Stefan Glowacz im Interview: »Reist in den Iran!« | BERGSTEIGER Magazin
Interview

Stefan Glowacz im Interview: »Reist in den Iran!«

Expeditionen in die Wildnis Grönlands, Kanadas oder zu den tropischen Tafelbergen Venezuelas sind seine Spezialität. »Walls on Silk Road« war anders. Mitten durch die Zivilisation, Erstbegehungen mit Einheimischen. Ein Projekt mit politischer Botschaft
 
Kletterer und Profibergsteiger Stefan Glowacz © Stefan Glowacz
Wir haben Profikletterer Stefan Glowacz zum Gespräch getroffen.

Das Gespräch findet in Grainau am Fuße der Zugspitze statt. Stefan Glowacz hat hier in der Nähe des Kurparks zwei geräumige und fein ausgestattete »Mountain Houses«, also Ferienhäuser. Die Chalets sind seine Altersvorsorge, sagt er später im Interview, was anderes habe er nicht. Wir treffen uns im »Organic Woodhouse Chalet«, die große Wohnküche ist gemütlich wie die Stube auf einer Berghütte. Der Alpinist und Abenteurer ist tiefenentspannt, seine Augen strahlen die Ruhe eines Menschen aus, der viel gesehen und erlebt hat. Schnell ist klar: Glowacz, 59, muss sich nichts mehr beweisen. Er ist mit sich im Reinen.

BERGSTEIGER: Das Thema »By fair means« treibt Sie schon lange um. Schon der Weg zum Berg, zur Wand sollte möglichst nachhaltig sein. War die Expedition »Walls on Silk Road« ein Ausreißer?
STEFAN GLOWACZ: Nach unserem Projekt »Wallride« in den Alpen, bei dem Philipp Hans und ich über den ganzen Alpenhauptkamm radelten und fünf Wände durchkletterten, wollten wir das in einem größeren Stil machen: vom Starnberger See aus mit unseren Rädern samt Hänger und dem ganzen Kletterzeug in die S-Bahn zum Hauptbahnhof München und über Moskau nach Tadschikistan in die Hauptstadt Duschanbe. Das fanden wir cool, back to the roots. Wir nahmen eine Karte zur Hand, schauten uns die Route an. 14 Länder bis zum Ziel, dafür würden wir aber mindestens ein Vierteljahr brauchen. So kam es zu der Idee, auf der Route Erstbegehungen zu realisieren, erst in der Türkei, dann im Iran und schließlich in Tadschikistan.

Ihr ward von Beginn an innerhalb der Zivilisation unterwegs, anders als beispielsweise in Grönland 2019. Ändert sich die Herangehensweise?
Definitiv. Wir wollten die fremden Kulturen so gut wie möglich in unser Projekt integrieren. Wir hatten vor, jede Erstbegehung mit Einheimischen zusammen zu klettern. Das Aladaglar-Gebirge kannte ich von einem Foto-Shooting. Der Kletterer Recep Ince war unser Ansprechpartner vor Ort. Es wurde gleich die schwerste Erstbegehung unserer Reise bis in den oberen 10. Schwierigkeitsgrad, acht Seillängen, eine Mega-Linie.

Nach der Türkei stand der Iran auf Eurer Route. Hattet Ihr Gewissensbisse in ein Land zu fahren, das die junge Demokratiebewegung mit drastischen Methoden unterdrückt?
Wir hatten im Vorfeld nur das Wissen, das jeder über die Medien vermittelt bekommt. Es war für uns wie Ying und Yang. Der eine Teil der Familie oder im Freundeskreis sagte: Wie könnt Ihr nur dahin fahren, das Regime dürft Ihr doch nicht unterstützen! Der andere meinte, es komme auf die Begegnungen vor Ort an.

War es im Rückblick richtig, in den Iran zu fahren?
Ganz eindeutig: Es war die richtige Entscheidung. Bis auf die Visa-Gebühren unterstützt man ja das Regime nicht. Wir konnten uns komplett frei bewegen. Wenn wir mal aufgehalten wurden, dann interessierten sich die Polizisten am meisten für unseren Wohntruck. Die Begegnungen mit den Einheimischen waren eine absolute Bereicherung.

Ein Beispiel?
Mitten in der 12-Millionen-Metropole Teheran haben uns Leute auf der Straße angehalten und haben gesagt: Danke, dass Ihr uns nicht vergesst. Danke, dass Ihr den Mut habt, in den Iran zu reisen.

Was war Euer alpinistisches Projekt?
Eine Erstbegehung am Alam-Kooh im Elburs-Gebirge und zwar am Suntower. Medi, ein einheimischer Guide, der lange mit deutschen Agenturen zusammengearbeitet hat, begleitete uns die ganze Zeit im Iran. Wir wussten nicht, was uns dort erwartet. Wir kletterten die Erstbegehung gemeinsam mit Faship, einem iranischen Top-Alpinisten. Auf diese Weise haben wir viel mehr über das Land erfahren. Wir wollten in unserer Filmdokumentation der Spitzenkletterin Nasim Eshqi eine Bühne geben, um zu erzählen, was aus ihrer Sicht im Iran völlig aus dem Ruder läuft – vor allem für die Frauen.

Und diese Bühne wollte sie aus Angst vor Repressalien nicht nutzen?
Nasim lebt inzwischen in Italien. Angst war es wohl eher nicht. Sie meinte, unsere Reise stünde nicht unter dem Aspekt des Kampfes für Frauenrechte. Das wiederum fanden wir schade. Denn wir können uns nicht anmaßen zu sagen, was im Iran schiefläuft. Das müssen die Einheimischen machen. Wir jedenfalls hatten eine unglaublich tolle Zeit im Iran. Ich würde jederzeit wieder hinfahren. Für unser Guesthouse in Teheran waren wir die einzige Einnahme seit langem. Und im Naturkundemuseum haben wir quasi eine Privatführung bekommen, weil kein einziger Tourist da war.

Euer Anspruch, Menschen in politisch angespannten Regionen nicht im Stich zu lassen, ist ambitioniert. Es war dann eher so, dass Ihr selbst in Schwierigkeiten gekommen seid.
Das stimmt. Bei der Rückreise aus Tadschikistan mussten wir erneut durch Turkmenistan. Das Land hat sich abgeschottet. Das Internet ist bis auf ein paar Seiten mit kulturellen Inhalten abgeschaltet. Unser Visum für den Iran war ausgelaufen. Das Land ist wie ein offenes Gefängnis, man bekommt nur ein Transitvisum und wird von einer Agentur begleitet – das kostet zudem eine Stange Geld.

Klingt nicht gerade so, als bestünde ein Interesse an ausländischen Besuchern.
Definitiv nicht. Es war auch das einzige Mal auf der Reise, dass ich mich gestresst fühlte. Ich dachte mir: Wenn Du hier von der Bildfläche verschwindest, interessiert das keine Sau. Und kein Mensch weiß, wo Du bist. Ohne den deutschen Botschafter wären wir aufgeschmissen gewesen. Über seine Kanäle konnten wir mit Hilfe meiner Frau Tanja ein Visum besorgen.

Hat sich denn der ganze Reisestress rückblickend gelohnt?
Auf alle Fälle. Das eigentliche Ziel unserer Reise war das Pamirgebirge in Tadschikistan. Dort kannst Du in jedes Tal reinfahren und siehst Zeug herumstehen, das ist der Wahnsinn. Das ist wie ein Schlaraffenland für Kletterer. Bigwalls ohne Ende.

Und jenseits des sportlichen Aspekts, wie fällt Ihre Bilanz aus?
Diese Expedition hat mir die Augen für fremde Länder und Kulturen geöffnet. In Grönland oder Baffin Island waren wir mal ein paar Stunden in einem Dorf und ansonsten im Outback. Bei »Walls on Silk Road« hatten wir permanent Kontakt zu Einheimischen. Je tiefer wir in die Täler kamen, desto mehr fühlte es sich wie eine Zeitreise in die Vergangenheit an. Eselskarren als Transportmittel, schwer mit Heu bepackte Bäuerinnen. Die jungen Burschen ritten auf ihren Eseln herum, wie bei uns Jugendliche auf Mountainbikes. Und alle supernett und aufgeschlossen. Wir in Deutschland sind leider brutal angstbesetzt, was Reisen angeht.

Was meinen Sie damit?
Wenn das Auswärtige Amt eine Reisewarnung herausgibt, dann stornieren wir sofort unsere Flüge und Reisevorhaben. Letztendlich kann die Bevölkerung meist nichts dafür, wenn es politische Spannungen gibt. Wir haben uns auf der ganzen Reise nie bedroht gefühlt. Auch an den Grenzübergängen wurden wir freundlich behandelt, es hat halt mal ewig gedauert, bis zu acht Stunden. Manchmal wurden wir ein wenig gelöffelt, zum Beispiel bei der Rückreise von Iran in die Türkei, als die Grenzer sagten: In der Türkei ist der Sprit viel teurer als bei uns, wie viel habt ihr noch im Tank? Die Differenz wollten sie dann haben, natürlich in bar. Deine Kreditkarte und Dein Applepay kannst Du übrigens auch in der Pfeife rauchen. Cash ist gefragt. Und das ist dann das wirkliche Reisen. Du weißt nie, was Dich erwartet.

Wusstet Ihr, welche technischen Schwierigkeiten beim Klettern auf Euch zukommen?
Null. Das einzige Ziel, das wir fest im Blick hatten, war der Suntower am Alam-Kooh. Die Wand ist zwar mit etwa 300 Metern nicht so hoch, aber wunderschön. Während sich im Iran einheimische Kletterer oft von oben abseilen und Direttissimas in die Wände bohren, gibt es in der Türkei eine Kletterethik – der dortige alpine Club will zum Beispiel nicht, dass im Gebirge Bohrhaken geschlagen werden. Wenn, dann nur in den vorgelagerten Felsen am Eingang der jeweiligen Gebirge. Der Rest soll unberührt bleiben. Unsere Klettereien waren insgesamt viel aufwändiger, als wir gedacht hatten. Im Iran waren die Zustiege extrem weit – wir mussten erst einmal hoch bis auf über 4000 Meter. Die drei Monate, die wir insgesamt Zeit hatten, waren dann eher knapp bemessen. Also kein gemütlicher Roadtrip.

Hatte Eure Expedition nach Tadschikistan auch einen politischen Aspekt?
Was ist politisch? Jedenfalls wollten wir mit offenen Augen reisen und beispielsweise nach Teheran fahren. Wir sahen dort keine politischen Kundgebungen, kennen die Bilder von Gewalt und Unterdrückung nur aus den deutschen Medien. Was wir gesehen haben, waren sehr viele Frauen, die mit unglaublichem Stolz ohne Kopftuch in den Straßen unterwegs waren. Es war spürbar, dass dies kein Alltag war, sondern eine Protesthaltung. Und dass ihnen bewusst war, dass sie das Risiko eingehen, eingesperrt zu werden.

Was habt Ihr mitgenommen von den Begegnungen gerade im Iran?
Die Menschen leiden extrem unter dem Regime, das haben wir allerorten erfahren. Sie leiden aber auch unter der Tatsache, dass sie vom Rest der Welt als böses Land verdammt werden – als Schurkenstaat. Es ist für mich die Botschaft schlechthin: Es sind wenige Menschen, die diese negative Macht ausüben und das Regime tragen. Die große Mehrheit will das Gleiche wie wir: in Freiheit leben, offen seine Meinung sagen, reisen können. Das Beste, was dem Iran passieren könnte, wäre ein großer Zustrom von Touristen. Und umgekehrt wäre es so wichtig, dass viele Menschen im saturierten Westeuropa mal eine Reise in autokratisch regierte Länder machen, um den Wert der Demokratie wieder wirklich schätzen zu lernen.

Sie klettern inzwischen seit fast 50 Jahren, anfangs im Sportkletterbereich, später dann als Alpinist und Abenteurer. Welchen persönlichen Reifeprozess sehen Sie bei sich selbst?
Am Anfang war ich ungestüm, auch arrogant und selbstgefällig, weil ich viel zu früh erfolgreich geworden war. Ich sagte später selbst über mich, dass ich auf dem besten Weg war, zu einem Riesen-Arschloch zu werden. Ich finde es wichtig, zu all den Teilen der eigenen Biografie zu stehen und sie nicht zu verklären. Und ja, es ist schade, dass ich damals wirklich gute Freunde verprellt habe.

Sie denken dabei auch an die ein oder andere Expedition mit Partnern?
Ja. Jeder hat seine Charaktereigenschaften und auf Expeditionen kommen die in einer großen Klarheit zum Tragen. Bei jeder größeren Unternehmung lernst Du im zwischenmenschlichen Umgang auch dazu. Ich bin total ungeduldig, und wenn es nicht so läuft, wie ich mir das vorstelle, dann habe ich ein Problem damit.

Und dann werden Sie fies?
Jedenfalls kann es sein, dass ich dann anderen gegenüber ungerecht werde.

Sind Sie ein Alphatier?
Nicht unbedingt. Ich möchte aber, dass alle Beteiligten wissen, um was es geht. Was das Projekt ist. Ich fühle mich als Profi auch meinen Sponsoren verpflichtet. Die wollen völlig zurecht in Bild und Videos entsprechend dargestellt werden. Das Budget für die Expedition haben wir nur bekommen, weil wir eine Dokumentation des Projekts abliefern. Mein Sohn Tim hat den Film gemacht.

Sie werden kommendes Jahr 60 Jahre alt. Wohin soll Ihr Weg gehen?
Ich werde vom Athleten allmählich in die Beratungstätigkeit übergehen. Mich treibt aber immer noch die Neugier an. Saudi-Arabien würde mich noch interessieren. Kletterpartner von mir und ich haben gerade einen Segelschein gemacht. Wir wollen selbst durchs Mittelmeer und den Suezkanal in die Region segeln.

Der Abenteuergeist in Ihnen lebt noch.
Ja, total. Mich in den Sprinter reinhocken und irgendwo hinfahren, was ich noch nicht kenne, ist ein großer Reiz für mich. Ich glaube übrigens ganz fest, dass die Weiterentwicklung im Alpinismus nur über die Kreativität der Protagonisten möglich ist. »Schneller, höher, weiter« ist für mich eine Sackgasse.

Was empfehlen Sie einem jungen Spitzenkletterer?
Man müsste heute schon fast Olympiasieger werden, um vom Klettern leben zu können. Es ist halt kein klassischer Profisport. Man muss seine Nische finden.

Klingt nicht so ganz einfach.
Ist aber auch nicht so schwierig. Was interessiert die Menschen am Bergsteigen? Das sind die Geschichten. So viel hat sich von der Zeit Luis Trenkers zu heute gar nicht verändert. Trenker hat das Bergsteigen salonfähig gemacht. Weil er ein sensationeller Geschichtenerzähler war. Messner hat den Stab übernommen. Man muss etwas erzählen können und dabei ehrlich und authentisch sein. Den Leuten ist es dabei völlig egal, ob Du den 11. oder 12. Schwierigkeitsgrad klettern kannst.

STEFAN GLOWACZ wurde am 22. März 1965 geboren und wuchs in Oberau in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen auf. Als Jugendlicher begann er mit dem Klettern und avancierte bald zum Shooting Star der Sportkletterszene. 1987 gewann er das Rockmaster in Arco und wiederholte den Triumph 1988 und 1992. Ein Jahr später beendete er mit dem Vizeweltmeistertitel bei der KletterWM seine aktive Wettkampfkarriere. Es gelang ihm, sich als Unternehmer und Medienprofi zu positionieren. In der vergangenen Dekade machte er durch Expeditionen »by fair means« auf sich aufmerksam. Glowacz ist verheiratet und hat drei Kinder.
 

Das könnte dich auch interessieren:

Interview: Michael Ruhland
Fotos: 
Stefan Glowacz, Tim Glowacz
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 07/2024. Jetzt abonnieren!