Der Herz-Ass-Weg - Wandern im Villgratental
Ein knapper Abschiedsgruß, Türen schlagen. Dann entfernen sich die beiden Kegel der Auto-Scheinwerfer und kriechen talwärts in die kalte Winternacht hinein. Es ist der Morgen des 24. Dezembers 1988, als Norbert Mariacher und Konrad Hofmann zur Erstbegehung der Grate rund ums Villgratental auf brechen In den kommenden fünf Tagen werden sie völlig auf sich allein gestellt sein: ohne Gasthaus, ohne warmes Bett. Stattdessen Expeditionsnahrung vom Gaskocher und Schlafen in selbst gegrabenen Schneehöhlen zum Schutz vor dem eisigen Wind, der auf den ausgesetzten Graten stetig bläst. Unten im Tal verfolgt Heinrich Hofmann, Konrads Bruder, gemeinsam mit Angehörigen und Freunden die einzelnen Etappen der Bergsteiger.
Gut 100 Kilometer Strecke mit um die 50 namhaften Gipfeln haben die beiden vor sich: Gölbner, Regenstein, Arnhörner, Degenhorn, Riepenspitze, Toblacher Pfannhorn... Schon die Namen machen klar, dass es sich bei der Überschreitung weniger um eine Wanderung denn um eine Expedition in hochalpinem Gelände handelt. Mit dem Finger auf der Landkarte verfolgt Heinrich den Weg, da fällt ihm auf: Wie ein Herz umschließen die Bergketten das Villgratental. Der Name Herz-Ass Villgraten ist geboren.
Gratüberschreitung im Winter
Fünf Tage brauchten die beiden für die Überschreitung. Fünf Tage, in denen nicht alles Herz-Ass und Trumpf war. »Am ersten Tag waren wir 16 Stunden unterwegs. Bei fast jedem Schritt sind wir in die Schneedecke eingebrochen«, erinnert Fotos: Norbert Mariacher, Oswald Fürhapter (3) sich Norbert Mariacher an die Strapazen. Der Bereich um die Arnhörner im Osten war die Schlüsselstelle, die wir mit steifen Schuhen und gefrorenen Socken geklettert sind.« Wegloses Gelände, Klettereien im IV. Schwierigkeitsgrad, Steinschlaggefahr und weit und breit keine Hütte am Grat, in der Bergsteiger Zu flucht finden vor Wetterumstürzen oder vor der Nacht: Die Idee eines Herz-Ass-Weges ge fi el den Touristikern dennoch so gut, dass sie sie aufgriffen und daraus eine Route entwickelten, die in sechs Etappen und durch sanfteres Gelände als jenes direkt am Grat rund um das Villgrater Tal führt.
In einer Höhe zwischen 1800 und 2600 Metern hat man auf die umliegenden Berge und auf das Tal im Herzen immer noch eine gute Aussicht. »Wie von einem Adlerhorst«, schwärmt Franz Bergmann. Er betreibt eine Pension in Außervillgraten und ist einer der Organisatoren der gemäßigten Wandervariante des Herz-Ass-Wegs. Sie führt über Almwiesen und durch knorrige, von unzähligen Stürmen gebeutelte Lärchenwälder, vorbei an sagenumwobenen Seen und Bächen, hinauf zu Jöchern und mit der Möglichkeit zu Gipfelabstechern. Auf den letzten beiden Etappen folgt der Weg sogar originalgetreu dem Grat bis nach Außervillgraten, wo sich die Runde schließt.
So kommen auch Tageswanderer, die wegloses Gelände und Klettereien scheuen, in den Genuss der Kulisse von Sextener Dolomiten, Großglockner und Venediger. Konditionelle Fitness verlangt der Herz-Ass-Weg aber auch in seiner sanften Variante – unter anderem deshalb, weil die Wanderer nach jeder Tagesetappe ins Tal absteigen, da es oben keine Hütten gibt. Im vergangenen Sommer wurde der Weg im Rahmen des Wanderopenings »Bergsteigerdorf hautnah« eröffnet.
Der Schatz vom Schwarzsee
Die Organisatoren des Herz-Ass-Wanderwegs sind damit allerdings noch nicht am Ziel angelangt. »Unser Tal hat eine lange alpine Geschichte, die wir den Wanderern vermitteln wollen«, sagt Bergmann. Im 17. Jahrhundert entstand der Salz-Steig, auf dem Bauern das Salz von Außervillgraten über das Villgrater Joch nach Hopfgarten im Defereggental schmuggelten. Später marschierten die ersten Bergsteiger auf dem Bonner Höhenweg hoch über Villgraten; auf einer Etappe ist er identisch mit dem Herz-Ass-Weg. All diese Besonderheiten rund ums Villgratental sind stille Attraktionen. Funparks, Bettenburgen oder auch Liftanlagen sucht man hier vergebens. Die Bergsteigerdörfer, zu denen auch Inner- und Außervillgraten gehören, haben sich dem sanften Tourismus verpflichtet.