Erst Berg, dann Schloss | BERGSTEIGER Magazin

Erst Berg, dann Schloss

Am 13. Juni 2011 hat sich der Todestag von König Ludwig II. zum 125. Mal gejährt. Wir besuchen die Königsschlösser Herrenchiemsee, Linderhof und Neuschwanstein sowie die Berge in ihrer Nähe aber erst im Jahr danach, wenn der Besucherstrom sich etwas gelegt hat, aber der Glanz des Festjahres noch nachstrahlt.
Von Andrea (Text) und Andreas Strauß (Bilder)

 
Ein Stilbruch? Tibetische Gebetsfahnen flattern am Gipfel des Säuling. © BERGSTEIGER
Ein Stilbruch? Tibetische Gebetsfahnen flattern am Gipfel des Säuling.
Das Wasser steht ihm schon bis zur Brust, aber er watet mit schnellen Schritten weiter. Ob man Nichtschwimmer sein muss, wenn man sich ertränken will? Zumindest wenn man im Starnberger See den Tod sucht?
Wie so oft, wenn Könige in jungen Jahren plötzlich sterben, kommen auch nach dem Tod unseres Kini Gerüchte auf. Mord? Selbstmord? Geisteskrankheit? Oder in den Tod getrieben? So makaber es ist – aber mit seinem Tod wird der Mythos Ludwig II. nur noch größer und hält unvermindert an. Die Königsschlösser erlebten im Festjahr einen Besucheransturm. Neuschwanstein war nach einigen Jahren der Fassadenrestaurierung zwar nicht komplett gerüstfrei, aber doch weitgehend. Sich ausgerechnet jetzt in die Schlange zu stellen, um eines der Schlösser zu besuchen? Nein. 2012 strahlt noch alles wie zum Festjahr, aber wir haben den Kini wieder für uns allein – naja, fast.

Linderhof – ein verstecktes Paradies

Es ist das kleinste der drei Schlösser und mir das liebste. Viele der Touren in den Ammergauer Bergen nehmen in Linderhof ihren Ausgang oder man fährt zumindest direkt vorbei, um zum Startpunkt zu kommen. Für Bergsteiger ist der Besuch von Linderhof vielleicht am naheliegendsten. Doch bevor wir durch den Schlosspark bummeln, den Venustempel bewundern und uns die goldene Schicksalsgöttin Fama bezaubert, wollen wir eine Bergtour machen. Direkt über dem Schlossareal erhebt sich der Klammspitzkamm. Der Gipfel, der sich Linderhof am nächsten befindet, ist der Hennenkopf. Durch Hochwald steigen wir zu ihm auf. Ob da der Kini schon zu Fuß ging? Immerhin soll er in Linderhof am längsten gewohnt haben.
Nach etwa zwei Stunden verzweigt sich der Weg: rechts hinüber zum Schusterhaus oder nach links unter dem Hennenkopf durch? Anscheinend haben sich heute Morgen alle Bergsteiger für rechts entschieden, denn nach ein paar Minuten auf dem linken Weg äugen uns zwei Gämsen an. Die steilen Flanken des Klammspitzkamms sind ihr Revier. Ein wenig unwillig gehen sie aus unserem Blickfeld.

Nach der langen Querung unter dem Hennenkopf führt der Weg auf die Kammhöhe. Vor uns breitet sich das Vorland aus. Spontan entscheiden wir, den Hennenkopf auszulassen und stattdessen über den Dreisäulerkopf und die Brunnenkopfhäuser auf die Große Klammspitze zu steigen. Von dort hat man einfach den besseren Blick. Gute zwei Stunden sind es nochmals, dann sind nicht nur Hochplatte, Gabelschrofen und Geiselstein vor uns aufgereiht, sondern der Blick ist auch frei zum Forggensee und auf die Tannheimer Berge.

»Schick di, sonst kumma zspät zum Kini!« Kaffee beim Kini! Natürlich nicht wortwörtlich, aber um sechs Uhr schließt das Schloss und zwei Stunden wollen wir uns jedenfalls Zeit lassen zur Besichtigung. Mit flotten Schritten geht es zurück zu den Brunnenkopfhäusern und hinunter zum Schloss.

Das Märchenschloss Neuschwanstein

Kann ein Gebäude der Fantasie eines Märchenschlosses näher kommen? Für seine Bauten hat Ludwig sogar Bayerns Stellung im europäischen Mächtegefüge verkauft: Preußen bekam den Kaisertitel, Ludwig das Geld für Neuschwanstein und Herrenchiemsee. Während des Aufstiegs von Hohenschwangau zum Säuling haben wir viel Zeit darüber nachzudenken, was wohl anders gewesen wäre ohne die kostenintensiven Bauten. Unten spitzen inzwischen die Zuckerbäckertürme des Schlosses durch den Nebel. Schritt für Schritt werden sie kleiner. Schritt für Schritt wird die Frage unwichtiger, was Bayern ohne Neuschwanstein, ja, ohne den Kini geworden wäre. Oben am Säuling weitet sich der Ausblick. Statt der Türme und Zinnen beherrschen nun die Gipfel der Ammergauer und Allgäuer Berge das Panorama. »Jetzt in München im Büro sitzen müssen!« – Die Gipfelgespräche loben das Panorama und das prächtige Wetter, handeln mitleidig oder schadenfroh von den Kollegen, die heute unter der Nebeldecke schuften. Ob das der König auch so sah?

Kaffee beim Kini. Auch heute wieder. Wir müssen los, wenn wir nach zwei bis drei Stunden Abstieg rechtzeitig in Neuschwanstein sein wollen. Thronsaal und Sängersaal warten. Sicher werden wir ein wenig den Kopf schütteln über eine Burg, die schon in der Planungsphase ein paar Jahrhunderte überholt war: Ritter gab es längst keine mehr. Aber die 1,3 Millionen Besucher stört das nicht.

Blick auf Klein-Versailles

Das Schloss selbst sehen wir vom Kampenwandgipfel nicht, dafür sind zwölf Kilometer Entfernung zu weit. Aber die Herreninsel ist als größte Insel im Chiemsee deutlich zu erkennen. Kampenwand und Hochplatte sind die zwei nächstgelegenen Gipfel vom Königsschloss. Was ist da logischer als – zur besseren Übersicht – erst auf den Gipfel zu steigen und am Nachmittag beim König vorbeizuschauen. Die Wege auf die Kampenwand sind vielfältig und reichen von der Seilbahnauffahrt mit 200 Höhenmetern Gipfelanstieg über die Wanderung mit 900 Höhenmetern bis zur Kletterei. Am großen Gipfelkreuz wird es bei so vielfältigen Angeboten daher manchmal eng. Kaum ist aber die Südseite unter dem Felskamm erreicht, sind wir allein. Den Übergang zur Hochplatte unternehmen die wenigsten, dabei ist der Blick dort nicht schlechter. Völlig einsam gestaltet sich der Rückweg von der Rottauer Diensthütte in den Sattel zwischen Sulten und Gedererwand.

»Platzangst«, stöhnt der Junge, der eingeklemmt zwischen Eltern, amerikanischen und japanischen Touristen am Bootssteg auf die Überfahrt zur Herreninsel wartet. Größer könnte das Kontrastprogramm nicht sein: erst der stille Bergpfad mit Spinnweben über dem Weg und Gamslosung auf den Tritten, dann das Gedränge zum Schiff, beim Ticketschalter und über die Prunktreppe auf Herrenchiemsee. Schließlich aber die Ruhe im Schlosspark. Als die Herreninsel damals zum Verkauf anstand und württembergische Holzspekulanten die Insel aufkaufen und roden wollten, erstand Ludwig das Land für sich. Versailles als Vorbild nehmend ließ er 1878 das Schloss Herrenchiemsee bauen. Bewohnt hat er es nicht, aber der Wald blieb stehen. Eigenwillig war er sicher, verrückt vielleicht, möglicherweise aber nur zu modern für seine Zeit:

»Man soll mir die idyllische Einsamkeit und die romantische Natur, deren malerische Schönheit im Winter noch ungleich größer ist als im Sommer, nicht durch Eisenbahnen und Fabriken stören. Auch für zahllose andere Menschen, als ich einer bin, wird eine Zeit kommen, in der sie sich nach einem Lande sehnen und zu einem Fleck Erde flüchten, wo die moderne Kultur, Technik, Habgier und Hetze noch eine friedliche Stätte weit vom Lärm, Gewühl, Rauch und Staub der Städte übrig gelassen hat.«
Erst Berg, dann Schloss - Fotos: Andreas Strauß
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 01/2012. Jetzt abonnieren!
 
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