Trekking durch den Páramo – das artenreichste Hochgebirge der Welt

Die Anden-Apotheke - Trekking in Kolumbien

Die spanischen Eroberer hatten einen Heidenrespekt vor den »Nebeln der Hölle« in der Bergregion des Páramo in den kolumbianischen Anden. Biologen nennen das Gebiet oberhalb von 3000 Metern heute wegen seines einmaligen Ökosystems »Himmelsinseln«. Autorin Sandra Zistl war auf Trekking-Tour in der Zauberwelt der kolumbianischen Anden.
 
Trekking in den Anden Kolumbiens © Sandra Zistl
Edelweiß Kolumbiens: Den Nationalpark Chingaza bevölkern kuriose Rosettenpflanzen
Erst am Abend zieht sich der Nebel zurück und gibt den Blick gerade noch rechtzeitig frei auf eine einsame Landschaft, die seltsame Wesen bewohnen: eine Armee dürrer, langer Gestalten mit wuchtigen Kronen auf dem Kopf. Die haarigen, fleischigen Blätter der Espeletiinae, wie die einheimischen Pflanzen im Páramo im Nationalpark Chingaza heißen, leuchten silbrig vor dem dunkelgrünen Hintergrund der Berghänge. »Nebel der Hölle« nannten spanische Eroberer in Reiseberichten die Schwaden, die ihnen das Durchqueren dieser sumpfigen, unwegsamen Landschaft auf über 3000 Metern noch schwerer machten, als es Kälte und Schlamm ohnehin schon taten. 20 Mann und Pferde verlor ein Gesandter der kastilischen Krone an einem einzigen Tag. Er hatte den direkten Weg von den Llanos, den Ebenen des ostkolumbianischen Tieflandes, über den östlichen Ausläufer der Anden nach Bogotá gesucht. Gefunden hatte er eine von Gletschern geformte Landschaft und ein einzigartiges Ökosystem. Er wusste es nur nicht zu schätzen. 

Frailejones – Pflanzen in Mönchsgestalt

»Die Páramos sind – oberhalb der Baumgrenze – das diverseste Ökosystem der Welt.« Mauricio Diazgranados weiß dieses Ökosystem sehr wohl zu schätzen: »Hier leben mehr als 4500 unterschiedliche Pflanzen. Es ist eine einzige, große Apotheke.« Auch er hat einen Namen für die Region: »Himmels-Inseln«. Denn nur in solchen isolierten Bergregionen, die über feuchtes Klima verfügen, konnte sich der sogenannte Páramo entwickeln: ein Ökosystem oberhalb der Baumgrenze, aber unterhalb der Gletscher. Diazgranados, ein schlanker Mann mit lockigem, dunkelblondem Haar, gepflegtem Bart und Intellektuellenbrille, ist Direktor des Botanischen Gartens in Bogotà und Páramo-Spezialist. Gerade erforscht er die Auswirkungen des Klimawandels auf die sensible Familie der Espeletiinae: besagter Rosettenpflanze, die in der Dämmerung menschenähnliche Züge annimmt.

Die Spanier gaben ihr in ihrer Unwissenheit einen menschelnden Namen: »Frailejones«, nach dem spanischen Wort für Mönch, «fraile«. Kolumbianische Alpinisten haben die kuriosen Kerle zu ihrem Wahrzeichen gemacht. Die Frailejones sind das Edelweiß der Anden. Die immense Nässe des Páramo, die den Spaniern zum Verhängnis wurde, ist für Bogotà ein Segen. 80 Prozent des Wassers der Metropole mit acht Millionen Einwohnern stammt von hier. Das Wasser, das Gräser, Farne, Moose, Büsche, Stauden und Frailejones aus der Luft aufnehmen, stammt aus dem Orinoco-Delta und dem Amazonas-Gebiet. Mächtige Luftströmungen tragen die feuchte Luft an die östlichen Ausläufer der Anden heran, wo sie zu Nebel kondensiert. Dass hier überhaupt Pflanzen gedeihen, ist eigentlich unlogisch.

»Der Boden ist wahnsinnig sauer«, erklärt Mauricio Diazgranados, »außerdem sehr nährstoffarm«. Es gebe nur wenige Mikroorganismen, und die verwesten sehr langsam. »Physiologisch ist das eine Wüste.« Umso komplexer sind die Pflanzen, die sich dort entwickelt haben. Und desto weniger erstaunlich, dass sie Formen haben wie ihre Verwandten in der Wüste: Rosetten, dicke Stämme, fleischige, manchmal haarige Blätter – selbst, wenn es einen Monat lang nicht geregnet hat, sind sie noch nass.  

Sanfter Bergtourismus statt Guerilla

»Bei Kolumbien denken die Leute immer noch: Drogen, Geiseln, Guerilla.« Die dunkelbraunen Augen von Wanderführer auf unserer Trekkingtour durch die Anden, Carlos Avellaneda Valcárcel, genannt »Pocho«, glühen, als er das am Abend des ersten Trekking-Tages erzählt. Er ist seit 30 Jahren im Geschäft und kann beurteilen, wie gefährlich es denn nun wirklich ist oder war, sich in Kolumbien in die Bergbüsche zu schlagen. »Mitte der Neunziger konnten wir nicht raus aus Bogotà, zu gefährlich. Aber diese Zeiten sind: pasado.« Pochos Hände ziehen einen Schlussstrich in der Luft. Gemeinsam mit seinen Kollegen der Guide-Vereinigung »Caminantes del Retorno« ist er dabei, eine neue Form des sanften Bergtourismus zu etablieren.

Die Tour in den Anden, auf der er gerade mit einer Trekkinggruppe aus Europa unterwegs ist, gibt es offiziell eigentlich noch gar nicht. Doch da Pocho schon seit Jahren mit stetem Überzeugungs-Tropfen den Stein der extrem auf Naturschutz bedachten Parkverwaltung höhlt, hat er zwar viel Aufwand, um Touristen auf diesen Weg bringen zu dürfen – aber auch jedes Mal Erfolg. Zum achten Mal ist er hier unterwegs, zum zweiten Mal mit Nicht-Kolumbianern. Der Tourismus ist erst im Entstehen begriffen. Die Guides sind professionell ausgebildet, die Infrastruktur ist vielerorts rudimentär. Dafür umso näher an den Menschen. Wer in Kolumbien wandert, klettert oder hohe Gipfel besteigt, schläft viel in Privatunterkünften, einfachen Pensionen oder im Zelt. 

Uribe räumte im Dschungel auf

Als die Bergsteiger nach dem Abstieg mit schleppenden Schritten im Dorf einlaufen, blicken die Leute von ihren Empanadas auf, Kinder rennen hinterher, Hunde kläffen. Im Dorfrestaurant erwartet die müde Truppe eine Auswahl an vier verschiedenen, frischen Säften: Brombeere, Mango, Lulo, Guave. Die Dorfältesten schlürfen sie aus Halbliter-Krügen. San Juanito liegt auf 1800 Metern, doch seine Vegetation ist tropisch. Die Fruchtbarkeit dürfte der Grund gewesen sein, weshalb ein Padre vor gut 100 Jahren überhaupt ein Dorf hier gründete: mitten in den Bergen, ohne Straße, umgeben von grünem Dickicht. »Ein Verrückter«, sagt Miller und schüttelt den Kopf. Die Fertilität hat sich auch in die Volkslieder eingeschlichen – auf die in aller Welt gängige, volkstümliche Art und Weise der wenig sensiblen Doppeldeutigkeit. Don Carlos, ein Dorfbarde, singt mit Inbrunst von der Banane, die ein Mann gerne in die Passionsfrucht einer schönen Frau stecken möchte. Als er bemerkt, dass ein Teil der Touristen-Gruppe Spanisch versteht und die Stirn runzelt, schiebt er flugs ein Kirchenlied hinterher, das von einer anderen Jungfrau handelt. Jener mit der unbefleckten Empfängnis.

Musik spielt in Kolumbien eine große Rolle. Oft wird zusammen gesungen und musiziert. Hier eine kleine Kostprobe:

Sandra Zistl
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 01/2015. Jetzt abonnieren!
 
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