Wie schneesicher sind die Alpen? | BERGSTEIGER Magazin

Wie schneesicher sind die Alpen?

Weiße Bänder, die sich durch ockergelbe Hänge ziehen, diesen Anblick kennen vermutlich alle, die sich im Winter in den Alpen bewegen. Europas Wintersport-Dorado hat mit dem Klimawandel zu kämpfen. Ein Aspekt wird auch für Skitouren-Geher immer relevanter: die Schneesicherheit.

 
Kunstschnee macht's möglich: Skitour zur Resterhöhe © DAV
Kunstschnee macht's möglich: Skitour zur Resterhöhe

Viele Orte werben offensiv damit, schneereich oder schneesicher zu sein. Manche geben sogar eine Schnee-Garantie. Einhalten können dieses Versprechen aber nurmehr wenige wie beispielsweise die Gletscher-Skigebiete im Ötztal oder Stubaital sowie die gigantischen Skigebiete der Westalpen wie Zermatt in der Schweiz und Les Trois Vallées in Frankreich. Dort finden auch Skitouren-Geher sichere Verhältnisse vor. 

Die Schneesicherheit hängt von mehreren Faktoren ab: zu allererst von der Höhenlage und den bestehenden Gletschern, aber auch von der geographischen Lage. Regionen an der Nord- und Westseite der Alpen liegen vorteilhaft, da dort die häufigen Nordwest-Wetterlagen zuerst eintreffen. Das bestätigt Susanne Drechsel, Meteorologin bei der ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik) in Innsbruck: »Im Alpenverlauf steht etwa der Bregenzerwald wie eine Ecke heraus, an der sich die Fronten abregnen beziehungsweise abschneien.« Sicher gebe es eine gewisse Variabilität, sogar dekadische Schwankungen, wie sie einräumt. Und es sei aktuell eine Verlagerung nach Osten hin feststellbar, wodurch etwa das Salzkammergut – ebenfalls ein Schneeloch – begünstigt werde.

Allerdings wird sich die Schneesituation mit dem Klimawandel ändern. Und tut es bereits, sagt Drechsel: »Es ist ein eindeutiger Trend zur Abnahme der Gesamtschneehöhen und der Neuschneesummen erkennbar, vor allem im Bereich der westlichen Ostalpen«. Außerdem falle seltener Schnee in tieferen Lagen, also »dort wo es jetzt schon knapp ist, wird es in Zukunft noch enger«. Dadurch wird zum einen die Skisaison kürzer, zum anderen nimmt die künstliche Beschneiung weiter zu, wie der Arlberger Schneemeister Rudolf Winkler sagt: »Es ist fast nicht mehr möglich nur mit natürlichem Schnee auszukommen«. Selbst im schneereichen St. Anton.

Doch sind die Aussichten wirklich so düster? Und müssen sich Skitouren-Geher in Zukunft vermehrt an Skipisten halten? Auch eine Studie des DAV aus dem Jahr 2013, durchgeführt von Wissenschaftlern der Uni Innsbruck, kam zu dem Ergebnis, dass die Schneesicherheit in tieferen Lagen gefährdet ist. Deshalb wird in bayerischen Skigebieten die Beschneiung bereits kurz- und mittelfristig unverzichtbar werden. Schon jetzt seien laut der Studie nur 30 bis 50 Prozent dieser Gebiete ohne Beschneiung schneesicher. Und: »Selbst mit massivem Ausbau der Beschneiung sind mittelfristig (innerhalb von 15 bis 25 Jahren) wahrscheinlich nur noch 50 bis 70 Prozent der Skigebiete in den bayerischen Alpen schneesicher«. Bei diesen handelt es sich um die höheren Gebiete wie an der Zugspitze oder um Oberstdorf.

Der Beschneiungszwang

Ist Beschneiung also eine notwendige Anpassung an den Klimawandel? »Definitiv«, sagt Meteorologin Drechsel, »und da es diese Möglichkeit gibt, wird sie auch genutzt. Manche Regionen stehen dabei unter dem Zwang, mitzuspielen. Manche haben diese Möglichkeit gar nicht – und die gehen schweren Zeiten entgegen«. Und wer vielleicht gar nicht mitspielen möchte, dem bleiben am Ende die Gäste weg. Denn deren Ansprüche sind deutlich gestiegen, wie auch Robert Steiger, Autor der DAV-Studie feststellt: »Pisten, die nicht komplett makellos waren, wie es sie in den siebziger und achtziger Jahren noch gab, sind heutzutage undenkbar«. Schon in der Vorsaison, mancherorts sogar im September, wird mit der Beschneiung begonnen, um mit dem »Grundschnee« die Basis für den Naturschnee zu legen.

Beschneit werden kann aber nur in möglichst trockenen Kältephasen. Doch die werden immer kürzer und verschieben sich zeitlich nach hinten. Darin sind sich die Meteorologin und der Beschneier einig: »Die Zeitfenster, in denen die Temperaturen passen und die Beschneiung möglich ist, sind in den letzten 15 Jahren spürbar kürzer geworden«, sagt Winkler.  »Wahrscheinlich wird es in dieser wichtigen Übergangsjahreszeit weniger
solche Phasen geben«, gibt auch Meteorologin Drechsel zu verstehen. Deshalb verschiebt sich der Beginn der Saison. Zu diesem Ergebnis kamen 2016 Wissenschaftler vom Schweizer Institut für Schnee- und Lawinenforschung. Auf zwölf Tage bezifferten sie die Verzögerung im Vergleich zu 1970 für die Schweizer Alpen. Gleichzeitig war die Saison dort im Schnitt 26 Tage früher zu Ende. Prof. Martine Rebetez, Autorin der Studie, schildert weitere Konsequenzen des Klimawandels für das Skitouren-Gehen: Zum einen werde der Schnee feuchter. Zum anderen wird das Wetter extremer. Das bedeutet längere Trockenperioden und größere Niederschlagsereignisse: »Wir haben zwar weniger, aber dafür größere Schneefallereignisse. Das heißt, es gibt weniger Pulverschnee, aber die Triebschneelawinen bleiben«. 


Regenkrusten können mitunter gefährlich werden. Foto: Lawinenwarndienst Tirol

Das Problem, dass wärmere Winter feuchtere Schneedecken bringen, kennt auch Patrick Nairz vom Tiroler Lawinenwarndienst. In den vergangenen Wintern habe es »viele Niederschlagsereignisse mit hohen Regengrenzen« gegeben, was sich ungünstig auf den Schneedeckenaufbau ausgewirkt habe. Dabei geht es konkret um die »vermehrte Bildung von Regenkrusten, in deren Bereich sich großflächig Schwachschichten bilden können«. Generell gilt, dass nicht nur die Temperatur, sondern auch die Luftfeuchtigkeit eine Rolle spielt. Wärmere Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen, was wiederum in höheren Niederschlägen resultieren kann. »Zirkulationsmuster, die Niederschlag bringen, verändern sich auch mit dem Klimawandel. Und einige Modelle deuten tatsächlich darauf hin, dass es in den nächsten zwanzig Jahren noch feuchter wird, allerdings mit einem großen Fragezeichen versehen«, so Meteorologin Drechsel. Dann könnten sich auch aktuelle Befürchtungen zum Niedergang des Skisports relativieren. Doch was bleibt – darin ist sich die Wissenschaft einig – sind unsichere Schneelagen, Temperaturerhöhung und Gletscherrückgang. Und die lassen sich weder leugnen, noch rückgängig machen. Nicht unwahrscheinlich also, dass man in für Skitouren in Zukunft vermehrt auf Pisten ausweichen muss.

Schneesicher – Was heißt das überhaupt?

Für die Schneesicherheit in Skigebieten gibt es im Grunde zwei Kriterien. Zum einen die 100-Tage-Regel als betriebswirtschaftliche Grenze: Im Durchschnitt müssen 100 Tage Pistenbetrieb in 7 von 10 Wintern möglich sein, damit ein Gebiet oder eine Piste rentabel ist. Zum anderen die Weihnachtsregel: Pistenbetrieb muss an allen 14 Ferientagen in 7 von 10 Wintern (auf mittlerer Pistenhöhe) möglich sein. Ein weiterer wirtschaftlicher Indikator kann der Anteil an geöffneten Pisten sein. In einer Vorstudie haben Pistenbetreiber angegeben, dass ein Pistenangebot unter 50 Prozent nicht mehr rentabel sei.

Schneereiche Alpenregionen

Auch wenn es keine Garantie auf Schnee gibt: Wir haben für Sie Gebiete zusammen gestellt, die durch ihre Geographie und Topographie die besten Bedingungen bieten:

*    Bregenzerwald/Vorarlberg: Durch die Nordwest-Exposition besonders begünstigt. Die schneereichsten Orte der Alpen, wie z.B. Damüls, befinden sich hier. 

*    Glarner Alpen und Urner Alpen: Die Lage am Nordwestrand des Alpenbogens führt zu ähnlich hohen Niederschlägen.

*    Karnische Alpen: Mit Nassfeld als dem Schneeloch der Ostalpen, wo Adriatiefs im Schnitt 7–8 Meter Neuschnee pro Jahr abladen, sind die Karnischen Alpen besonders schneereich.

*    Mont Blanc: Liegt exponiert am Westrand des Alpenbogens, dadurch prallen Wetterlagen von Westen direkt auf das Massiv, was für ausreichend hohe Niederschläge und Schneeakkumulation sorgt. Die Skitouren sind grandios, aber eher anspruchsvoll und mit der Haute Route zwischen Zermatt und dem Mont-Blanc-Massiv verläuft hier der Skitouren-Klassiker der Westalpen.

*    Ortleralpen: Die durch ihre sehr zentrale Lage nicht ganz so niederschlagsreiche Ortlergruppe liegt sehr hoch und bietet höchst attraktive Skitouren-Ziele, wie etwa den Cevedale (3769 m). 

*    Salzkammergut/Dachstein: im Osten der Alpen, mit etwas kontinentalerem Klima und rauheren Temperaturen

*    Nationalparkregion Vanoise: Wenig bekannt, sehr hoch und ähnlich exponiert gelegen wie der Mont Blanc; über 100 Dreitausender befinden sich in dieser Gruppe und die hierzulande wenig bekannte »Traversée des glaciers de la Haute Maurienne« ist in Frankreich ein Klassiker.

*    Wetterstein und Karwendel: Durch ihre Lage am Nordrand der Alpen für Nordwest-Lagen begünstigt, sind sie die wohl schneesichersten Regionen im deutschen Alpen-Grenzgebiet.


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Christian Träger
 
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