Björn hat ein Problem: Regelmäßig fällt er am vorletzten Griff vor dem Umlenker aus seinem Achtplus-Projekt. Zwar trainiert er seine Fingerkraft zusätzlich am Campusboard – aber er hat das Gefühl, dass dieses Training nicht wirklich anschlägt. Seinem Ziel, dem erfolgreichen Durchstieg der Route, kommt er jedenfalls nicht näher. Ähnliche Situationen sind sicherlich den meisten Kletterern vertraut. Entgegen der weit verbreiteten Meinung, viel helfe viel, führt jedoch eine Erhöhung des Trainingsumfanges nicht zwangsläufig zu einer Leistungssteigerung.
Im Gegenteil, es ist sogar denkbar, dass sich Björn – und mit ihm viele andere leistungsorientierte Kletterer – im so genannten »Übertraining« befinden: Die Belastungen sind zu hoch und der Organismus kann nicht mit einem Leistungsanstieg reagieren. Erst eine ein- bis zweiwöchige aktive Regenerationsphase dürfte dann zu einem Leistungssprung führen.
Das Thoracic-Outlet-Syndrom
Alle Leser, denen sich bei der Vorstellung einer so langen Zwangspause die Haare sträuben, können jedoch beruhigt aufatmen: Ein Leistungsknick kann auch andere Ursachen haben, wie Erkenntnisse aus der Sporttherapie zeigen. So ist ein Engpasssyndrom im oberen Brustkorb, das »Thoracic Outlet-Syndrom« denkbar. Ausgelöst durch Verspannungen bestimmter Muskeln im Schulterbereichs kann die Leitfähigkeit wichtiger Nerven beeinträchtigt werden, was sich in einer gestörten Signalfolge zur Fingermuskulatur und einer herabgesetzten Kraftfähigkeit äußert. Wie in vielen Sportarten werden auch beim Klettern die Schultergürtelmuskeln sehr intensiv genutzt. Dadurch besteht die Gefahr, dass Muskeln verspannen und ein Engpasssyndrom auslösen. Allerdings entwickelt sich dieses Syndrom schleichend und verursacht anfangs keine Beschwerden. Daher wollten Sportwissenschaftler der Universität Potsdam unter der Leitung von Dr. René Kittel wissen, ob eine prophylaktische Behandlung dieser Muskeln die Griffkraft beeinflussen kann.
Untersuchungsdesign
Hierfür wurden 18 männliche Kletterer untersucht, die regelmäßig in der Berliner Kletterhalle »MagicMountain« trainieren. Alle Teilnehmer klettern zwei- bis fünfmal pro Woche im VII. bis IX. Grad. Trotz subjektiver Beschwerdefreiheit waren eine erhöhte Spannung und Druckempfindlichkeit im kleinen Brustmuskel und im Unterschlüsselbeinmuskel tastbar. Der Vergleichsparameter war die Griffkraft links und rechts. Jeder Teilnehmer unterzog sich pro Körperseite einer fünfminütigen biomechanischen Stimulation nach einer Methode von Prof. Nazarov. Durch den vibrierenden Schwingkopf werden in der Tiefe z. B. Verklebungen als Ursache der Verspannung effizient gelöst. Diese einmalige einfache Behandlung bewirkte eine durchschnittliche Erhöhung der Griffkraft von 7,5% rechts und 5,7% links.
Fazit
Welche Bedeutung hat dies für Kletterer? Das Engpassyndrom ist bei leistungsorientierten Kletterern unter Umständen eine häufige Diagnose, die ein Grund für Leistungseinschränkungen sein kann. Bei tastempfindlichen Muskeln im Bereich des Schultergürtels empfiehlt sich eine Behandlung beim Sport- oder Physiotherapeuten. Weiteren Beschwerden kann mit einigen leichten Übungen vorgebeugt werden, die jeder für sich selber absolvieren kann. Ach übrigens: Björn hat nach einer kleinen Umstellung seines Trainingplanes und drei Behandlungen mit dem BMS-Miniswing sein Projekt endlich gepunktet.
Coautoren: Annett Petschick, Björn Jokel
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