Allgäuer Nagelfluh-Express | BERGSTEIGER Magazin
Überquerung der Allgäuer Nagelfuhkette

Allgäuer Nagelfluh-Express

Die Überquerung der Allgäuer Nagelfluhkette bietet Panoramablicke par excellence. Allerdings sollte man sich dabei nicht zu viel Zeit lassen, denn das Tagespensum bei dieser Ski-Überquerung hat es in sich. Wer durchhält und alle acht Gipfel schafft, wird mit einer sagenhaften Aussicht belohnt.

 
Überquerung der Allgäuer Nagelfuhkette © Folkert Lenz
Keine Zeit für Verschnaufpausen: Bei der Nagelfluhkette steht ein sattes Tagespensum auf dem Programm.
Als ob jemand den Schalter umgelegt hätte. Kaum haben wir den Ausstiegsbereich der altertümlichen Hochgratbahn verlassen, ist das aufgeregte Schnattern der Alpin-Skifahrer kaum noch zu hören. Nur hier und da noch das aufmunternde Gezwitscher einer Dohle. Ansonsten: wohltuende Ruhe. Das erste Morgenlicht ist schon lange verblasst. Wir sind spät dran, als wir die kurze Strecke von der Bergstation zum Hochgrat zurücklegen. Vielleicht schon zu spät. Doch jetzt genießen wir erstmal die Sonne am höchsten Punkt der Allgäuer Nagelfluhkette. 

Beeindruckend der Blick von den beiden hölzernen Aussichtsbänken neben dem riesigen Gipfelkreuz aus verwobenen Stahlstäben. Weite, nur noch Weite präsentiert sich Richtung Norden, wo die Wellen des Allgäuer Hügellandes fast bis zum Horizont zu schwappen scheinen. Dieses Panorama wird uns den ganzen Tag nicht mehr verlassen.

Start der Nagelfluh-Querung am Hochgrat

Der erste Gipfel ist schnell im Sack. Und doch ist er nur der Auftakt zu einem stundenlangen Auf und Ab. Fast 20 Kilometer lang ist der Höhenrücken vom Hochhädrich beim österreichischen Hittisau bis zum Mittag, dem Hausberg von Immenstadt. Für den winterlichen Sprint bietet sich aber nur die Etappe ab dem Hochgrat an. Von dort bis zum Mittagberg sind es immerhin acht »echte« Gipfel, die bestiegen werden wollen.

Hinzu kommen noch ein paar kleine, unbedeutende Erhebungen in der Kette. Ach ja: und rund 15 Kilometer Strecke. Im Hochwinter ist die Überschreitung der Nagelfluh-Kette also ein durchaus sportliches Unterfangen, bei dem man das wenige Tageslicht gut nutzen sollte.

So stürzen wir uns gleich in den ersten »Schlauch« hinein. Eine harte Piste führt uns die steile Rinne hinunter. Die »Schläuche« sind eine typische Eigenart der Nagelfluh-Kette. Eine enge Einfahrt meist am oberen Ende. Nach wenigen Skischwüngen weitet sich dann das Gelände, doch so richtig Platz für große Kurven ist selten. Die Felsrippen rechts und links mahnen zum Aufpassen, die Mini-Schluchten sind anspruchsvoll zu fahren.

Und doch sorgen gerade sie für den Skispaß. Die schönsten Exemplare sind ostseitig ausgerichtet. Es empfiehlt sich also, die Tour in West-Ost-Richtung zu machen.

Von der Gütlealm auf's Rindalphorn

Schnell landen wir an der Gütlealm. Auffellen, die zweite. Das Rindalphorn ist selbst von der harmloseren Südseite aus gesehen einer der mächtigsten Berge der Kette. Noch um ein kleines Eck herum, dann stehen die letzten Meter an, die über ein schmales Gratstück zum wuchtigen Holzkreuz führen. 

Die folgende Abfahrt lässt sich dann je nach Geschmack und Verhältnissen gestalten: direkt vom höchsten Punkt aus in die steile Südostflanke hinein, oder ein bisschen ausholend durch nur wenig flacheres Gelände in den Boden an der Gündlesscharte. Hier heißt es dann: Auffellen, die dritte.

Skitourengeher, Schneeschuhläufer, Gipfelsammler, Skibergsteiger im Speed-Training – sie alle sind an der Nagelfluhkette unterwegs. Wie bei einer Perlenkette sind die Tourengänger am Grat aufgereiht.
Rauf, runter, rauf, runter. Die Route zeichnet sich durch ewig wechselndes Auf und Ab aus. Wer im Umgang mit den Steigfellen bislang noch nicht so geübt war, hat‘s am Abend ganz bestimmt drauf: acht bis zehn Mal muss man sie an diesem Tag montieren.

Mittagspause am Buralpkof

Wenn schon eine Skispur auf dieser Mini-Haute-Route liegt, dann meistens eine typisch allgäuerische. Serpentinen im Anstieg? Pah! Über große Teile windet sich die Strecke zudem am mutmaßlich längsten Weidezaun des Allgäus entlang. Über Kilometer hinweg ziehen sich Pfosten und Drähte über den Kamm. Die Spur: häufig genug zwischen Zaun und Abbruchkante gen Norden. So kann der Blick immer frei über die Weiten schweifen.

Den Gündleskopf haben wir mittlerweile hinter uns gebracht. Mittagspause legen wir am Buralpkopf ein. Halbzeit. Und die Gipfelreihe vor uns will kein Ende nehmen. Felle an, Felle ab. Mal 200 Höhenmeter hinauf, dann wieder 100 Meter hinunter. Schieben in zähen Querfahrten, der Tag zieht sich.

Das Tempo wird jetzt schärfer. Der häufige Wechsel der Klebefelle ist längst zur Routine geworden. Trotzdem bleibt Zeit, sich umzuschauen. Von rechts grüßen ständig die Gipfel der Hörnergruppe herüber. Dahinter bauen sich die mächtigen Spitzen des Allgäuer Hauptkammes auf. »Landschaftlich schöne Strecke« wäre wohl die Anmerkung in einem Autoatlas zu dieser Route.

Am Stuiben: Abfahrt im Zwielicht

Es folgt der lange Anstieg zum Sedererstuiben und über den Verbindungsrücken hinüber zum größeren Bruder, dem Stuiben. Der Himmel hat ein tiefes Gelb angenommen. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Sonnenuntergang mitten auf der Nagelfluhkette? Darauf wollen wir es nicht ankommen lassen. Und so entscheiden wir uns, den Verlockungen des pulvrigen Nordhanges nachzugeben: Hinein in den weißen Staub, der den ganzen Tag schon zu uns hinaufblinkt. Am Stuiben ist eine der besten Gelegenheiten, in den Pulverschnee auf der Nordseite der Kette einzutauchen. So schwingen wir jetzt genussvoll Richtung Alpe Gund hinab.

Je tiefer wir kommen, desto dämmriger wird das Licht. Hätten wir doch tagsüber nur ein wenig Gas gegeben. Es wären noch ein paar Daumenbreit an Strecke zurückzulegen, bis wir auf den Gipfeln oberhalb von Immenstadt stünden. Die Entscheidung fällt uns nicht leicht, aber es hilft nichts: Wir nehmen die Talabfahrt auf der Forststraße durch das Steigbachtal hinaus.

Abschluss der Skiquerung in Immenstadt

Immerhin: So bleibt uns der steile Gegenanstieg zum Steineberg erspart. Auf die, die am Stuiben noch nicht genug haben, warten nämlich noch die letzten Etappen: durch eine enge Schneise über den Westgrat auf den Steineberg. Dann weiter am Bärenkopf vorbei Richtung Mittagberg. Erst dann breiten sich die Lichter von Immenstadt wie ein glitzernder Teppich im Talboden aus. Über die Skipisten ist das kleine Städtchen von hier aus schnell erreicht.

Für uns endet der Tag wie er begonnen hat: im Expressgang. Im Zwielicht schießen wir über die vereiste Alpstraße am Steigbach hinunter. Bitterkalte Luft fegt über unsere Wangen. Erst kurz vorm Bahnhof schwingen wir ab. Ein stiller Tag geht zu Ende. Die wohltuende Ruhe seit dem Hochgratgipfel begleitet uns bis hinein ins beschauliche Immenstadt.
 
Text und Fotos: Folkert Lenz