Klettergebiet in der Zentralschweiz

Genussklettern am Furkapass

Raue Granitplatten, bestens abgesicherte Kletterrouten, dazu eine atemberaubende hochalpine Landschaft – so sieht das Paradies für Genusskletterer aus. Wo es liegt? Nahe des Furkapasses in der Zentralschweiz… Von Andrea (Text) und Andreas (Fotos) Strauß

 
Tolle Kletterlinien und bester Granit warten am Gross Furkahorn im Sektor »Kristall«, hier in der Route »Schwarzgold« (6b)(Foto Andreas Strauß) © Andreas Strauß
Tolle Kletterlinien und bester Granit warten am Gross Furkahorn im Sektor »Kristall«, hier in der Route »Schwarzgold« (6b)
»Belvedere« heißt nichts anderes als »Schöne Aussicht«, und es gibt eine ganze Menge Hotels dieses Namens in den Alpen. Eines der berühmtesten in der Schweiz steht westlich unterhalb der Passhöhe des Furkapasses. Ein ungewöhnlicher Platz, wurden doch die großen Häuser früher direkt auf der Passhöhe errichtet. Das »Belvedere« am Furkapass aber schaut auf eine besondere Sehenswürdigkeit, nämlich auf den Rhonegletscher. Alte Postkarten zeigen Oldtimer vor dem Hotel, Damen mit ausladenden Hüten und Kavaliere mit Spazierstock, die gebannt auf die Séracs des Gletschers schauen. Nach etwa neun Kilometern flachem Gletscherbecken eingerahmt von den Dreitausendern Tällistock, Tier­alplistock, Wysse Nollen, Eggstock, Schneestock, Dammastock, Rhonestock, Tiefenstock, Galenstock, Sidelenhorn und den Furkahörnern, nach diesem großartige Gletscherbecken also, brach der Rhonegletscher in einer bizarren Welt aus Eislamellen und krachenden Schollen ab ins 500  Meter tiefer gelegene Tal. Von den Zimmern und den Gasträumen des altehrwürdigen Hotels war das Donnern der abbrechenden Eismassen zu hören.

Heute ist der Rhonegletscher längst nicht mehr das, was er einst war. Dennoch ist die riesige Eisfläche – Klimaerwärmung hin oder her – noch immer sehenswert. Allerdings tragen manche Besucher heute statt der Hüte Helme, statt des Spazierstocks einen Rucksack mit Seil und Expressschlingen, denn zu beiden Seiten des Gletschers sind in den letzten Jahren wunderschöne Klettergebiete erschlossen worden.

Klettergebiete am Furkahorn

Auf der östlichen Moräne des Rhonegletschers verläuft der Steig zum Einstieg der Klettereien am Klein Furkahorn. Den Gletscher selbst betreten wir zwar nicht, doch er ist der heimliche Dirigent in diesem Konzert. Er ist der Blickfang, der Star im Rampenlicht. Und das Rampenlicht ist an diesem Augusttag mit vollem Strahl auf ihn gerichtet. Tiefblauer Himmel, die Sonne ein funkelndes, blendendes Etwas. Nach kaum einer Stunde Gehzeit hören wir das Klimpern von Karabinern – eine Seilschaft ist scheinbar schon unterwegs. Das Ambiente ist einzigartig: auf der einen Seite glatt geschliffene, graubraune Granitplatten, auf der anderen Seite der Gletscher. Die älteste Route ist gleichzeitig die längste. Die »Westplatten« (4b, in der Zentralschweiz werden die Routen nach der franz. Skala bewertet, siehe Vergleichstabelle auf S. 39, Anm. d. Red.) führen in über 20 Seillängen hinauf auf den Südwestgrat des Klein Furkahorn. Eine Seilschaft tastet sich über die Plattenseillängen hinauf, und weiter oben hört man eine Dreierseilschaft; die haben den steileren Abschnitt erreicht und klettern durch ein Risssystem nach oben.

Im Führer finden wir unsere Alternative: 20 Meter weiter rechts gibt es den »Kreuzbandweg«. Diese Route ist frei und sieht genauso einladend aus. Die 13 Seillängen bewegen sich homogen zwischen 3a und 4a. Der »Kreuzbandweg« wird eine wunderbare Plattenturnerei: bombiger Fels, alpines Ambiente, prächtiges Wetter. Alles läuft wie am Schnürchen, und als das Gelände zu flach zum Klettern wird, müssen wir einsehen, dass jeder Genuss ein Ende hat, auch der »Kreuzbandweg«.

Von der Nachmittagssonne sind die Westwandplatten nun richtig aufgewärmt – jetzt heimzugehen wäre eine Sünde. Ein Stück gletscherabwärts gibt es zwei weitere »Plaisir«-Routen, die »Via Heinrich« und die »Via Bepi«. Mit 5c bewertet sind beide etwas schwieriger als der »Kreuzbandweg«, aber die Hakenabstände sind noch enger, die Routen kürzer  und der Fels genauso toll wie drüben am Kreuzband. Den »Heinrich« besuchen wir zuerst. Ein sympathischer Typ, dieser Heinrich mit seinen sieben Seillängen und der wunderbaren Felsstruktur mit vielen großen Quarzkristallen. Sein Nachbar, der »Bepi«, wird unser Chill-Out, vier Längen zum Anbeißen und Festbeißen. »Den besuchen wir wieder mal!«, sind wir uns anschließend einig.
Mit gierigen Augen schauen wir hinüber auf die Westseite des Rhonegletschers. Drüben an den Gärstenhörnern wurden etwa 25 Routen eingebohrt, meist zwischen 3c und 7a und eine Seillänge hoch. Der Zustieg über den Gletscher hält uns am nächsten Morgen dann doch von einem Besuch der Gärstenhörner ab. Schließlich lockt uns ein anderes Ziel, das Gross Furkahorn, welches knapp einen Kilometer Luftlinie nördlich seines kleineren Bruders aufragt.

»In der schönsten alpinen Granitwelt«

Mit Superlativen sollte man eigentlich vorsichtig sein. Im Fall des Gross Furkahorns muss man aber Jürg von Känel zitieren, der es als Autor von etlichen Plaisir-Kletterführern über die Schweiz ja wissen musste. Er schrieb über das Gross Furkahorn: »Man befindet sich hier in der schönsten alpinen Granitwelt der Schweiz.« Nur eine Stunde Zustieg ohne Gletscherberührung und die nahe Sidelenhütte sind zwei weitere Argumente, die für einen Besuch des  Gross Furkahorns sprechen.

Parkplatz Galenbödmen kurz nach Sonnenaufgang. Zwei Mädchen liegen in ihren Schlafsäcken neben dem Auto und trinken dampfenden Kaffee. Daneben packen zwei Herren mittleren Alters ihre Rucksäcke mit Keilen und Friends voll. Ein paar Meter weiter entlässt ein Klein-Transporter eine halbe Schulklasse, die nur noch rasch die Helme auf den Rucksäcken verstaut und gleich Richtung Fels losstürmt. Selbst ein großes Schild: »Zu den schönsten Kletterrouten« könnte nicht deutlicher sagen, dass wir hier richtig sind.

Die Schulklasse und die beiden Kaffeetrinkerinnen werden wir im Laufe des Tages an den Wandfußplatten wiedersehen. Über 40 Routen in verschiedenen Sektoren bieten Klettereien in bestem Fels. Die steilen Platten sind immer wieder von Rissen durchzogen, bilden Verschneidungen und Dächer.

»Betreten der Baustelle verboten«: Dieses Schild markiert den Einstieg zum »Kristall« (5c+, 5 SL), eine der schönsten Routen weit und breit und Namensgeber für den untersten Sektor. Naturgemäß ist hier auch am meisten los, da der Zustieg am kürzesten ist und jeder Kletterer beim Anblick der Felsen möglichst schnell die Wander- gegen die Kletterschuhe tauschen will. In der glatten Einstiegsverschneidung spürt man, dass selbst bester Granit Begehungsspuren aufweisen kann. Oder ist es nur die normale Unsicherheit auf den ersten Metern? Genau die Momente, in denen die Füße und Arme ans Hirn melden: »Geht nicht, ich bin doch bloß Mensch!« Und das Hirn zurückfunkt: »Blödsinn, du bist Raubkatze, also beweg’ dich auch so!«

Auch nach der Verschneidung bleibt es schwierig. Mir wird warm, der weiche Sohlengummi der Kletterschue sucht jede Rauigkeit im Fels und beißt sich fest. Wenn sich nur die Finger genauso festsaugen könnten! Mit angehaltenem Atem balanciere ich um eine Kante herum. Für die Finger sind nur glatte Platten da, nichts zum Greifen! Plötzlich taste ich ein Loch. Etwas bröselig, aber riesig groß. Das »Loch« ist eine Kristallkluft. Ein paar matte Kristallreste sind noch verblieben, der Schatz längst von Strahlern ausgeräumt. Jetzt ist uns klar, warum die Route »Kristall« heißt.

Die Qual der Routenwahl…

Auch das »Sorgechind« etwas weiter rechts hat seinen Namen zu Recht. Denn am Einstieg steht bereits eine Seilschaft in der Warteschlange. Mit 5a ist »Sorgechind« die leichteste Route in diesem Sektor. Die einladende »Schwarzgold« (6b) links wollen wir uns für den Nachmittag aufheben. Eine Route weiter rechts ist Kaffeetrinkerin Nummer 1 schon am ersten Standplatz, wir reihen uns daher hinter Kaffeetrinkerin Nummer 2 ein. Das macht richtig Spaß, den beiden Mädchen zuzuschauen. Die zwei biegen nach dem ersten Stand rechts in die Route »Marcopolo« (5c+) ab. Wenn man der Vorsteigerin zuschaut, könnte man meinen, sie spaziere über die Maximilianstraße. An der Eleganz ihrer Bewegungen ändert sich auch nichts an der A0-Stelle, und die ist frei immerhin 6c. Wir folgen der geraden Linie, sie heißt »Hippigschpänst« (5c), hat keine Kristallkluft, ist jedoch ebenfalls wunderschön.

Pause – Klettern macht hungrig! Aus gebührender Entfernung schauen wir den Seilschaften zu. Die Jugendlichen kämpfen im Sektor »Kristall« gerade mit einem Seil, das sich nicht mehr abziehen lässt. Die zwei Mädels sind eine Etage höher zugange; es muss die Route »Milchstraße« (6b) sein, in der sie klettern. Ein helles Band weist den Weg durch die senkrechte Wand. Während des Vesperns blättere ich im Führer. Sollen wir in den Sektor »Joschi« wechseln? Die elegante Linie von »Gassi« (5c, 6 SL)  sticht mir ins Auge. Von deren Ausstieg könnte man die »Via Daisy« (5b) weitersteigen oder »Di schnäll Muus« (5c), den »Düsentrieb« (6a) oder die »Groovie Goofie« (6b).  Noch ein paar Mal im Führer weiterblättern und ich bin am Galengrat mit seinen alpinen Routen und am Gross Bielenhorn mit seiner Südwestwand, zwischen 5a und 7a warten hier eine Menge phantastischer Mehrseillängen-Routen: Stoff für einen ganzen Klettersommer! Nur schade, dass der am Furkapass leider immer viel zu kurz ist…        
 
Andrea Strauß
 
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