Der Luchs: Gejagter Jäger | BERGSTEIGER Magazin
Der Luchs in unseren Alpen

Der Luchs: Gejagter Jäger

Der Luchs hat es in den Alpen nicht gerade leicht. Fressfeinde machen ihm das Leben schwer. Doch dabei handelt es sich nicht um ein Prädator-Beute-Verhältnis im klassischen Sinn. Vielmehr sind es Futterneider, die dem Luchs den Garaus machen.

 
Der Luchs © Peter Sürth
Ein seltenes Foto der scheuen Wildkatze
Anders als die anderen seiner Art war Alus ein großer Wanderer, machte sogar eine Alpenüberquerung. Einfach so, weil er einen eigenen Kopf hatte. Einen ziemlich großen allerdings, mit mandelförmigen Augen und lustigen Pinselohren darin war Alus den anderen seiner Art wieder ziemlich ähnlich. Im Frühjahr 2014 war der Luchs im Rahmen eines Wiederansiedlungsprogramms ins Dreiländereck Österreich–Italien–Slowenien gekommen, von wo aus er bald Richtung Berchtesgaden wanderte.
 
Stellvertretend für den Luchs im Allgemeinen ist Alus ein gutes Beispiel dafür, wie der Mensch seine Umwelt verändert – gewollt und ungewollt. Als die Menschen im 19. Jahrhundert seine natürlichen Nahrungsquellen, wie Reh und Rotwild, stark dezimiert hatten, begann der Luchs, Nutztiere zu jagen. Und wurde so selbst zum Gejagten und schließlich zum Ausgerotteten.
 
Seit den 1970ern versucht man nun, die Wildkatze in den Alpenraum zurückzuholen. In der Schweiz, wo die Wiederansiedelung am erfolgreichsten war, leben mittlerweile 150 Tiere. Im Jura und in den Nordwestalpen sind die Populationen heute sogar so groß, dass sie genutzt werden können, um die Bestände andernorts, etwa in Italien oder Österreich, aufzustocken.
 
Auch Alus stammte aus der Schweiz. Zusammen mit dem Weibchen Jura sollte er in Friaul eine neue Population begründen. Tatsächlich gab es noch im selben Jahr Nachwuchs. Alus machte sich allerdings bald Richtung Norden davon. Jura blieb zurück, und sorgte wie bei Luchsen üblich allein für die Jungen

Gefährliche Jugendjahre

Durchschnittlich zwei Junge bekommt eine Luchsin. Die ersten zwei Monate gibt es nur Milch, dann folgen die Kleinen der Mutter zum ersten Mal an den Riss. Nach weiteren acht Monaten trennen sie sich von der Mutter, um sich ein eigenes Revier zu suchen. Die Luchskater, die keine anderen Kuder in ihrem Revier dulden, legen dabei auch teils größere Strecken zurück. Leider endet diese Wanderung für viele tödlich. Im ersten und zweiten Lebensjahr beträgt die Mortalitätsrate jeweils 50 Prozent. Noch unerfahren und unvorsichtig werden sie häufig von Autos überfahren. Wenn sie auf der Reviersuche offenes Gelände durchqueren, sind sie außerdem stärker der Gefahr ausgesetzt, Opfer von Wilderei zu werden.

In der Regel leben Luchse dort, wo sich ihre Beute, hauptsächlich Rehe und Gämsen, aufhält, wo sie sich verstecken und ihre Jungen aufziehen können. »Der Luchs mag Gelände, das aussieht wie ein Schweizer Käse und Sichtschutz bietet«, erklärt Wildtierexperte Peter Sürth. Das können Höhlen und natürliche Unterschlupfe im Wald sein, aber auch steinigeres Terrain. »Je nach Felsstruktur kommt er auch weit über der Baumgrenze vor«, sagt Sürth, der in den Karpaten schon Luchse auf über 2000 Meter Höhe beobachtet hat. Mit seinen kraftvollen Hinterbeinen kann das Pinselohr weit und hoch springen und dank großflächiger Tatzen kommt es auch bei hohen Schneelagen noch gut zurecht. Anders als der Wolf kann der Luchs seine Beute nicht bis zur völligen Erschöpfung hetzen, sondern setzt auf Überraschungsangriffe aus der Deckung heraus, wobei das individuell recht unterschiedlich gemusterte und gefärbte Fell hilft. Haben Luchse einen Riss, bleiben sie einige Tage am gleichen Ort, dann ziehen sie innerhalb ihres Reviers weiter, das im Falle der Kuder 150 bis 400 Quadratkilometern groß ist.

Recht ungewöhnlich also, dass Alus mal eben Österreich durchquerte, um sich 2015 im Pinzgau niederzulassen. Und das ohne ersichtlichen Grund: Er hätte in Friaul ein Revier für sich gehabt, denn die etwa 20 österreichischen Luchse leben überwiegend im Nationalpark Kalkalpen. Die örtlichen Naturschützer freuten sich, dass nun ein Luchs im Grenzgebiet lebte. Wiederholt tappte Alus in Fotofallen. Zum letzten Mal am 19. Mai 2017. Dann wurde er einige Monate lang nicht gesehen. Hatte er sich wieder aufgemacht, war er weitergezogen? Anfang September fand man ihn im Saalachsee – ohne Schädel und ohne Vorderläufe. Erschossen, wie forensische Untersuchungen ergaben.

Zu gefräßig?

Wahrscheinlich wollten Wilderer damit ein Zeichen setzen, zeigen, dass Luchse in der Region nicht erwünscht sind. Einen ähnlichen Fall hatte es ein Jahr zuvor im Bayerwald gegeben, wo eine Luchsschützerin die Vorderläufe des getöteten Luchspärchens Leo und Leonie vor ihrer Haustüre fand. Krallen und Pinselohren der Tiere wurden später im Haus eines Jägers sichergestellt. Neben der Lust auf solche Jagdtrophäen dürfte Futterneid die Wilderer antreiben. Etwa 60 Rehe erlegt ein Luchs pro Jahr. Das sind zwar nur vier Prozent dessen, was Jäger im gleichen Zeitraum und Gebiet schießen, manchen scheint es aber trotzdem zu viel zu sein. Dazu kommt, dass der Luchs schlau ist und schnell herausfindet, wann sich die Beutetiere wo aufhalten, und beispielsweise gezielt Futterstellen ansteuert.

Nutztiere jagt die Wildkatze hingegen laut Peter Sürth selten und dem Menschen gefährlich wird sie auch nicht. Allerdings – und das ist dem Wildtiermanager ein großes Anliegen – sollte man zu Luchsen wie zu allen Wildtieren unbedingt Abstand halten, ihnen oder ihren Spuren auf keinen Fall nachgehen oder sie mit Futter anlocken. »Der Luchs ist zwar schwer zu entdecken, aber eigentlich nicht ängstlich. Sein Fokus ist so stark auf mögliche Beute gerichtet, dass er die sonstige Umgebung weitgehend ausblendet.« Wichtig sei auch, bei der Rast am Berg keine essbaren Abfälle zu hinterlassen, damit der Luchs gar nicht erst angefüttert werde. Denn verbinde er den Menschen erst einmal mit Nahrung, seien Probleme und letztlich der gezielte Abschuss vorprogrammiert.

Alus war seit 1897 der erste Luchs, der in den bayerischen Alpen lebte. Leider nicht mal zwei Jahre.
 
Franziska Haack