Pulver unterm Hintern - Der Tiefschneerodel | BERGSTEIGER Magazin
Bergmenschen: Schlittenbauer Dieter Blessing

Pulver unterm Hintern - Der Tiefschneerodel

Weil es ihm unlogisch erschien, mit Schneeschuhen einen Hang runter zu laufen, hat sich Dieter Blessing vor sieben Jahren der Idee eines Tiefschneerodels verschrieben. Jetzt ist sein Konstrukt ausgereift.
 
Tiefschneeschlitten © Frans Blindo
Ab geht's: Gefälle bis zu 35 Grad eignen sich perfekt für den Snowbraker.
Manche Ideen kommen und gehen. Andere sind so stark, dass sie sich nicht mehr vertreiben lassen. Mitunter bringen sie einen dazu, sein komplettes Leben danach auszurichten. So wie bei Dieter Blessing. 2009 war er auf Skitour und sah eine Gruppe mit Schneeschuhen bergab laufen. »Einen schneebedeckten Hang hinunter zu laufen, erschien mir unlogisch«, erzählt Blessing und wirkt noch immer irritiert. »Ein Tiefschneerodel «, so sein nächster Gedanke, »könnte helfen.«

Seit diesem Moment widmet Blessing einen Großteil seiner Zeit und einen nicht unerheblichen Teil seines Ersparten eben diesem Projekt. Nachdem die Idee in seinem Kopf war, fackelte der 63-Jährige nicht lange. Unterwegs mit einem Davoser Schlitten merkte er schnell, dass der im Tiefschnee nicht funktioniert – »genauso wie alles andere, was zu der Zeit am Markt war.«


Der Davoser Schlitten funktionierte im Tiefschnee nicht - Dieter Blessing verwirklichte auf diese Weise seine Idee.

Also löste sich Blessing vom bestehenden Angebot und baute im Geist seinen eigenen Schlitten. Breitere Auflageflächen bräuchte der, und er müsste sich auch bei Steilabfahrten kontrolliert bremsen lassen. Schnell hatte er im Kopf, wie eine solche Bremse aussehen und wo sie angebracht sein müsste. Er erweiterte einen Holzschlitten um seine erste Bremsenkonstruktion: eine Plastikplatte mit Bremszacken, die sich per Fuß in den Schnee drücken lässt. Die Idee funktionierte. Als zweites kaufte er ein gebrauchtes Snowboard und sägte es der Länge nach durch. Voilá, die Konstruktion der Auflageflächen für Auftrieb im Tiefschnee war geboren.

Stabil und leicht

Bis der Schlitten fertig entwickelt war, vergingen noch einige Jahre. 2014 hatte Blessing schließlich nichts mehr daran auszusetzen. »Snowbraker« nannte Zu dem Zeitpunkt hatte er bereits die richtigen Lieferanten für seine Spezialwünsche gefunden, Materialien und Konstruktion optimiert. Schließlich sollte der Schlitten seinen Fahrer nicht nur heil runterbringen, das Fahren sollte auch Spaß machen und der Schlitten leicht sein (7,7 Kilo). Hightech sind nicht nur der Karbonsitz und die Edelstahlbremsen, sondern auch die Halterohre neben der Sitzfläche. Während der 63-Jährige über sie spricht, fährt er fast zärtlich mit der Hand an ihnen entlang. »Sie kommen von einem Hersteller in Norwegen, sind aus Glasfaserkarbon und dadurch sehr leicht.«

Eigentlich werden sie als Sendemasten verwendet. Die Auflageflächen lässt er von einem Snowboardhersteller aus Kirchheim fertigen, die Schlittenkraxe von einem Rucksackproduzenten in der Schweiz. 36 Einzelteile bezieht Blessing, bevor er sie in seiner Werkstatt in Konstanz zusammenbaut. Den Zeitaufwand dafür schätzt er inklusive Vorarbeiten wie Bohrungen pro Schlitten auf zwei bis drei Stunden. Bei alldem kommt Blessing seine berufliche Ausrichtung zugute.


Beispiel einer geeigneten Tour auf den Mehlsack bei Lech

Feinwerkmechanik hat er studiert, seit 15 Jahren arbeitet er freiberuflich in der Automobilindustrie als Qualitäts- und Lieferantenmanager – wenngleich er in den vergangenen Jahren diese Arbeit stark zurückgefahren hat, um sich auf seinen Schlitten zu konzentrieren. Den Großteil seiner sechs Lieferanten kannte er über diese Arbeit bereits. Nicht zu unterschätzen ist auch seine Herkunft. »Ich bin in einem Drei-Generationen-Haus bei Böblingen aufgewachsen – im Land der Erfinder.« Der Opa Schreiner, der Onkel leidenschaftlicher Tüftler, deren Werkstatt sein zweites Zuhause ist.« Bei so einer Herkunft liegt es nahe, sich nicht mit dem Status quo am Markt zufrieden zu geben.

Optimal bei 20 bis 35 Grad

Heute sind all seine Anforderungen an den Schlitten erfüllt: »Er muss es ermöglichen, vom Gipfelkreuz aus im freien Gelände abzufahren. Und er muss bei allen Schnee- und Geländearten sicher sein.« Natürlich gibt es Einschränkungen. »Das Gelände darf nicht steiler als 35 Grad sein, sonst lässt sich der Schlitten nicht mehr bremsen. Spaß macht es ab 20 Grad.« Liegt so viel Schnee, das man auch mit Schneeschuhen nicht weiter kommt, sinkt man auch mit dem Schlitten zu stark ein. An sich aber sei der Schlitten für alle Verhältnisse, vom Tiefschnee über Harsch bis zu eisigen Pisten, geeignet. »Jede Schneeart gibt ein eigenes Erlebnis«, verspricht Blessing.


Spaß garantiert: Der Snowbraker ist anders als herkömmliche Schlitten.

Bisher hat er weniger als zehn Snowbraker verkauft. Die einfache Variante ohne Zugleine, Support-Bremse und Tourenfelle kostet 819 Euro, mit den genannten Features sind es 919 Euro. Der Preis für die Kraxe liegt bei 99 Euro. Sein Ziel ist es, 350 Schlitten an den Mann zu bringen. »Dann hätte ich die Entwicklungskosten wieder drin.« Gut 80 000 Euro hat er bislang investiert, sowie mindestens 1500 Stunden. Die Begeisterung für seine Idee und sein Produkt sind geblieben. »Dass die Schlitten mir nicht aus der Hand gerissen werden, verunsichert mich nicht – schließlich ist Snowbraken eine völlig neue Sportart, eine die man erst erlernen und lieben lernen muss.«
 
Bettina Willmes
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 02/2017. Jetzt abonnieren!
 
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