Traumberuf Hüttenwirtin
Die Kaunergrathütte ist die höchstgelegene des Pitztals.
Gedränge. Eigentlich passt dieses Wort so gar nicht an einen Ort, der auf über 2800 Metern liegt, inmitten von grauen Felsblöcken und moosigem Geröll, zwischen dem sich auch im Hochsommer noch Schnee versteckt. Und trotzdem drängt es sich gerade auf der Kaunergrathütte. Klettergruppen, Alpenvereinskurse, Bergführer, Fernwanderer, Familien auf Bergtour – am späten Nachmittag ist Stoßzeit auf der Hütte im Pitztal.
Die letzten Kurse, »Eis und Fels«, kehren vom Gletscher zurück, die Waschräume füllen sich, aus den Duschen steigt Dampf auf und je näher das Essen rückt, desto weniger freie Stühle gibt es in der Stube. Und mittendrin wirbelt Julia Dobler. »Habt’s noch a Platzerl frei?«, ruft sie durch den holzvertäfelten Raum. Ohne auf eine Antwort zu warten, schiebt sie zwei zusätzliche Hocker an den Tisch. Der ist eigentlich schon voll.
Sagen würde das hier aber natürlich keiner. Und zwar nicht nur wegen des entwaffnenden Lächelns, das Julia Dobler aufsetzt. Auf 2800 Metern rückt man gerne etwas näher zusammen. Dass die Hüttenwirtin dann auch noch nett fragt und nicht einfach entscheidet, hilft zusätzlich. Ist der Wirt kein Eigenbrötler, murren auch die Gäste nicht – und das, obwohl die 65 Plätze der Kaunergrathütte im Sommer öfter nicht reichen.
Eng wird es dann nicht nur an den Tischen, sondern auch in den Zimmern, Toiletten und Waschräumen. Trotzdem kippt die Stimmung nicht. Und das liegt an ihr: Julia Dobler, 25, seit diesem Jahr in ihrer vierten Saison Wirtin auf dem Kaunergrat und das Gegenteil einer kauzigen Eigenbrötlerin. Als Julia Dobler mit 22 an fing, war sie die jüngste Hüttenwirtin Österreichs.
Der Bergsport wird weiblicher
Einige Zeit später musste sie diesen Titel aber weitergeben, weil »die Anna auf der Brandenburger Hütte auch angefangen hat«, sagt Dobler und lacht: »Die ist, glaub’ ich, noch ’ne Woche jünger als ich.« Und Dobler kennt noch viele andere in ihrem Alter, die gerade als Wirte anfangen. Der Bergsport wird jünger und weiblicher. Als der Deutsche Alpenverein (DAV) im Sommer 2013 sein millionstes Mitglied begrüßte, stand ein Frauenname auf dem überdimensionierten Ehrenausweis.
40 Prozent der DAVler sind mittlerweile Frauen. Gleichzeitig wird der Verein auch jünger: Den stärksten Zuwachs hatten in den vergangenen Jahren die unter 25-Jährigen, freut sich der Alpenverein. Und das verändert auch die Berghütten. Julia Dobler hat ihre blonden Haare zu einem Zopf gebunden. Sie trägt ein enges gelbes Shirt, eine enge schwarze Jeans und balanciert fünf Teller mit Palatschinken durch die volle Hüttenstube.
»Oft denken die Leute, dass ich nur eine Bedienung bin«, sagt Dobler. Ein Hüttenwirt sei in der Vorstellung der meisten eben doch noch der wundersame Bartträger, dem es nichts ausmacht, tagelang alleine auf der Hütte auszuharren und der auch dann nicht geselliger wird, wenn doch einmal ein Wanderer über Nacht bleibt. Auf der Kaunergrathütte sei es freundlicher als auf anderen Hütten, sagen die Bergsteiger: wegen der jungen Wirtin.
Lockerer gehe es zu, sagen die Bergführer über die Kaunergrathütte. Und die Wirtin selbst? Später am Abend, gut eine Stunde nach Hüttenruhe, wenn die meisten Gäste bereits in den Betten liegen, wird sie sagen, dass sie im Vergleich zum Klischeewirt wohl schon »offener und serviceorientierter« an die Arbeit geht – nicht nur weil sie vor ihrer Zeit am Berg Hotelfachfrau gelernt hat.
Abendessen auf der Kaunergrathütte
Jetzt serviert Dobler lieber den dritten Gang des heutigen Abendessens und sagt nur: »Wer Nachschlag will, muss selbst in die Küche gehen. Ich bring’s euch nur einmal an den Tisch.« Sagen bräuchte sie eigentlich nichts. Das Abendessen spricht für sich: erst Gulaschsuppe, dann Geschnetzeltes und jetzt Palatschinken.
Die gemeinsamen drei Gänge zum Abendessen waren eine der Neuerungen, die Dobler mit auf den Berg brachte. Als sie anfing, war das eine besondere Herausforderung: Das geduckte Haus am Kaunergrat ist die höchstgelegene Hütte des Pitztals, auf 2817 Metern, in alpiner Extremlage. Kein Fahrweg, keine Materialseilbahn. Nur der Aufstieg zu Fuß und der Anflug mit dem Hubschrauber.
Weil der aber kostet und nicht bei jedem Wetter fliegen kann, muss Julia Dobler vor dem Start jeder Saison gut planen. Fleisch, Milch oder Weißbier: Schwer zu sagen, wie viel man in vier Monaten verbraucht. Das erste Jahr war anstrengend, auch deshalb, weil Julias Mutter krankheitsbedingt im Tal bleiben musste. Und Julia Dobler verkalkulierte sich: zu viel Fleisch, zu wenig Milch.
"Wir haben nur die Berge"
Einer Männerrunde, die sich nach dem Aufstieg laut auf ihr Weißbier freute, konnte die Wirtin nur Wein anbieten. Als später in der Saison die Milch ausging, rührte der Koch den Kaiserschmarrn der Bergführer mit Orangensaft an. Nach dem Essen hat Julia Dobler endlich einen Moment Ruhe: Im Osten öffnet sich das Pitztal, im Süden glitzert der Plangerossferner im Abendlicht – direkt gegenüber der Sonnenterasse der Kaunergrathütte.
Die Aussicht auf den Gletscher ist gewaltig. Die Aussichten für das an vielen Stellen grau-schwarz durchsetzte Eis sind dagegen weniger gut. »Wir beobachten zwar nicht, dass der Gletscher schnell schrumpft«, sagt Julia Dobler. Doch immer wieder knackt und kracht das Eis. Die zunehmende Wärme bringe Bewegung in den Permafrostboden.