Der große Bergsteiger Tourenskitest 2016/17 | BERGSTEIGER Magazin
13 aktuelle Tourenski im ausführlichen Test

Der große Bergsteiger Tourenskitest 2016/17

Breite Tourenski sind voll im Trend, stellten die Skitester rund um Christoph Ebert vom "Kompetenzzentrum Sport - Gesundheit - Technologie" in Garmisch-Partenkirchen fest. Was nicht bedeutet, dass von den 13 Paar Ski, die das Team ein Wochenende lang am Stubaier Gletscher getestet hat, auch tatsächlich die breitesten am meisten überzeugten.
 
Die Testcrew rund um Christoph Ebert, Christof Schellhammer und Wolfgang Pohl am Stubaier Gletscher © Vivalpin
Die Testcrew rund um Christoph Ebert, Christof Schellhammer und Wolfgang Pohl am Stubaier Gletscher
Die älteren Skitourengeher werden sich noch gut daran erinnern, wie ihre Bretter in den 1990er-Jahren beschaffen waren: schmal und schwer. Auf eine Breite von 70 Millimetern kam ein Gewicht von mindestens 1500 Gramm pro Ski. Im Jahr 2016 sind die Tourenski unter der Bindung auf bis zu 107 Millimeter in die Breite gegangen – das ist immerhin ein Plus von 50 Prozent – trotzdem bringen sie nach wie vor im Schnitt nur um die 1500 Gramm pro Ski auf die Waage.

Diese 13 Touren- und Freeride-Ski wurden getestet:

Wie die Ski bewertet wurden

  • Für eine differenzierte und aussagekräftige Bewertung hat Christoph Ebert das bewährte Testkonzept des Bergsteiger-Skitests weiter angepasst und optimiert. Nach wie vor geht die gemessene Skifläche als objektiver Wert neben dem Gewicht in die Charakterisierung mit ein. Während das Gewicht der wichtigste Indikator für die Aufstiegseignung ist, hat die Skibreite eine ähnlich hohe Aussagekraft für den Abfahrtsgenuss im Tiefschnee.
  • Die Tempostabilität beschreibt die Eignung eines Skis für höhere Geschwindigkeiten. Nachdem die Testski allesamt über standardisierte Skilängen zwischen 175 und 180 cm verfügten, wurde die tempostabilität hauptsächlich von der konstruktionsbedingten Dämpfung der Ski und von deren Gewicht beeinflusst. Deshalb wird in der Regel ein leichter Ski eher unruhig bei hohen Fahrgeschwindigkeiten.
  • Bei der Harmonie der Ski wurde bewertet, wie spielerisch und harmonisch sie zu fahren sind. Gelingen schnelle Wechsel von kurzen zu langen Radien, von gedrifteten zu geschnittenen Schwüngen, von unterschiedlichen Schnee- und Geländebedingungen mühelos, ohne dass der Fahrer seine Skitechnik großartig daran anpassen muss?
  • Die Dynamik beschreibt die Agilität der Ski. Gelingen Kantwechsel spielerisch oder erfordern sie einen höheren Kraftaufwand? Kann der Ski schnell angedreht werden, um in die Falllinie einzufahren oder hat man das Gefühl, dass das Andrehen nur verzögert stattfindet?
  • Bei kleine Radien sollte ein Ski das Gefühl von Tempokontrolle und Sicherheit vermitteln. Kurzschwünge sollten sowohl bei harten als auch bei weichen Schneeverhältnissen mit geringem Kraftaufwand zu fahren sein. Auch gedriftete Kurzschwünge sollten harmonisch zu fahren sein.
  • Der Surf Faktor kommt im tiefen, weichen Schnee zum tragen. Erlaubt die Konstruktion mit jeweiliger Biegelinie, Rocker-Geometrie und Radius ein gleichmäßiges Surfen durch leichten oder schweren Schnee? Oder verlangt der Ski nach deutlichen Impulsen zum Kurvenwechsel und zur Kurvensteuerung?
  • Bei große Radien wurden die Ski vor allem auf hartem Schnee ohne Drift auf der Kante über den Kantwinkel, die Taillierung und die Biegelinie gesteuert. Dabei zählt, wie exakt und richtungsgenau ein Ski gefahren werden kann.
  • Abgerundet wurden diese subjektiven Bewertungen noch durch eine kategorisierte allgemeine Beschreibung des Fahrverhaltens der einzelnen Ski (z.B. eher träge, dynamisch usw.).
Der Trend zu immer breiteren Brettern hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich fortgesetzt. Denn breite Ski bringen im weichen Schnee spürbare Vorteile, weil sie eine größere Auflagefläche haben. Besonders technisch weniger versierte Fahrer können davon im Tiefschnee uneingeschränkt profitieren.



Auf hartem Untergrund, auf eisigen Pisten oder in steilen, hart gefrorenen Couloirs kann sich die Breite aber auch negativ auswirken. Denn beim Aufkanten wirken deutlich erhöhte Hebelkräfte auf das gesamte System von Ski, Bindung und Schuhen. Um diesen Kräften entgegenzuwirken – und um die notwendige Verwindungssteifheit (Torsionssteifigkeit) der Ski bei einem gleichzeitig optimalen Flex (in Längsrichtung) zu erzielen –, ist bei der Konstruktion ein deutlich höherer Aufwand notwendig, als noch bei den aus heutiger Sicht relativ einfachen Ski-Konstruktionen der 90er- Jahre.

Grammjäger verlieren auch mal

Neben dem Trend zu leichten und breiten Ski ist in den vergangenen Jahren auch der Trend hin zu immer leichteren Bindungen zu beobachten. Eine Kombination, die gar nicht immer so sinnvoll ist: Denn die Verbindung von leichten, breiten Tourenski mit einer leichten Pin-Bindung kann sich äußerst negativ auf das Fahrverhalten auswirken. Entscheidend für eine direkte Kraftübertragung ist eine optimale Fixierung der Ferse in Abfahrtsposition. Bei Pin-Bindungen, welche die Ferse lediglich mit zwei Stiften fixieren, ist aus physikalischer Sicht eine direkte Kraftübertragung nur schwer möglich. Auch der beste Ski wird damit seine Qualitäten nur eingeschränkt entfalten können.



Aber zurück zu den Ski: Eine weitere Konsequenz aus den immer breiter werdenden Ski ist ihre Rocker-Technologie. Die Hersteller setzen immer mehr auf eine negative Vorspannung. Da die Rocker-Ski nicht wie bei der klassischen Camber-Konstruktion erst einmal die Vorspannung »überwinden« müssen, können sie mit einem härteren Flex konstruiert werden. Das bedeutet wiederum einen generell stabileren Skikörper und eine erhöhte Torsionssteifheit. Garniert mit modernen Materialien wie Carbon und Kevlar und hergestellt mittels innovativer Verfahren kann so ein Ski entstehen, der bei relativ großer Fläche und geringem Gewicht ein überragendes Fahrverhalten nicht nur im weichen Schnee, sondern auch auf Eis oder im steilen Gelände garantiert.

Breite Ski fordern gute Bindung

Bei den getesteten Ski gelingt diese Kombination allerdings nicht immer. Tatsächlich hat man den Eindruck, die neu auf den Markt gebrachten Tourenski müssten um jeden Preis eine Mindestbreite von 90 Millimeter haben, um vom Kunden überhaupt akzeptiert zu werden.

Auch wenn breite Ski voll im Trend sind, sollte man bei der Wahl seiner Touren-Ausrüstung unter anderem daran denken, dass sehr breite Ski im Aufstieg zum Beispiel bei der Querung von harten Steilhängen oder bei vereisten Spuren deutlich mehr Aufmerksamkeit verlangen als die schmälere Variante. Auch benötigen sie breitere Felle, die wiederum ein höheres Gewicht und logischerweise auch einen höheren Gleitwiderstand mit sich bringen.



In den Netzdiagrammen des Bergsteiger-Skitests ist die gemessene Skifläche zwar nur einer von insgesamt acht Faktoren. Doch sollte man sich beim Skikauf darüber im Klaren sein, dass ein breiter Ski neben den Besonderheiten im Aufstieg nur mit einer stabilen Bindung wie der Marker KingPin, der Dynafit Beast oder natürlich mit einer guten Rahmenbindung sein Fahrverhalten vollends entfalten kann.

Klasse hat ihren Preis

Entgegen dem Trend gibt es auch heute noch verhältnismäßig schmale Tourenski. Womit im aktuellen Tourengeher-Sprachgebrauch eine Breite von 80 Millimeter unter der Bindung gemeint ist. Und da überrascht es dann doch, dass die beiden schmalsten Ski im Test sich besonders harmonisch präsentiert haben. Das Fahrverhalten von Blizzard Zero G85 und Völkl VTA 80 lite überzeugte die Testmannschaft in allen Situationen – sogar im tiefen Schnee lassen sich die Bretter durch die ausgewogenen Konstruktionen wunderbar leicht und spielerisch fahren. Auf einer eisigen, harten Piste zeigen sie vielen ihrer Konkurrenten die »Rücklichter«.

Dass sich Ski in der Einkilo-Klasse dermaßen harmonisch und ausgewogen in allen Bedingungen fahren lassen, war uns dann sogar einen Bergsteiger-Tipp wert. Leider hat der hohe konstruktive Aufwand auch seinen Preis: Für die 800 Euro eines Völkl VTA 80 light gibt es andernorts ein Komplettset bestehend aus Ski, Bindung und Fellen!

Fahrvergnügen wiegt schwer

Geht es allerdings um bestmögliches Fahrverhalten, wird man in der Ultraleicht-Fraktion nur mühsam fündig. Da drängt sich der Eindruck auf, dass Stabilität und optimale Kraftübertragung nicht bei Produkten zu haben sind, die gewichtsmäßig derart abgespeckt haben. Zwei der schwergewichtigsten Ski im Test – der K2 Wayback 96 und der Völkl Nanuq – sind hier das Maß aller Dinge: Wenn man bei diesen Modellen berücksichtigt, dass unbedingt eine Bindung mit einer exzellenten Kraftübertragung zu montieren ist, dann summiert sich das Gesamtgewicht im Vergleich zu den leichtesten Skisets auf den gut doppelten Wert!



Die übrigen getesteten Tourenski finden sich zwischen diesen Extremen – je nach Geschmack und Vorlieben sollte sich der persönliche Traumski ohne Schwierigkeiten anhand der Neztdiagramme finden lassen. Dass der günstigste Ski (ohne Bindung) 529,95 Euro kosten soll, ist sicher auch noch eine Erwähnung wert. Da darf man im Laufe des Winters auf günstige Set-Angebote im Fachhandel hoffen!

Fünf Regeln für den Skikauf

  • Gewicht: Das Gesamtgewicht von Ski, Schuh und Bindung muss bei jedem Schritt beschleunigt werden und hat deshalb einen größeren Einfluss auf das Gesamtsystem als z.B. ein gleich großes Rucksackgewicht.
  • Breite: Breite Ski sind voll im Trend – nicht alle Konstruktionen sind aber uneingeschränkt in jedem Schnee und jedem Gelände zu empfehlen.
  • Rocker: Die Rocker-Konstruktion bietet besonders bei Ski mit einer Breite von mehr als 100 Millimetern konstruktive Vorteile.
  • Fahrverhalten: Im weichen Schnee lassen sich die meisten Touren- und Freeride-Ski gut und einfach fahren, große Unterschiede beim Fahrverhalten gibt es aber auf hartem Untergrund – hier trennt sich die Spreu vom Weizen!
  • Bindung: Neben einer TÜV–Zertifizierung für ein sicheres Auslöseverhalten spielt die Kraftübertragung eine entscheidende Rolle. So hat die Tourenbindung auch einen maßgeblichen Anteil am Fahrverhalten der Ski.
Alle Fotos: Vivalpin
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 12/2016. Jetzt abonnieren!
 
Mehr zum Thema