Die schönsten Touren im Grenzgebiet Österreich - Schweiz

Unterwegs im Montafon

Über drei Kilometer hoch ist das Vorarlberger Alpental Montafon zwischen Bludenz und dem Piz Buin, vierzig Kilometer lang – und voller Überraschungen. Unser Tipp: hinfahren, herumwandern und hinaufsteigen, mit offenen Augen und wachen Sinnen. Es gibt viel zu entdecken!
 
Zurück vom Gipfel: am Abstieg von der Kirchlispitze mit gutem Blick auf die Zimba © Andreas Künk
Zurück vom Gipfel: am Abstieg von der Kirchlispitze mit gutem Blick auf die Zimba
»Wir fuhren nach Schruns in Vorarlberg in Österreich. Nachdem man durch die Schweiz gefahren war, kam man bei Feldkirch an die österreichische Grenze. Der Zug fuhr durch Liechtenstein und hielt in Bludenz, wo eine kleine Seitenlinie abging, die an einem steinigen Forellenwasser entlang durch ein Tal mit Bauernhöfen und Wäldern bis Schruns führte, einer sonnigen Marktstadt mit Sägemühlen, Geschäften, Gasthöfen und einem guten, ganzjährig geöffneten Hotel, das ›Die Taube‹ hieß, in dem wir wohnten.« Ernest Hemingway kam Ende November 1925 mit seiner Familie ins Montafon, wo er bis Ostern blieb: ein Wintermärchen.

Ich hab’s eher mit der warmen Jahreszeit, und da bietet sich ein anderer Weg ins Tal der Ill an, vor allem, wenn man in Oberbayern zu Hause ist: oben einsteigen, über die Bielerhöhe. Die ist gut 2000 Meter hoch und Kulminationspunkt einer schönen Bergstrecke, die vom Tourismus dies- wie jenseits der Wasserscheide als »Silvretta-Hochalpenstraße « angepriesen wird. Das Wetter meint’s gut mit uns, ein stabiles Hoch hockt über den Alpen und verspricht ein paar Tage Sonnenschein. Gerade richtig für eine Wanderwoche im Montafon, zwischen Tal und Gipfel. »Schau mal, da hinten«, sage ich zu Hildegard, »der Piz Buin«. Exakt 3312 Meter ist er hoch und damit der höchste Gipfel Vorarlbergs, berühmter Schweizer Werbeträger (Sonnencreme!) und von einem Schweizer Alpinisten erstbestiegen: Johann Jakob Weilenmann am 14. Juli 1865.

Am gleichen Tag – was für ein Zufall! – stand Whymper als erster Mensch auf dem Matterhorn. Die Buin- Besteigung verlief ohne Zwischenfälle und Weilenmann notierte: »Auch hier nicht die geringste Spur früherer Besteigung! Die Umschau übertraf in jeder Hinsicht unsere Erwartungen. Das Auge schwelgt im Anblick der rings am Himmelssaum funkelnden Firne, das Herz fühlt sich ergriffen von der feierlichen Stimmung, die durch den unermesslichen Raum weht.«

Wasserkraft: Silvretta-Stausee

Wir spazieren über die westseitige Mauer des Silvretta-Stausees; sie ist fast einen halben Kilometer lang, nicht weniger als 470 000 Kubikmeter Beton schwer und bis zu 80 Meter hoch. Seine milchiggrüne Farbe verdankt das Gewässer dem Gesteinsmehl, das die Ill von ihrem Ursprung am Ochsentaler Gletscher herbringt. Der reichte einst bis hinaus zur Bielerhöhe, wo er eine mächtige Moräne zurückließ. Die Kraftwerksbauer nutzten die natürlichen Gegebenheiten und sattelten den Naturdamm beim Bau der ostseitigen Sperre einfach auf. Wasser ist Leben, das wissen wir alle. Wasser kannst du trinken, es kann aber auch Räder antreiben, Turbinen. Dazu braucht es Höhe oder andersherum: Gefälle. Das Montafon hat neben dem Rohstoff das passende Profil, und die Vorarlberger Illwerke sorgen dafür, dass kein Regentropfen, kein Schneekristall, der hier vom Himmel fällt, ungenutzt dem Bodensee zufließt. »Weiße Kohle« nennt man den Energieträger H2O, der keine rußgeschwärzten Hauswände und Gesichter zurücklässt: saubere Energie aus den Bergen.

Wir fahren hinab ins Tal, vorbei am Vermunt- Stausee und durch das Kurvenkarussell der »Silvretta-Hochalpenstraße«. Wer wissen will, wie die Ill-Kraftwerke elektrische Energie erzeugen, sollte in Partenen den »energie.raum« besuchen. Dabei kann man sich gut vorstellen, wie das Wasser durch Druckleitungen herab schießt, Turbinen antreibt und sie dabei erzittern lässt: Energie, gebändigte. Ordentlich Energie verbraucht in Partenen auch, wer sich am »größten Fitnessgerät der Welt« versucht. Über diesen Superlativ könnte man streiten, die 4000 Stufen der Europatreppe mit Steigungen von maximal 86 Prozent sind aber durchaus geeignet, auch gut Trainierten den letzten Rest an Kraft aus den Beinen zu saugen… Die Treppe wurde übrigens im Zusammenhang mit der (heute stillgelegten) Standseilbahn Vermunt (Trominier) in den 1920er-Jahren angelegt.

Die Zimba, das Matterhorn des Montafons

Nördlich von St. Gallenkirch weitet sich das Tal, erreicht man den Doppelort Schruns-Tschagguns. Er ist touristisches Zentrum des Montafons, Endpunkt jenes Bähnchens, mit dem einst Hemingway anreiste. Damals führte die Trasse weiter bis nach Partenen, weil man da gerade mit dem Bau des Vermunt-Kraftwerks begann. Wir schauen nicht zurück, sondern hinauf: zum schönsten Berg der Talschaft, zur Zimba (2643 m): das »Montafoner Matterhorn«, gerade mal halb so groß wie das Walliser Original, aber fast so spitz. Am Oberlauf der Ill kennt diesen Berg jedes Kind; sein elegantes Felsprofil schaut auch hinein in manch gute Stube. Erstmals bestiegen wurde der Gipfel am 7. September 1848 durch den Bludenzer Anton Neyer – mithin noch vor dem Matterhorn! Und exakt 134 Jahre später begegnete mir am Gipfel eine seiner Ur-Ur-Enkelinnen, weil sie »auch einmal auf die Zimba wollte.«

Ein großer Klettergipfel ist die Zimba nicht geworden, die meisten Routen gelten als zu leicht, und der Fels ist auch nicht überall so richtig fest. Doch ähnliches könnte man auch vom »Horu« behaupten, und das hat der Anziehungskraft des »schönsten Berges der Welt« keinerlei Abbruch getan… Die Form macht’s halt, hier wie dort – man braucht bloß auf den Saulakopf zu steigen und hinüber zu schauen zur Zimba. Vom Nachbargipfel aus ist auch das rötliche Gestein deutlich zu erkennen, das sich wie ein breiter Ring um den Berg legt. Ihm verdankt die Zimba ihren ursprünglichen Namen, der in der Alpenvereinshütte an ihrem Nordfuß weiterlebt: Cima Sarotla – Ringelspitz.

Rätoromanische Wurzeln

Diese Bezeichnung erinnert an die rätische Vergangenheit des Montafons. Vom 14. Jahrhundert an wurden die Rätoromanen dann aber mehr und mehr von alemannischen Walsern (aus dem Schweizer Kanton Wallis) verdrängt, die vor allem Alm- und Viehwirtschaft betrieben. Reich war das Tal in seiner langen, wechselvollen Geschichte nie, es blieb weitgehend isoliert, trotz des Handels (und Schmuggels) über das Schlappiner Joch. So verdingten sich viele Männer als Saisonnier im flachen Land, als Maurer, Stuckateure, Zimmerleute oder als Krautschneider bis ins ferne Elsaß (ein findiger Montafoner hatte einen besonders raffinierten Krauthobel mit sechs Messern erfunden). Auch Kinder wurden übers Sommerhalbjahr in die Ferne geschickt, »Schwabengehen« nannte man diesen zeitweiligen Exodus, der aus schierer Not geboren wurde: Kinder als (billige und rechtlose) Arbeitskräfte auf den Bauernhöfen Oberschwabens. Diese »Sklaverei« erlebte im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt; erst 1915 wurden die Kindermärkte abgeschafft.

Hüttenwandern im Montafon

Die Vergangenheit ist fern, der Himmel dafür nah. Wir sind unterwegs auf der Montafoner Hüttenrunde, ganz früh in der Tübinger Hütte mit dem Aufstieg zum Vergaldner Joch gestartet. Ein kurzer Blick auf den Höhenmesser – Modell Thommen und nicht digital, dafür absolut zuverlässig – signalisiert stark fallenden Luftdruck. Das macht mich natürlich stutzig, trotz des strahlend blauen Firmaments. Größter Risikofaktor beim Bergsteigen, heißt es ja immer wieder, sei das Wetter. Oben am Joch – wir schwitzen bereits ordentlich in der Sommerhitze – ist’s fast windstill, die Sicht zur Scheienfluh (noch) ungetrübt. Das ändert sich allmählich beim Abstieg nach Gargellen, und drunten im Tal zögern wir: weitergehen oder ein Quartier suchen? Fast vier Stunden sind wir bereits unterwegs, und jetzt wartet ein 1000-Meter-Anstieg auf uns…

»Gehen wir«, entscheide ich und schultere den Rucksack. Wir sind gut drauf, schaffen die Steigung in einer Superzeit. Am Sarotlajoch pfeift uns der Wind um die Ohren, über dem Prättigau entlädt sich ein veritables Gewitter. Am Plasseggenpass fallen dann die ersten Regentropfen, so dick, dass sie auf dem Fels richtig auf klatschten. Beinahe schlagartig wird es düster, wie bei einer Sonnenfinsternis, und fast so unheimlich, dann kracht es gewaltig, mit Echo zwischen den Wänden. Aus dem grünen St. Antönier Tal ziehen Wolkenfetzen herein, der Wind orgelt und tobt in Sturmstärke.

Im Schweinsgalopp erreichen wir das rettende »Ufer«: die Tilisunahütte. Puh! Hinter uns fällt die Tür ins Schloss. Mit einem Mal verstummt der Lärm, nur ein paar Fensterläden klappern, und aus der Gaststube dringt Stimmengewirr. Runter mit dem Rucksack, dann wisch’ ich mir die Nässe aus dem Gesicht. Wir ziehen die Regenjacken aus, die Hosen kleben an den Beinen, aber in den Schuhen ist es ziemlich trocken. Sommer im Montafon: viel Sonne, aber manchmal regnet’s und stürmt’s auch. Wie überall in den Bergen. Nur sind die nicht überall so schön wie in diesem Nordalpental, das sich zur Schweiz hin öffnet, aber zu Felix Austria gehört.

Tourenmöglichkeiten im Montafon:

Leichte Höhenwanderung zur Lindauer Hütte
Rundtour auf das Hohe Rad
Der Vaude-Schmuggler-Steig
Gipfel mit Profil: die Zimba, das »Matterhorn des Montafons«
Fotos: 
Andreas Künk
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 05/2012. Jetzt abonnieren!
 
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