Wandern im Blumenparadies Valle Maira

Wandern im Blumenparadies Valle Maira

Bergsteiger-Leser Klaus Bragagna verbrachte seinen letzten Wanderurlaub im Valle Maira im italienischen Piemont. Hier fand er nicht nur ein Wander- sondern auch ein Blumenparadies vor. 
 
Rocca Provenzale © Klaus Bragagna
Die Rocca Provenzale mit dem Pass Colle Greguri
In einem weiten Bogen begrenzen die Westalpen die piemontesische Poebene, um deren südwestlichen Ausläufer rund um Cuneo sich die Ligurischen-, See- und Cottischen Alpen mit den sie durchziehenden ein Dutzend okzitanischen Tälern wie ein Fächer legen.

Eines dieser Täler, die Valle Maira, erstreckt sich von Dronero über 50 km in westliche Richtung bis hin zum Alpenhauptkamm und der italienisch-französischen Grenze. Seit einigen Jahren wird versucht, das Tal durch eine sanfte touristische Erschließung aus dem durch wirtschaftlichen Niedergang und Abwanderung in der Nachkriegszeit bedingten Dornröschenschlaf zu erwecken.

Über ein allen Anforderungen gerecht werdendes, 200 km langes, markiertes Wegenetz erschließt sich die überaus vielfältige Natur- und Kulturlandschaft dieses reizvollen und weitgehend ursprünglichen Tales dem Wanderer und Naturfreund.

Neben den zahlreichen Tourenmöglichkeiten sowohl im Sommer wie auch im Winter bergen besonders die Wiesenhänge der Sonnenseite eine Alpenflora, die durch einen geradezu paradiesisch anmutenden Artenreichtum und eine Vielzahl endemischer Pflanzen begeistert.

Narzissblütiges Windröschen
Das Narzissblütige Windröschen ist nur eines von vielen Blumen, die im Valle Maira wachsen. Foto: Klaus Bragagna
 

Fünf Tage im Mairatal

Das innere Mairatal um Ponte Maira war im vergangenen Juni das Ziel unserer fünfköpfigen Gruppe, und von hier aus tauchten wir an fünf aufeinanderfolgenden Tagen ein in ein üppiges Landschaftserlebnis und in die archaische Kultur faszinierender okzitanischer Bergdörfer.

Den Auftakt zu unserem Val-Maira-Aufenthalt bildete eine gemütliche „Eingehwanderung“ bei Acceglio. Von Lausetto ging´s auf alten Wegen und schmalen Steiglein bergauf durch blumenübersäte Wiesen, über deren sattem Grün sich Myriaden von Blüten wie ein bunter Schleier legten, der sich erst beim Näherkommen auflöste in das leuchtende Pink des Kohlröschens, das strahlende Weiß der Graslilie, das zarte Rosa der Flockenblume, das Goldgelb des Enzians, das Violett-Rot des Türkenbunds.

Vorbei an Terrassen mit aufgelassenen Äckern gelangten wir über Colombata zur Grange (Alm) Brisset, und in weitem Bogen ging‘s weiter zum Höhenkirchlein San Maurizio und wieder zurück nach Lausetto.

San Maurizio
Das Höhenkirchlein San Maurizio. Foto: Klaus Bragagna
 

Monte Chersogno und Rocca Provenziale

Der zweite Tag führte uns, ausgehend von Campiglione, einem kleinen Bergdörfchen mit den typischen, sich eng aneinander schmiegenden, steingedeckten Häusern, durch die sonnendurchfluteten Wiesenhänge am Fuße des 3026 m hohen Monte Chersogno und bescherte uns mit der Entdeckung der seltenen Schachbrettblume und der wilden Tulpe ein besonderes Naturerlebnis.

Am aussichtsreichen Wiesengrat zwischen dem Colle di Chiosso und der Punta Ciarmetta schlängelte sich der Pfad vorbei an verschiedene Arten von Glockenblumen, blauem und weißem Enzian, Paradieslilien, Weißem Affodill, Knöterich und Stiefmütterchen.

Enzian
Weißer und Blauer Enzian zwischen Colle di Chiosso und der Punta Ciarmetta. Foto: Klaus Bragagna

Am nächsten Tag stand die Umrundung des mächtigen Felszackens der Rocca Provenzale auf dem Programm. Ausgehend von Chiappera, einem idyllischen kleinen Dorf im Talschluss, erwanderten wir den Colle Greguri, vorbei an sich im Jochwind duckenden Kugelblumen, feingliedrigen Teufelskrallen und hell leuchtenden Pfauennelken.

Von der Passhöhe gingt es weiter durch ein Meer von Alpenrosen und Narzissenblütigen Windröschen und, misstrauisch beäugt von einem unerschrockenen Murmeltierwächter, hinunter zur Grange Ciarviera, Auf Feuerlilien-gesäumtem Weg kehrten wir zurück nach Chiappera.

Murmeltier
Wachsam: Ein Murmeltier am Weg zur Grange Ciarviera. Foto: Klaus Bragagna
 

Gipfelglück am Bric Cassin

Unsere nächste Wanderung führte uns durch das Valle Unerzio, einem südlichen Seitental der Val Maira, zum Passo della Gardetta und weiter zum 2636 m hohen Bric Cassin mit herrlichem Blick über die weite Gardetta-Hochebene. Neben letzten Schneeresten verkündeten Soldanellen zaghaft den anbrechenden Bergfrühling.

Auf der gegenüberliegenden Talseite suchte eine einzelne Gämse Abkühlung auf einem kleinen Schneefeld. Knapp unterhalb des Passo della Gardetta zeugen noch heute zwei Bunker von dem einst hier verlaufenden „Alpenwall“ Mussolinis.

Valle Unerzio
Das Valle Unerzio vom Passo della Gardetta mit einem Bunker von Mussolinis Alpenwall. Foto: Klaus Bragagna


Nach der Rückkehr ins Tal blieb noch Zeit für einen Ausflug nach Elva. Dieses auf über 1600 m Meereshöhe liegende Dorf ist über ein kurvenreiches, 17 km langes Sträßchen vom Tal herauf zu erreichen und birgt gleich zwei Besonderheiten. Die Apsis der romanischen Pfarrkirche ist mit einem Freskenzyklus der Kreuzigung Christi des flämischen Malers Hans Clemer ausgeschmückt.

Und aus Elva stammen die Haarsammler, die in weiten Teilen Italiens Frauenhaare sammelten, um sie an Perückenmacher bis nach London zu verkaufen. Ein kleines Museum erzählt die Geschichte dieses eigenartigen Berufes.

Am Abreisetag hatten wir noch die Gelegenheit zwei der vielen, entlang der Talstraße und auf Hügelkuppen stehenden Kleindenkmäler zu besichtigen. S. Pietro e Paolo und S. Damiano, beides Kirchlein aus romanischer Zeit, sind eindrückliche Zeugen einer in Jahrhundertern gewachsenen vielgestaltigen Kulturlandschaft.
 
Klaus Bragagna