Interview

Extrembergsteiger Ueli Steck im Interview: So war die Annapurna-Besteigung

Am 30. April 2017 verunglückt Ueli Steck tödlich am Nuptse. 2014, nur wenige Monate nach seiner spektakulären Solo-Besteigung der Annapurna-Südwand, hat die Bergsteiger-Redaktion mit der Legende gesprochen.

Steck Titelbild
Ueli Steck bei seinem "Sprint" durch die Eiger Nordwand© Robert Bösch

Der Schweizer Bergsteiger Ueli Steck ist am 30. April 2017 bei einer Trainingstour am Nuptse tödlich verunglückt. Er galt als einer der weltbesten Bergsteiger und war vor allem durch seine schnellen Durchsteigungen schwieriger Routen bekannt. 2007 stieg er in nur 3:54 Stunden durch die Heckmair-Route an der Eiger Nordwand. 2013 kletterte er durch die Annapurna-Südwand. Solo und in gerade einmal 28 Stunden.

Drei Monate nach seiner Solo-Besteigung der Annapurna-Südwand hat die Bergsteiger-Redaktion Ueli Steck auf der Messe ISPO getroffen. Er sprach leise, man musste die Worte aus ihm herauskitzeln. Euphorisch wirkte er nicht. Seine Leistung an der Grenze des Machbaren hat ihn nachdenklich gestimmt. Steck war an einem Scheidepunkt angelangt.

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Bergsteiger-Legende Ueli Steck im Interview

BERGSTEIGER: Sie sehen erholt aus. Die 28 Stunden solo durch die Annapurna- Südwand scheinen Sie gut weggesteckt zu haben ...

Steck: Das ist ja auch schon eine Weile her. Momentan gehe ich es ein bisschen gemütlicher an.

Mit dem Abstand von mehreren Monaten – wie würden Sie diese andere Welt dort oben alleine in der Wand beschreiben?

Du bist da, es geht nur ums Klettern, du triffst alle Entscheidungen und du weißt auch: Annapurna, das sind 28 Stunden, wo du eigentlich jede Sekunde sterben kannst.

Was ist das für ein Gefühl?

Ich stehe extrem unter Spannung.

Macht diese Welt auch süchtig?

Ja, da muss man schon aufpassen. Mir geht es relativ gut in der Höhe und ich merke, wie effizient ich werde, wie gut ich mich konzentrieren kann. Das Gefährliche ist, dass man das immer wieder erleben will. Und um das wieder zu erleben, dazu braucht es eine Steigerung. Sie müssen die Dosis erhöhen ... Genau, wie bei einer Droge. Irgendwann reicht es einfach nicht mehr, man will mehr. Und mehr, und mehr. Und das endet – wie bei einer Droge – tödlich. Da muss man rechtzeitig den Absprung schaffen.

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Ueli Steck nach der Annapurna-Besteigung: "Die Dosis werde ich nicht mehr erhöhen"

Wie kann man die Dosis jetzt, nach der Annapurna-Südwand, noch erhöhen?

Die werde ich nicht mehr erhöhen.

Sicher?

Ja. An der Annapurna bin ich schon zuviel Risiko eingegangen.

Woran haben Sie das gemerkt?

Ich hab’s einfach akzeptiert. Es war mir egal nach dem Everest.

Was war Ihnen egal? Dass Sie sterben hätten können?

Ich wusste, wenn ich nicht zurückkomme, ist es nicht das Schlimmste, was es gibt.

Was sagt Ihre Frau dazu?

Ihr sage ich das nicht so direkt. Ich bin nicht stolz darauf. Es ist falsch, es darf nicht sein. Aber an der Annapurna war es für mich eben okay. Der Erfolg wäre nicht möglich gewesen ohne dieses Gefühl. Auf der anderen Seite muss ich sagen: Hey, das darfst du eigentlich nicht.

Ab wann haben Sie gemerkt, dass Sie eine Grenze überschritten hatten?

Erst als ich zurückkam. Während des Kletterns habe ich genau gewusst, wo ich stehe. Es war alles kontrolliert. Aber das Risiko war relativ hoch: Wenn du beim Abstieg auf blankem Eis der Schnelligkeit halber den Pickel nicht benutzt, brauchst du nur einmal auszurutschen, dann bist du weg.

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Sie werden oft als Kontrollfreak beschrieben. Wenn wir Ihnen so zuhören, können wir da nicht ganz zustimmen.

Doch, das ist schon kontrolliert. Aber es gibt keinen doppelten Boden mehr. Ein Kontrollfreak würde den doppelten Boden nehmen. Ich habe ein gewisses Niveau, und auf dem Niveau kann ich spielen. Ein anderer könnte das nie machen, der rutscht zehnmal aus an so einer Eisflanke. Auch ich bin nicht gefeit davor, dass ich ausrutsche. Aber ich weiß, wenn ich mich wirklich gut konzentriere, funktioniert es eigentlich.

Wie können Sie das einschätzen, ob es noch Kontrolle ist oder schon Rausch?

Das weiß ich eben nicht, das ist die Herausforderung. Das ist etwas, über das ich momentan sehr viel nachdenken muss. Ich weiß genau, irgendwann gehe ich sonst zu weit. Da bin ich gnadenlos.

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Ueli Steck an der Annapurna: Die Vorgeschichte

Es gab ja eine Vorgeschichte mit Ihnen und der Annapurna im Jahr 2007, als Sie mit Glück überlebt haben ...

... oder als ich mit Pech einen Stein abgekriegt habe.

Kam dieses Erlebnis wieder hoch?

Nein, das war kein Thema mehr. Das musste erst richtig weg sein, sonst wäre ich da nie zurückgegangen.

Im Jahr darauf waren Sie wieder an der Annapurna, haben wieder ein Unglück erlebt ...

... das war die Rettungsaktion von Ochoa (Inaki Ochoa de Olza, spanischer Bergsteiger, gestorben in Stecks Armen 2008 an der Annapurna; Anm. d. Red.). Im ersten Moment habe ich gedacht: Die Annapurna ist nicht mein Berg. 2013 hatte ich dann das Gefühl: Doch, es ist irgendwie möglich. Ich habe inzwischen mehr Erfahrung, die Wand ist eigentlich wirklich kletterbar. Ich muss es noch einmal probieren.

Haben Sie sich jetzt versöhnt mit der Wand?

Ja, es ist abgeschlossen. Jetzt kann ich die Seite umblättern.

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Ueli Steck: Die Projekte nach der Annapurna

Ist das ein gutes Gefühl?

Es fehlt mir etwas. Es braucht jetzt Zeit, bis ich wieder eine andere Idee habe.

Ist diese Leere nach einem großen Erfolg immer da?

Vielfach ist das so. Aber das Spezielle in diesem Fall ist, dass ich nun an einen Punkt gelangt bin, von dem aus ich nicht viel mehr weiter gehen kann. Das ist schon schwierig für mich.

Der Höhepunkt ist vorbei?

Ja.

Ja?

Ich denke schon. Es gibt immer noch Projekte, die mich interessieren. Aber mich so exponieren, das darf ich nicht machen, das ist dumm. Über längere Zeit überlebt man das nicht. Man braucht so viel Glück, es muss alles stimmen, dass einem überhaupt so etwas gelingt.

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Vom Steinschlag getroffen und abgestürzt: Ueli Steck bei seinem ersten Annapurna-Versuch.© Robert Bösch

Ueli Steck über Glück und Ärger

Haben Sie bei der Annapurna einfach viel Glück gehabt?

Ja, das brauchst du auch. Zum Leben brauchst du immer Glück. Ans Glück musst du glauben und am Glück kann man auch arbeiten.

Wie arbeitet man am Glück?

Wenn du dich überschätzt, dann ist das Glück irgendwann nicht mehr auf deiner Seite.

Nun konnten Sie den Erfolg an der Annapurna nicht wirklich dokumentieren. Ärgert Sie das im Nachhinein?

In dem Moment, als ich die Kamera verloren habe, ging es relativ knapp her. Die Lawine hat mich fast aus der Wand geschmissen. Die Kamera war weg, aber das Erlebnis kann mir niemand nehmen. Und das ist eigentlich das Wichtigste.

Ist es Ihnen nicht trotzdem wichtig, dass Ihnen jemand glaubt?

Klar ist es wichtig, dass mir jemand glaubt. Die Diskussion: Warst du oben oder nicht? Das nervt natürlich. Aber ich kann es nicht beweisen. Ich kann sagen, wie die Situation war, fertig. Mehr liegt nicht in meiner Macht. Was muss man denn machen, dass es bewiesen ist? Hätte ich ein Foto gemacht in der Nacht auf dem Gipfel, ich weiß nicht, ob das viel mehr gebracht hätte.

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Sie bezeichnen sich als Sportler. Geht es damit nicht auch um den Wettkampf?

Um den Wettkampf mit mir! Ich muss mich nicht mit einem anderen messen, ich kann es eh nicht vergleichen. Bergsport kann man nie vergleichen. Eine Eiger-Speed- Begehung ist jedes Mal anders. Aber wenn ich mit mir selber den Wettkampf habe, dann weiß ich, wenn ich wieder ein Stück besser war.

Hätten Sie die Route an der Annapurna- Südwand auch gemacht, wenn Sie dort nicht der Erste gewesen wären?

Dann wäre es vielleicht schon weniger interessant gewesen. Das Unbekannte ist ja auch eine Herausforderung. Man will herausfinden, ob das überhaupt möglich ist.

Geht es Ihnen darum bei solchen Expeditionen: um Grenzerfahrungen?

Es geht mir ums Erlebnis. Für mich war das unglaublich, was ich da erlebt habe. Wie viel Risiko ich eingegangen bin, das weiß nur ich. Und es gibt sehr viel Positives, was ich dabei wieder gelernt habe.

Zum Beispiel?

Ich habe einfach probiert, ob es funktioniert, in der Nacht zu klettern. Ich war mir nicht sicher. Es hat funktioniert. Mit dieser Erfahrung im Hinterkopf kann ich beim nächsten Mal schon viel einfacher entscheiden. Ich denke, um das geht es eigentlich beim Bergsteigen: um diese Erfahrungen.

Steck über seine Zukunftspläne nach der Annapurna-Südwand

Haben Sie was Spezielles vor für 2014?

Keine Expeditionen. Nach der Annapurna war ich so ausgebrannt, da würde das keinen Sinn machen. Ich fahre nach Spanien zum Klettern. In den letzten Jahren ist mein Kletterniveau ziemlich gesunken, das möchte ich jetzt wieder aufbauen. Und es gibt ein paar Sachen in den Alpen, die ich noch machen möchte.

Welche Sachen sind das?

Man muss nicht über das reden, was man machen will.

Wieso?

Viele Sachen sind einfach nur Ideen, die ich vielleicht nie realisiere.

Ist da auch eine Portion Aberglaube dabei?

Aberglaube vielleicht nicht, aber Schutz. Damit ich mich nicht unnötig unter Druck setze.

A propos Aberglaube. Es heißt, dass bei Ihnen ganz gewisse Dinge passen müssen, bevor Sie an ein Projekt rangehen. Zum Beispiel, mit welchem Fuß Sie zuerst in den Schuh schlüpfen ...

Ich ziehe immer zuerst den rechten Schuh an. Rechte Socke, rechter Schuh, dann erst linke Socke, linker Schuh. Ob es was bringt, weiß ich nicht.

Ist es Ihnen schon mal passiert, dass Sie den linken Schuh zuerst angezogen haben?

Nie.

Und wenn’s passieren würde?

Dann würde ich noch mal von vorne anfangen. Wenn ich mit jemandem Schuhe tausche und er den linken zuerst auszieht, da sage ich ihm: Nein, ich muss zuerst den rechten haben.

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Steck über seine idealen Expeditionspartner

Abgesehen von einer ähnlichen Art, die Schuhe an- und auszuziehen: Welche Bedingungen muss ein Seilpartner noch erfüllen, damit Sie mit ihm ein Projekt angehen?

Das muss ein Mensch sein, mit dem ich mich verstehe, der dieselbe Einstellung hat. Es gibt Leute, mit denen kann ich ein Bier trinken gehen, aber nicht auf Expedition. Die Chemie muss stimmen.

Mit Simone Moro hat sie gestimmt.

Mit ihm hatte ich immer ein gutes Verhältnis. Simone ist ein Typ mit zwei Seiten. Er ist sehr extrovertiert, redet sehr gern. Aber er ist auch ein Mensch mit sehr viel Herzblut. Er macht alles für dich.

War seine Extrovertiertheit vielleicht auch ein Grund dafür, dass es vor einem Jahr am Everest zum Eklat (Sherpas drohten Steck mit dem Tod, Anm. d. Red.) kam?

Das war sicher nicht ideal. Aber das tut jetzt eigentlich nichts zur Sache. Was da geschehen ist in Lager II, das ist einfach inakzeptabel. Selbst wenn ich jemanden »Arschloch« nenne, ist das kein Grund, dass er versucht, mich umzubringen.

Es stimmt also, dass dieses Wort gefallen ist?

Ja. Simone hat überreagiert. Das hat er auch gemacht, weil er mich schützen wollte. Aber das ist für mich immer noch kein Grund für das, was danach geschehen ist.

Sie haben sich nach der Schlägerei am Everest eine Weile zurückgezogen. Haben Sie ein Fazit aus der Geschichte gezogen?

Ich habe sehr viel gelernt. Ich bin sehr viel vorsichtiger geworden.

Inwiefern vorsichtiger?

Ich achte sehr gut darauf, wem ich wirklich vertraue und wem nicht. Ich habe viel Urvertrauen verloren. Welche Blogs die Leute geschrieben haben – Leute, die ich kenne, – das ist echt spannend.

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"Das Erlebnis kann mir niemand nehmen." Ueli Steck im Interview 2014.© Meike Birck

Ueli Steck: "Ich bin in einer ganz anderen Welt bin da oben"

War das eine Bestätigung für Ihre Solo-Projekte?

Nein, das hat nichts miteinander zu tun. Ich mag es einfach, allein unterwegs zu sein. Es ist sehr effizient. Und ich brauche sehr viel Zeit für mich. Wenn ich das nicht habe, dann gehe ich kaputt.

Haben Sie während der Expeditionen Kontakt zu Ihrer Frau?

Ja, wir telefonieren. Aber nicht während der Besteigungen, das geht nicht.

Wieso?

Da passieren sonst Fehlentscheidungen. Bei einer Solo-Besteigung bin ich für mich, und da gibt es für mich nichts anderes. Wenn ich dann telefonieren würde, würde ich die Nerven verlieren.

Das heißt, die Frau lenkt ab? Oder hat das gar nichts mit ihr zu tun?

Doch, doch. Das würde ablenken. So etwas geht nicht.

Weil sie Ihnen ins Gewissen redet?

Nein. Weil ich in einer ganz anderen Welt bin da oben, wenn ich alleine bin. Das ist meine Realität. Wenn ich dann mit Leuten rede, die gerade ganz woanders sind, verliere ich meine Realität. Das ist einfach gefährlich.

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