Durch die Stubaier Alpen | BERGSTEIGER Magazin
Berge wie aus dem Bilderbuch

Durch die Stubaier Alpen

Mächtig sind sie, die Stubaier Alpen. Und abwechslungsreich. Und sie bieten alles, was Bergsteiger glücklich macht: wilde Gipfel und leuchtende Bergseen, urige Berghütten und einsame Pfade… Von Andrea (Text) und Andreas Strauß (Fotos)

 
Berge wie aus dem Bilderbuch © Andreas Strauß
Bei der Bremer Hütte: Nebelmeer über dem Gschnitztal, hinten die Tuxer Alpen
Kühle Waldluft umfängt uns. Der Weg zu unserem ersten Etappenziel führt durch einen lichten Lärchenwald hinauf. Eine Serpentine fügt sich an die nächste, Stille senkt sich auf die prall gefüllten Rucksäcke. Vier Stunden dauert der Aufstieg zur Peter-Anich-Hütte am Nordrand der Stubaier Alpen. Zeit genug, um in den Rhythmus des Wanderns zu kommen: gehen, schauen, wieder gehen. Der Auftakt dieser einwöchigen Wanderung von Österreich nach Italien beginnt ruhig – und das ist gut so. Am nächsten Morgen ist der schmale Pfad von der Hütte zum Grießkogel vor lauter Grün kaum zu sehen. Erst in der Scharte unter dem Berg wird er wieder deutlich. Wer ihn trotzdem verfehlt, den warnen die Murmeltiere mit ihren Pfiffen. Von nun an windet sich der Weg zwischen Almrosen und Walcholdersträuchern talwärts. Bei der Zirmbachalm genehmigen wir uns eine Fahrt mit dem Bus bis nach Praxmar. Dort schlendern wir auf breitem Weg hinab zum Gasthof Lüsens, einem alten Hof aus dem 18. Jahrhundert. Hier endet der gemächliche zweite Tag, der erste Höhenzug ist geschafft.

Gipfel zum Sammeln im Stubai

»Kuuääh, kuuääh.« Laut schimpfend fliegt ein Tannenhäher in die nächste Zirbe davon. Kurz nach Sonnenaufgang sind Wanderer noch nicht erwünscht in seinem Frühstückshang. Die dritte Etappe führt uns heute übers Große Horntaler Joch zur Franz-Senn-Hütte. Die Tagesleistung ist überschaubar. Wer mag, kann unterwegs den einen oder anderen Gipfel fürs Tourenbuch sammeln.
Vorbei an neugierigen Schafen führt der Weg durch das Große Horntal. Über harmlosen Felsschutt geht es das Joch hinauf. Von Wolken umbraust baut sich links die Hohe Villerspitze auf, ein steil aufragendes Felshorn aus schwarzrotem Gestein. Zur Rechten erhebt sich der harmlosere Schafgrübler – ein halbstündiger Abstecher führt hinüber. Tief unter dem Joch grasen die Schafe, die uns am Vormittag begegnet sind – weiße Pünktchen im unendlichen Grüngrau.

Eineinhalb Stunden später erreichen wir die Franz-Senn-Hütte, einen beliebten Ausgangspunkt für Hochtouren. Pause! Erst am Spätnachmittag widerstehen wir der Versuchung eines zweiten Apfelstrudels und entscheiden uns für einen Ausflug zum Rinnensee. Wie eine türkisfarbene Acht liegt das Gewässer im Moränengelände unter der Rinnenspitze. Ein schöner Fußweg führt in anderthalb Stunden hinauf. Und gleich weiter auf die Rinnenspitze mit ihrem Panoramablick auf den Lüsener Fernerkogel.

Wo die wilden Wasser rauschen

Der vierte Tag. »Das Oberbergtal hat noch Wanderkilometer gebraucht«, lästern wir auf dem Weg hinauf zur Schrimmennieder. Denn das Seitental der Stubaier Alpen will partout nicht an Höhe gewinnen. Dabei ist gerade heute eine lange Etappe geplant! Doch schließlich sind wir in der breiten Scharte angelangt. »Niedrig« ist sie nicht mit ihren 2706 Metern – allenfalls im Vergleich zum nahen, 300 Meter höher aufragenden Schrimmenkopf.
An der Regensburger Hütte ist es Zeit für eine Rast und einen Abstecher ins Hohe Moos – ein Schauspiel aus mooriger Landschaft, Wollgras und Heidelbeeren. Anschließend folgen wir nicht mehr dem Stubaier Höhenweg, sondern steigen am Wasserfall des Falbesoner Bachs vorbei zur Ochsenalm und nach Falbeson. Im Abstieg spüren wir die müden Beine. Vielen Vorgängern scheint es ähnlich gegangen zu sein: die Abschneider durch den Wald sind oft deutlicher als der markierte Weg. Bis zum Grawa-Wasserfall nehmen wir den Bus – das Naturspektakel wollen wir uns nicht entgehen lassen. Über 100 Meter stürzen die Wassermassen des Sulzbachs beim Parkplatz vor der Sulzenauhütte in die Tiefe. Steter Donner liegt über dem Berg. Immer wieder scheint ein Regenbogen auf, der mit den sich auflösenden Gischtwolken verblasst, um Momente später mit einer neuen Wolke wieder zu entstehen. Bald glitzern feine Wasserperlen auf unseren Haaren, der Haut, der Kleidung.
Das viele Wasser hat uns hungrig und durstig gemacht. Wie will man da an der idyllischen Sulzenaualm vorbeigehen? Zwei Mal Kaiserschmarrn bitte! Die Süßspeise schmeckt mit Blick auf den nächsten Wasserfall besonders gut. Nur der einstündige Weiterweg zur Hütte fällt nun schwer …

Grün leuchtet der Bergsee

Auf der Karte sieht die fünfte Etappe wie eine gerade Linie aus. In Wirklichkeit aber sind Sulzenauhütte und Bremer Hütte durch zwei hohe Pässe getrennt, zwischen denen ein weiteres Tal liegt. Und dort die Nürnberger Hütte, auf der wir Mittag machen wollen.
Das Zirpen von Grillen begleitet uns, als der Weg hinter der Sulzenauhütte allmählich ansteigt. Soweit das Auge reicht: Kuppige, grün bewachsene Moränenlandschaft tut sich auf. Doch wie sagt ein Sprichwort? »Das Gras auf der anderen Seite des Hügels ist immer grüner.« Auf der anderen Seite der Bergkuppe liegt der Grünausee. Und der ist noch grüner. Eine unglaubliche Farbe! Lange sitzen wir im Gras, schauen und staunen.

Die Vernunft mahnt endlich zum Weitergehen. Das Niederl ist der direkte Übergang zur Nürnberger Hütte. Ein beherzter Griff am Drahtseil – schon sind wir über eine aus gesetzte Stelle hinweg und entdecken bald darauf auf das große Haus der Nürnberger Hütte. Während der Mittagsrast kreist ein Greifvogel in der Thermik über uns – wie mühelos das ausschaut, wie elegant. Kein Vergleich zur gelegentliche Mühe des Bergsteigens: Von nun arbeiten wir uns über steile Felspassagen mühsam voran. Unterbrochen wird das Steilgelände durch einen wunderbaren kleinen Talboden, in dem ein Bach durch Wollgrasmoor mäandert. Steil geht es jenseits hinunter. Nach 40 Metern Abstieg ist wieder gutmütiges Gehgelände erreicht.
Esel, Hund, Katze und Gockel in Bronze begrüßen uns an der Bremer Hütte. Wir kommen im neu gebauten Gebäudeteil unter: modern und doch gemütlich und funktionell. Eine Schau auch, was der Hüttenwirt aus der winzigen Küche herauszaubert. „Mir machen ja den ganzen Tag nix anders“, tut er später achselzuckend ab, als er für einen kurzen Moment ins Freie tritt und seinen Sohn in der Kinderschaukel anschubst.

Südtirol, wir kommen!

Klare Luft begrüßt uns am sechsten Tag der Tour. Der Sonnenaufgang entspricht den kitschigsten Vorstellungen: Orangerot glüht der Himmel im Osten, ein kurzer Farbübergang folgt mit Violett und Blau bis ins Dunkelblau des Nachthimmels im Westen. Als wir losgehen, hat die Sonne die 3000er-Gipfel rund um die Hütte überwunden, aber weiter unten wabert noch der Nebel. Auf der Nordwestseite des Gschnitztals ragt mächtig der markante Habicht auf, ein teilweise vergletscherter Felsgipfel. Unterwegs entdecken wir einen Wegweiser zur Tribulaunhütte, unserem Tagesziel. »Alpine Erfahrung, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erforderlich«, steht warnend auf dem Schild.
Als Nächstes geht es auf eine markante Grat-rippe zu. Links unten der Steilhang, rechts eine Felsplatte, eine Handvoll Krampen und ein Seil weisen die Richtung: hinauf. Wie auch gestern schon gibt es auf der sechsten Etappe ein paar versicherte Stellen.
Im Kar unter der Weißwand sind wir wieder auf einem normalen Weg, als eine Bewegung im Fels uns innehalten lässt: Keine zehn Meter vor uns steht ein Steinbock auf dem Weg. Und noch einer. Und dann noch einer. Sieben kapitale Tiere sind es insgesamt. Unser respektvolles Anschleichen fürs Foto finden sie offensichtlich recht kindisch: Jedenfalls rupfen sie ganz ungestört weiter Kräuter. Als wir eine Stunde später im Sandesjöchl sitzen, sind uns an die 50 der imposanten Alpenbewohner begegnet. Tief beeindruckt, nehmen wir erst jetzt die mächtigen Felswände von Pflerscher und Gschnitzer Tribulaun wahr, deren Anblick uns bis zur Tribulaunhütte begleitet.

Am letzten Tag steht nur noch der lange Abstieg von der Tribulaunhütte nach Innerpflersch an. Nach zwei Stunden liegen die Stubaier Alpen hinter uns, und mit dem Bus geht es die gut zehn Kilometer bis Sterzing weiter.

Bei einem Stadtbummel in der schönen Altstadt, einer Tasse Kaffee und einem Eis bleibt Zeit, der vergangenen Woche nachzusinnen. 60 Kilometer und gut 6000 Höhenmeter liegen hinter uns. Und eine großartige Landschaft im Herzen der Alpen.

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Berge wie aus dem Bilderbuch (Fotos: Andreas Strauß)
 
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