx glaubt, dass diese großen Kristalle eine Botschaft an die Menschen seien, die sie nur noch richtig verstehen müssten. »Es ist wirklich an der Zeit, dass wir das Staunen wieder lernen und über die wahren Werte in unserem Leben nachsinnen.« In der Schweiz befinden sich die wertvollsten Schätze nicht zwangsläufig auf dem Bankkonto. Sondern dort, wo man sie am wenigsten vermuten würde: inmitten der rauen, einfachen Bergwelt.
Fotos: Robert Bösch
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