Tragik, Trauma, Theater | BERGSTEIGER Magazin
Alpine Skandale und Tragiken

Tragik, Trauma, Theater

Vom Tod Günter Messners, über den Skandal um den Slowenen Tomo Cesen, bis hin zu Christian Stangls Gipfellüge. Ungeklärtes, Unerklärliches und Unerhörtes aus der Welt der Top-Alpinisten.
 
Christian Stangls K2-Gipfellüge und andere zweifelhafte Errungenschaften © Archiv Christian Stangl
Christian Stangls K2-Gipfellüge und andere zweifelhafte Errungenschaften
Die Sucht nach Ruhm hat in der Alpingeschichte schon einige Bergsteiger in den Tod getrieben - andere in die Lüge. Die Betrügereien - von Cesare Maestris zweifelhaftem Cerro Torre-Versuch bis hin zu Christian Stangls K2-Lüge - sind dann doch meist aufgeflogen, aber einige Geheimnisse sind bis heute nich geklärt.

Messner-Drama am Nanga Parbat

Reinhold und Günter Messner
Reinhold (li.) & Günter Messner
Am 27. Juni 1970 bricht Reinhold Messner von Lager 5 allein zum 8125 Meter hohen Gipfel des Nanga Parbat auf, sein Bruder Günter steigt ihm wenig später kurzentschlossen hinterher. Sechs Tage später erreicht Reinhold mit letzter Kraft den Fuß der Diamirflanke. Als erster Mensch überschritt er einen Achttausender, doch das gerät zur Nebensache, denn Günter ist verschwunden. Gemäß Reinholds Version habe der ihn eingeholt und sei nach dem Gipfel höhenkrank geworden. Deswegen habe er, Reinhold, ihn den steilen Ausstieg der Rupalwand nicht hinabschaffen können, sondern musste notgedrungen den unbekannten, aber einfacheren Abstieg durch die Diamirflanke vorziehen. Die Überschreitung sei unfreiwillig erfolgt, er habe das nie geplant und kein Foto der Diamirflanke mit sich geführt.

Als sie schon beinahe im Tal waren, habe eine Eislawine Günter verschüttet. Mehrere Expeditionsteilnehmer behaupteten, Reinhold Messner habe sie zuvor in seine Überschreitungspläne eingeweiht und ihnen den gedachten Abstieg mit einem Foto erklärt. 35 Jahre später findet man am Fuß der Diamirseite sterbliche Überreste Günters. Reinhold Messner führt den Fundort seither als Beweis für seine Version der Geschichte an. Trotzdem widersprechen ihm Kenner des Nanga-Parbat-Massivs bis heute. Nach dem Tod des jüngeren Bruders lenkte Messner seine ganze Energie auf die Achttausender – ihm gelangen bahnbrechende Besteigungen ohne zusätzlichen Sauerstoff, die zuvor für medizinisch unmöglich gehalten worden waren.

Cesens duplizierte Lhotse-Bilder

Tomo Cesen
Tomo Cesen: erst hochgelobt, dann aufgeflogen
In den achtziger Jahren waren Top-Alpinisten wie Christophe Profit, Eric Escoffier und Jean-Marc Boivin die Stars der Szene. Vielen jedoch waren diese Franzosen irgendwie immer ein wenig zu gut frisiert und zu sehr auf ihre Vermarktung bedacht. Den Slowenen Tomo Cesen liebte die Szene, weil er so ganz anders war: ein verschwiegener Stoiker mit dem Blick eines Charles Bronson. Er kletterte die wildesten Sachen solo, heimlich, still und leise.

1990 dann solo die damals größte noch nicht durchstiegene Wand der Erde, die Südwand des Lhotse. Die Bergsteigerwelt lag ihm zu Füßen, Messner adelte ihn damals zum »derzeit besten Bergsteiger der Welt«. Als herauskam, dass er die Gipfelfotos seinem Landsmann Viktor Groselj entwendet und dupliziert hatte, fiel der Fachwelt auf, dass es für keinen einzigen seiner großen Alleingänge einen Beweis gegeben hatte. Seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört.

Stangls K2-Gipfellüge

Christian Stangl
Christian Stangl machte sich durch die K2-Lüge unbeliebt
Als »Skyrunner« hat der Österreicher Christian Stangl eine Marktlücke gefunden: Mehr oder weniger im Dauerlauf bezwang er hohe und technisch einfache Gipfel wie den Aconcagua oder die »leichten« Achttausender wie Cho Oyo oder Shisha Pangma. Dass die Elite der Alpinisten ihn nicht ernst nahm, kümmerte Stangl wenig. Als er den K2 – den schwersten und gefährlichsten Achttausender – im dritten Anlauf 2010 endlich bestiegen hatte, schien er es allen gezeigt zu haben.

Als die Beweise für seinen Schwindel überhand nahmen, behauptete er, er habe sich im Nebel eben um tausend Höhenmeter geirrt. Selten war eine alpine Lüge so abwegig wie diese, die von ihm vorgelegten Beweisfotos waren zweifelsfrei nicht vom Gipfel. Die Second Seven Summits hatte Stangl mit seiner im Jahr 2012 endlich geglückten K2-Besteigung in der Tasche. Im Wettkampf mit Hans Kammerlander um diesen Titel wies er dem Südtiroler seinerseits einen Gipfelirrtum nach – und machte sich damit erst recht keine Freunde.

Ueli Stecks Annapurna-Coup

Ueli Steck
Ueli Steck - die Zweifel am Annapurna-Coup bleiben
Ueli Steck hat wie Christian Stangl zahlreiche Speedrekorde aufgestellt, allerdings an Routen, wo man ein richtiger Kletterer sein muss: Eiger-Nordwand, Grandes-Jorasses-Nordwand, diese Kaliber. Der Paukenschlag kam 2013: neue Route an der Annapurna-Südwand, eine der größten und schwierigsten Wände des Himalaya. Eine neue Dimension des Alpinismus. Irgendwie wirkt die Geschichte zu schön, die Zeit von 28 Stunden für Auf- und Abstieg zu phantastisch. Der Bericht enthält kaum überprüfbare Details zur Route. Beweisfotos hatte Steck keine (Kamera verloren), den GPS-Tracker hatte er ausgeschaltet.

Die Szene begann zu zweifeln, auch weil ein nachfolgendes Team französischer Alpinisten keine Spuren von Stecks Durchsteigung fand. Die Jury des Piolet d’Or, der Auszeichnung für die weltweit größte alpinistische Leistung des Jahres entschied sich, ihm zu glauben – und verlieh ihm den goldenen Pickel. Die Zweifel bleiben.

 
Malte Roeper
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 02/2015. Jetzt abonnieren!
 
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