Acadia-Nationalpark: Wandern im Land der Hummer | BERGSTEIGER Magazin

Acadia-Nationalpark: Wandern im Land der Hummer

Im Acadia-Nationalpark im US-Bundesstaat Maine hat Bergsteiger-Leser Jeff Gould den idealen Ort zum Wandern und für Outdoor-Abenteuer gefunden. Über seine Erlebnisse im "Lobster Land" berichtet er hier. 
 
Jordan Pond © Jeff Gould
Schmale Bergseen wie der Jordan Pond prägen die Landschaft im Nationalpark
Wenn man an die Vereinigten Staaten denkt – zumindest landschaftlich – stehen unsere Nationalparks an erster Stelle. Wallace Stegner hat einmal weitblickend gemeint, die National Parks seien die beste Idee, die wir jemals gehabt haben. Kein Wunder, die Idee geht schließlich bis 1872 zurück, als mit dem Yellowstone-Nationalpark der erste Nationalpark der Welt gegründet wurde. Dieser Begriff von Naturschutz ist seither tief verwurzelt in Amerika und inzwischen gibt es 62 Nationalparks im ganzen Land.

Die größte Beachtung fällt natürlich auf die ganz berühmten Parks im Westen, z.B. Yosemite oder Grand Canyon, die weltweit bekannt sind. Aber oft unbekannt und direkt an der Ostküste versteckt liegt einer der meistbesuchten (3,4 Millionen Besucher in 2018) Nationalparks Amerikas, nämlich Acadia im Bundesstaat Maine. Mit einer Gesamtfläche von 19 020 Hektar wurde Acadia von Woodrow Wilson 1919 gegründet und war damit der erste Nationalpark östlich des Mississippi.
 

Von Gletschern geformt

Acadia ist eigentlich eine Insel. Die erste europäische Erwähnung von Acadia geht auf Giovanni Verrazano zurück, der 1524 daran vorbeigesegelt ist. Samuel de Champlain, einer der ursprünglichen französischen Entdecker dieser Gegend, schrieb 1604 in sein Journal: "Die Berge sind kahl und steinig”. Als Folge davon hat er Acadia “Isles des Monts Deserts” benannt und dieser Name, Mt. Desert Island, bleibt bis dato – obwohl der Nationalpark nichts mit einer Wüste zu tun hat.

Diese Küstenlandschaft wurde eindeutig von den Gletschern der letzten Eiszeit geprägt, die sich erst vor 18 000 Jahren zurückzogen haben. Die Eisschicht war fast 2 km dick und erstreckte sich damals über 600 km weiter ins Meer hinaus. Aus diesem Grund sind die Berggipfel in Acadia abgerundet, während das Gebiet mit langen, engen Bergseen (Kessellöcher) übersät ist. 

Meterhohe Felsen sind allgegenwärtig in der Landschaft verstreut als ewige Überbleibsel der Eiszeit. Die Kraft dieser Gletscher war so gewaltig, dass die Orientierung der Berge von einer Ost-West zu einer Nord-Süd Richtung neu ausgerichtet wurde. Als Abschiedsgeschenk hinterließen die Gletscher etwas Einzigartiges: Acadia ist im Besitz des einzigen Fjords am US-amerikanischen Festland – des schlichten 11 km langen "Somes Sund".

Somes Sund
Das Gebiet ist mit langen, engen Bergseen übersät. Hier im Bild: Der Long Pond. Foto: Jeff Gould

Die ganze Küste von Acadia hat eine Länge von 63 km und im Sommer liegt die durchschnittliche Temperatur bei wohltuenden 19 Grad Celsius – also eine ideale Sommerfrische zur Erholung und für Outdoor-Abenteuer.

Das Tourismuszentrum der Insel ist der kleine Weiler Bar Harbor (wenn man sich als Einheimischer ausgeben möchte, sollte man das wie ein waschechter Mainer als "Bah Hahbah" aussprechen!). In letzter Zeit hat Bar Harbor eine hohe Anziehungskraft als Anlaufhafen für die vielen Passagierschiffe, die diese Gewässer nun regelmäßig befahren.
 

253 Kilometer Wanderglück 

Acadia ist natürlich ein Wanderparadies schlechthin. 253 km Wanderwege locken den ambitionierten Wandervogel und bieten alles was das Herz begehrt. Zugegeben, die Berge in Acadia scheinen beim ersten Blick auf die Wanderkarte nicht so imposant. Ihre Höhe ist schon eher bescheiden und es wäre wohl großzügig, dieses Gebiet einfach als eine Hügellandschaft zu bezeichnen. 

Weit gefehlt! Man darf aber nicht vergessen, dass diese Berge fest an der Küste verankert sind. Das heißt, mit einem Startpunkt also nahezu am Meeresspiegel, sind bei diesen Touren doch einige stramme Höhenmeter zu bewältigen. Diese Berge sollen daher nicht unterschätzt werden. Oberhalb der Baumgrenze können die von den Gletschern glatt polierten und ausgesetzten Bergflanken sehr glitschig sein, vor allem wenn sie nass sind. Es gibt mehrere Trails die mit Leitern und Eisenbügeln ausgerüstet sind.

Gletscherschliff
Vom Gletscher glattgeschliffene Felsen prägen die Landschaft. Foto: Jeff Gould

Cadillac Mountain (466 m) ist der höchste Punkt im Nationalpark. Er ist sogar die höchste Erhebung der ganzen Seeküste von Maine bis Florida. Der Gipfel ist der erste Standort auf amerikanischen Staatsgebiet wo man zwischen dem 7. Oktober und dem 6. März die ersten Sonnenstrahlen des Tages erblicken kann. 

Wie in Amerika wohl zu erwarten wäre, gibt es eine 5,6 km lange, 1931 erbaute Straße, die bis kurz unterhalb des Gipfels führt. Für mich und meine Frau wäre diese Art und Weise einer Gipfelbesteigung absolut frevelhaft gewesen. Deshalb haben wir uns für den Cadillac West Face Trail entschlossen. 

Dieser abschüssige Weg hat unzählige Schweißperlen abverlangt, aber die Entschädigung war ein restlos leerer und besinnlicher Weg zur Spitze – abgesehen von einer Gipfelstürmerin, die diesen Trail blöderweise mit Stöckelschuhen gewagt hat!  Es versteht sich von selbst – das Gipfelglück hat sie nicht miterlebt.

Andere Berge, wie beispielsweise Pemetic Mountain (380 m), Sargent Mountain (418 m), oder Penobscot Mountain (364 m) sind auch sehr lohnend als Tagestour. Ihre abgerundeten und baumlosen Erhöhungen ermöglichen einen gewaltigen Blick in jede Himmelsrichtung auf die herrliche Pracht des ganzen Parks – besonders im Herbst mit dem bunten New England Laub. Von Cadillac Mountain konnten wir sogar Mt. Katahdin, Schlußpunkt des berühmten Appalachian Trials, in 180 Kilometern Entfernung erspähen.

Cadillac Mountain
Der Anstieg zum Pernetic Mountain entschädigt mit besten Ausblicken. Foto: Jeff Gould
 

Wandern mit Meerblick

Obwohl winzig in Vergleich mit den Alpen, bieten diese Berge eine Eigenschaft, die ihresgleichen sucht – einen ausgedehten Blick auf das schier endlose Meer. Solche Aussichtslogen sind immer beeindruckend und zeigen hautnah die Naturkräfte, die diese Landschaft gestaltet haben.

Um das Meer und die salzige Luft richtig genießen zu können, gibt es mehrere Trails gleich an der steinigen Küste. Es ist auch unvorstellbar, dass es einen Nationalpark in Maine ohne Leuchtturm gäbe. Bass Harbor Lighthouse erfüllt diese Voraussetzung seit 1858 ganz stolz – und ist einer von 65 insgesamt in Maine.

Wandern Acadia
Von den Bergen bieten sich beste Blicke aufs Meer. Foto: Jeff Gould

Außer dem unfangreichen Wanderwegnetz gibt es dazu 72 km autofreie "Carriage Roads", wo man ausschließlich per pedes, mit dem Radl, oder sogar auf einem Pferd den Park in aller Ruhe entdecken kann. Diese Carriage Roads ließ John D. Rockefeller zwishchen 1915-1933 erbauen, um die Landschaft vor weiterer Erschließung zu beschützen. 

Entlang der wenigen Autostraßen, die sich durch den Park schlägeln, gibt es jede Menge Parkplätze, die sich meistens bei einem Trailhead befinden. Die Zahl der invididuellen Parkplätze jedoch kann äußerst gering sein. Deshalb ist es auch sehr ratsam, frühmorgens aufzubrechen, damit die Wanderpläne des Tages richtig verwirklicht werden können. 

Falls man eher ein Morgenmuffel ist, kann man immer auf ein gut entwickeltes Shuttlebus-System (Island Explorer) zurückgreifen. Die propangasbetriebenen Shuttles sind kostenlos, stehen einem vom Juni bis Mitte Oktober zur Verfügung und sind mit großzüigen Bikeracks ausgestattet.

Zu guter Letzt darf die kulinarische Seite von Acadia nicht vernachlässigt werden. Maine ist weltweit für seine „Lobsters" bekannt (2019 wurden 45,5 Millionen Kilogram Hummer in Maine gefangen!). Bevor eine Reise nach Maine wirklich abgehakt werden kann, soll jeder Feinschmecker einem der vielen Lobster Pounds einen Besuch abstatten und einen frisch gefangenen Lobster schlemmen – das ist echtes “Frutti di Mare”.

Lobster Pound
Den "Lobster Pounds" sollte man unbedingt einen Besuch abstatten. Foto: Jeff Gould

Klein aber fein bietet der Acadia Nationalpark ein vielseitiges Stück Natur, wo jeder voll auf seine Kosten kommen kann. Wenn man als Bergbegeisterter Berg- und Meererlebnisse gleichzeitig erfahren will, ist dieses kleine famlientaugliche Juwel in einem abgelegten Winkel oben in Maine unbedingt zu empfehlen.

Jetzt Weiterlesen: Ein verstecktes Hüttensystem am Ende der Welt

 
Jeff Gould