Sir Chris Bonington: »Dass ich lebe, ist pures Glück« | BERGSTEIGER Magazin
Bergsteiger-Legende Sir Chris Bonington im Interview

Sir Chris Bonington: »Dass ich lebe, ist pures Glück«

In mehr als 60 Jahren Bergsteigerkarriere verbuchte Sir Chris Bonington zahlreiche Erstbesteigungen auf der ganzen Welt. Er durchstieg als erster Brite die Eiger-Nordwand und leitete 1970 die Erstbegehung der Annapurna-Südwand. Zusammen mit Doug Scott gelang ihm 1977 die dramatische Erstbesteigung des Ogre. 1985 erreichte er im Alter von 50 Jahren den Gipfel des Mount Everest. 1996 wurde er schließlich zum Ritter geschlagen. 2015 erhielt er den Piolet d’Or Career für sein alpinistisches Lebenswerk.
 
Auch heute ist der 82-Jährige noch mit großer Begeisterung beim Wandern und Klettern in seiner Heimat, dem Lake District, aktiv. © Berghaus
Auch heute ist der 82-Jährige noch mit großer Begeisterung beim Wandern und Klettern in seiner Heimat, dem Lake District, aktiv.
Bergsteiger: Sie haben 1951 im Alter von 16 Jahren in England mit dem Klettern begonnen. Wie kam es dazu?

Sir Chris Bonington: Eine Sache beeinflusste mich sehr früh: Meine Mutter war alleinerziehend. Das bedeutete, dass sie zur Arbeit gehen musste und mich auf eine Tagesschule in London Hempstead schickte. Es blieb die Frage, was ich in den Ferien machen sollte. Ich verbrachte also die Ferien bei Freunden oder ging zu Bauernhof-Schulen auf dem Land. Und seit dieser Zeit liebte ich das Erkunden des Unbekannten. Ich wanderte damals sehr gerne in den Bergen herum. Es war wie ein starker instinktiver Wunsch nach Abenteuer. Und so bin ich etwas später per Anhalter zu den Felsen gefahren und habe mit dem Klettern begonnen.

Während Ihrer Zeit bei der British Army waren Sie auch drei Jahre in Norddeutschland stationiert. Sind Sie in dieser Zeit auch in Deutschland geklettert?
Ich war in Münster stationert und das war die größte Chance für mich, in den Alpen Klettern zu gehen. Denn vor meiner Militärzeit war ich nie im Ausland. Alle meine frühen Klettereien waren in Nord-Wales oder Schottland. Heutzutage können sich die Leute gar nicht mehr vorstellen, wie arm und auch eingeschränkt das Leben zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa war. Zunächst nahm mich ein Kollege an den Wochenenden mit zu den Sandsteintürmen in der Südpfalz. Mein erster Kletterurlaub war dann mit dem Zug nach Berchtesgaden, wo ich auch einige deutsche Kletterer traf.

Wenig später kamen Sie an einen Punkt in Ihrem Leben, an dem Sie sich zwischen einer klassischen Berufskarriere und einem Leben als Bergsteiger entscheiden mussten.
Zu dieser Zeit gab es sehr wenige Menschen, die wirklich vom Klettern leben konnten. Die zwei Möglichkeiten waren, entweder Bergführer zu werden oder an der Outward Bound School des Militärs zu unterrichten. Letzteres habe ich für zwei Jahre gemacht, aber dabei entdeckt, dass ich kein Lehrer bin. Ich habe das Klettern am absoluten Limit geliebt, wollte meine Grenzen nach oben verschieben. Also verließ ich das Militär und wusste nicht, wie ich sonst vom Klettern leben sollte. Ich begann als Management-Trainee Trainee bei Unilever und kletterte nur in meiner Freizeit. Nach neun Monaten wurde ich aber zu einer Expedition nach Patagonien eingeladen. Ich konnte einfach nicht widerstehen und entschied mich, mitzugehen und erst danach über meine finanzielle Zukunft nachzudenken – und es ging gut.


Bonington 1983 als erster auf dem Westgipfel des Shivling.

Wenn Sie auf all Ihre Expeditionen zurückblicken, welche ist Ihnen am stärksten in Erinnerung geblieben?
Drei sind mir besonders wichtig: 1970 die Expedition zur Annapurna-Südwand war die erste Expedition, die ich leitete. Eine riesige Herausforderung, die gekrönt wurde vom Gipfelerfolg von Dougal Haston und Don Whillans. Die Expedition zu leiten, welche 1975 die Erstbegehung der Everest-Südwestflanke schaffte, war in Bezug auf die Logistik und das Team-Management meine größte Herausforderung. Aber meine beste und genussreichste war die Erstbesteigung des Shivling-Westgipfels mit meinem Freund Jim Fotheringham 1983 im alpinen Stil. Das war für mich Bergsteigen in Reinform.
 
Die wenigsten ambitionierten Bergsteiger erreichen Ihr Alter. Wie haben Sie das geschafft?
Es war pures Glück! Ich habe auf allen meinen großen Expeditionen jemanden verloren. Und auch bei mir gab es mindestens neun oder zehn sehr kritische Situationen, die ich nur durch unglaubliches Glück überlebte. Allein schon statistisch gesehen ist das Risiko, beim Höhenbergsteigen zu sterben, extrem hoch. Höhenkrankheit, Unkonzentriertheit, Pech mit dem Wetter, Lawinen: Die Liste der Gefahren ist sehr lang.

1996 wurden Sie für Ihre alpinistischen Leistungen zum Ritter geschlagen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Sie bedeutet mir eine ganze Menge. Tatsächlich wurde mir diese Ehre aber nicht nur wegen meiner alpinistischen Leistungen zu Teil. Es ging auch darum, was ich dem Sport und der Gesellschaft zurückgeben konnte. Und sie bedeutet hoffentlich auch, dass ich die Menschen und die Regierung jetzt etwas besser im Sinne meines Sports beeinflussen kann.


Sir Chris Bonington (hier bei einer Ehrung 2011) wurde 1996 zum Ritter geschlagen.

Sie sind seit langem eng mit dem britischen Outdoor-Ausrüster Berghaus verbunden. Wie kam es dazu?
Wenn man anfängt, Expeditionen zu planen, kommt man schnell in Kontakt mit Herstellern und Ausrüstern, weil man im Grunde versucht, kostenloses Equipment als Gegenleistung für Medienpräsenz zu organisieren. Bei meinen frühen Expeditionen arbeitete ich noch mit anderen Firmen zusammen. Berghaus begann erst 1972 mit der Herstellung eigener Produkte. In den 1980er-Jahren wurde ich dann von ihnen und anderen Firmen angesprochen, ob ich nicht ein gesponsorter Kletterer werden möchte. Da ich Peter Lockey und Gordon Davison, die Gründer von Berghaus, bereits kannte und sehr beeindruckt war von der Qualität ihrer Ausrüstung, starteten wir die Zusammenarbeit und ich hätte mir seitdem keine bessere vorstellen können. Es macht mir immer noch großen Spaß, in einer Firma engagiert zu sein, die so innovativ ist.

Sie sind Ehrenmitglied des Berghaus-Athletenteams und »Non-Executive Chairman «. Was sind Ihre Aufgaben?
Ein Non-Executive Chairman ist jemand, der eine besonders große Erfahrung im Geschäftsfeld der Firma hat – in meinem Fall natürlich Klettern. Ich nehme an allen Vorstandssitzungen teil und sage meine Meinung. Das ist – denke ich – sehr wertvoll für die Firma. Als jemand, der nicht ständing vor Ort ist, habe ich eine etwas distanziertere Perspektive auf das Unternehmen, die bei Entscheidungen wichtig sein kann.

Wie sieht Ihr Leben außerdem heutzutage aus?
Ich möchte immer noch meine Grenzen ausreizen! Also klettere ich weiter – und ich liebe es. Zu meinem 80. Geburtstag bin ich zum Beispiel gemeinsam mit Leo Houlding auf den Old Man of Hoy (ein 137 Meter hoher Brandungspfeiler an der Westküste der schottischen Insel Hoy, d. Red.) geklettert – 48 Jahre nach meiner Erstbesteigung mit Rusty Baillie und Tom Patey. Es war großartig zurückzukehren und ein bewegender Moment auf dem Gipfel. Wenn du über 80 bist, ist natürlich alles viel steifer als früher und deine Ausdauer ist nicht mehr das, was sie mal war. Aber ich liebe es immer noch, in den Bergen zu sein.


Egal, ob wie hier in den Wänden Schottlands oder in der weiten Welt: Sir Chris Bonington hat den modernen Alpinismus maßgeblich beeinflusst.

Sie haben Generationen von Kletterern und Bergsteigern inspiriert. Gibt es etwas, was sie an die Jüngeren weitergeben möchten?
Ich denke, das wichtigste im Leben ist, seine Leidenschaft, seinen Antrieb zu finden und dann das zu tun, wofür du eine Leidenschaft hast. Wenn man mit seinem Leben etwas anfängt, das keinen Spaß macht und keine Ambitionen hat, sollte man sich hinterfragen und es vielleicht ändern. Diese Passion muss nicht zwingend Bergsteigen oder Sport sein. Aber ich finde es sehr wichtig, eine Passion zu haben – gerade in dieser immer stärker wachsenden büro- und computergetriebenen Gesellschaft.

Sir Chris Bonington und Berghaus

Sir Chris Bonington ist seit über 30 Jahren eng mit dem britischen Outdoor-Ausstatter Berghaus verbunden. Er ist Ehrenmitglied des Berghaus-Athleten- Teams und »Non Executive Chairman« des Unternehmens. Die Marke mit dem deutschen Namen wurde 1966 von den beiden britischen Bergsteigern Peter Lockey und Gordon Davison gegründet, steht laut eigener Aussage für die innovative Entwicklung technischer und qualitativ erstklassiger Produkte für Outdoor-Enthusiasten auf der ganzen Welt und ist heute Marktführer in Großbritannien.
 
Stefan Moll
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 12/2016. Jetzt abonnieren!
Tags: 
 
Mehr zum Thema