Skibergsteigen mal anders: Vulkanaufbruch | BERGSTEIGER Magazin
Mit Ski auf die Vulkane am Pazifischen Feuerring

Skibergsteigen mal anders: Vulkanaufbruch

Skibergsteigen und Vulkane: Am Pazifischen Feuerring haben Astrid Därr und Martin Völker es geschafft, ihre beiden Leidenschaften zu vereinen. Während der letzten zwei Jahre bestiegen sie 20 Vulkane in Japan, Chile, Kamtschatka und den USA. Doch nicht jeder Krater ließ die beiden Bayern bis an seinen Rand. Noch nicht.
 
Vulkantouren © Astrid Därr
Der Villarrica hustet eine beißende Rauchfahne und zwingt Astrid Därr zur Umkehr.
Meine Augen füllen sich mit Tränen. In meinem Hals brennt ätzende Säure. Es ist der eisige Wind, der uns diese bläuliche, beißende Rauchfahne ins Gesicht treibt. Sie kommt direkt aus dem lavagefüllten Krater des Villarrica-Vulkans (2840 m), der seit seinem letzten heftigen Ausbruch im März 2015 unablässig raucht. Trotzdem sind seine Flanken schneebedeckt, der Gipfelhang ist steil und vereist, wir tauschen Tourenski gegen Steigeisen. Noch 100 Höhenmeter bis zum Kraterrand. Die vulkanischen Gase lassen uns bei jedem Atemzug heftig husten. Unkalkulierbar scheinen uns dadurch die Gefahren für unsere Gesundheit. Mit Ausblick auf die Seenlandschaft von Pucón wedeln wir enttäuscht über breite Firnhänge abwärts. Der Villarrica bleibt vorerst auf unserer To-do-Liste.

Rund um den Pazifik reihen sich mehr als 450 aktive Schichtvulkane hufeisenförmig aneinander. Kegelförmige Berge, rauchende Schlote, heiße Quellen, stinkende Fumarolen, bizarre Lavaformationen – und dazu endlos weite Schneeflanken: ein perfektes Terrain für diejenigen, die Skibergsteigen und Vulkane gleichermaßen lieben. Bei der Besteigung von insgesamt 20 Vulkanen am Pazifischen Feuerring in den vergangenen zwei Jahren erlebten mein Partner Martin Völker und ich Naturgewalten und traumhafte Abfahrten.

USA: Hohe Berge, Riesenburger

Die Bilder der Eruption des Mount Saint Helens im Bundesstaat Washington gingen 1980 um die Welt. Bei dem von einem Erdbeben begleiteten Ausbruch kollabierte die gesamte Nordseite des Berges. Eine 18 Kilometer hohe Aschewolke und pyroklastische Ströme begruben alles Leben unter Staub, Schlamm und Geröll. 35 Jahre später laufen wir mit unseren Tourenstiefeln vorbei an frühlingsgrünen Koniferen über schwarzes Lavageröll. Am höchsten Punkt (2549 m) des überwechteten Kraterrands eröffnet sich nach Norden hin ein überwältigendes Panorama: auf den aufgesprengten Krater voller rauchender Spalten und bis zum Mount Rainier (4392 m) am Horizont.


35 Jahre nach dem Ausbruch: Am Mount St. Helens wächst wieder junger Wald.

Uns erwartet eine perfekte Abfahrt über steile Firnhänge, unser nächstes Ziel direkt vor Augen: der kapuzenförmige, vergletscherte Mount Hood (3425 m). Zurück am Zeltplatz im Wald waschen wir uns in einem eiskalten Bergbach den Schweiß vom Körper und wärmen uns auf dunklen Basaltplatten in der Frühlingssonne. Bei einem Roadtrip durch Kalifornien, Oregon und Washington besteigen wir neben dem Mount St. Helens vier weitere Vulkane der Kaskadenkette. Sie erstreckt sich auf 1130 Kilometer Länge parallel zur Pazifikküste von British Columbia bis nach Nordkalifornien.

Wegen der großen Trockenheit in den vergangenen Jahren müssen wir die Ski zwar immer ein paar Hundert Höhenmeter tragen, dennoch entpuppt sich der Mai als ideale Jahreszeit: Oben beglückt uns perfekter Firn, unten genießen wir die kalifornische Sonne in T-Shirt und Shorts. Auf Infrastruktur wie in den Alpen müssen wir in den Staaten allerdings verzichten. Es gibt keine Hütten und so erklimmen wir die meisten Berge als Tagestour mit einer Zeltnacht im Wald.

An den hohen Vulkanen Mount Adams (3743 m), Mount Baker (3286 m) und Mount Shasta (4322 m) errichten wir einsame Hochlager im Schnee – und regenerieren im Tal bei Riesenburger, Pizza und dünnem Kaffee im Halbliterbecher. Am Mount Shasta lernen wir zudem Otto aus Straßlach kennen, der mit über 70 Jahren den 4000er als Vormittagstour unternimmt und uns nach der Abfahrt ein kaltes Weißbier aus seinem Wohnmobil anbietet.


In der Kaskadenkette: Waldcamping vor der Skitour

Kamtschatka: Russisches Outback

Fast ein Jahr später ziehen wir in Petropavlovsk- Kamtchatsky auf der anderen Seite des Pazifiks unsere Tourenski vom Gepäckband. Der gigantische, weiße Klotz des Koryaksky (3456 m) thront direkt hinter dem Flugfeld und den sozialistischen Plattenbauten der Hauptstadt an der Avacha-Bucht. Andrey, unser russischer Guide mit rotblonder Vokuhila- Mähne, begrüßt uns enthusiastisch: »Es liegt so viel Schnee wie seit Jahren nicht mehr!«

Er kennt fast jeden Vulkan auf Kamtschatka, organisiert das Militär- Permit und die Transfers mit uralten 6x6 Ural-Trucks und Pistenraupen, ohne die in den meterhohen Schneemassen kein Weiterkommen ist. Die Halbinsel Kamtschatka liegt am östlichen Ende Sibiriens und zählt mit 29 aktiven Vulkanen, heißen Quellen und Geysiren zum UNESCO Weltnaturerbe. In den nächsten zwei Wochen erleben wir nicht nur himmlischen Powder und höllischen Bruchharsch in endlosen Birkenwäldern und an steilen Vulkanflanken, sondern auch die Skurrilität des Lebens im hintersten Winkel Russlands. »In Moskau nennt man die hinterste Bank in der Schule Kamtschatka – so weit weg sind wir hier vom Rest Russlands«, sagt Andrey.

Im Paratunka-Tal übernachten wir in einer windschiefen Datscha, die in den 1970er-Jahren als vulkanologische Station diente. Nach den Skitouren stärken wir uns mit kiloweise Lachs und wärmen uns im 40° heißen, von drei Meter hohen Schneewänden flankierten Thermalpool auf. Jeden Tag kämpfen wir gegen orkanartige Böen, die feuchte Luft vom Pazifik, noch mehr Schnee und hohe Lawinengefahr mit sich bringen. Mit fünf Lagen Funktionskleidung plus dicker Daunenjacke erreichen wir dennoch den Kraterrand des Avachinsky Vulkans (2741 m) und werden mit dem Blick auf seinen Asche spuckenden Nachbarn belohnt. Der ganze Kraterrand strahlt Erdwärme ab und wir wärmen unsere Finger an dampfenden Felsspalten. Während wir über weite Hänge abwärts wedeln, schießt Andrey breitbeinig im Schuss zurück zur Avacha-Hütte. Als wir dort eintreffen, steht Wodka auf dem Tisch.

Chile: Bambus trifft Pulverschnee

Nach unserem Sibirien-Abenteuer halten wir es nur ein halbes Jahr ohne Vulkane aus, bevor wir in den südamerikanischen Winter nach Chile fliehen. Andächtig betrachten wir den Nachthimmel, in den eine rote Feuerfahne züngelt. Der Vollmond beleuchtet den ebenmäßigen Kegel des Villarrica. Die aufsteigenden Rauchschwaden reflektieren die glühende Lava im Krater. Wir beobachten das Naturspektakel aus nächster Nähe, im Garten des Extrembergsteigers und Weltumseglers Hans Saler. Mit seiner Frau Truus, zwei Lamas, zwei Eseln und einem Hund lebt er am Fuße eines der aktivsten Vulkane der Welt in der Nähe von Pucón. Als im März 2015 der Villarrica ausbrach, standen sie kurz vor der Evakuierung. »Darauf haben wir 20 Jahre lang gewartet«, sagt Hans, der sich selbst »Allround- Nomade« nennt und dessen Abenteuergeist auch nach Jahrzehnten des Reisens ungebrochen ist. Mit 69 Jahren führt er noch immer Trekkinggruppen auf seinen Hausvulkan.

Bei einer gemeinsamen Skitour auf den Quetrupillan (2350 m) steigen wir durch dichtes Bambusgestrüpp und einen lichtdurchfluteten, von Flechten behangenen Südbuchenwald. »Ich weiß nicht, wie oft ich schon hier oben war, aber es wird nie langweilig. Man hängt seinen Gedanken nach, es ist fast meditativ«, sagt Hans, der strammen Schrittes spurt und auch bei der Abfahrt durch unberührten Pulverschnee keine Anzeichen von Müdigkeit zeigt. Vulkane, Urwälder, Seen und Pazifikstrände: Diese Gegensätze machen Chile so anziehend. Wo sonst beginnen Skitouren in einem Dschungel aus Bambus und Baumriesen?

Am Lonquimay (2865 m) und Llaima (3125 m) ist die Kulisse gewarnoch bizarrer: Mächtige Araukarien mit stacheligen Krakenarmen flankieren die weißen Vulkanhänge. Am Lanin (3776 m) genießen wir den Sonnenuntergang über den Anden in unserem einsamen Hochlager, am Antuco (2969 m) umgibt uns eine weite Lagunenlandschaft – nur am Villarrica zwingen uns die ätzenden Vulkandämpfe zur Umkehr.


Am Lonquimay (2865 m) flankieren mächtige Araukarien mit stacheligen Krakenarmen die weißen Vulkanhänge.

Japan: Erst Fisch, dann Fuji

Familie Hayashi wohnt in einem Puppenhaus. In dem Holzbau im Hakuba Valley, wo 1998 die Olympischen Winterspiele stattfanden, hängen die Waschbecken auf Kniehöhe, an den Lampenschirmen schlagen wir uns die Köpfe an. Frau Hayashi weiht uns nach der Ankunft erst einmal in die japanische Schlappenetikette ein: Schuhe vor der Tür ausziehen und im Regalfach deponieren, vor der Toilette Kloschlappen anziehen – und mit diesen bloß nicht versehentlich ins Esszimmer marschieren!

Der 62-Jährige Bergführer Nobuyuki und seine liebenswürdige Frau Chie heißen regelmäßig europäische Gruppen in ihrer Pension willkommen. Im Tal blühen zu dieser Jahreszeit bereits die Kirschbäume. Um die Schneegrenze auf 1700 Meter zu erreichen, nehmen wir die Gondel. Die Bürokratie übersteigt dabei noch diejenige der Amerikaner: Wir brauchen eine Climber’s Card, Warnschilder weisen hie und da auf alpine Gefahren hin. Auch an unserer nächsten Station an der Tateyama Kurobe Alpine Route müssen wir erst einmal Formulare auf Japanisch ausfüllen. In der komfortablen Tateyama Murodo Hütte (2500 m) rollen wir unsere dünnen Futons auf Tatami-Matten aus und bekommen schon zum Frühstück Fisch, Miso-Suppe und Reis. Die Hütte liegt nur wenige hundert Meter von der berühmten Snow Wall entfernt: Dort flankieren bis zu 20 Meter hohe Schneewände die Straße. Den Gipfel des O-Yama (3003 m) krönt statt einem Kreuz ein kleiner Shinto-Schrein.

Wenige Tage später stehen wir erwartungsfroh am Fuße des Fujisan (3776 m). Auf dem (im Winter offiziell gesperrten) Yoshida-Trail marschieren wir durch schwarz-rotes Vulkangeröll. »Der Berg symbolisiert die Götter«, erklärt Herr Hayashi. »Die Besteigung des Fuji reinigt vom Bösen.« Herr Hayashi besteigt den Fujisan seit 30 Jahren mindestens zweimal jährlich. Im Sommer wälzen sich tausende Pilger und Touristen auf den breiten Wegen aufwärts – im April sind wir fast allein. Auf 2700 Metern Höhe legen wir die Ski an und steuern Spitzkehre um Spitzkehre zielstrebig dem Kraterrand entgegen. Auf über 3770 Metern Höhe liegt uns schließlich Japan zu Füßen: der Pazifik im Süden, die Fünf Seen im Norden und direkt vor uns der 250 Meter tiefe Krater des Fuji.

Dieses Video gibt einen guten Eindruck von Astrid Därrs Tour:


 
Astrid Därr
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 02/2017. Jetzt abonnieren!
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