Warum Nepal gerade jetzt die Trekking-Touristen braucht
Kathmandu im Oktober 2014
20 Stunden nach dem Erdbeben saß ich bereits wieder im Flugzeug nach Kathmandu, jedoch dieses Mal war ich nicht als Bergsteigerin oder Miss Hawleys Assistentin unterwegs, sondern ich war Teil eines Soforteinsatzteams der Humanitären Hilfe der Schweiz. Ich wusste, dass ich mich emotional von dem Land, in dem ich sehr viele schöne Momente verbracht hatte, distanzieren musste. Als wir um 23 Uhr mit unserem kleinen Flieger der REGA in Kathmandu landeten, dauerte es geraume zwei Stunden bis uns ein Parkplatz zugewiesen wurde. Tribuvhan International Airport hatte bereits 36 Stunden nach dem Beben nicht die Kapazitäten so viele ankommende Flugzeuge unterzubringen. Endlich, um ca. 1 Uhr morgens, traten wir aus dem Flughafen und die Atmosphäre war fast gespenstisch.
Das Kathmandu, das ich kenne, wimmelt entweder von Menschen und ist tobend laut; oder – wie so oft nach 21 Uhr – gibt sich verlassen und still; bis auf das Bellen der Hunde versteht sich. In dieser Nacht war alles anders: Obwohl sich die Menschen in Scharen mit Decken und Plastikplanen um den Flughafen versammelt hatten, war kein Mucks zu hören – nicht einmal das Bellen der Hunde. Auf der Fahrt in die Schweizer Botschaft, in der ich für die nächsten 10 Tage mein Basislager aufstellen sollte, versuchte ich bereits einen ersten Eindruck der Zerstörung zu bekommen, konnte jedoch auf den ersten Blick in der Dunkelheit nicht viel sehen.
Wie viele Schweizer Touristen, die Zuflucht in der Botschaft gesucht hatten, stellten wir unsere kleinen Zelte auf und versuchten ein paar Stunden zu schlafen bevor wir uns am nächsten Tag in unsere Arbeit stürzten. Als ich am nächsten mit meinem Fahrrad durch die Stadt fuhr, war ich überrascht, wie wenig der Zerstörung offensichtlich war. Die Aussagen der Medien, dass Kathmandu enorme Schäden davon getragen hatte, passten einfach nicht zu dem Bild, das sich vor mir ausbreitete. Dazu muss man natürlich sagen, dass Kathmandu selbst zu den besten Zeiten eher chaotisch ist (siehe Bilder), jedoch war es trotzdem gut zu sehen, dass viele Häuser noch standen und der Touristendistrikt Thamel nur gering beschädigt war.
Allerdings trügt der Schein leider oft, denn einige der noch stehenden Häuser haben strukturelle Schäden und müssen zur Sicherheit abgerissen werden. Natürlich möchte ich die Auswirkungen dieser beiden Erdbeben nicht kleinreden, und es besteht kein Zweifel, dass das Land im hohen Himalaya viele Jahre brauchen wird, um sich von diesem Schock zu erholen. Aber auch wenn die Nachrichten nur die schlimmsten Bilder zeigten und wenn die Außenministerien vieler Länder vor einer Reise nach Nepal warnen, gibt es doch viele Orte und Trekkingrouten, die im Herbst dieses Jahres guten Gewissens besucht werden können. Es werden derzeit Gutachten der Routen durchgeführt und auch wenn wir noch nicht wissen, was der Monsun in den nächsten Monaten bringt, steht einer Trekkingtour in den meisten Gebieten derzeit nichts im Wege.
Am 15. Juni 2015 eröffnete Nepal auch die restaurierten Sehenswürdigkeiten im Kathmandu-Tal. »Rolwaling, Manaslu und Langtang sind schwer beschädigt und können derzeit nicht besucht werden«, berichtet der Schweizer Erwin Scheibert, der für das Welternährungsprogramm (WFP) ein Gutachten der betroffenen Trekkingrouten durchführt. »Bei den anderen Pfaden sehen wir jedoch kaum Probleme«, fährt er fort.
Die Herbstsaison wird sehr ausschlaggebend für Nepal sein, denn das Einkommen vom Tourismus ist eine wichtige Quelle. Tourismus macht einen bedeutenden Teil des Bruttoinlandsproduktes aus und im Jahr 2014 waren über eine halbe Millionen Menschen in der Tourismusindustrie beschäftigt. Diese Zahl sollte laut dem World Travel und Tourism Council (WTTC) in den nächsten zehn Jahren 700,000 erreichen. Wenn jedoch der Tourismus in dieser Zeit einsackt und die Trekker, Kulturinteressierten oder Langzeit-Reisenden sich von den Schönheiten Nepals abwenden und sich ein anderes Reiseziel suchen, wird die Zahl der rund 2,2 Millionen Nepalis, die derzeit im Ausland – weit weg von ihren Familien arbeiten – weiterhin steigen.
Die Autorin
1967 in Garmisch-Partenkirchen geboren und aufgewachsen. Seit 2004 lebt sie in Kathmandu, der Hauptstadt Nepals und arbeitet für die "Everest-Chronistin" Elizabeth Hawley. Sie stand schon auf dem Gipfel des Mount Everest, sowie des Manaslu und des Makalu. Billi Bierling schreibt für Bergsportmagazine und Medien in aller Welt.