Klettersteig-Paradies Engelberg | BERGSTEIGER Magazin
Klettersteige mit Panoramablick in der Schweiz

Klettersteig-Paradies Engelberg

Wer in Engelberg am Stahlseil hoch hinaus will, braucht feste Schuhe und ein Klettersteigset. Fünf Eisenwege vom Feinsten – von leicht bis extrem – warten auf Ferrata-Fans und führen sogar bis ans »Ende der Welt«. Von Iris Kürschner

 
Klettersteig-Paradies Engelberg © Iris Kürschner
Finale grande mit grandioser Aussicht in die Weite und in die Tiefe: Die Via Ferrata durch die Fürenwand ist nur etwas für erfahrene Klettersteiggeher.
Die Welt scheint in Engelberg tatsächlich zu Ende. Steile Felswände umzingeln den flachen Talboden, den ein eiszeitlicher See hinterlassen hat. Es gibt nur einen Weg – und der führt hinauf. Das macht den Ort für Alpinisten interessant. Schon im 19. Jahrhundert hat hier der Bergtourismus eingesetzt. Wege wurden markiert, Hütten gebaut, Seilbahnen eröffnet. Doch der Hunger nach dem Abenteuer ist geblieben. Immer gewagter sollte sie werden, die Tour zum Gipfel. Auch über Wege führen, denen das eigene Talent Grenzen setzt. Klettersteige lassen solche Wünsche Wirklichkeit werden, denn sie bieten Kletterabenteuer für Wanderer, bei denen man gut gesichert und ohne eigenes Seil in die Vertikale gehen kann. Manch ein alteingesessener Bergsteiger mag den Kopf geschüttelt haben, als vor Jahren der Boom der Eisenklammern und -stifte begann.

Doch allen Bedenken zum Trotz: Aus dem Tourismusgeschäft sind Klettersteige nicht mehr wegzudenken. In Engelberg versteht man es, den verschiedenen Bedürfnissen der Ferratisten gerecht zu werden. Im Schatten des Titlis können Klettersteiggeher ihre Belastbarkeit in punkto Psyche, Armkraft und Kondition allmählich steigern.

Klettersteige am Engelberg - aller Anfang ist spielerisch

Das Übungsgelände für Einsteiger liegt am 2593 Meter hohen Rigidalstock. Das Brunnistöckli an seinem Fuße können sich auch Familien mit Kindern zutrauen. Spielerisch sind gewagtere Elemente eingebaut, beispielsweise eine kurze Seilbrücke und eine nicht übertriebene Hängebrücke; die Luftigkeit der Aufschwünge ist moderat. So gestaltet sich der Ausflug weder lang noch langweilig. Die nahe Brunnihütte versorgt knurrende Mägen und der Härzlisee mit Kneipp’schem Erlebnispfad verschafft Abkühlung am Ende der Tour. Etwas mehr Kondition verlangt dann die Fortsetzung der Eisenroute auf den Rigidalstock. Die technischen Schwierigkeiten nehmen zwar nicht zu, dafür ist Ausdauer gefragt. Zur Belohnung kann der Blick nun erstmals weiter schweifen, zum Beispiel hinüber zum wuchtigen Stock des Pilatus, den wir bei der Anfahrt vom Vierwaldstätter See aus passiert haben. Der giftgrüne Talboden von Engelberg liegt uns zu Füßen, darüber türmt sich der Gletscherthron des Titlis. Vis-a-vis zackt der Graustock, den ebenfalls ein Klettersteig garniert.

Die Anfängerroute ist beliebt: Mittags ist der Gipfel des Rigidalstocks fast immer gut besucht. Butterbrotpapier knistert. Wahre Schätze werden aus dem Rucksack gepackt, und vielleicht ist auch ein Stück Engelberger Klosterglocke dabei. Den gibt es unten im Tal beim Benediktinerkloster zu kaufen, wo Käsemeister Ernst Odermatt unermüdlich an neuen Rezepturen tüftelt. Aus seiner Manufaktur kommen Mini-Bries, gefüllt mit einer Baumnuss-Frischkäsemasse, mit Trüffel, Chili oder Wasabi. Originell ist der glockenförmige Weichschimmelkäse: Er ist eine Hommage an jene Klosterglocke, die mit dem anderen Geläut nicht wie geplant harmonisierte – und deshalb ausgesetzt im Garten steht. Ihr Miniatur-Nachbau aus Käse entfaltet seine Harmonie nun eben auf dem Gaumen.

Gutes aus dem Kloster für den Gipfel

Bis zu zehn Mal täglich demonstriert der Meister in seiner Schaukäserei die Herstellung der cremigen Versuchung. Derweil berät seine Frau Ruth die Kunden an der Käsetheke, lässt sie probieren und packt ihre Wünsche ein – die dann oben am Rigidalstock wieder ausgewickelt werden. Der delikate Käse gibt Kraft für den Rückweg. Zurück in der Brunnihütte werden neue Pläne ausgeheckt. Der Zittergrat steht noch aus. Außerdem könnte die anspruchsvolle Variante auf das Brunnistöckli eine kleine Vorübung für die Fürenwand sein. Brunnistöckli und Zittergrat bleiben das ganze Jahr über offen und können also auch im Winter begangen werden, während die Sicherungsseile am Rigidalstock zwischen Ende Oktober und Mitte Juni entfernt werden.

Trainingsrouten mit Panoramablick

Die Route am Graustock ist eine weitere Trainingstour für die Fürenwand. Sie bietet eine Mischung aus alpiner Bergwanderung und anspruchsvoller Kletterei über ausgesetzte Felsaufschwünge. Das Panorama am Graustock ist vielleicht noch ergreifender als jenes vom Rigidalstock aus: Unterwegs fällt der Blick hinunter in die Tiefe und dort auf den stahlblauen Trübsee, findet daneben gleich die Gletscherflanken des Titlis und schweift hinüber in die 700 Meter hohe Nordwand des Berges. Aussicht rundum gibt es dann am Gipfelkreuz. Das 360-Grad-Panorama reicht vom Titlis über Spannort und Pilatus bis zum Wetter- und Schreckhorn sowie zum höchsten Gipfel der Berner Alpen, dem Finsteraarhorn.

Steile 250 Meter: Klettersteig an der Fürenwand

Hoch hinaus soll es zum Finale nun auch gehen: Die Fürenwand ist ausschließlich erfahrenen Klettersteiggehern vorbehalten. Steht man an ihrem Wandfuß, dann ist es wieder da: dieses Gefühl, am »Ende der Welt« zu sein. Winzig klein, schmächtig und zerbrechlich kommen wir uns vor, als unser Blick über die endlose, grauenvoll steile Wand gleitet. Da also geht ein Weg hinauf? Wenn doch wenigstens ein paar wärmende Sonnenstrahlen über diese Felsfluchten blitzen würden. Aber dafür ist es noch zu früh. Nun beginnt das fieberhafte Korrigieren am Klettersteigset: Sitzt alles richtig? Es sitzt. Nicht mehr nachdenken. Konzentration ist gefragt. Los jetzt. Schnell wird uns warm. Von der Bewegung und vom Nervenkitzel. Der Totenkopf eines Rindes grinst unverschämt am Wegesrand. Manch einer mag das humorvolle Dekor der Klettersteig-Erbauer gar nicht bemerken – zu beschäftigt ist er mit sich und der Ausgesetztheit. Die 250 Meter hohe Wand hat am bewachsenen Jägerband ihr Ende. Dort staunen wir nicht schlecht, eine Holzbank vorzufinden.

Originell lässt sich’s da in exponierter Loge rasten. Aufatmen? Von wegen. An der aussichtsreichen Pausenstation ist erst die Hälfte der Tour geschafft. Und der Blick in den zweiten Part der Route verspricht ein noch gewagteres Abenteuer. Manch einer an der Bank hadert nun: Soll er lieber doch den Zwischenausstieg nehmen? Denn was als Nächstes kommt, ist nichts für zaghafte Gemüter: die Wandquerung. Die Angelegenheit gestaltet sich als etwas schlüpfrig, weil in dem schattigen Eck Rinnsale leicht gefrieren – die Passage wird dann zur Rutschpartie. Unter unseren Sohlen gähnt der Abgrund. Ein haarsträubender Eindruck. Erst als wir uns über eine Steilstufe gehievt haben, verliert das Bodenlose seine Bedrohlichkeit. Doch noch einmal trumpft die Tiefe auf: Eine fast 20 Meter lange Strickleiter ist zu überwinden. Sie baumelt an einem Überhang und zerrt an unseren Armmuskeln. Dann ist es geschafft: Wir sind oben. Und entsprechend glücklich, als wir endlich am Bergrestaurant der Fürenalp ankommen.

Überblick: Klettersteige am Engelberg

1. Klettersteig Brunnistöckli/Zittergrat (2030 m)

Schwierigkeit: Mittel
Höhendifferenz: 200Hm
Dauer: 1 Std.
Kinder: ab 13 Jahren
Charakter: Abwechslungsreicher Übungsklettersteig mit Seil- und Hängebrücke sowie einer schwierigen Variante. Aus dem Brunnistöckli-Steig kann jederzeit ausgestiegen werden – im Gegensatz zum Zittergrat ohne Ausstiegsmöglichkeit.
Ausgangspunkt: Bergstation Ristis-Brunni (1860 m). Talstation im Zentrum von Engelberg. Fahrbetrieb 8–18 Uhr, Tel. 00 41/41/6 39 60 66, www.brunni.ch
Hütte: Brunnihütte an der Bergstation des Sesselliftes (1860 m), Tel. 00 41/41/637 37 32, www.brunnihuette.ch

2. Klettersteig am Rigidalstock (2593 m)

Schwierigkeit: Leicht
Höhendifferenz: 730Hm
Dauer: 4 Std.
Kinder: ab 8 Jahren
Charakter: Die familienfreundliche und sehr beliebte Panorama-Bergtour bekommt durch ihre Klettersteigpassagen Abenteuercharakter.
Ausgangspunkt: Bergstation Ristis-Brunni (1860 m), Talstation im Zentrum von Engelberg. Fahrbetrieb 8–18 Uhr, Tel. 00 41/41/6 39 60 66, www.brunni.ch
Hütte: Brunnihütte, Tel. 00 41/41/6 37 37 32, www.brunnihuette.ch
Route: Von der Brunnihütte in eineinhalb Stunden zum Einstieg, wo gleich zum Auftakt die Schlüsselstelle durch eine steile Rinne kommt. Abstieg nur über die Ferrata möglich.

3. Graustock-Klettersteig (2661 m)

Schwierigkeit: Mittel
Höhendifferenz: 460Hm
Dauer: 4 Std.
Kinder: ab 13 Jahren
Charakter: Die Grattour zwischen zwei reizvollen Seen kombiniert einen alpinen Klettersteig mit Bergwegen und sollte nur bei sicherer Wetterlage in Angriff genommen werden.
Ausgangspunkt: Jochpass (2207 m), Gondelbahn zum Trübsee, Fahrbetrieb 8.30–17.15 Uhr; Sessellift Jochpass, Fahrbetrieb 8.30–16.30 Uhr
Hütte: Berghaus Jochpass (2222 m), Tel. 00 41/41/6 37 11 87, www.jochpass.ch
Route: Vom Jochpass aus in 15 Min. zum Einstieg. Der Abstieg führt über den Südwestgrat und das Schaftal zurück zum Ausgangsort.

4. Klettersteig an der Fürenwand (1840 m)

Schwierigkeit: Schwer
Höhendifferenz: 765Hm
Dauer: 3 Std.
Kinder: ab 18 Jahren
Charakter: anspruchsvoller, perfekt gesicherter Sportklettersteig im Banne des Titlis
Ausgangspunkt: Talstation der Seilbahn Fürenalp (1084 m), 5 km vom Zentrum Richtung Talschluss, Fahrbetrieb 8–18 Uhr, www.fuerenalp.ch
Hütte: Restaurant Fürenalp an der Bergstation (1850 m), Massenlager, Tel. 00 41/41/6 37 39 49
Route: Von der Talstation Fürenalp zum Einstieg in 20 Min., Zwischenausstieg nach 1 Std. am oberen Jägerband; Schlüsselstelle bereits schon die ersten 80 m über senkrechten, glatten Fels; leichter Überhang im Beginn des 2. Abschnitts; ca. 20 m hohe, sehr luftige Strickleiter kurz vor Ende des 2. Abschnitts, die Armkraft erfordert. Anstatt für den Abstieg die Gondel zu Hilfe zu nehmen, runden malerische Bergwanderwege den Tag ab.

Iris Kürschner
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 08/2011. Jetzt abonnieren!
 
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