Faszination 24-Stunden-Trophy | BERGSTEIGER Magazin
Der Weitwander-Virus

Faszination 24-Stunden-Trophy

Einsamkeit. Ruhe am Gipfel. Was viele am Wandern so schätzen, ist das genaue Gegenteil von organsierten Massenwanderungen. Dennoch sind Tausende fasziniert von Veranstaltungen wie der 24h Trophy. Auf Spurensuche bei einer 12-Stunden-Wanderung.

 
Zu hunderten geht es hinauf zum Krottenkopf. © 24h Trophy
Zu hunderten geht es hinauf zum Krottenkopf.

Erledigt. Stunden-Foto Nummer vier ist im Kasten. Und zwar ein besonders schönes. Bei strahlendem Sonnenschein auf dem überzuckerten Krottenkopf (2086 m), im Hintergrund ist das Karwendel mit Gipfeln wie Birkkarspitze (2749 m) und Hohem Wörner (2474 m) zu sehen. Da haben sich Peter und Raphael den auf jedes Stunden-Foto folgenden Schluck aus dem Flachmann wohl verdient. Acht weitere Selfies werden sie an diesem Samstag noch machen. Achtmal werden sie anschließend zum Schnaps greifen.

Peter, 27, aus Füssen, und Raphael, 26, aus Köln, sind Teilnehmer einer Zwölf-Stunden-Wanderung durch das Estergebirge. Die Tour findet im Rahmen der 24h Trophy statt, einer Wander-Großveranstaltung, organisiert durch die Event Agentur Grassl aus Berchtesgaden. Gemeinsam mit knapp 90 anderen Wanderern und zwei Guides haben sie morgens um neun in Wallgau ihre Tour begonnen.

Im Pulk geht es zunächst über breite Feld- und Waldwege. Es herrscht ausgelassene Stimmung, wer alleine teilnimmt, findet schnell Anschluss. Als der Weg im Aufstieg zur Weilheimer Hütte schmaler und steiler wird, wird es zunehmend ruhiger und die Gruppe zerfällt. Ab etwa 1700 Metern liegt an diesem Oktoberwochenende bereits Schnee und die Zwölf-Stunden-Wanderer bekommen zu spüren, dass sie nicht die Ersten auf diesem Pfad sind: Mitunter ist es ziemlich glatt, der Schnee ist von vielen Stiefel zusammengetreten. Genauer gesagt von den Stiefeln der 120 Teilnehmer der 24-Stunden-Wanderung der Trophy. Diese sind mit einer halben Stunde Vorsprung gestartet und haben den Weg stellenweise in eine Rutschbahn verwandelt. An der Weilheimer Hütte treffen die beiden Gruppen aufeinander, weshalb sich an der Essensausgabe eine Schlange bildet, die einmal halb um die Hütte reicht. »Wir waren wohl zu schnell unterwegs“, sagt Masterguide Franz. Laut Zeitplan, den alle Teilnehmer zusammen mit einer Landkarte bekommen haben, ist das Mittagessen auf der Weilheimer Hütte auch erst nach dem Erklimmen des Krottenkopf geplant. Doch nicht alle Wanderer haben Lust auf den rutschigen Anstieg und ziehen eine längere Mittagspause vor. 

Eine Veranstaltung mit Suchtfaktor

Bei eiskaltem Wind vor der Hütte warten? Peter und Raphael folgen lieber Masterguide Franz in Richtung Gipfel. Auch Volker lässt sich von den 130 Höhenmetern nicht abschrecken, zieht schnell eine Jacke über und stapft los. Was das Weitwandern angeht, ist der Bamberger ein alter Hase. Er hat schon an verschiedenen zwölf- und 24-Stunden-Touren teilgenommen. »Es macht einfach unglaublich viel Spaß und es ist ein tolles Erlebnis, das man wieder und wieder haben will«, sagt er. Kaum hatte er die erste Wanderung hinter sich, da meldete er sich schon zur nächsten an. Bei der »Finisher-Ehrung« am Abend wird er einer der »Trophy-Könige« sein. Diese Auszeichnung bekommt, wer in einem Jahr an drei Wanderungen teilgenommen hat. 

Für Kathrin aus der Gegend um Augsburg ist es die erste Trophy. Nach wenigen Stunden ist sie bereits angefixt vom Weitwandern. Auf dem Gipfel strahlt sie über beide Ohren, ist begeistert vom Bergblick. Sie hat zwar schon Erfahrung mit Ultramärschen, aber »noch nie was mit Höhenmetern gemacht. Bei uns im Lechbecken ist es ja ziemlich flach. »Aber es läuft gut.« So gut, dass sie schon überlegt, sich im nächsten Jahr an eine 24 Stunden-Wanderung zu wagen. Auch die anderen Teilnehmer sind zufrieden. Weder kalter Wind, wenig Platz in der Hütte oder die Tatsache, dass die Würstel als Schmankerl in der Erbsensuppe nicht für alle reichen, können die gute Stimmung trüben. Von der Sorge des Hüttenwirts Christian Weiermann, was wohl bei schlechtem Wetter passiert wäre, bekommen sie nichts mit.  »Da wär sauberes Chaos ausgebrochen. Ich hab’ drinnen doch nur 60 Plätze«, sagt der Wirt, als auch die letzten Gipfelstürmer ihre Suppe löffelnd auf der halbwegs windschattigen Terrasse sitzen. Weiermann wirkt erleichtert, als der Trupp weiterzieht, den Kamm entlang, an der Hohen Kisten vorbei und auf den Simetsberg (1840 m). 

Im Abstieg wird es dunkel. Zeit die Stirnlampen auszupacken. Eine Kolonne von Lichtkegeln zieht den Berg hinunter. Oder schliddert vielmehr, jetzt nicht auf Schnee sondern auf Matsch. Vom unbefestigten Pfad ist kaum mehr etwas zu sehen. Fast alle haben später bei der Urkundenverleihung auf der Bühne schlammverkrustete Hosenböden vorzuweisen. Gerutsche und Stürze werden mit Humor genommen. Erst als sich der Weg nach der letzten Pausenstation mit Sekt und Kuchen in die Länge zieht und die Guides einmal die Orientierung verloren zu haben scheinen, macht sich bei manchen leises Murren breit. Andere sehen es gelassen, dass sich die Tour um fast eine Stunde verlängert. »Ist doch super! Da kriegen wir mehr für unser Geld«, scherzt Georg aus Erding. 

Sich um nichts kümmern müssen

79 Euro kostet die Zwölf-Stunden-Tour, 119 Euro die Ganztageswanderung. Nicht gerade geschenkt, aber dafür bekomme man einiges geboten, so der Tenor unter den Teilnehmern. Norbert aus Landsberg zum Beispiel ist viel in den Bergen unterwegs, macht gerne mal Hochtouren. Dass auch er zum wiederholten Mal an einer Trophy teilnimmt, liege an der Organisation und dem Rundum-Sorglos-Paket. »Ich genieße es total, mich mal um nichts kümmern zu müssen. Alles ist organisiert, ich muss einfach nur laufen.« Dies und das Konzept des Wanderns als Gemeinschaftsaktion dürften laut Susanne Lincke, zuständige Projektleiterin bei der Eventagentur Grassl, das Erfolgsrezept der Trophy sein. Sie führt die Abbrecherquote von weniger als zehn Prozent auf den Zusammenhalt und das gegenseitige Motivieren zurück. »Man wird aufgefangen in der Gruppe. An Tiefpunkten ist dann immer jemand mit viel Trophy-Erfahrung da, um einen aufzubauen.« 

Auch bei der Wanderung in der Alpenwelt Karwendel kommen fast alle nach 31 Kilometern und gut 1600 Höhenmetern quer durch das Estergebirge ins Ziel. Und einige der Weitwanderneulinge wie Kathrin haben Blut geleckt. Auch Peter würde nächstes Jahr gerne 24 mal ein Stunden-Foto machen. Er muss nur noch seinen Kumpel Raphael von der Idee überzeugen. Mit dem Argument von zwölf zusätzlichen Stamperln gelingt ihm das vielleicht.     


















 

Faszination 24H Trophy

Die Erfolgsmarke wächst und wächst

Die erste 24 Stunden-Wanderung organisierte Toni Grassl 2011 für das Wanderfestival Berchtesgadener Land und erkannte das Potential sofort. In Kooperation mit Biolectra entstand die kontinuierlich wachsende Dachmarke 24h Trophy. Als sechster Austragungsort kam zuletzt die Alpenwelt Karwendel dazu, 2018 wird es zwei weitere geben. Auch die Teilnehmerzahlen steigen stetig, in diesem Jahr um 400 auf 1650. Grund genug für Projektleiterin Susanne Lincke »total zufrieden« mit der Trophy-Saison zu sein. 

Bei einer Altersspanne von neun bis 81 Jahren (Trophy 2017) variiert die Motivation sehr. In einer Umfrage des Veranstalters wurden »Grenzerfahrung«, »eigene Leistung testen« und »persönlicher Ehrgeiz« ebenso angegeben wie »Natur erleben« und »neue Wanderregionen kennen lernen«. Und wer sich aus einer »spontanen Bierlaune heraus« zum ersten Mal anmeldete, ist später vielleicht »wegen der tollen Erfahrung im letzten Jahr« dabei. Viele sind Wiederholungstäter wie Adelinde Schulze, die unübertroffene Trophy-Kaiserin, die seit Beginn bei jeder einzelnen Wanderung mitgelaufen ist.

Auch die teilnehmenden Regionen profitieren . »Solche Veranstaltungen sind eine gute Möglichkeit, ein breites Publikum auf die Vielfalt der Wanderregion aufmerksam zu machen«, so die stellvertretende Geschäftsführerin der Alpenwelt Karwendel, Judith Fidler. Zudem steigen die Zahlen der Übernachtungsgäste, wie ein Blick in die WhatsApp-Gruppe der Karwendel-Trophy zeigt: Am Vorabend der Tour werden dort eifrig Bilder der bereits Angereisten beim Biertrinken geteilt. 



 

7 Tipps für Weitwander-Neulinge

1.    Die richtige Tour wählen: Die Wanderungen variieren in Länge und Schwierigkeit, wer seine Fähigkeiten richtig einschätzt, erhöht die Erfolgschancen.  

2.    Sich vorbereiten: Für eine 12-Stunden-Wanderung muss man nicht exzessiv trainieren, sollte aber in der Lage sein etwa 30 Kilometer bzw. 6–8 Stunden wandern zu können.

3.    Für alles gerüstet sein: Neben Blasenpflaster, Wechselwäsche, Regen- und Sonnenschutz gehören Verbandszeug und eine Stirnlampe in den Rucksack. Je nach Tour und Jahreszeit auch Mütze und Handschuhe

4.    Die Füße schonen: Unbedingt bequeme, gut eingelaufene Schuhe tragen und evtl. leichte Wechselschuhe mitnehmen (Schuhtransport bei 24h). Hirschtalg beugt Schwielen vor, Wechselsocken schützen die Füße vor Aufweichen. 

5.    Stöcke mitnehmen: Teleskop oder Faltstöcke entlasten besonders beim Bergabgehen die Gelenke und geben Sicherheit im Dunkeln.

6.    Ordentlich Trinken und Essen: Das Angebot an den Pausenstationen nutzen und ein paar Snacks und Getränke für unterwegs einstecken. Regelmäßige Kalorienzufuhr beugt dem sogenannten Hungerast vor, der auch auf die Motivation schlägt.

7.    Anschluss halten: Bei Müdigkeit oder Schwäche sollte man sich nicht zurückfallen lassen, sondern lieber im Mittelfeld gehen. Durch das Gefühl »Hinterherrennen zu müssen« wirkt die Wanderung noch anstrengender. Innerhalb der Gruppe hingegen kann man sich gegenseitig motivieren.


Artikel aus Bergsteiger 01/18. Hier geht's zum Abonnement.

 

Franziska Haack
Fotos: 
Franziska Haack, 24h Trophy