Hochtourenrunde im Ötztal | BERGSTEIGER Magazin
Die Ramolrunde verbindet drei Hütten in vier Tagen

Hochtourenrunde im Ötztal

Im Herzen der Ötztaler Alpen finden sich neben vielbegangenen Wegen noch veritable Abenteuer: Die Überschreitung des Schalfjochs ist eine Gletschertour für Geübte wie für Genießer. In vier Etappen werden auf der Ramolrunde drei Hüttenstützpunkte besucht.
 
Viele Bachbrücken der Ramolrunde sind provisorisch und werden im Winter wegen der Lawinen abgebaut. © Bernd Ritschel
Viele Bachbrücken der Ramolrunde sind provisorisch und werden im Winter wegen der Lawinen abgebaut.
Hoch hinaus und glücklich nach Haus – Hochtourenfreunde reichen sich Tipps zu rassigen Ausflügen gern unter der Hand weiter. So auch für diese Rundtour im hintersten Ötztal am Alpenhauptkamm. Der Start im Hoteldorf Obergurgl lässt sich gemütlich an: Ein breiter Weg zieht vom Ortsrand in die Almwiesen, vorbei an Lifttrassen, durch lichten Zirbenwald und beständig in die Höhe. Zum Hochwildehaus, dem Tagesziel, sind es viereinhalb Stunden. Schöne Randerscheinung: In passend getaktetem Abstand locken kulinarisch interessante Hütten zur Rast. Nach einer Stunde quert der Weg die Rotmoosache, die an dieser Stelle und kurz über dem Rotmoosfall einen veritablen Canyon in den Felsgrund gefressen hat, um nach wenigen Metern auf die Schönwieshütte zuzuhalten.
Schönwies? Der Name ist Programm: Der flache Bau mit dem flächigen Dach, das Vogelschwingen gleicht, liegt am Eingang zum beschaulichen Rotmoostal.

Hochwildehaus: steinige Szenerie mit Farbfleck

Eine lang gezogene Linkskurve und einige Höhenmeter später passiert der Schotterweg die Gurgler Alm, zieht nach Süden, nach einer weiteren Stunde ist die Langtalereckhütte erreicht. Die massiven Natursteinmauern dieser Trutzburg erinnern daran, dass hier auf 2500 Metern oft schwere Gewitter niedergehen. Ein schnelles Speckbrot, dann wird es spannend: Als steiler Bergpfad umrundet der Weg den nördlichen Schwärzenkamm, um schließlich über Altschneereste und einen Moränenrücken das Hochwildehaus zu erreichen. Zur Rechten reckt tief unten der Gurgler Ferner seine Zunge talwärts. Mit seiner Schraffur erinnert das apere Eis an die faltige Haut eines Elefanten. Darüber zeigt die Schlüsselstelle von morgen ihr Gesicht: Wie eine Hängebrücke prangt das Schalfjoch über dem spaltigen Kleinleitenferner.

Im späten Abendlicht zeichnen die markanten Silhouetten von Hochwilde, Falschungg- und Karlesspitze eine elegante Krone in den blassen Himmel. Davor die erleuchteten Fenster des Hochwildehauses. Seine rotweißen Fensterläden sind der einzige Farbfl eck in dieser steinigen Szenerie. Abends, nach dem verdienten Schnitzel, holt Musiklehrerin Christine die Gitarre raus, setzt mit Begleitung zum Zwiegesang an: »Drobn auf der Hochwilde, da san mia dahoam. Wenn die Gletscher schmelzen, dann duad’s Herz a bisserl warm«. (Die Darbietung kann man übrigens auch auf youtube nachhören). »Mei is des schee«, murmelt der Gast zufrieden und geht früh schlafen. Das ist auch nötig. Denn lange vor Tagesanbruch klingelt der Wecker. Um 3.30 Uhr wird rasch die Hochtouren-Ausrüstung zusammengepackt. Im Hochsommer die richtige Zeit, um Gletscher in der Morgenkühle anzugehen.

Über den Gurgler Ferner ins Schalfjoch

Doch erstmal geht es über angefrorene Blöcke bergab, um den Gurgler Ferner an strategisch günstiger Stelle zu queren. Der Schein der Stirnlampen malt helle Flecken auf das Eis, findet dann den Pfad, der durch das Geröll hinauf führt. Langsam ändert der wolkenfreie Himmel den Farbton, wirkt durchscheinend, schimmert dann blassblau. Trinkpause, bevor es auf den spaltigen Kleinleitenferner geht, mit Bremsknoten im Seil. Die nächtliche Abstrahlung hat den Firn abgekühlt, er scheint trittfest. Das ist gut. In einem weiten Rechtsbogen geht es auf sicher wirkendem Grund hinauf ins Schalfjoch. Mit jedem Schritt geraten die Ausblicke spektakulärer. Tief unten schiebt sich der gewaltige Strom des Gurgler Ferners wie eine megabreite Autobahn ins Tal.

Darin der felsige Mitterkamm, der wie eine Haifischflosse das Eismeer zerschneidet. Blockwerk, Platten, Moränenschotter Im Joch angekommen, heißt es, Pause machen – und Sonne tanken: Der Blick in die schattig-kühle Westseite verspricht einen markanten Temperaturwechsel. Durch schräg gestellte Platten verläuft der Abstieg eine schmale Felsrinne hinab bis zum Rand des Nördlichen Schalfferners. Auch der entpuppt sich steil wie eine Rampe. Wer auf Nummer sicher gehen will, seilt an der nahen Abseilstelle eine Seillänge ab. Dann folgt Gehgelände. In Falllinie hat das Schmelzwasser tiefe Längsrillen in den Firn getrieben. Am unteren Gletscherrand beginnt das eigentliche Abenteuer: der weglose Abstieg über einige hundert Höhenmeter losen Moränenschotter. Das verlangt sicheres, ausbalanciertes Gehen mit Stöcken. Ein paar versprengte Rinnsale kämpfen sich durch die Steinwüste talwärts, bündeln sich zu einem Wildbach. Konzentration. Wer auf haltlose, eisgelagerte Brocken tritt, geht mit einer Gesteinssalve ab wie auf einem Kugellager. Abstände einhalten ist hier mehr als ratsam.

Unten in der Senke, am Schalfbach, freut sich das Auge doppelt über sporadische Inseln von schüchternem Grün. An die Senke schließt sich ein karges, gut vier Kilometer langes Tal wie aus dem Wilden Westen: Nichts als Schrofen, Steine, steile Flanken. In der Ferne hockt – das Ziel! – die Martin-Busch-Hütte auf einem Absatz. Also immer westwärts, am Bach entlang, diesen queren, um schließlich den Gegenanstieg zur Hütte anzupeilen. Pause. Ausruhen. Kein Lufthauch regt sich. Eine Stärkung in der Wirtsstube, dann Übernachten im Lager. Die schwerste Etappe ist geschafft. Nach dem Stolpern über Moränenschotter wirkt der luxuriöse Wanderweg Richtung Vent wie eine Butterfahrt. Das Meckern von Ziegen begleitet den Wanderer durchs Niedertal bergab, bis rechterhand ein Schild den Abzweig zum Ramolhaus weist. Durch Latschen und Almrausch gewinnt der schöne Pfad an Höhe, quert Matten und Wiesen, dann die rundgeschliffenen Felsen des Diembachs. Die grünen Wiesen federn die Schritte elastisch ab. Was für ein Wellnessboden! Hoch über dem Spiegelbach weist der Pfad nun Richtung Ramoljoch, das sich neben dem Hinteren Spiegelkogel abzeichnet. Serpentinen führen zum Joch hinauf. Das Abendlicht fällt auf verfi rnte Reste des Spiegelferners, das Weiß bildet einen harten Kontrast zum rötlichen Schotter. Dann ist das Joch erreicht. Bevor man von einem Tal ins andere, aus einer Welt in die nächste steigt, sollte man kurz inne halten.

Während der Westen noch voll im warmen Licht liegt, gehört die Ostseite längst den Schatten. Nochmals Hand anlegen, der Abstieg führt an Fixseilen und Drahtstiften über Blockwerk und Platten nach unten in die Nacht. Rechterhand geraten die Umrisse eines Gebäudes in Sicht: Wie ein unschlüssiger Turmspringer lehnt das Ramolhaus an einer Felskante über dem Abgrund, dreht dabei die Schmalseite zum Tal. Der Standort kündet von hoher Ingenieurskunst – und von Sinn für Dramaturgie: Die Aussicht auf die Naturgewalt des Gurgler Ferner mitsamt seiner Gipfelphalanx ist wohl die beste überhaupt. Im Innern der Hütte warten viel Holz, ein Eintrag ins Hüttenbuch und ein herzliches »Griaß’ enk!« – vor allem aber das Abendessen. »So schmecken die Berge!«, liest ein Tischnachbar laut von der Tafel ab. »Papa, Berge kamma doch ned essen!«, tadelt die sechsjährige Tochter. Doch, zumindest, was dort heranwächst – prompt kommen Schweinebraten mit Kraut und Kartoffeln auf den Tisch. Genau das, was der Mensch so braucht nach mehrtägigem Höhenritt.

Ewiges Spiel der Elemente

Letzter Tag. Auf der besonnten Terrasse mit den Karotischtüchern herrscht Frühstücksfrieden, die blanken Fensterscheiben spiegeln ein Stück blitzblauen Himmel und glänzende Schneegipfel. Fünf Meter weiter fällt das Gelände steil ab. Erstaunlich, dass diese höchstalpine Hütte ausgerechnet einer nordischen Sektion gehört – Hamburg. Sei’s drum. In einer langen Querung zieht der Talweg hinunter nach Obergurgl, verliert langsam an Höhe. Tief unten rauscht die Gurgler Ache. Wetter, Wasser, Felsen, Eis – eine Szenerie der Kräfte, gefangen im ewigen Spiel der Elemente – in dem der Mensch nur Zaungast ist.

Die einzelnen Etappen der Ramolrunde im Überblick:

Hüttentour im Ötztal

1. Etappe: Obergurgl – Hochwildehaus

Schwierigkeit: mittel
Gehzeit: 4½ Std.
Höhendifferenz1000 Hm 1000 Hm
Route: Von Obergurgl (1907 m), Talstation Hohe-Mut-Bahn, in 2 bis 2½ Std. auf Weg 922 bis zur Langtalereckhütte (2430 m); in weiteren 2 Std. auf steilem Steig den Schwärzenkamm umrunden Richtung Süden zum Hochwildehaus (2866 m).
Schwierigkeiten: Auf markiertem Weg, aber Trittsicherheit erforderlich.

2. Etappe: Hochwildehaus – Schalfjoch – Martin-Busch- Hütte

Schwierigkeit: mittel
Gehzeit: 6 Std.
Höhendifferenz: ↗800 Hm 1200 Hm
Route: Vom Hochwildehaus (2866 m) zum Gurgler Ferner absteigen, an geeigneter Stelle queren. Anfangs der Markierung durch Steinmandl, später der Wegmarkierung in Richtung Schalfkogel-Ostgrat folgen, schließlich über den spaltigen Kleinleitenferner zum Schalfjoch (3375 m). Auf dessen Westseite über Platten, Gletscher und Moränenschotter absteigen, dem Talverlauf nach Westen folgen, zuletzt kurzer Gegenanstieg zur Martin-Busch-Hütte (2501 m).
Schwierigkeiten: Querung steiler Gletscher; teilweise unwegsam und mühsam; Bergerfahrung erforderlich.

3. Etappe: Martin-Busch-Hütte – Ramolhaus

Schwierigkeit: mittel
Gehzeit: 6 Std.
Höhendifferenz1080 Hm 500 Hm
Route: Von der Martin-Busch-Hütte (2501 m) nach Norden dem Fahrweg talauswärts folgen bis zur beschilderten Abzweigung Ramolhaus. Bis zum Ramoljoch aufsteigen, Abstieg ostseitig über versicherte Passagen zum Ramolhaus (3005 m).
Schwierigkeiten: Hochalpiner Übergang über das Ramoljoch; teilweise versichert (Plattenpassagen); nur konditionell fordernd.

4. Etappe: Ramolhaus – Obergurgl

Schwierigkeit: mittel
Gehzeit: 3½ Std.
Höhendifferenz1100 Hm 1100 Hm
Route: Auf dem Adlerweg (Etappe 53) vom Ramolhaus in einer langen Querung talauswärts bis Obergurgl absteigen.
Schwierigkeiten: Langer, aber unschwieriger Abstieg; auf markiertem Wanderweg (Nr. 902) in den Talschluss von Obergurgl hinab; Trittsicherheit und Ausdauer dennoch erforderlich.
Von Franziska Horn
Fotos: 
Bernd Ritschel
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 05/2014. Jetzt abonnieren!
 
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