Ski & Sail auf Spitzbergen | BERGSTEIGER Magazin
Wer hat Angst vorm weißen Bär?

Ski & Sail auf Spitzbergen

Skitouren vom Segelschiff kennt man mittlerweile vom norwegischen Festland. Auf der Polarinsel Spitzbergen geht das Ganze noch ein Stückchen abenteuerlicher – sehr abgeschieden und mit gehörigem Respekt vor Eisbären.


 
 
Vom Salzwasser auf direkt auf den Schnee und die Ski © Folkert Lenz
Vom Salzwasser auf direkt auf den Schnee und die Ski

Wenn der Guide Euch sagt, dass Ihr Eure Kleidung ausziehen sollt, dann tut das gefälligst – auch mitten in Schnee und Eis!« Die Ansage von Phil Wickens ist deutlich. Nein, die drei Dutzend Skitourengeher an Bord der »Rembrandt van Rijn« sind nicht irrtümlich in einem Boot-Camp für schwer erziehbare Jugendliche gelandet. Der Arktis-Experte Phil gibt schlicht Verhaltensregeln für den Fall der Fälle: Dass die Touristengruppe beim Landgang auf einen Eisbären trifft.

»Das Abwerfen von Mützen oder Handschuhen verschafft uns vielleicht Zeit zu verschwinden«, klärt der Biologe schließlich mit einem Grinsen auf. Immer wieder müssen die winterlichen Besucher Spitzbergens daran erinnert werden, dass das so kuschelig wirkende Pelztier eines der gefährlichsten auf dem Planeten ist. So auch bei der ersten Skitour am Sankt-Jons-Fjord im Nordwesten des Archipels: Zwei Bergführer fahren als Vorhut mit dem Schlauchboot an Land. Statt Eispickel ragen ihre langen Gewehre über die Gummiwülste des Zodiacs. Erst wenn die Guides über Funk Entwarnung geben, dürfen die Gäste zum Strand folgen. 


Fertigmachen zum Landgang: mit dem Schlachboot Richtung Ufer

In Schwimmweste zum Tourenstart

Über Nacht ist der Dreimaster von Spitzbergens Hauptstadt Longyearbyen aus gen Norden getuckert. Am Morgen schiebt sich d er blaue Rumpf des Segelschiffs langsam in den äußersten Zipfel des Sankt-Jons-Fjords. Am Ende des Meeresarms münden mehrere Gletscher in die See. Hier und dort schwimmt ein kleiner, abgebrochener Eisberg. Wenn einer davon an der Bordwand entlangschrammt, dann liegt ein leises Klingeln in der Luft. An Deck machen sich unterdessen die Skibergsteiger fertig: Sie legen Schwimmwesten an. Denn vor dem Tourenstart wartet noch eine spritzige Schlauchbootfahrt. Unter lautem Dröhnen des Außenborders geht es im Raft von der Rembrandt gen Küste. Selbst im arktischen Spätfrühling reicht der Schnee noch bis an den Strand. Vom Salzwasser geht es mit einem Schritt ins weiße Vergnügen. Jetzt nur nicht ausrutschen auf den glatten und vereisten Kieseln. Nasse Skistiefel oder Handschuhe bedeuteten das Ende der polaren Skitour, hatte der italienische Bergführer MassimoCandolini noch beim Aufbruch gewarnt. Dann schnell die Felle unter die Bretter, den Rucksack geschultert und auf geht’s!

Den Schneeflecken zwischen dem Moränenschutt folgend, wandern die Gruppen Richtung Charlesbreen. Der Gletscher ist gut verschneit und flach, so müssen Phil und Massimo ihre Gäste nicht anseilen. Schnell finden alle ihren Rhythmus, nur das Klackern der Tourenbindungen ist neben dem leisen Pfeifen des ewigen Windes zu hören. Gerade mal 800 Meter spitzt die unbedeutend wirkende Pyramide des Jutulslottet aus dem Meer hinaus. 800 Höhenmeter also, denn die Tour beginnt an der Wasserlinie bei Null. Kein Gipfelkreuz, kein Steinmann ziert den Gipfel. Es ist ein exklusives Erlebnis, sich wie im arktischen Nirgendwo fühlen zu können. Ganz klein kommt sich der Mensch hier vor, auf dem »Schloss der Riesen«. Der Blick schweift über Dutzende von Kilometer ins blendende Weiß von Svalbard – wie die zu Norwegen gehörende Inselgruppe auch genannt wird. Endlos erscheinende Gletscherflächen breiten sich aus. Aus dem glitzernden Tuch, das über der Landschaft liegt, ragen rostbraune Felsrippen und triangelförmige Bergspitzen heraus. In der anderen Richtung lockt das blau-grün-silbrig schimmernde Wasser des Polarmeeres aus der Tiefe. Und siehe da: Hier oben hat der Wind den Neuschnee noch nicht gepackt und in den Karen und Becken zusammengekehrt. Stattdessen staubt das weiße Pulver bei der Abfahrt herrlich unter den Skienden hinaus. Weite Bögen sind auf den breiten Hängen möglich und erlauben es, sich dem Rausch der Geschwindigkeit hinzugeben. Erst viele Schwünge später fahren die Teams entspannt über den Gletscher hinaus in die Ebene. Kurz zuvor zückt Massimo sein Fernglas und scannt Mulden, Rücken und Rinnen vor dem Strand: »Nicht, dass ein Eisbär sich mittlerweile seinen Ruheplatz ausgerechnet zwischen den Skispuren gesucht hat.« 

Für eine Woche ist die »Rembrandt van Rijn« das schwimmende Basislager für die Skitourengeher. Der Dreimaster schippert dorthin, wo die Bord-Bergführer von Oceanwide Expeditions den besten Schnee wittern. Schon das Unterwegssein in den menschenleeren Buchten und Fjorden lässt kaum einen Mitfahrenden kalt. Setzt Kapitän »Ali« Schmidt dann noch die Segel, werden auch ausgewiesene Landratten vom Seefahrer-Virus befallen. Am nächsten Morgen ziehen die Schlauchboote ihre schnittigen Heckwellen zur anderen Seite des Fjords. Bald kratzen die Skikanten beim Aufstieg über den Harsch. An den steilen Hängen des Konowfjells hat wohl der Sturm gewütet. Mühsam gestaltet sich der Aufstieg auf den 750 Meter hohen Berg – immer in Hab-Acht-Stellung, um nur nicht den harten Eishang hinunterzurutschen. Das Gratstück oben wird zur alpinistischen Crux: Wie auf einer Leiter geht es mittels Stufen im windgepressten Schnee über den letzten Steilaufschwung. Steigeisen an den Füßen, den Eispickel wie ein Beil in der Faust. Einige Gäste am Seil der Bergführer. 

Eisbärenalarm bei der Abfahrt 

Am Gipfel dann ein phänomenaler Blick: Wie ein ledriges Stück Elefantenhaut präsentiert sich die Oberfläche des Konowbreen tief im Tal. Leicht überzuckerte Riefen, Furchen, Risse geben dem Eisstrom eine eigenwillige Struktur. Und dahinter wieder: Weite bis zum Horizont. Man ahnt kaum, dass man sich auf einer Insel befindet. Das Relief aus Gipfeln, Spitzen, Graten und Gletschern scheint unendlich. »Eisbärenalarm« dann bei der Abfahrt. Der französische Bergführer Jean-Marc Kaufmann ist sichtlich irritiert, als er den grau-weißen Schatten gezeigt bekommt, der durch den Talboden schleicht. So nämlich wäre der Rückweg zum Schiff abgeschnitten. Mit geducktem Körper bewegt sich das vermeintliche Raubtier, senkt seinen Kopf hierhin und dorthin – und sucht offenbar nur ein paar Grashalme unter dem Schnee. Ein Blick durchs Teleobjektiv beweist: Kein Grund zur Aufregung! Nur ein silbrig schimmernder Rentier-Rücken taucht vor der Linse auf. Auf dünnen Beinen stakst der einsame Nordhirsch durchs Gelände. Jean-Marc verstaut sein Gewehr wieder am Rucksack.


Höchste Vorsicht: Die Skistiefel dürfen auf keinen Fall nass werden.

Der »Powder-Radar« auf der Schiffsbrücke gibt schließlich den weiteren Kurs vor: In den geschützten Lagen von Kross- und Kongsfjord soll es Neuschnee gegeben haben, sagt der Wetterbericht. Das Skitourenrevier wird also gen Norden verlegt. Unter Segeln passiert die Rembrandt den Forlandssund. Wer von den Skialpinisten mit einem Seil umgehen kann, geht der Zweiten Offizierin Merle Steinhagen beim Hissen der Leinwände zur Hand. Die anderen genießen die besinnliche Stimmung an Deck. Ganz still und ohne das ewige Stampfen der Maschine scheint das Schiff fast dahin zu schweben. Als das makellose Schneedreieck des Feiringfjell in Sicht kommt, gibt es unter den Freeridern auf dem Boot kein Halten mehr. Ein Skigipfel allererster Güte. Arktisch flach? Von wegen! 1054 Höhenmeter warten vom Ufer weg. Das Gelände hat XXL-Format, so dass die Gruppen sich am Hang sortieren können. Stehen beim Start noch Wolkenfetzen über dem Wasser, wächst das Panorama mit der Höhe. Ganz klein wirkt die Rembrandt jetzt von oben, während sie an der Seeeisgrenze vor Anker liegt. Um das Schiff herum schwimmen Schollen und tanzen kleine Eisberge.


Skitouren auf Spitzbergen sind nichts für Anfänger.

Massimo legt nun Serpentine um Serpentine in den Hang. Markant wirkt seine Silhouette durch die Umrisse des Gewehrs, das der Polar-Guide bis zum Gipfel bei sich trägt. Überschwänglich werden dort oben die Felle von den Ski gerissen, denn jeder will der erste in der Mega-Abfahrt sein. Fast gleichmäßig ist das Gefälle bis zum Strand. Unter 20 Zentimeter Pulverschnee eine harte Unterlage, was will man mehr? Eine Zöpferl-Spur nach der anderen wird in den Schnee geflochten, bis die Downhill-Experten das Feld von hinten aufrollen und raumgreifende Turns ins fluffige Weiß zeichnen.

Erst kurz vor dem Küstensaum ist die wilde Hatz vorbei, als Massimo wie gewohnt den Strand nach einem versteckten Meister Petz absucht. Erst als alle im sicheren Raft-Boot sitzen, verrät eine Passagierin: »Ich hätte schon gerne einen Eisbären gesehen. Aber nur von Bord des Seglers aus und nicht an Land.« Natürlich: Kribbeln darf es schon. Aber zu viel Nervenkitzel soll es, bitteschön, auch nicht sein. Denn neben Eisbären hat Spitzbergen genug arktisches Abenteuer zu bieten. 


Zöpfe flechten auf Spitzbergen: Pulver-Abfahrt vom Feiringfjell

 

Basiswissen

Spitzbergen per Ski

Auf eigene Faust sind Skitouren vom Schiff in Spitzbergen praktisch nicht zu machen – es sei denn, man hat einen Skipper.

WER MACHTS? 
Oceanwide Expeditions (Vlissingen/NL), 8-Tages-Tour »Alpine Gipfel Spitzbergen/Ski&Sail« auf dem Segler »S/V Rembrandt van Rijn« ab 2450 Euro (April/Mai 2018), Tel. 00 31/1 18/41 04 10, 

WIE HINKOMMEN? 
Flüge nach Longyearbyen mit SAS (ab Frankfurt) ab ca. 500 Euro 

WANN AM BESTEN? 
April bis Mitte Mai (für Skitouren)

FÜR WEN? 
Nur erfahrene Skitourengeher, die 1000 Höhenmeter (und mehr) Aufstieg am Tag schaffen, sollten teilnehmen. Mehrere Bergführer an Bord führen die Exkursionen an. 

SICH INFORMIEREN
Rolf Stange »Spitzbergen-Svalbard«, Selbstverlag Rolf Stange, Dresden 2015; www.spitzbergen.de 
 

Folkert Lenz
Fotos: 
Folkert Lenz
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 03/2018. Jetzt abonnieren!
 
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